4cl
Ich schließe mich in meinem Auto ein, schalte die warme Innenbeleuchtung ein und starre aus dem Beifahrerfenster. Neben der Tür zum Treppenhaus hat jemand mit Sprühfarbe geschrieben, dass Thomas eine abgewichste Schwuchtel ist. Wenn ich doch bloß schon betrunken wäre. Ein, zwei Finger Single Malt, ein Schluck vom billigen Penny-Wodka würde aber auch schon reichen. Das wohlig warme Gefühl im Magen, der brennende Gaumen. Der alkoholische Geschmack, der langsam die Nase hochsteigt. Das wäre schön.
Irgendein Schluck, der irgendetwas mit mir macht. Ein Schluck Starkbier. Ein paar Dosen Schaumwein. Selbst die Vorstellung von einem 2-Liter-Karton Weißwein erfüllt mich mit verlangender Gier.
Suff, Stoff, Alk.
Was wäre das Leben ohne Alk? Was bliebe dann noch außer der quälenden Realität? Dieser ansteckenden Krankheit, die alles bestimmen und jeden kontrollieren will? Die sich ständig als die einzig unwiderlegbare Wahrheit bezeichnet, dich überkommt und solange fickt, bis du wie all die Anderen bist und dich langsam ausbluten lässt.
Möglicherweise hätte ich auf Sarah hören und einen Entzug machen sollen. Möglicherweise sollte ich auf Gregor hören und meine Stimmungsschwankungen behandeln lassen. Möglicherweise hätte ich auf Mandy hören sollen, dass meine Bindungsangst und meine Abscheu vor Menschenmengen phobischer Natur sind. Und vielleicht hätte ich auch auf meine Mutter hören sollen, dass ich es gut finde, schlecht zu sein. Von mir aus. Was immer die Küchenpsychologen an mir entdecken, meinetwegen.
Zumindest ein Häufchen Nikotin hilft mir über den Moment. Ich lege mir drei kleine Berge Schnupftabak auf das Armaturenbrett, zieh mir das erste Bisschen in die Nase, verschlucke mich, fange an zu husten und wische den restlichen Tabak in den Fußraum.
Ich lehne mein Gesicht an die Scheibe und bemerke, wie sich die Anspannung ihrem Höhepunkt nähert. Mein Gesicht verzieht sich, die ersten Tränen sammeln sich in meiner Augenfalte und ich weine.
Die salzige Flüssigkeit läuft in einem einzigen Tropfen an meiner Scheibe hinab. Ich öffne die Augen, ein unklarer Blick.
Warum gerade jetzt? Zum ersten Mal seit so langer Zeit. Eine weitere Träne rollt einsam meine Wange herunter, schüchtern, als wäre sie unsicher und müsste sich in dieser seltenen Situation vorerst zurechtfinden. Einen Moment verharrt sie an meinem Kinn, fällt mir auf die Jeans und zieht dann in den Stoff. Wie gut sich das anfühlt, überhaupt etwas zu fühlen. Sich völlig in Selbstmitleid auflösen.
„Allet klar?“ Es donnert an der Scheibe, rüttelt am Türgriff. „Schau ma! Der pennt nicht, der heult nur, das Opfer.“ Zwei jugendliche Typen gucken mich durch das Fenster an.
So plötzlich wie es angefangen hat, so unerwartet ist es auch wieder zu Ende. Ich presse die letzten Tropfen aus meinen Augen, dann muss der sanfte Trübsinn wieder diesem maßlosen Drang weichen. Dem verrückten Monster, das in mir lebt. Eine parallel in mir lebenden Kreatur, mit großem Verlangen, unbeherrscht und nicht zu zähmen.
Auf einmal fühle ich mich wahnsinnig blöde, weinend in diesem Parkhaus zu sitzen mit zwei nervenden Typen vor dem Fenster. Ich wische mir mit dem Ärmel meiner Jacke die Augen trocken, gucke mir das Handyfoto meines Sohnes an, auf dem er gerade in einen roten Apfel beißt und ziehe meine Nase hoch, wie irgend so ein Kokser.
Als ich mein Auto starte, ist da nichts mehr. Nur noch zwei Idioten, die mich doof anglotzen und dieser heftige Durst nach Suff, Stoff und Alk.