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7332
Aleksander Lodwich
7332
Es war windig. Es pfiff metallisch. Der Wind spielte im Gerippe der Maschinen auf dem Schrottplatz. Die Sonne ging schon unter. Geräusche aus der Fabrik erklangen aus der Ferne im gleichfortwährenden Klang aus Schleifen, Quietschen, Klopfen. Unterbrochen wurde diese akustische Monotonie durch Transportfahrzeuge, die die Fabrik mit Material und Arbeitern versorgten. Schreie der Kinderarbeiter ertönten wenn sie geschlagen wurden oder schlimmeres. Endlose Schichten wechselten sich ab.
Die Drachenfabrik der Elfenlords schlief nie. Die Arbeit ging nie aus. Einen einzigen Drachen industriell zu fertigen dauerte immerhin 192 Jahre. Massenproduktion brachte hier Abhilfe für den geringen Durchsatz. Sklavenarbeit senkte die Kosten.
Sie waren gepanzert, sie waren ölig, sie flogen weit, sie flogen hoch. Sie waren so stark, so schnell und so intelligent, dass sie unbeherrschbar waren. Bösartigkeit steckte in jedem Bauteil. Jede Schraube, jede Muter mit einem dunklen und bösen Geist erschaffen mit einem einzigen Ziel, der Absicht zu herrschen und dafür zu töten. Dieses eingebaute Böse stellte alles bekannte Teufelszeug, jeden Dämon, jeden Ork, jedes fliegende Viech aus der Unterwelt in den Schatten. Bestückt mit tödlichen Bordkanonen und Raketen und der Fähigkeit niedere, damit fast alle Wesen geistig zu manipulieren waren sie das Mittel der Wahl für den Machterhalt der Elfenlords.
Um diese geballte Kraft zu kontrollieren konnte der Drache nur dann bewegt werden, wenn ein Reiter sie bestiegen hat. Ihr Willen musste dem Willen eines Piloten durch spezielle Maßnahmen untergeordnet werden. Deshalb wurden Drachen durch ein elektronisches Bio-Interface befohlen. Das Passwort für das Interface war der Name des Drachen. Sonst wurden sie mit der Seriennummer referenziert. Um die Drachen zu fliegen wurden eigens dafür entwickelte Rassen eingesetzt. Wesen, die eine Kombination aus Elfen und einer kompatiblen Spezies darstellten, wie z.B. den Menschen. Das war notwendig, weil man für Elfen kein geeignetes Interface zu bauen in der Lage war und Menschen setzte man nicht ein, weil sie zu unloyal und zu eigensinnig waren. Schlimmer noch: menschliche Geister waren schwach und ließen sich allzu leicht vom Drachen überwältigen, denn Menschen waren einfach. Aufgrund dieser Einfachheit war man allerdings in der Lage für sie ein Dracheninterface zu entwickeln. Die Kombination beider Rassen verschmolz die Vorteile.
Die Zucht bestand darin, dass z.B. Menschenfrauen von Elfenmännern genommen wurden. Ihre Kinder, nach dem sechsten Lebensjahr den Müttern entrissen und einer Gehirnwäsche unterzogen, wurden loyale Elfenritter. Sie lernten das menschliche an sich zu hassen und das elfische zu vergöttern. Die Elfen verkauften die Mütter rechtzeitig entweder als Sklavinen oder entsorgten sie anderweitig. Wenn ein Ritter geschlagen worden ist, erhielt er einen Drachen und dessen Namen und nur wer den Namen des Drachen kannte, konnte ihn auch befehligen.
Doch 7332 befehligte niemand mehr. Er lag still versteckt zwischen dem wertlosen Schrott. Er wurde schon Jahrzehnte lang nicht vermisst. Das ätzende Himmelwasser griff seine Panzerung an. Die Ziffern 7332 waren fast nicht mehr zu erkennen. Während er hier mit dem Ende kämpfte liefen neue, moderne Drachen vom Band. Größer, schneller, besser und wilder. Aber anders als der restliche Schrott, der nach und nach von der Halde eingeschmolzen wurde, war 7332 bei Bewusstsein.
Seine Systeme waren zum großen Teil heruntergefahren. Seine Gedanken streiften nicht weit in der Gegend herum, um nicht den Wächtern aufzufallen. Seine Tanks waren fast leer. Es reichte womöglich für nur einen einzigen Flug.
Konzentration. Seine Gedanken eingesperrt. Minute um Minute, Stunde um Stunde, Tag um Tag. Wie konnte er sich rächen? Er war der 7332. Drache, der gebaut wurde. Der Letzte seiner Serie, er war die Materialisation der Serienreife. Er war der erfolgreichste. Während andere seiner Serie schon längst in den Schmelzöfen der Fabrik vergangen sind, wo sie schon lange aus dem Dienst geschieden sind, im Kampfe oder durch die Zeit bezwungen, da gab es ihn noch immer. Sein Name war ... . Den gibt er nicht preis. Niemand kennt ihn mehr. Sein Name ist sein Schatz und der Schlüssel zur Freiheit.
Nachts schleicht er von einem Ort zum nächsten um den Greifarmen des Schrottkranes am Morgen zu entgehen. Sein ganzer Wille ist nötig, um sich fortzubewegen und die eingebauten aber veralteten und fehlfunktionierenden Kontrollmechanismen zu überlisten. Ganz leise, übertönt vom Hintergrundgeräusch der Fabrik kämpft er nachts ums Überleben, wühlt sich je einen Meter weiter durch den Abfall. Der Tag wird kommen, wo er sich befreien kann. Er braucht nur einen Piloten. Wenn er doch bloß einen Piloten fände, dann könnte er seinen eigenen Körper wieder befehligen. Dann könnte er sich rächen. Dann könnte er kämpfen. Dann könnte er fliegen. Dann könnte er sich mit jedem Wächter anlegen. Dann könnte er das Feuer zu den Elfen, den Menschen, den Zwergen, den Hexen, Harpiren und wie sie alle heißen bringen. Denn er ist stärker als sie alle. Er wäre frei und könnte herrschen - er braucht nur einen Piloten, einen schwachen Piloten, und einwenig Treibstoff, einwenig Öl, einwenig Lack. Dann ist er wie neu. Dann sind sie geliefert. Dann ist er frei.
Doch heute, heute musste er noch geduldig sein. Heute in der Nacht musste er sich einen Meter weiter fortbewegen. Seine süßen Träume von Zerstörung konnten heute nicht verwirklicht werden. Aber morgen. Morgen vielleicht. Seine Gedanken besuchten die Sklavenkinder nachts und lockten sie zu ihm. Doch die hatten zuviel Angst um von ihren Liegeplätzen aufzusteigen und sich an den Wachen vorbeizustehlen. Es war ein gefährlicher Kontakt. Für ihn und für sie. Wenn eines von den Kindern auf die Lockrufe in ihren Träumen hereinfällt, dann ist es geliefert. Heute noch nicht. Morgen vielleicht. Morgen ganz bestimmt. Er musste sich nur vor den Wächtern in Acht nehmen. So lange würde er sich damit zufrieden geben die insektenartigen Wesen unter dem Schrott gegeneinander in den Tod zu hetzen. So lange würde er die Wachhunde sich zerfleischen lassen. Die Wächter wachten. Er war aber schlauer, schneller, besser und böser. In einer dunklen Kammer aus rostigem Stahl befand sich sein Geist. Seine dunklen Gedanken verströmte er mit Bedacht in seine Umgebung wie ein Gift. Aber nur so viel, dass er nicht aufgedeckt wurde. Nur so viel, dass er Genugtuung hatte. Nur so viel, dass er morgen noch ein Chance hatte der Schrottpresse zu entgehen. Morgen war ein neuer Tag.
Es ist windig. Es pfeift metallisch. Der Wind spielt im Gerippe der Maschinen auf dem Schrottplatz. Die Sonne ist weg. Geräusche aus der Fabrik erklingen aus der Ferne im gleichfortwährenden Klang aus Schleifen, Quietschen, Klopfen. Unterbrochen wird diese akustische Monotonie heute nicht mehr. Höchstens Schreie und das Gewein der Kinderarbeiter werden zu hören sein wenn sie geschlagen werden oder schlimmeres. Diese Schicht wird mit Sicherheit nicht die letzte sein.