31.10.
Mark steuerte direkt auf die Abfahrtsrampe des Parkhauses zu. Schon von weitem erkannte man diesen zweckmäßigen, brachialen Bau, dessen Standorte überall auf unserem Planeten mit der kornblumenblauen Farbe des Firmenlogos versehen waren. Eigentlich hasste er diese hektischen Einkäufe nach Feierabend, aber hier bekam er alles, was er noch für seine Halloweenparty benötigte. Fahrig manövrierte er seinen Q7 in eine freie Parkbucht, schaltete den Motor aus und öffnete im gleichen Moment die Fahrertür um mit einer gekonnten Drehbewegung auszusteigen. Mit schnellen Schritten erreichte er die nahegelegene Eingangstür des Möbelgiganten, hinter der eine breite Treppe lag. Er nahm mit seinen langen, durchtrainierten Beinen immer zwei Stufen auf einmal, bis er in der Abteilung ankam, in der er die noch fehlenden Utensilien für den abendlichen Spaß zu finden hoffte. Routiniert packte er Hexengirlanden, Kürbisgläser und Halloween-Motto-Servietten in die leuchtendblaue Tragetasche, die allen Kaufwilligen am Fuße des letzten Treppenabsatzes dargeboten wurden. Aus dem Augenwinkel heraus nahm er eine junge Familie mit zwei kleinen Kindern wahr. Eines der Kinder war ungefähr ein Jahr alt, saß im vorderen Kinderklappsitz des Einkaufswagens und nuckelte versonnen an seinem Biene-Maja-Schnuller. Das andere Kind ließ sich unter lautstarkem Protest an der Hand des Vaters weg von der Gläserabteilung führen. Mark lächelte versonnen und ertappte sich bei dem Gedanken, dass auch er irgendwann so durch dieses Möbelhaus laufen würde. Irgendwann wird ihm die richtige Frau über den Weg laufen und dann wird das Schicksal seinen Lauf nehmen. Vielleicht werden es dann sogar Zwillinge, am liebsten hätte er gleich ein Pärchen - mit vielen Sommersprossen. Mit ihrem offenen, unverstellten Wesen zogen Kinder ihn von je her in seinen Bann.
Sie stand im Aufzug mit einer Gruppe junger Mütter und mindestens doppelt so vielen dazugehörigen Kindern. „Wieso müssen die sich noch zu dieser Uhrzeit hier rumtreiben? Sonst kommen diese ganzen Spielgruppentanten hier doch immer vormittags hin um vornehmlich in diesem idiotischen Bällebad, das sich auf dem Rundgang des Ausstellungsbereichs befand, einzutauchen und sich vor allen anderen Besuchern lächerlich zu machen“, dachte sie. „Mit ihren vielen Bälgern sind die ja schlimmer als diese Omas, die vornehmlich zu Zeiten, wenn die arbeitende Bevölkerung Feierabend hat, im Supermarkt an der Kasse stehen, und ihre viel zu kleinen Portemonnaies stundenlang nach dem passenden Kleingeld durchforsteten um nach etlichen Sichtungsversuchen festzustellen, dass sie der Kassiererin doch nicht die passende Münzkombination anbieten konnten“.
Eines dieser kleinen Fahrstuhlkinder, ein Junge, der eine Baseballkappe mit einem runden, blau-weißem S04-Emblem auf seinen flachsblonden Locken trug, machte sich an den Fahrstuhlknöpfen zu schaffen. Er drückte dabei natürlich nicht nur auf alle Etagenknöpfe, sondern auch immer wieder auf den Knopf, der der Fahrstuhltür beteuerte sich immer und immer wieder erneut zu öffnen. Alle anwesenden Mütter waren derweil in ein Gespräch über die Formen von Picknickteller vertieft, die besonders gut für den Gebrauch auf dem Spielplatz geeignet wären. Sie konnte also nicht ermitteln, wessen Spross hier gerade dabei war, den Rest ihrer zu dieser Zeit noch vorhandenen Nerven vollends zu ruinieren. Als der Fahrstuhl sich dann doch noch in Bewegung setzte – aber nur weil das kleine dicke Mädchen, das neben den nervigen Schalke-Fan stand, ihm die Kappe vom Kopf schlug – öffnete sich die Kabine mit einer an Folter grenzenden Gemächlichkeit auf der Smaland-Zwischenebene, in der selbstverständlich niemand weder ein- noch aussteigen wollte. Spätestens jetzt stieg in ihr das Gefühl auf als würden aus ihren Ohren Feuerwerksfunken sprühen. Dennoch lies sie sich nichts anmerken. Was hätte es auch für einen Sinn gemacht das Verhalten dieses delinquenten Zwergs zu kommentieren? Weder diese Mütter noch ihr Blagenrudel wären in der Lage auch nur ansatzweise zu verstehen, warum man den lieben Kleinen nicht umgehend in Handschellen abführen sollte. Endlich stoppte der Fahrstuhl in der richtigen Etage. Sie stieg hastig noch vor allen anderen Insassen aus. Dabei versetzte sie dem kleinen Scheißer, der nach seiner Käppi schrie, einen nicht ganz unabsichtlichen Schubs. Aber auch das wurde von keinen der anwesenden Erziehungsberechtigten, die inzwischen über den pädagogischen Nutzen von Pekipgruppen diskutierten, bemerkt. „Ich werde bestimmt keine Kinder kriegen“, kam es ihr in den Sinn als sie bereits den ausgewiesenen Parcours bis zur Badezimmerabteilung entlang hastete um dort zwei Wasserhyazinthenflechtkörbe zu ergattern. Sie wollte sie ihrer Nachbarin als Gastgeschenk zur heutigen Halloweenparty mitbringen. Dabei regte sie sich innerlich darüber auf, dass sie jedes mal gezwungen wurde im Slalom durch all diese trödelnden Familien laufen zu müssen, statt auf direktem Wege ihre Wunschprodukte ansteuern zu können. Als sie die Körbe aus der Gitterbox gefischt hatte, fiel ihr ein, dass sie versprochen hatte, auch noch diese „lustigen“ Halloween-Party-Servietten mitzubringen. Sie musste sich also erneut, dieses mal gegen den Besucherstrom, zurück zu den Servietten durchkämpfen.
Wenige Augenblicke später stand sie also erneut vor einem Gitterkorb, in dem sich dieses Mal Berge von schwarz-orangefarbenen Serviettenpaketen stapelten. Da sah sie ihn! Sofort machte sich ein flaues Gefühl in ihrem Bauch breit. „Das muss Schicksal sein!“, dachte sie. „Wo ich mir am Montag vor dem Kino so gewünscht hatte diesen Typen noch einmal wieder zu sehen.“
Er schaute zur Seite und sah - direkt neben der netten Familien mit den zwei kleinen Kindern - SIE stehen. „Das muss Schicksal sein!“, dachte er. „Jetzt muss du sie ansprechen, sonst ist sie wieder verschwunden und eine dritte Chance wird es nicht geben.“
Sie lächelte ihn an und sagte: „Hallo, ganz schön voll hier heute Abend, nicht wahr?“ Er lächelte dankbar zurück...