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12.02.2014
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Mein Kopf pocht. Entsetzliche Kopfschmerzen. Übelkeit.
Ich stehe auf und schaue auf meinen Wecker. Zehn nach sechs. Langsam schlurfe ich ins Badezimmer um zu duschen. Das Geräusch von Wasser, das aus dem Duschkopf schießt, beruhigt mich. Aber die Kopfschmerzen wollen nicht verschwinden, und das flaue Gefühl im Magen auch nicht. Schrank auf, Kopfschmerztabletten raus. Ich hasse Tabletten. Davon wird mir schlecht, aber in diesem Fall ist das das kleinere Übel. Ich lege mir die Tablette auf meine Zunge und spüle sie mit viel Wasser hinunter. Grauenhaft. Kann es anstelle der Tabletten keinen Saft gegen Kopfschmerzen geben?

Ich lege mich wieder hin, da weder die Übelkeit noch das Pochen in meinem Kopf weniger werden. Mir fällt beim Blick aus dem Fenster auf, dass draußen alles weiß ist. Es hat geschneit. Das erste Mal in diesem Winter, und das, obwohl es schon Ende Januar ist. Normalerweise hätte ich mich über den Schnee gefreut, aber jetzt geht es mir einfach zu schlecht.
Meine Mutter kommt in mein Zimmer, sie wollte mich wecken. Sie sieht mich an, sieht meinen gequälten Gesichtsausdruck und den Spuckeimer neben meinem Bett stehen und meint: „ Du bleibst heute besser zu Hause. Hast du schon eine Kopfschmerztablette genommen?“ , Ich nicke. „Die, die im Badezimmer sind?“, Ich nicke. „Soll ich dir einen Tee machen?“, Ich nicke.
Zehn Minuten später kommt sie mit einer Tasse Früchtetee, meinem Lieblingstee, und einem Brötchen mit Nuss-Nougat-Aufstrich wieder. Ich schaue auf die Uhr. Fünf vor Acht. „Musst du nicht zur Arbeit?“ „Doch, ich gehe jetzt. Ruh dich aus.“ Sie küsst mich auf die Stirn und geht.

Ich versuche zu schlafen und langsam lassen auch die Kopfschmerzen und die Übelkeit nach. Nach zwei Stunden erwache ich wieder. Frisch ausgeruht, aber ohne irgendeine Beschäftigung setze ich mich auf und komme ins Grübeln. Was habe ich schon erreicht in meinem Leben? Eigentlich bin ich ja nur ein langweiliges 16-jähriges Mädchen vom Lande. Mein Leben könnte besser sein. Meine beste Freundin ist nicht mehr mit mir befreundet. Ich habe keinen Freund und hatte auch noch nie einen. Ich bin in Deutschland, während ich auch in Spanien für einen Schüleraustausch sitzen könnte, wenn meine Eltern nicht so engstirnig wären. Und Schule, naja dazu muss man nichts sagen. Schule lief auch schon besser. Alles in allem wäre man nicht verwundert, würde man erfahren, dass ich Depressionen hätte. Habe ich aber nicht. Irgendwas in mir hält mich am Laufen. Ich weiß nicht, was es ist, aber irgendwas ist da.

Ich stehe auf und rücke den Sauerstoffschlauch zurecht. Mühsam schleppe ich mich zu meinem Kleiderschrank. Obwohl es nur fünf Meter sind, bin ich erschöpft wie nach einer Sportstunde Sprint. Meine Lunge rebelliert. Sie hat – gefühlt – inzwischen nur noch die Größe eines Golfballs. Die Sauerstoffflasche zockelt leise hinter mir her und erreicht schließlich meinen Standpunkt. Ich hole meine Lieblingsjeans heraus und ziehe sie an. Sie war einmal meine engste Hose, aber inzwischen ist selbst die zu weit und schlottert an meinen Knochenbeinen. Ich hole mein Lieblingstop heraus, aber auch diese schlottert an meinem knochigen Oberkörper mit den herausstehenden Schlüsselbeinen. Schlussendlich behalte ich meinen Schlafanzug an – den weichen, warmen mit den Herzen darauf. Im Endeffekt sieht mich ja eh niemand.

Mein weiterer Weg führt mich ins Badezimmer – auf die Waage. 45Kg steht da in dicken Lettern. Zu wenig bei einer Körpergröße von 1,74m. Ich schaue in den Spiegel. Meine Augen liegen in tiefen, dunklen Höhlen, die in großem Kontrast zu meiner bleichen, ungesund aussehenden Haut stehen. Helle Stoppeln rahmen mein Gesicht ein. Die Überreste meiner Haare. 45. Die Zahl geistert in meinem Kopf herum. 9 – die Quersumme von 45. 9 Monate – die Zeit, die mir noch bleibt. 9 Wochen – die Zeit bis zu meinem letzten Geburtstag. 9 Tage – die Zeit, bis zu meiner nächsten Chemotherapie. 9 Stunden – die Zeit, bis zur nächsten erlösenden Nacht. 9 Minuten – die Zeit, die ich ohne Sauerstoffflasche auskomme. 9 Sekunden – die Zeit, die ich für einen Atemzug brauche.

 

Hallo,
ich finde, das ist für ein Debut sehr ordentlich. Ich kann das nicht genau sagen, aber du scheinst noch ziemlich jung zu sein, insofern gilt es um so mehr.
Auf kleinem Raum erzählst du viel, hast einige feine Details eingebaut, die Situation ist authentisch geschildert. Wie du den Leser hier an die Auflösung heranführst, finde ich gelungen, der Aufbau hatte auf mich die von dir offenbar beabsichtigte Wirkung. Dieses langsame Eintauchenlassen durch die Betrachtungen, Handlungen, Reflektionen und das bisschen Dialog hast du schon geschickt hingekriegt. Auf jeden Fall stimmt der Mix zwischen diesen Sachen, das ist für eine Geschichte in der Form wie du sie erzählst sehr wichtig. Das hat mir auf jeden Fall gefallen.
Es ist natürlich eine sehr kurze Geschichte, deswegen stellen sich viele Schwierigkeiten gar nicht, aber das was du gemacht hast, ist eindringlich, lässt mitfühlen, und zeigt, dass du gute Voraussetzungen zum Schreiben mitbringst.
Ein paar Sachen will ich aber noch anmerken.
Der Titel. Das ist jetzt natürlich blöd ein bisschen, und dürfte in deinem Fall noch unter dichterischer Freiheit durchgehen, bzw. sich der Absicht beugen, aber Zahlen bis einschließlich zwölf schreibt man aus. Schöner ist es eigentlich, wenn man es mit allen Zahlen macht. Aber ja, bei deiner Geschichte kann man die Verwendung der Ziffer auch gut nachvollziehen.
Sprachlich könntest du dich stellenweise etwas mehr anstrengen. Ich denke mir immer, jeden Satz lieber zehn Mal lesen, und jede Formulierung, jede Form der Vermittlung von was auch immer, genauso oft hinterfragen. Wichtig ist immer der Satzklang, und dafür ist es besser, Wortdopplungen zu vermeiden, das wirst du hier auf der Seite ganz häufig hören.
Ich bin hier mal auf einen Thread gestoßen mit vielen guten Tipps für Leute die anfangen zu schreiben. Vielleicht hast du da auch Interesse
http://www.wortkrieger.de/showthread.php?29289-Tipps-f%FCr-Schreibanf%E4nger-und-Fortgeschrittene
Hier z.B.

Ich hasse Tabletten. Davon wird mir schlecht, aber in diesem Fall ist das das kleinere Übel. Ich lege mir die Tablette auf meine Zunge und spüle sie mit viel Wasser hinunter. Grauenhaft. Kann es anstelle der Tabletten keinen Saft gegen Kopfschmerzen geben?
Die fett markierten Sachen klingen nicht besonders, da würde ich nach Alternativen suchen.
Aber im Übrigen hat der Text weniger Probleme.
Hier z.B. funktionieren die Wortdopplungen wunderbar.
„ Du bleibst heute besser zu Hause. Hast du schon eine Kopfschmerztablette genommen?“ , Ich nicke. „Die, die im Badezimmer sind?“, Ich nicke. „Soll ich dir einen Tee machen?“, Ich nicke.
Hier hat es ein System, so ein kleiner Sog, oben hat das für mich nicht funktioniert, falls es beabsichtigt war.
Eigentlich bin ich ja nur ein langweiliges 16-jähriges Mädchen vom Lande. Mein Leben könnte besser sein. Meine beste Freundin ist nicht mehr mit mir befreundet. Ich habe keinen Freund und hatte auch noch nie einen. Ich bin in Deutschland, während ich auch in Spanien für einen Schüleraustausch sitzen könnte, wenn meine Eltern nicht so engstirnig wären. Und Schule, naja dazu muss man nichts sagen. Schule lief auch schon besser. Alles in allem wäre man nicht verwundert, würde man erfahren, dass ich Depressionen hätte. Habe ich aber nicht.
Das hier z.B. ist ein schöner Part. Dass sich das Mädchen keine Gedanken um ihre Krankheit macht, sondern ganz gewöhnliche Maße an sich anlegt. Das ist wirklich authentisch und rührend.
Ja, insgesamt halte ich das für einen gelungenen Einstand, und wünsche dir viel Spaß hier.
lg, randundband

 

Vielen Dank für deine Rückmeldung, dass die Zahlen nicht ausgeschrieben sind, ist so gewollt. Ich finde so fallen sie mehr ins Auge. Ich werde in meinen nächsten Kurzgeschichten auf jeden Fall noch mehr auf das Sprachliche eingehen.
LG Sophie

 

Hallo Sophie,

Ich habe deinen Text gerne gelesen. Ich fand es wirklich überraschend, dass das Mädchen Krebs hat. Ich wäre da am Anfang nicht drauf gekommen. An sich eine sehr traurige Geschichte. Ich würde gerne einen weiteren Abschnitt aus ihrem Leben lesen. Dieser Geschichte fehlt nur noch ein Silberstreifen. Eine Aussicht auf etwas Glück im Leben des Mädchens obwohl sie bald stirbt. Sie ist sehr realistisch und wenig kitschig oder dramatisch. Das finde ich gut. Trotzdem würde ein kleiner Glücksmoment deine Geschichte meiner Meinung nach vervollkommnen. Du schreibst, dass sie keine Depressionen hat und dass sie etwas am Laufen hält. Ich wüsste gerne was das ist.

Liebe Grüße
Madita

 

Hallo Madita,
vielen Dank. Ich werde darauf mehr eingehen in meiner nächsten Kurzgeschicht.
LG Sophie

 

Hallo Sophiee,

herzlich willkommen im Forum. :)
Ich hab da jetzt hin und her überlegt - ich denke, es ist ein Problem, dass die Krebserkrankung deiner Erzählerin so zur Pointe degradiert wird. Das taucht im letzten Absatz so auf wie ein "Ätsch-Moment" (Ätsch, ihr habt gedacht, ich erzähle hier von einem ganz normalen Mädchen an einem ganz normalen Tag, aber was ihr nicht geahnt habt - sie ist todkrank!)

Mir fehlt da im ersten Absatz etwas, was das vorbereitet (du musst es nicht am Anfang verraten, aber gib dem Leser doch einen Anhaltspunkt, dass da noch was kommt).
Meine Leseverhalten war nämlich:
Ich hab den ersten Absatz gelesen und es war eine öde Beschreibung von jemandem, der mit Kopfschmerzen aufsteht (tausendmal gesehen), im zweiten Absatz wurde es zwar szenisch aber inhaltlich nicht besser. Dann hab ich abgebrochen und hätte normalerweise gar nicht weitergelesen. Nur, weil ich die Komms überflogen hab, wusste ich dann - okay, das entwickelt sich noch irgendwie.
Also wieder hochgescrollt, zu Ende gelesen.

Da ist schon Potential, denke ich. Aber mach dir bewusst, dass du den Leser mit dem ersten Absatz erwischen und fesseln musst (im Extremfall schon mit den ersten zwei Sätzen).

Was habe ich schon erreicht in meinem Leben? Eigentlich bin ich ja nur ein langweiliges 16-jähriges Mädchen vom Lande. Mein Leben könnte besser sein. Meine beste Freundin ist nicht mehr mit mir befreundet. Ich habe keinen Freund und hatte auch noch nie einen. Ich bin in Deutschland, während ich auch in Spanien für einen Schüleraustausch sitzen könnte, wenn meine Eltern nicht so engstirnig wären. Und Schule, naja dazu muss man nichts sagen. Schule lief auch schon besser. Alles in allem wäre man nicht verwundert, würde man erfahren, dass ich Depressionen hätte. Habe ich aber nicht. Irgendwas in mir hält mich am Laufen. Ich weiß nicht, was es ist, aber irgendwas ist da.
Was randundband über diesen Absatz sagt, da ist was dran. Sie denkt nicht über ihre Krankheit nach und legt an sich die "normalen" Maßstäbe, die man 16jährigen Mädchen so unterstellt. Das ist gut gemacht.
Das Problem ist: Ich lese ja von oben nach unten ;) und ich lese wahrscheinlich nur einmal. Während ich diesen Absatz lese, kann ich diesen interessanten Gedankengang noch gar nicht haben (oh! sie denkt von sich ja nicht als Kranke!), weil ich noch nicht zur "Pointe" vorgedrungen bin. Und ohne dieses Wissen um die Krankheit ist dieser Absatz unglaublich langweilig - nämlich genau das selbstmitleidige Grübeln, in das man als Teenager so verfällt. Damit die Figurenzeichnung hier überhaupt zur Geltung kommen kann, sollte ihre Krankheit wirklich nicht so als Überraschung am Ende kommen. Wirklich nicht. ;)

 

Ok danke für dein Feedback. Ich werde deinen Ratschlag beherzigen beim nächsten Mal.
LG Sophie

 

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