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68er Mär von der Freiheit
68er Mär von der Freiheit
Für Gabriel, Sarah & Birte
Einst fegte die Freiheit übers Gebirge.
Des beschwerlichen Wegs müde, pochte sie an die Tür einer ärmlichen Hütte und bat um Einlass. ’s wehklagt’ aber eine hohe Stimme hinter der Tür: „Ich bin und habe nichts, außer mei’m Lager. Wie könnt’ ich’s mit ei’m fremden Weibe teilen, dass es mir hernach ein’ Balg anhängen mag“, und ließ die Freiheit nicht ein, dass die sich vor die Hütte legte.
In dieser Nacht überkam den Zwerg in der Hütte ein gar übler Traum: Allegro molto käm’ übers Gebirg’ ein eisiger Wind, der trüge die Hütte als irgendein Spielzeug davon und ließ’ den Schläfer frieren.
Darob erwacht’ der Zwerg und fand, dass es kalt sei. Also ließ er die Freiheit ein, dass beide sich aneinander schmiegten und erwärmten. In dieser Nacht nahm er sich die Freiheit und hätt’ mit ihr viele kleine Freiheiten haben können, hätte sie sich nur binden lassen. Aber es hielt sie nichts.
Anderntags dankt’ die Freiheit artig und zog weiter des Weges und mit ihr die Sonne. Und wie eine neue Nacht gekommen, fror dem Zwerg, dass er die Wärme der Freiheit schmerzlich vermisst’ und jammerte: „Ach, wäre sie doch bei mir geblieben! Ach, hätt’ ich sie nur halten könn’n!“
Der Zwerg beschloss, die Freiheit zu suchen, schnürt’ das Ränzel und folgte dem Weg, den die Freiheit eingeschlagen hatte.
Doch sollt’ er so bald nicht finden, was er gesucht!
Des beschwerlichen Weges müde, klopft’ der Zwerg an die Tür eines güldenen Käfigs und bat darum, eingelassen zu werden. Aber die Tür blieb verschlossen.
Piano antwortet’ ein Sopran hinter der Tür: „Herr, niemand ist daheim“, dass der Zwerg lachte: „Du bist doch da, dass du mir öffnen magst, selbst wenn du Niemand gerufen wirst.“
Pianissimo wurd’ ihm entgegnet: „Ach, Herr, du hast gut lachen. Ich aber bin nur eine Frau und nicht gestattet ist mir, einen andren Mann einzulassen, solang’ Gatte und Sohn nicht zu Haus’ sind.“
Da fragte mit freundlicher Stimme der Zwerg: „Ist denn dein Mann niemand lieb gewesen und hatt’ denn niemand dein’ Mann geliebt, dass niemand ihm ein’ Sohn konnte gebären? Und bist du nicht eins gewesen mit dei’m Manne, dass der Sohn nicht auch aus deinem Stoffe gewebt ist? –
Was erniedrigst du dich also vorm Gatten und Sohne zur Magd, dass du’m Elenden die Gastfreundschaft versagst?“
Nachdem der Zwerg geendet, war eine Weile Stille; dann aber wurde die Türe geöffnet, dass Frau und Zwerg ein Nachtlager fanden.
Anderntags dankt der Zwerg artig und zog weiter des Weges und mit ihm die Frau, denn helfen wollte sie, die Freiheit zu finden. Die wurd’ aber nicht gefunden an diesem Tag, dass beide im Dämmerlicht an die Tür eines Turmes kamen und Einlass begehrten, denn sie waren des gemeinsamen Weges müde.
Der Turm aber war hohl und hoch, dass es in ihm dröhnte und donnerte wie von einem Ungewitter, klopften Menschen an die Türe.
Da weint’ es hinter der Tür zur Antwort auf beider Begehr. Also fragt’ die Frau mit sanfter Stimme, wer denn da weine.
Und hinter der Türe schluchzte’s: „Vater und Mutter sind nicht daheim und ich darf kein’ einlassen.“
„Ja“, sprach da die Frau, „warum tatest du nicht gleich antworten, wie wir gekommen und geklopft hab’n?“
„Ich bin noch jung und unerfahren und soll nur reden, wenn ich gefragt bin“, entgegnet’ das Kind hinter der Türe.
Wer solches angeordnet, fragte der Zwerg unds Kind sprach: „Vater und Mutter haben mich solches gelehrt.“
„Wissen denn dein’ Eltern nicht, dass du schwerlich schweigend sprechen lernst und gar wenig erfährst, wenn du ungefragt nichts zu sagen hast?“, fragte der Zwerg und schloss: „Oder wollen die Eltern reich werden durch dich?“
Nun schwiegs Kind, denn es verstand nicht, was gemeint war. Die Frau aber verstand’s, denn oft hatten Mann und Sohn geredet, reden wär silbern, schweigen aber Gold. Und sie sprach: „Ach, Kindchen, ich war ein niemand und will gerne keiner sein, dass du uns einlassen kannst und doch den Eltern folgst. So werden wir mit dir und deiner Angst sein und vielleicht gelingt uns gar, die Gespenster der Nacht zu vertreiben.“
Jetzt ließ das Kind die beiden ein und es wurd’ ihm erzählt, wie die Freiheit zum Zwerg gekommen und wieder gegangen, wie der Zwerg die Freiheit vermisst und gesucht und zur Frau in den goldenen Käfig gefunden und wie sie nun gemeinsam die Freiheit suchten.
Darüber schliefs Kind ein, denn die Angst verkroch sich zu den Gespenstern in den finstren Keller an die tiefste Stelle des Turms.
Anderntags dankten die Gäste recht artig und zogen weiter des Weges und mit ihnen das Kind. Das fürchtete Zorn und Strafe der Eltern, dass es gerne den Fremden folgte, die Wärme der Freiheit zu suchen. Also zogen die drei mit der Sonne, doch wurd’ die Freiheit nicht gefunden, dass sie gegen Abend an eine hohe Mauer kamen.
Hinter der Mauer verbarg sich ein prächtiger Palast und in dem Palast ein Riese, der saß auf allen Schätzen und Wohltaten der Welt und hütete sie mehr als sein’ Augapfel.
Wie’s dunkel ward, wurde mit dem Pfortenring geklopft. Als der Riese schaute, wer zu ungelegener Zeit so lärmte, hatt’ er niemand sehen können denn die Nacht. Doch die bat mit Kastratenstimme, eingelassen zu werden: „Hoher Herr, wir sind der Suche nach der Freiheit müd’ und freuten uns, könnten wir die Nacht unter euerm Dach verbringen.“
Der Riese lacht’ über die Rede: „Hat man so was schon gehört! Nach der Frei-ei-ei-heit suchen und, wo möglich, auch noch finden!“ Und setzt’ ernster fort: „Höre, schwarzer Wicht, man hat Freiheit oder man hat keine. Und ich kann mir viele Freiheiten leisten, denn mir geht’s gut.
Gut geht’s mir! Zu meinem Glück bedarf’s nur des Unglücks der Vielen. Also werd’ ich mich hüten, euch auch nur ein Häuchlein vom Glück abzutreten. –
Schert euch des Weges!“, rief er barsch: „Ich habe und ich geb’ auch nichts“, und ließ die Nacht mit ihren Stimmen draußen vorm Portal, dass die drei in der Kälte zu liegen kamen. Da schmiegte sich der eine an die andern, dass dreie sich erwärmten aneinander.
In dieser Nacht überkam den Riesen ein gar übler Traum:
Allegro furioso käm’ ein starker Wind übers Gebirge, der ballt’ die Wolken zur Faust und schlüg’ ihm aufs Dach, dass der Palast dröhnt’ und donnerte wie von einem Ungewitter. Und die Vielen rotteten sich zusammen und liefen mit dem Wind an gegen die Mauern. Die brächen, dass der Palast zusammenfiel’ als irgendein Kartenhäuschen. Und der Palast würd’ geplündert und er entmannt …
Anderntags erwachten mit dem ersten Sonnenstrahl die drei und finden die starken Mauern des Palastes geschleift. Auf den Trümmern krümmt’ und wind’t sich ein Würmchen von einem Riesen, den Angst zu verschlingen droht. Da findet der Zwerg aus den Bergen sich nicht mehr so winzig. Da sieht die Frau die goldenen Stäbe zerbrochen. Da schrumpft dem Kindchen der Turm zum Türmchen und das Kind wächst zum Menschen.
Und wenn die drei nicht dumm gewesen sind, dann haben sie sich die Freiheit genommen!