30 Sekunden
Die bewachsenen, baufälligen Wolkenkratzer ragten wie mahnende Zeigefinger empor. Ein trockener Wüstenwind umwehte die zerlumpten Gestalten, die zwischen ihren Schatten, im fahlen Mondlicht, wanderten. Es herrschte eine allgemeine, schwer fassbare Unruhe, obwohl die Menschen in ordentlichen, fast militärischen Reihen marschierten. Etwas lag in der sauren Luft.
Noch dreißig Sekunden bis zum Fall.
Unsichtbare Augen starrten aus den milchigen, teils von Flechten zugewachsenen Fenstern der Gebäude auf die Straßen hinab. Die Lumpen streckten grölend ihre blutbeschmierten Fäuste gen Himmel. Eine alte Frau an einem seit Jahrzehnten zerbrochenen Fenster lachte schallend, dann stürzte sie sich kreischend in die Tiefe. Die Leute auf der Straße quittierten den Sturz mit Beifall.
Einer der Lumpen trat aus der Masse heraus. Sein Gesicht war das eines Raubtieres. Er drehte sich zu den seinen und brüllte. Die Masse erwiderte das Gebrüll. Mit seinem knorrigen Zeigefinger deutete er auf den Mond, der wie ein grimmiger Wächter über ihnen hing und verneigte sich. Die anderen taten es ihm gleich. Wieder Gebrüll.
Hoch oben, zwischen den dunklen Wolken, dröhnte etwas und der Mond ließ es geschehen. Das Dröhnen im Himmel wurde lauter, das Gebrüll auf der Erde ebenfalls. Die Schatten der Geister zischten durch die Luft. Nur der Mond konnte sie sehen und nichts hätte ihm gleichgültiger sein können.
Die Menschen schrieen wütend und fauchten die Geister an, die vom Himmel herab auf sie zukamen. Nur noch ein paar Sekunden.
Dann wurde alles schwarz.
ENDE