7 1/2 Minuten
Das Leben ist vergleichbar mit einer Schnur, für die es keine Schere gibt um sie an einer Stelle zu zertrennen und dort wieder neu anzufangen, dachte sie sich, als sie ihrem unaufhaltbaren Alltag an diesem frühen Morgen wieder einmal begegnete.
In die Küche ging sie um zu essen.
In das Bad um sich zu waschen.
Noch einmal in die Zeitung geschaut.
Dann endlich das Haus verlassen und auf den Weg zur Arbeit gemacht.
Dies alles, wie nach einer Vorgabe oder einem Drehbuch gekonnt nacheinander.
Schnell erreichte sie ihren Arbeitsplatz.
Sie schloss auf, ging in das Büro und sortierte schon mal die Aufgaben, die ihr Chef ihr freundlicherweise am Vorabend hinterließ.
Kein großes, aber doch gewinnbringendes Unternehmen führte er. Seine Frau weckte ihn noch schnell, als sie aus dem Haus ging und die Kinder zur Schule brachte.
Das Essen war zubereitet und sein Anzug lag griffbereit auf dem Stuhl.
Er musste nicht viel im Haushalt tun.
Schnell hatte er gefrühstückt und sich zurechtgemacht.
Noch eben den Alarm eingeschaltet und schon konnte es auch für ihn in den endlos scheinenden Alltag gehen, dachte er sich, als er in sein Auto einstieg und losfuhr.
Keinen langen Weg hatte er vor sich.
Er kam rein, in das Büro und war erfreut, als ihm seine Sekretärin mitteilte, dass sie schon den größten Teil der Aufgaben erledigt hatte.
Freude und Gedanken darüber, was sie in der gewonnen Zeit machen könnte, kamen in ihr auf, als ihr Chef ihr mitteilte, dass sie heute schon etwas früher nach Hause gehen durfte.
Sie wusste nicht, ob sie wirklich glücklich sein sollte, denn anscheinend hatte er das letzte Wochenende schon wieder vergessen. Doch vielleicht war es auch die richtige Lösung, nicht darüber zu reden.
Und schon dachte sie wieder daran. Sie wollte versuchen es zu verdrängen. Doch es hatte keinen Sinn.
Da stand sie vor dem Hotel und versuchte sich ein bisschen Geld dazuzuverdienen.
Er kam auf sie zu, als wenn er sich schon immer danach gesehnt hätte.
Sie konnte ihn nicht genau erkennen.
Er sah noch nicht genau das Gesicht.
Es war zu dunkel.
Er kam ihr näher und erschrak. Doch es war zu spät.
Genug Geld für die ganze Nacht steckte er ihr zu.
Noch nicht richtig realisiert, wer ihr das Geld gerade zusteckte, nahm sie ihn mit in das Hotel.
Er wollte sie.
Sie wusste es.
Nun war es ihm egal, mit wem er die Nacht nun verbringen sollte.
Sie begann mit ihrer Arbeit und er mit seinem Vergnügen.
…
7 ½ Minuten waren soeben vergangen, bis er seine Sachen nahm, ihr noch ein wenig Trinkgeld gab und den Raum verließ.
Nun war sie allein mit zu vielen Gedanken, die ihr durch den Kopf gingen.
„Sind Sie mit der Arbeit fertig“, fragte er.
Sie war fertig und durfte, als der Tag sich zu Ende neigte, nach Hause gehen.
Zu Hause angekommen, stand das Abendessen schon fertig zubereitet auf dem Tisch. Die Kinder verschwanden gerade in ihren Zimmern. Und er gesellte sich zu seiner Frau. Sie aßen und sprachen über den Tag, über das Wetter und über den nächsten Tag.
Sie legte sich in ihr Bett.
Es wurde langsam dunkel.
Sie schlief ein und träumte davon, wie gern sie nicht eine passende Schere hätte.
[ 03.05.2002, 13:43: Beitrag editiert von: McLoo ]