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2179.066 - Kundschafter
2179.068
Lokation: Shackleton Krater, 00,0°O – 89,0°S
Sie lachten. Das war nicht gegen Makzim gerichtet, auch wenn er natürlich der Auslöser war. Die kleine Mannschaft aus Kundschaftern lachte über die Kuriosität, die er da gefunden hatte. Bis eben waren sie noch erstaunt gewesen. Leka, Franc und Luisza steckten ihre Köpfe vor dem Bildschirm zusammen. Im Wohnraum ihres Rovers war es jetzt richtig eng. Makzim hatte eine Menge Bilder zurück gebracht. Am Ende war die Kamera die ganze Zeit gelaufen, kontinuierlich alles aufgenommen, aufs Geradewohl. Keine ganze Stunde war er da oben gewesen. Da hatte er sich beim besten Willen nicht alles anschauen können. Also jede Sekunde aufgezeichnet … auswerten konnten sie ja später.
Franc drehte sich um. Er trug sein ständiges Grinsen im Gesicht, der Scherzbold der Mannschaft. „Du wirst berühmt werden!“
Makzim winkte müde ab. Er war erschöpft nach der Tour. Und seine Gedanken wanderten gerade eh in eine andere Richtung.
„Nicht ganz wie erhofft, oder?“, neckte auch Luisza. Sie zwinkerte ihm zu. Das breite Grinsen wollte auch ihr nicht aus dem Gesicht weichen. „Aber das Netz wird sich auf das hier stürzen.“ Sie deutete auf die Bilder. „Wirst ein Sternchen werden!“
„Irgendjemand wird sagen: hättet ihr wissen können!“, machte Franc weiter. „Ändert aber nichts am Ruhm! Hauptsache eine Schlagzeile für dich!“
„Interessant ist das allemal.“, murmelte jetzt auch Leka, ihr Kommandant. Er blieb ernst, fast nachdenklich. Meistens, wenn alles schon gesagt war, meldete er sich zu Wort. Etwas übersahen alle und er nannte es. Das irritierte ganz schön. Leka blickte auf und schmunzelte, als hätte er einen Witz entdeckt. „Archäologie!“
Sie schauten ihren Kommandanten fragend an.
„Eine alte Wissenschaft, auf der Alten Welt.“, erklärte er. „Na lest’s mal nach!“
Makzim war müde, richtig fertig. Er sog den Saft aus der kleinen Tüte, das war schon fast seine Tagesration. Fürs Essen brauchte er auch noch was. Seine Beine waren schwach, sein Rücken tat weh, er fühlte sich älter als er war, gerade mal 29 Jahre. Jetzt wollte er nur trinken und dann schlafen. Alles andere danach! Weder Smalltalk noch ausschweifende Diskussionen waren jetzt sein Ding. Ganz sicher nicht! Er hatte sich vor vielleicht dreißig Minuten aus seinem verstaubten Anzug geschält … und war sofort auf die Toilette verschwunden. Nach langen Touren in den Exkursionsanzügen war das kein Spaß für die Kollegen. Man roch dann auf keinen Fall angenehm und hatte ganz eigene, sehr ursprüngliche Bedürfnisse. Alles, was man zwischendurch ausgeschieden oder abgesondert hatte, war ja im Anzug verblieben …
Die drei anderen schienen zu verstehen. Leka nickte zum Schott. Nacheinander verschwanden sie nach vorne, um sich im Labor, in der Werkstatt oder im Cockpit zu beschäftigen. Sie waren hier fertig, auch mit ihrem eigentlichen Auftrag. Mehr Bodenproben konnten sie nicht mehr aufnehmen und die Ressourcen an Bord gingen zuneige. In ein paar Stunden würden sie nach Norden schwenken, auf den langen Weg heim, über die schroffen Berge und durch die kalten Täler des einsamen Südens. Fast 1000 Kilometer waren es zurück nach Clavius Main. Wahrscheinlich war die nächste Menschenseele nicht viel näher. Sie waren hier draußen allein und hatten wieder einen Sektor des Südpols erkundet.
Makzim schaute nochmal auf das eine Objekt, das er zurückgebracht hatte. Es lag auf dem Tisch. Das hatten sie natürlich zuerst begutachtet. Jeder hatte es in der Hand gehalten, angefasst, gewogen. Die Bilder waren dann aber doch interessanter gewesen. Mit denen konnte der Kopf mehr anfangen.
Er kroch in seine Koje und schlief sofort ein.
2179.066
Lokation: Shackleton Krater, 00,0°O – 89,0°S
48 Stunden früher. Makzim stand über dem Tal. Sobald er den Gipfelkamm überschritt, würde er den Kontakt verlieren. Makzim leuchtete mit seinen Helmlichtern zurück. Seine Fußspuren liefen im Staub fast schnurgerade hinunter. Ihr Rover stand weit unten, im kalten Schatten des Tals. Die Scheinwerfer der großen Maschine schnitten helle Flecken aus der schwarzen Umgebung. Dort setzten die anderen gerade die letzten Bodenbohrungen ihrer Tour und würden dann schlafen gehen. Der Rover, eigentlich eine große Maschine mit mächtigen Ballonrädern, dem Habitat und den Anhängern für Ausrüstung, Werkzeuge, Instrumente und Tanks, wirkte in der Dunkelheit zwischen den hohen Bergen richtig winzig, einsam … verletzlich. Damit hatten sie die lange Strecke bis hierhin zurückgelegt. Noch 48 Stunden, dann würden sie den Rückweg antreten.
„Viel Spaß!“
Francs Stimme trug dessen neckenden Hohn. Der nahm Makzims Idee nicht ernst. Bestenfalls war das Makzims Marotte, sein Spleen, aber ganz sicher nichts wirklich Sinnvolles.
„Sei vorsichtig! Mach dort nichts Dummes …“
Natürlich, Leka mahnte zur Vorsicht. Als Kommandant ging er ein Risiko ein, Makzim ziehen zu lassen. Makzim verdrehte seine Augen.
„Macht ihr da unten mal keinen Mist. Ihr seid meine Rückfahrkarte!“, antwortete er keck. Über den Funk hört er ein fernes ‘Ja klar‘ aus dem Rover.
„Mach das ordentlich!“, ließ Leka nicht locker.
Fehler konnten immerhin auch die anderen machen! Eigentlich ging doch er selbst das Risiko hier draußen ein. Viele Kundschafter waren schon verschollen. Ganze Teams hatte das Südgebirge verschluckt. Jeder von ihnen kannte jemanden, der ‘draußen geblieben war‘. Wenn einen hier das Schicksal ereilte, kam ganz sicher keine Hilfe. Und ja, man sollte nichts Dummes tun.
„Verstanden.“, funkte er zurück. Wahrscheinlich sollte er Leka auch dankbar sein. Immerhin ließ der ihn gehen.
Wenn die alten Satellitenkarten stimmten, musste er über diesen Bergrücken, und dann … Makzim rollte nochmal die Folie aus, hielt sie sich vor das Visier und ließ die Bilder aufleuchten. Die alten Karten hatten ihren Charme. Sie waren richtig wertvoll, denn sie zeigten viele Details, die ganzen Krater in der dunklen Landschaft, die vielen Täler und die rauen Gipfel. So schön diese Karten waren, sie halfen vor Ort doch nicht. Schattenspiele tricksten die Wahrnehmung aus. Selbst wenn man meinte in der Umgebung eine der Bergformationen der Karte zu erkennen, konnte man sich darauf nicht verlassen. Der Blick von oben würde Klarheit verschaffen.
Was wirklich half: das Firmament. Wichtigster Bezugspunkt war der graue Erdball. Die Alte Welt hing eben immer an derselben Stelle am Horizont. Sie stand fest am Himmel. Gebundene Rotation hatten die alten Astronomen das Phänomen getauft, das sich häufig zwischen einem Planeten und seinem Mond einstellte. So konnte man sich hier draußen seinen Weg querfeldein zusammenkoppeln. Man musste nur wissen, wo die graue Alte Welt stand …
Makzim stieg weiter hinauf. Eben diese Alte Welt schob sich gegenüber über die Gipfel, mit jedem seiner Schritte höher. Ihr Trümmerring umspannte sie … schmückte sie. Makzim trat aus dem tief dunklen Schatten des Tals ins matte Zwielicht hier oben. Die Alte Welt spendete ihr fahles Streulicht. Die Sonne selbst, mit ihrem grellen, heißen Licht, stand noch hinter dem Bergrücken. Hier war es weder hell noch wirklich dunkel. Weiter oben grüßten schon die erleuchteten Felsen des Gipfelkamms.
Makzim erinnerte sich noch lebhaft an seinen ersten Blick auf die Alte Welt. Jeder kannte natürlich die Bilder. Auf der Rückseite hatte er sie aber nie selbst, nie mit eigenen Augen, gesehen. Daheim gingen nur die Sonne, die Planeten und die Sterne des Firmaments auf und unter, aber nie diese graue Kugel mit ihrem Ring. Im Zug nach Port Kopernikus hatte er diesem ersten Blick entgegengefiebert, mit jedem Kilometer, der ihn weiter auf die Erdseite, zu seinem neuen Leben, brachte. Dann war die Alte Welt über den schroffen Gipfeln aufgestiegen. Sie war so grau … und gleichzeitig so wundervoll geschmückt mit ihrem grazilen Trümmerring. Der glitzerte, funkelte im Sonnenlicht, mehr als jedes Bild es widergeben konnte. Die Alte Welt spendete der Erdseite ihr mattes, diffuses Streulicht. Es wurde nie komplett dunkel. So ganz anders als die stockfinstere Nacht, die alle 330 Stunden die Rückseite überzog, wenn nur die fernen Sterne Licht spendeten, aber keine Helligkeit.
Makzim verschnaufte wieder. Seine Gedanken schweiften ab. Jetzt war er schon fast oben. Ihm war warm. Sein feuchter Atem kondensierte am kalten Visier des Helms. Gleich würde er ins klare, heiße Licht der Sonne treten. Das waren nur noch ein paar Meter. Lieber jetzt eine Pause machen. Das Tal unter ihm war pechschwarz. Dort fiel kein Licht hin. Dort unten war es bitterkalt. Die Lichter des Rovers waren jetzt wirklich winzig. Zum Glück funkte ihn niemand an. So schnaufend, Franc würde nur über ihn spotten.
Das Gebirge am Südpol war eine seltsame, eine unwirtliche Gegend. Hier gab es hohe Gipfel und Bergrücken, für die die Sonne nie unterging. Sie wanderte in knapp 655 Stunden einmal im Kreis um den Horizont. Die Berge ewigen Lichts, nannte man sie prosaisch. Aber wer hatte die schon mal mit eigenen Augen gesehen? Wo ewiges Licht war, da war auch ewiger Schatten. In die tiefsten Täler und Krater fiel nie Licht. Ewig dunkle, bitterkalte Orte … in denen sie noch uraltes Wassereis vermuteten. Gerade das machte diesen fernen Ort so interessant. Deswegen drangen Kundschafter immer weiter vor. Den großen Fund hatte freilich noch niemand gemacht …
Ein seltsamer Ort. Der Gedanke ließ Makzim keine Ruhe. Das hier zu erkunden, dafür war er Kundschafter. Dafür hatte er seine Heimat auf der Rückseite verlassen. Welche Menschen sonst würden diese Berge jemals sehen, geschweige denn besteigen? Der Südpol war nicht nur gefährlich, er war auch spannend! Er sog einen Schluck Wasser aus dem Schlauch. Dann trat er ins Sonnenlicht. Plötzlich, schlagartig wärmte ihn die Strahlung des Sterns. Die Pumpen im Anzug summten eine Oktave höher, kurbelten den Thermalkreislauf an. Die Außenhaut knisterte. Es wurde schon merklich wärmer.
Makzim blinzelte. Er schaute auf den Boden. Die Schattenspiele! Selbst die kleinste Unebenheit warf jetzt einen langen Schatten. War das dort nur der tiefe Schatten eines Felsbrockens? Oder war das eine echte Senke? Oft konnte man das nur aus der Nähe entscheiden. Die Wahrnehmung spielte hier üble Streiche. An allen anderen Orten vermieden Kundschafter bei Sonnenauf– oder –untergang weite Strecken draußen zurückzulegen. Es war einfach zu hinderlich, zu verwirrend. Hier war aber ständig Dämmerung. Entfernungen, Größen, Formen … alles kam bei diesen Schattenspielen durcheinander. Lieber dreimal hinschauen!
Vor ihm lagen eine weite Senke und dann der schattige Hang eines weiteren Bergrückens. Also noch lange nicht am Ziel! Aber wer sagte, dass es einfach sein würde? Das Gelände sah zumindest nicht unwegsam aus. Im Schatten des Berges käme er auf jeden Fall zügig voran. Keine Verwirrspiele!
„Makzim an Rover!“
„Ich höre.“, antwortete Leka fast augenblicklich.
„Ich bin jetzt aus dem Tal raus. Vor mir ist noch eine Senke, dann kommt der große Aufstieg. Alles liegt im Schatten, sieht aber einfach aus. Oben ist dann wieder Licht.“ Makzim entschied sich. Abbrechen oder weiter? „Ich werde die Senke direkt durchqueren und dann aufsteigen.“ Da leuchtete etwas im Sonnenlicht, oben, auf dem Berg. Seltsam … aber manchmal gab es solche Reflexionen auf den Felsen. Er hatte auch schon Felsen mit komischen Farben gefunden, rot, gelb-grün, sogar blau. Das war selten, sehr selten, aber möglich. Der Mond war eben nicht nur schwarz-grau.
„Ich rechne mit sieben Stunden für den Aufstieg. Habt ihr das Bild?“
„Verstanden. Ist notiert.“, antwortete der Rover etwas verzögert. „Bild ist da. Wir beurteilen das wie du. Einfaches Gelände. Wenn du das direkt durchquerst, sollten das sieben bis acht Stunden sein … du bist jetzt allein.“
Genau. Wenn er jetzt auf etwas Unvorhergesehenes stieß, konnte er sich keine zweite Meinung einholen. Aber das hier war eh sein Abenteuer! Makzim spürte die Gefahr, die von diesem Ort ausging. Er kannte sie sogar. Jeder Kundschafter kam auf der Oberfläche früher oder später mal in eine Notlage. Makzim konnte von Glück reden, dass er den Job noch machen konnte. Er hatte sich einmal im Mare Frigoris verirrt und war nach 15 Stunden mit einer Kohlendioxidvergiftung im Anzug zusammengebrochen. Von seiner Rettung bekam er damals nichts mit. Die Nervenschäden sperrten ihn dann fast für sein komplettes 26. Lebensjahr in die Reha. Es ging ihm heute wieder gut, das sagten ihm die Ärzte, das sagte er seinem Arbeitgeber. Aber ganz der Alte war er nicht mehr. In den Füßen war eine dumpfe Taubheit geblieben. Gerade in solchen Momenten meldete die sich zurück.
Makzim schaute noch mal hinauf. Das Leuchten war immer noch da oben. Na mal schauen … „Ich breche auf!“
Mit schnellen Sprüngen überquerte er die Kuppe und tauchte wieder in das Zwielicht der Schattenwelt ein. Die Senke war wirklich uninteressant. Über Äonen hatten Asteroiden mit ihren Einschlägen den feinen Staub über den Globus verteilt. Jede freie Fläche lag zentimetertief unter dieser alten Schicht. Immer wenn Makzim aufsetzte, schoss der Staub in perfekten Parabeln zur Seite. Mit jedem Sprung wurde sein Anzug dreckiger. Das bekam man nie komplett ab. Dieser Staub kroch in jede Ritze, setzte sich überall fest. Man trug immer etwas davon zurück ins Habitat. Und die Körner waren hart und scharfkantig. So ging jede Maschine irgendwann kaputt. Oft lud der Sonnenwind den Staub sogar elektrisch. Dann haftete er besonders hartnäckig an allem und jedem.
Makzim nahm Geschwindigkeit auf. Es ging ja gerade bergab. Der Aufstieg würde schon langsam genug sein. Der Sprint machte richtig Spaß. Seine Gedanken wanderten wieder. Er stammte aus Far Row, der ersten großen Siedlung auf der Rückseite, knapp über dem Äquator. Drei große Krater lagen dort in einer Reihe, daher der eher spröde Name. Wahrscheinlich trug die Kolonie zuerst nur eine Nummer. Dort begannen sie schon 2130 die Ressourcen der Rückseite anzuzapfen. Diese Hochländer versprachen neue Bodenschätze, vielleicht sogar schwere Elemente, die sie in den Maren der Erdseite nicht fanden. Dass die ersten Fördergebiete in den Maren schon damals „trocken fielen“, trieb die Union seitdem nur noch mehr an, nach der fernen Rückseite zu greifen.
Port Kopernikus trieb seine Abbaukolonien immer weiter hinaus. Damals wuchs gerade die Aorta, die globale Bahntrasse rund um den Äquator. Das beflügelte die Ideen der Strategen und Spekulanten. Neue Abbaugebiete waren ja immer nur so gut wie der Transport zurück ins Zentrum. Far Row war der erste Versuch, dort ein Claim abzustecken. Je früher, desto besser, war damals die Devise. Wer zuerst neue Bodenschätze erschloss, der kontrollierte die Union ... Für Far Row ging das trotzdem nicht gut aus. Kundschafter entdeckten bald bessere Gebiete. Jüngere Kolonien überholten Far Row, mit mehr Output, besserer Reinheit, größeren Lagerstätten. Selbst ein Jahr früher oder später entschied über den Erfolg oder Misserfolg, über den Platz in der Rangordnung der Kolonien … der Frühstart zahlte sich nicht aus.
Makzim hatte es auf die Erdseite gezogen. Daheim gab es keine Zukunft, schon gar nicht unter Port Kopernikus. Die große, alte Kolonie im Kopernikuskrater lebte über ihre Verhältnisse. Sie saugte die kleinen Satellitenkolonien leer. Kopernikus spielte die Kolonien regelrecht gegeneinander aus. Wer sich mit dem Port gut stellte, bekam Gefälligkeiten, wer aufmuckte, bezahlte. So funktionierte heute die Union. Das Leben war überall armselig, karg und eng. Die meisten Menschen lebten von heute auf morgen. Große Pläne? Visionen nach vorne? Nein! Man verwaltete den Status Quo … unter Port Kopernikus.
Auf dem Tiger des Südens ruhten heute viele Hoffnungen … die Augen der Welt schauten nach Tycho Central. Offiziell kooperierten die beiden großen Kolonien, zum Wohle der Union. Das nahm nur keiner mehr ernst. Der Tiger lauerte, und alle warteten auf seinen Sprung.
Was war heute nur los mit seinem Kopf? Makzim war jetzt hier draußen. Hier gab es andere Dinge zu meistern, allein zu meistern. Er sollte diese Stunden genießen, anstatt zu grübeln. Immerhin wollte er das alte Leben ja hinter sich lassen. Hier setzte er gerade seine eigene, kleine, persönliche Vision um. Als erster Mensch den Südpol erreichen! Die Idee war irgendwann einfach da gewesen, in seinem Kopf. Woher? Wann genau? Das wusste er beim besten Willen nicht mehr. Aber sobald der Gedanke da war, ging er auch nicht mehr weg. Und jetzt bekam er endlich die echte Chance!
Ging er noch in die richtige Richtung? Er blickte hinauf und … „Was?“ platzte es aus ihm heraus. Es dauerte einen Moment bis er zum Stehen kam. Er musste auf den Boden schauen, um seine Füße zu sortieren, um nicht zu stolpern. Der Staub sprang in einer hohen Fontäne vor ihm auf. Dann stand er und hob den Blick wieder. Da waren jetzt … eins, zwei, drei … drei Lichter, ganz oben auf dem Bergkamm, nebeneinander. Was war das denn? So viel Zufall? Er hatte vorhin nichts dem Rover berichtet. Jetzt war es wahrscheinlich zu spät.
„Makzim an Rover!“
Keine Antwort. Er versuchte es gar nicht erst ein zweites Mal. Er sog wieder etwas Wasser aus dem Schlauch. Das erfrischte. Mit neuem Elan sprang er los, den Hang hinauf. Jetzt war er richtig aufgeregt. Da oben gab es wirklich was zu entdecken! Egal was, es war spannend! Der Aufstieg wurde schwieriger. Immer mehr Felsbrocken steckten im Staub. Der Boden gab unter seinen Sprüngen nach, er rutschte ab. Makzim schwitzte richtig. Sein Rücken war feucht. Schweiß floss von seiner Stirn in die Augen. Sie brannten. Die Stufen im Gelände wurden immer höher. Wirklich schwierige Stellen konnte er noch überspringen. Trotzdem war das viel zu langsam. Ein Signalton erklang im Helm. Makzim las die Warnung. Im Inneren wurde es zu warm. Sein Puls war schon ziemlich hoch. Der Anzug sorgte sich um seinen Insassen. Aber noch ging mehr! Das konnte er aushalten. Es dauerte einfach zu lange, vor allem jetzt. Also weiter! ... Nach jeder Biegung, nach jedem steilen Anstieg, nach jedem Sattel, blickte er hoffnungsvoll voraus … und wurde ernüchtert. Er war noch immer nicht oben. Es gab immer noch einen Hang, noch eine Steigung, noch einen Sattel vor ihm. Makzim wurde richtig ungeduldig …
Ein neuer Warnton schrillte im Helm, lauter, höher. Gefahr! Makzim überflog die Werte. Ok, Pause! Wirklich! Sein Anzug war am Limit, er selbst bald auch. Die Wärme staute sich, der Anzug konnte sie nicht mehr abführen. Die Innentemperatur stieg auf über 40 °C. Die Lüfter summten mit maximaler Drehzahl, die Pumpen im Rucksack gurgelten pausenlos. Makzims Herz pumpte. Ein dumpfes, kräftiges Pochen drang bis in seinen Kopf herauf. Seine Lunge suchte Luft, mehr Luft. Er schwankte … dann wurde sein Kopf klarer.
Makzim ließ seinen Blick wandern. Er war doch schon weit oben. Zahllose Gipfel ragten rundum ins Sonnenlicht. Unbekanntes Land. Diese Spitzen trugen keine Namen, bestenfalls Nummern. Und selbst das galt nur für die großen unter ihnen, die man auf den alten Satellitenkarten identifiziert hatte. Die Alte Welt stand schon etwas höher. Ihre grauen Wolkenformationen hatten sich verändert. Darunter tobten wilde Stürme. Selbst der Trümmerring sah jetzt anders aus, hatte sich bewegt und verformt, mit seiner unaufhaltbaren Dynamik. Da lag die Wiege der Menschheit. Heute war dort alles tot, wahrscheinlich. 2110 war die Katastrophe hereingebrochen. Dann kam der Exodus zum Mond. 2122 war der letzte Kontakt verstummt. Das alles war lange vor Makzims Geburt passiert. Natürlich kannte er die typischen Geschichten über die Alte Welt, ihre Kulturen, die Geschichte der Menschheit, den Exodus. Aber das waren fast schon Mythen. Wer wusste, was dort unten war … was wirklich gewesen war? Und was hatte das heute mit ihnen hier zu tun? Niemanden interessierte das mehr. Höchstens ein paar verschrobene Eigenbrötler durchforsteten noch die alten Datenbanken. Seine Wurzeln mussten auch da unten liegen. Er hatte nur keine Ahnung. Woher stammte seine Familie? Hießen sie damals schon Kumar? Die Spuren verloren sich in den Wirren des Exodus, wie bei so vielen.
Sein Puls beruhigte sich. Der Anzug gab auch wieder grünes Licht. Auf! Den letzten Hang hinauf! Man konnte meinen, dass dort etwas stand …
*
Makzim trat über die letzte Kante. Der Gipfel wölbte sich sanft. Endlich war er oben, auf einem der Berge ewigen Lichts. Geschafft! Praktisch zumindest. Er stand am Südpol, so nahe es eben ging. Makzim drehte sich um, ließ den Blick über das Panorama schweifen. Natürlich war es kein einfacher Berg. Das hier war ein Kraterrand: Shackleton Krater am Südpol. 21 Kilometer weit, über 4000 Meter tief. Er konnte zur gegenüberliegenden Seite schauen. Fast der ganze Rand wurde von der Sonne erleuchtet. Jeder Stein, der sich ins Licht streckte, warf seinen langen Schatten. Das komplexe Muster aus Schattenlinien irritierte wieder seine Augen. Und unter dieser Welt des Lichts: das schwarze Loch des Kraters. Dort fiel kein Licht hinein. Dort war es schon eine Ewigkeit dunkel und kalt. Makzim sah da unten nichts, keine Konturen, keine Schemen. Der Krater war einfach nur schwarz. ‘Unsichtbar‘, ging ihm durch den Kopf. Makzim markierte die Zeit und begann die Umgebung aufzunehmen … als Beweis, dass er hier oben war.
Und da vorne? Die hellen Lichter waren verschwunden. Also waren das nur Reflexionen auf planen Flächen gewesen. Dafür fiel das Licht der Sonne jetzt auf … Maschinen? … Maschinen! So unglaublich es war, Makzim konnte dort nichts anderes erkennen als Maschinen. Eine ganze Menge davon! Sein Magen verkrampfte sich. Das war unfair! Wer war vor ihm hier gewesen? Und das Ganze nicht etwa zu Fuß, sondern mit Fahrzeugen? Das konnte doch gar nicht sein. Das hätte er doch erfahren. Das hätten auch seine Kollegen gewusst. Oder war das hier ein Geheimnis? Eine geheime Operation von Port Kopernikus? Er zuckte nach links und rechts. Nichts bewegte sich. Keine Aktivität. Hatte man ihn noch nicht entdeckt? Sie hätten ihn doch schon vor Stunden abfangen können, bevor er zu nahe kam. Offenbar nicht. Er war nicht in unmittelbarer Gefahr. Seine Gedanken überschlugen sich aufgeregt. Keinen davon brachte er ordentlich zu Ende ...
Makzim atmete tief. Sein Kopf beruhigte sich endlich. Da war der eine, klare Gedanke: Er musste sich umschauen! Makzim sprang wieder los, auf die Maschinen zu.
Es waren große Maschinen. Schon bevor er unter der ersten Konstruktion stand, erkannte Makzim, was sie waren: Solartürme. Grazile Gittertürme ragten in die Höhe, 40 Meter, 50 Meter. Sie spannten weite Flächen wie Segel von sich. Jeder dieser Türme stand für sich, immer in gebührendem Abstand zu den Nachbarn. Sie ragten ins ewige Licht des Südpols, um mit ihren Solarzellen elektrischen Strom zu erzeugen. Was er unten gesehen hatte: die Reflexionen auf den Zellen. Makzim sah die technische Brillanz der Konstruktion, obwohl er selbst kein Techniker war. Hier mussten die Türme sich nur drehen, um der Sonne um den Horizont zu folgen und ständig Strom zu liefern. Ewiges Licht … hier oben gab es keine 330 Stunden Dunkelphase, wie sie über alle Kolonien daheim hereinbrach, wenn sie nur noch aus den Speicherbänken überleben konnten, bis die Sonne wieder aufging.
Nur, für wen oder was drehten sich diese Türme? Irgendetwas fühlte sich hier seltsam an. Diese feinen Gitterkonstruktionen, diese dünnwandigen Zellen, diese offenen Kabelstränge. So sahen doch keine Solarfelder aus! Makzim hatte solche Bauteile noch nirgendwo gesehen.
Und da erkannte er noch etwas, endlich: hier drehte sich nichts, zumindest nicht mehr. Die Türme waren nicht zur Sonne ausgerichtet. Sie standen still, alle im selben Winkel zur Sonne. Einer der Türme war sogar zusammengebrochen. Sein Gerippe lag verbogen, geknickt, gefaltet im Staub. Die Zellen waren auch irgendwie matt. Sie trugen nicht das Glitzern und tiefe Dunkel der Solarzellen daheim. Stattdessen zeugten zig Löcher, von einem langen Bombardement aus dem All. Makzim blickte in den Himmel. Sie hatten auf der Fahrt einen Einschlag in den Bergen gesehen, ein kurzes Spektakel. Das war auch so eine Gefahr auf der Oberfläche …
Dieser Ort war alt. Sehr alt! Viel älter als er selbst. Sogar älter als jeder Mensch auf der Welt … auf dieser Welt. Makzim drehte sich um. Die Alte Welt! Ihr Trümmerring funkelte ihn vom fernen Horizont an, als würde sie amüsiert zwinkern und ihm sagen: Aha, na endlich! Das hier hatten die Vorfahren gebaut. Sie waren schon hier gewesen. Sie hatten hier eine Basis errichtet. Die Menschheit hatte das vergessen … und er entdeckte es gerade wieder. Makzim war verwundert, erstaunt, bewegt, begeistert … Unzählige Emotionen stritten in ihm. Einige davon konnte er nicht mal benennen. Was sollte er denn fühlen?
Aber wo war diese Basis? Hier standen nur die alten Solar-türme und ein paar Gerätschaften. Wo waren die Habitate? Und Fahrzeuge? Unzählige Spuren verliefen im Staub, Füße und Räder, kreuz und quer. Makzim folgte ihnen willkürlich. Nach ein paar Schritten achtete er darauf, neben die alten Spuren zu treten. Er wollte die nicht zerstören. Da bogen die Spuren nach links, hinunter in den Krater. Ein dicker Kabelstrang verschwand neben der Piste in die Dunkelheit. Da unten also hatten sie gelebt. Dort musste die alte Basis stehen. Makzim blickte vom Dunkel des Kraters zur Erde am Horizont hinter sich … und wieder zurück. Diese Menschen hatten da unten die Erde nicht gesehen, auch die Sonne nicht, nur die Sterne über sich. Das erinnerte ihn an die Dunkelheit in Far Row. Sie mussten hier hoch kommen, um ihre Heimat zu erblicken. Damals sah die natürlich anders aus …blau und weiß war sie gewesen.
Makzim folgte der Piste. Wie lange würde es dauern, da runter zu gehen? Wahrscheinlich würde die alte Basis direkt am Fuß des Hangs liegen, schlimmstenfalls wohl im Zentrum. Er rief den Status seines Anzugs auf und sein Herz sank. Er hatte es im Aufstieg wohl übertrieben. Zu viele Ressourcen verbraucht, zu viel CO2 ausgeatmet. Bald würde der erste Alarm losgehen. Wenn er noch zurückkommen wollte, gab ihm der Anzug vielleicht noch dreißig Minuten hier oben. Verdammt! Aber gegen die klare Realität der Zahlen konnte er nichts ausrichten. Das lernte man als Kundschafter, oder man starb.
Ok, dann bis zur Schattengrenze hinein! Makzim sprang die Meter hinab, bis er wieder im Dunkel stand, diesmal auf der Innenseite des Kraters. Aber er konnte noch immer nichts unter sich erkennen. Keine Chance. Da würden auch noch ein paar Meter mehr nicht helfen. Vielleicht gab es oben doch etwas zu finden … ein Fundstück, ein Artefakt? Das sollte sich doch machen lassen. Makzim drehte sich um und begann zwischen den Türmen umherzuwandern. Zuerst hob er eine Stange aus dem zusammengestürzten Turm auf. Besser als nichts, aber unspektakulär. Er ging weiter. Ein Teil der zerrissenen Solarzellen? Das war leichter, aber nicht wirklich besser. Weiter …
Plötzlich stand er vor einem … anderen Gerät. Diese Maschine verstand er nicht sofort. Sie war so groß wie ihr Rover. Sie stand flach und breit auf vier Beinen, mit Tellerfüßen im Staub. Er umrundete sie. Das da auf der einen Seite, das war ein offenes Cockpit, offenbar nur für zwei Personen. Dann war das eine Ladefläche und das da waren Tanks … Das war irgendein Gefährt! Aber ohne Räder? Da erkannte Makzim die Strahlspuren im Staub und dann die Düsen der Triebwerke. Das war ein … Raumfahrzeug!
Makzim stand still. Erstaunt? Überrascht? Nein, ehrfürchtig ... So etwas hatte er noch nie gesehen. Solche Maschinen gab es nicht mehr, nur in den alten Berichten las man davon. Waren sie damit durch den Himmel geflogen? Eigentlich müsste das hier in einem Museum stehen … wenn es welche gäbe. Er bewunderte die Maschine. Damit waren die Vorfahren wirklich geflogen. Er trat näher heran. Im Cockpit erkannte er ein Tastaturfeld, Bildschirme, Steuerknüppel, Schalter. Das wirkte gar nicht so unvertraut. Er konnte sogar die bleichen Zeichen lesen. Buchstaben, wie sie sie auch heute noch verwandten. Er drückte eine der Tasten. Das Plastik zerbröselte. Er schaute den Bruch-stücken nach, wie sie langsam zu Boden sanken. Vorsicht!
Und da fand er auch sein Artefakt. Ein großer Schrauben-schlüssel, fast Unterarmlänge! Er hob das Teil aus dem Staub. Es war massiv, aber natürlich leicht. Es fühlte sich genau richtig an, nicht zu groß, aber auch nicht zu leicht. Auch hier waren Zeichen drauf. Und die verstand er! So bemaßen sie die Werkzeuge doch heute noch … Makzim lachte. Was es hier alles zu entdecken gab! Das waren nicht nur simple Gegenstände. Mit ihnen konnte man die Vergangenheit ‘erlernen‘. Er hatte hier jetzt schon mehr erfahren, als er wohl je über die Vorfahren gelesen hätte.
Ein Signal erklang im Helm. Makzim warf einen letzten Blick in die Runde. Das war einfach viel zu kurz, keine 60 Minuten. Was gab es hier noch alles? Was verbarg sich in der Dunkelheit des Kraters? Stand auf einem der Gipfel noch eine Stätte der Vorfahren?
Zeit heimzukehren …
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‘Ping!‘
Makzim schlug die Augen auf. Das Signal erkannte jeder, sofort: der Ofen. Essenszeit! Er öffnete seine Koje. Franc und Luisza waren da, holten vier aufgewärmte Packungen aus dem Ofen und stellten sie auf den schmalen Tisch. Das waren nur Waffeln, ein Püree und Wasser. Da waren aber alle Nährstoffe drin, sogar ‘Geschmack‘, wenn auch undefinierbar. Mit diesen Universalrationen überlebten die Teams wochenlang hier draußen.
„Ausgeschlafen?“, fragte Luisza. Sie zwinkerte.
Makzim zuckte nur mit den Schultern. Er hatte wohl gut geschlafen. Aber ausgeschlafen? Das war man hier doch nie. Die Luft im Rover war warm, immer etwas stickig, nie frisch. Er räusperte sich. „Hunger hab‘ ich!“
„Unser lieber Abenteurer!“, schnaubte Franc, ohne herüber zu schauen.
Luisza verdrehte die Augen. Über Franc? Oder über Makzim?
Wo war der Schraubenschlüssel? Der lag auf der Koje gegenüber. Einen echten Platz gab es dafür nicht. Jeder Schrank hier drin war schon voll. Die drei hatten das Ding fasziniert gehalten, gewogen, begutachtet. Das war schon ein Ding! Richtig greifbar und irgendwie banal zugleich.
Leka kam aus dem Cockpit. „Wir sind bereit zur Abfahrt.“, sagt er kurz. „Lasst uns essen.“
„Abschiedsessen vom Sightseeing-Trip?“, versuchte Franc einen Scherz und grinste aufmunternd.
Niemand reagierte. Sie setzten sich einfach zusammen, Schulter an Schulter, und begannen. Viel Platz war nicht. Schon zu viert war es eng hier drin, dabei konnte der Rover sogar sechs Mann beherbergen. Jeder riss seine Ration auf. Ein warmer Duft stieg auf, irgendwie angenehm. Makzim begann schnell zu essen. Er war jetzt so richtig hungrig! Und Durst! Wasser konnte es nie genug geben. Aber gerade das war rationiert. Da war schon lange kein ‘frisches‘ Wasser mehr an Bord. Sie lebten hier von ihrem aufbereiteten Wasser. Jeder Tropfen in dem Schluck, den er gerade nahm, war in den letzten Tagen schon mal durch einen von ihnen gegangen … Runter damit!
„Wann werden wir zurückkehren?“, fragte Luisza.
„Hmm … hierher?“, presste Franc undeutlich zwischen seinen Bissen heraus.
Die Frage beschäftigte auch Makzim, seit seinem Abstieg, seit seinem letzten Blick zurück. Welche Orte gab es dort noch zu erkunden, abseits jeder Zivilisation? Was gab es zu finden? Wann? Sie schauten ihn an, aber er hatte da keine Idee, kannte keine Antwort. Er aß einfach weiter.
„Wir müssen das daheim nur richtig verkaufen.“, sagte Franc. „Es muss sich lohnen. Wenn da unten etwas ist, irgendwas Wertvolles, wird jemand eine Expedition schicken … sonst …“ Er beendete den Satz nicht.
Wir? Seit wann war das ihre Entdeckung? Gerade Franc lachte doch über ihn … Makzim runzelte die Stirn. Aber Franc blieb unbekümmert. Makzim kam die fixe Idee, ob er es vielleicht geheim halten sollte? Und dann bei ihrer nächsten Fahrt selbst hineinfahren? Aber das war absurd.
„Stell die Frage anders!“, sagte Leka, wie immer eher kurz, kryptisch, nie selbsterklärend. Er saß zurück gelehnt da und beobachtete seine Mannschaft. Leka schien schon mehr zu wissen und wartete nur noch darauf, wann sie es auch herausfanden. „An wen willst du es verkaufen, Makzim?“ Leka schmunzelte irgendwie amüsiert.
„Na die Administration …“, sagte Franc.
„Einfach öffentlich machen!“, machte Luisza den genauen Gegenvorschlag.
„Oder doch zurückhalten?“ Leka stellte das als weitere Frage, nicht als Antwort. Erriet er etwa Makzims Gedanken? Der Kommandant schüttelte den Kopf. „Clavius High!“
Clavius High … der Thinktank, die Ideenfabrik, die eine, große Versuchsanstalt. Natürlich! Wieso war Makzim nicht selbst darauf gekommen? Luiszas Gesicht spiegelte seine Gedanken. Franc schlug sich an die Stirn. Clavius High, dort gab es zig Nerds, aller Couleur. Man musste denen so etwas nur hinwerfen … dann würde sich das verselbständigen.
„Da gibt es einen Neuen, der sich einen Namen macht … Konstantin Kline.“, fuhr Leka gleich fort, Schritt für Schritt, als hätte er die Idee schon komplett fertig.
„Kline?“, platzte Makzim heraus, total überrascht. „Wie aus Kline High?“
Leka nickte. „Der Sohn.“
Kline High war eine riesige Abbaukolonie auf der Rückseite, im Oppenheimer-Krater, noch keine zehn Jahre alt. Der Name Kline … der wog!
„Und was macht der in Clavius?“
Leka zuckte mit den Schultern. „Hat wohl eine fixe Idee … Raumfahrt. Steht alles im Netz.“
„Hat wohl viel Freizeit …“, echote Franc. Da widersprach niemand.
Luisza stupste Makzim in die Seite. „Deine Bilder vom Raumschiff sind gerade goldwert geworden!“
Sie aßen weiter. Niemand sprach mehr. Die Minuten verronnen. Makzim ging einem letzten Zweifel nach. Das hatte schon auf dem Rückweg begonnen. Irgendetwas passte noch nicht so ganz. Jetzt formte sich der Verdacht zu klaren Worten. „Das ist kein Raumschiff.“
„Was?“, platzte aus Franc heraus. Ihm fiel ein Bissen aus dem Mund.
Luisza und Leka schauten irritiert. Also konnte nicht nur der Kommandant irritieren, stellte Makzim zufrieden fest. Er holte die Aufnahmen auf den Bildschirm. „Kein echtes … kein vollständiges. Vielleicht steht im Krater ja noch eins. Aber das Ding da ist zu klein … einfach zu klein.“
„Und … was ist es dann?“, fragte Luisza perplex.
„Ein … Hopper.“ Der Begriff war Makzim irgendwann eingefallen, als er sich vorstellte, wie ein Flug damit gewesen sein musste. „Damit sind sie von A nach B geflogen … gesprungen, in hohen Bögen … wie der Staub unter unseren Füßen. Die haben Sachen transportiert, zwischen ihren Außenposten. Eigentlich eine tolle Idee, in dem Gelände, anstatt mühsam über die Berge zu klettern. So ohne Atmosphäre …“
„Was für eine Verschwendung!“, polterte Franc. „Ich meine, das Zeug ist dann einfach weg. Das ist doch Verschwendung.“
Ja, das war irgendwie unvorstellbar. Damit tat sich auch Makzim schwer. Aber so war das wohl gewesen. Gleichzeitig faszinierte ihn, wie schnell die Vorfahren damit über den Globus reisen konnten und zu welchen Orten.
„Andere Zeiten!“ Leka lachte. Er hatte es schon gefressen und nickte Makzim anerkennend zu. „Das waren einfach ganz andere Zeiten.“
„Aus dir wird noch so ein Historiker.“, sagte Luisza und zwinkerte.
„Archäologe!“, korrigierte Leka.
Sie schwiegen wieder, diesmal alle. Jeder war wohl in eigenen Gedanken. Makzim fragte sich, wie das wohl war, einfach von A nach B zu fliegen? Wie sah die Welt von da oben aus? Wo waren diese anderen Außenposten? Was hatten sie denn noch zurückgelassen? Viele, viele Fragen. Clavius High! Da musste er jetzt hin.
Ein Signal erklang. Leka stand auf. „Zeit heimzufahren.“