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23 Tage
Tag 1:
Ich habe aufgehört, mit irgendjemandem über meine Probleme zu reden, da sowieso alle schon genervt von mir sind.
Mein Leben existiert nicht mehr, weil ich am Ende meiner Kräfte bin.
Heute fange ich an, ein Tagebuch über meinen Untergang zu schreiben. Ich habe mich aufgegeben.
Tag 2:
Verdammter Mist! Zuviel nachdenken ist scheiße!
Wenn mir mein Leben sowieso egal ist, warum habe ich dann so panische Angst, bei einem Autounfall ums Leben zu kommen? Das widerspricht sich doch.
Warum habe ich Angst, Handwerkern den ganzen Tag Zutritt zu meiner Wohnung zu gewähren, während ich bei der Arbeit bin? Es sollte mir doch scheißegal sein, ob sie mir etwas klauen oder meine privaten Sachen durchstöbern.
Tag 3:
Sitze zu Hause und lenke mich mit einem Computer Spiel ab. Möchte viele Dinge tun, und meine Kreativität ausleben. Schaffe ich alles nicht.
Putzen sollte ich noch. Vor allem um die verstopfte Toilette sollte ich mich kümmern. Im Waschbecken läuft das Wasser auch nicht mehr richtig ab, und es sieht richtig versifft aus.
Den neuen Klositz habe ich bisher auch nur notdürftig angeschraubt. Hängt völlig schief.
Tag 4:
Vermisse meine Katzen. Schaffe es nicht mal, die Asche meiner letzten verstorbenen Katze hinter dem Haus zu begraben.
Mit meinen süßen Lieblingen hatte ich immer Ordnung im Haus.
Kann aber keine neuen Tiere zu mir nehmen, solange ich nicht den Umbau hinter mir habe.
Tag 5:
Nach fast einem Monat hat mich heute wieder mal jemand angerufen. Ein Ex-Freund, den ich noch immer sehr schätze.
Er erzählte mir, dass er seiner Lebensgefährtin eine unglaublich schöne Überraschung gemacht hat. Ich habe Gänsehaut und Tränchen vor Rührung in den Augen.
Die Kinder seiner Partnerin leben weit weg. Er hatte organisiert, dass sie sich endlich mal wieder in die Arme nehmen können.
Tag 6:
Ich bin allen egal.
Abwechslung hatte ich nur durch einen Stalker.
Den bin ich zum Glück los. Jedenfalls hoffe ich das.
So what! Es ist eh alles egal.
Alle um mich herum sind halbwegs zufrieden. Ich sollte mich nicht beschweren, da es anderen schlechter geht als mir.
Tag 7:
Tatsächlich klingelte heute erneut das Telefon. Ein langjähriger Bekannter.
Da er inzwischen kompletter Querdenker geworden ist, war ein normales Gespräch nicht möglich.
Ich betrinke mich jetzt erst mal. In der Hoffnung, anschließend alle Erinnerungen auszukotzen die mich an irgendwas erinnern.
Tag 8:
Muss heute dringend einkaufen. Eigentlich dürfte ich nicht mit dem Auto fahren, da ich das Gefühl habe, dass ich noch zuviel Alk im Kreislauf habe.
Überhaupt an mein Auto zu denken ist sowieso schon Horror pur. Nie weiß ich, ob es tatsächlich noch anspringt. Ständig spinnt die Batterie.
Völlig unkonzentriert und eine Gefahr für andere. So kenne ich mich gar nicht.
Ist trotzdem alles gut gegangen zum Glück.
Tag 9:
Sollte endlich mal duschen. Sich einfach nur mit Lappen und Seife am Waschbecken zu waschen spült den Dreck nicht richtig weg. Für andere rieche ich inzwischen vermutlich schon nach Verwesung.
Seit drei Tagen habe ich auch nicht mehr was Gescheites gegessen. Essen tue ich eh nur wenig. Einmal am Tag irgend eine Kleinigkeit, damit ich den nächsten Tag bei der Arbeit überstehe.
Tag 10:
Habe vor zwei Monaten einen Song komponiert. Bin stolz auf mich.
Tag 11:
Da ich selbst nicht singen kann, hat jemand anderes vor einigen Tagen den Song für mich aufgenommen. Allerdings wurde einiges an der Melodie geändert.
Bin frustriert, weil ich anscheinend keine Ahnung von Musik habe.
Tag 12:
Mein Vater sagte mir heute, dass ich sowieso nix blicke und zu doof bin, die einfachsten Sachen zu kapieren.
Nach gut fünfzehn Jahren habe ich mich wieder selbst verletzt.
Diese Scheiße hatte ich, so dachte ich, endlich hinter mir.
Tag 13:
Bereue meine Aktion mit der Selbstverletzung, Alles hat sich entzündet. Fuck!
Tag 14:
Habe eine Therapeutin kontaktiert. Sie nimmt mich als Notfall rein. Bin unglaublich dankbar und erhoffe mir Hilfe. Nächste Woche kann ich vorbeikommen.
Tag 15:
Sitze zu Hause und habe Angst, aus dem Haus zu gehen.
Wochenende. Draußen lauern Gefahren.
Tag 16:
Es geht mir super gut. Heute morgen verbrachte ich erst mal zwei Stunden auf dem Balkon. Kaffee trinkend, mit einem Buch. Die Sonne schien, es war um acht Uhr morgens angenehm warm.
Irgendwann wurde mir klar, dass ich aber noch was in der Wohnung machen müsste. Putzen. Und Kochen nicht vergessen.
Kaum hatte ich den Balkon verlassen, war ich überfordert.
Legte mich ins Bett, um erst mal eine Runde zu schlafen.
Als ich drei Stunden später wieder wach wurde, fing alles von vorne an. Weder hatte ich Energie zum Kochen, Putzen, Aufräumen, noch, die Sachen endlich mal zu verpacken, welche ich versprochen hatte zu verschicken.
Jetzt sitze ich vor dem Fernseher und ärgere mich, dass ich wieder nix gemacht habe.
Tag 17:
Kompletter Panikzustand.
Habe der Therapeutin mitgeteilt, dass es mir besser geht und ich ihre Hilfe nun doch nicht mehr benötige.
Was hätte ich ihr denn erzählen sollen bei einem Termin? Sie hätte mich doch sofort in ein Therapiezentrum eingewiesen. Da will ich aber nicht hin.
Tag 18:
Gehe jeden Tag zur Arbeit. Ärgere mich darüber, dass es Kolleginnen gibt, die einfach stink faul sind. Leiste nur noch die Hälfte von dem, was zu erledigen ist, da ich es nicht mehr einsehe, alle liegengebliebenen Arbeiten mitzuübernehmen.
Tag 19:
Endlich Feierabend.
Während ich auf den Bus warte, schaue ich auf den Fluss runter. Das Wasser glitzert so schön in der Sonne. Es lädt dazu ein, schwimmen zu gehen.
Tag 20:
Ich kann nicht mehr.
Mein Problem ist nur noch, dass ich vorher putzen und aufräumen sollte, ehe ich diese Welt verlasse.
Es ist peinlich, eine versiffte Wohnung zu hinterlassen.
Verdammte Scheiße!
Ich will nicht mehr. Stecke im Dilemma.
Tag 21:
Kapiere immer noch nicht, warum ich noch Ordnung schaffen sollte, wenn ich tot bin!
Kann mir dann ja egal sein.
Tag 22:
Hanteltraining. Wie fast jeden Abend.
Versuche die Gedanken, die mich kaputt machen, herauszuschwitzen und zu zerstören.
Warum hat mich meine beste Freundin damals so abfällig behandelt? Warum habe ich mich immer zurückgehalten um des lieben Friedens willen?
Warum hat sich meine Schwester von mir abgewendet? Warum haben Menschen den Kontakt zu mir abgebrochen?
Warum war ich beim Klassentreffen, nur um festzustellen, dass alles wie früher ist? Niemand hat mich damals in sein Team gewählt beim Sport. Als wir uns dann wieder sahen nach all den Jahren, waren nur die interessant, die sich bis heute nicht verändert haben.
Tag 23:
Bisher habe ich in der Wohnungstür immer einen Schlüssel von innen stecken lassen. Aus Angst, dass jemand einbrechen könnte.
Heute ist das nicht der Fall.
Auf meinem Wohnzimmertisch liegt ein Umschlag. Lest ihn. Mein Tagebuch liegt daneben.
Ich gebe euch allen keine Schuld für meine Entscheidung. Ihr seid nur Schauspieler in diesem Leben. Genau wie ich.
Epilog:
Selbstmord oder versuchter Neuanfang?
Der/die Protagonist/In hat eine Entscheidung getroffen. Ob diese Person noch lebt oder nicht, ist ungewiss. Bisher gab es noch keine Erfolge bei der Suche.