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21 Watt

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23.01.2003
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21 Watt

Vor sich sah er nur die Landstraße. Es war Mitternacht durch und der Regen prasselte auf die Windschutzscheibe. Die Scheibenwischer leisteten ganze Arbeit, was aber nicht viel half. Die paar Meter der Straße, die er mit seinen Scheinwerfern beleuchtete, und der Anblick des verschwommenen Dunkels der Nacht, kamen ihm vor wie ein Mosaik.

Er riskierte einen flüchtigen Blick nach rechts auf den Beifahrersitz. Sie schlief. Sie sah so glücklich aus, wie sie so dasaß, den Kopf auf die rechte Schulter gelegt. Was sie wohl gerade dachte...? Er mußte wieder nach vorne sehen. Sie hatten bestimmt noch über eine Stunde Fahrt vor sich. Ob er müde war, vermochte er in diesem Augenblick nicht zu sagen. Selbst wenn er es gewesen wäre – an Schlaf konnte er in diesem Moment sowieso nicht denken. Sie hatte Ja gesagt, das war es, worauf es ankam. Das war das Einzige, was jetzt noch zählte, und der Gedanke daran würde beide schon heil nach Hause bringen.

In weiter Ferne sah er ein Licht. Das konnte unmöglich schon die Stadt sein, oder ist die Zeit so sehr verflogen? Möglich wäre es, denn in diesem Zustand des Glücks hatte es die Zeit schon so an sich, viel schneller als für gewöhnlich zu vergehen. Das Licht verschwand wieder. Er lehnte sich zurück in den Fahrersitz und blickte gelassen auf die vor ihm liegende Straße. Er hörte den Motor seines Wagens, das Prasseln des Regens auf dem Autodach und der Windschutzscheibe. Er hörte das gleichmäßige Quietschen der Scheibenwischer. Doch er hörte noch etwas. Ein Geräusch, das ihm die Kraft gab, wach zu bleiben – ihren Atem. Langsam und friedlich.

Vor ihm war wieder das unbekannte Licht zu sehen, jetzt etwas größer. Es verschwand erneut. Er ging etwas vom Gas, da er jetzt nichts mehr riskieren wollte, so kurz vor dem gemeinsamen Ziel. Er blickte wieder zu ihr hinüber, besah sich ihre linke Hand. Er lächelte zufrieden. Natürlich hatte er Angst gehabt, sie könnte Nein sagen, aber sie hatte doch Ja gesagt. Er war mit ihr an die See gefahren. Dort hatten sie sich eine kleine Blockhütte gemietet. In dieser romantischen Umgebung konnte sie eigentlich nur Ja sagen. Er sah sich zwar schon vor ihr, das kleine blaue Gehäuse aus Plastik mit dem Zick-Zack-Riffelmuster in der zitternden linken Hand. Und sie... sie hätte ihn ernst angesehen, ohne die Miene zu verziehen, ohne das Funkeln des Glücks in ihren Augen. Doch es kam anders. Und dafür war er dankbar.

Sie lächelte ihn an, wie ein Engel, eine Prinzessin nicht aufrichtiger hätte lächeln können. Und er genoß diesen Augenblick, er umarmte sie, er sah ihr in die Augen, sah, wie sie leuchteten, so wie nur selten etwas in seinem Leben leuchtete... Und dann wurde alles dunkel. Er konnte diese plötzliche Dunkelheit förmlich hören, spüren, wie eine riesige Druckwelle, die drohte, die ganze Welt zu verschlingen. Er sah nichts, soweit er die Augen auch aufriß. Doch da, ein Blinken, doch es blieb zu kurz, um es zu orten. Er hörte die Druckwelle, sehnte sich nach Ruhe... Er wollte schlafen. Und dann schlief er. Sehr lange...

Als er aufwachte, wußte er nicht, ob er lebte oder tot war. Er bekam die Augen immer noch nicht auf, aber vielleicht wollte er es auch gar nicht („sie hätte auch Nein sagen können...“). Ein starkes Leuchten zwang ihn dazu, die Augen noch mehr zusammenzukneifen. Er hörte noch immer die Dunkelheit, wie ein Surren, ohne jede Frequenz, die er jemals in seinem Leben vernommen hatte. Er versuchte, die Geräusche zu sortieren, aber es kamen keine verwertbaren Signale in sein Gehirn (besaß er es überhaupt noch?). Seine Verfassung sorgte für einen weiteren tiefen Schlaf.

Als er erneut erwachte, bildete er sich ein, Stimmen wahrzunehmen. Rufende, redende, seufzende Stimmen. Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß er auf dem Rücken lag und sich nicht bewegen konnte. Er machte die Augen auf, was mit erstaunlicher Leichtigkeit funktionierte, etwa so, als wenn man versuchte, Eiscreme aus einem Gefäß zu kratzen, man es aber zuvor noch eine Weile in der Wärme ruhen lassen mußte, damit es besser ging. Und er sah über sich ein Gesicht, das ihn ernst anblickte. Es war das Gesicht eines Mannes, soviel er erkennen konnte, und er trug eine weiße Kappe und eine rote Jacke.
Er wollte nicht liegen, er riß den Oberkörper hoch, unter rasenden Schmerzen im Hinterkopf, im Nacken, im Kreuz, einfach überall. Der Mann mit der Kappe hielt ihn fest.

Er blickte sich panisch um, sah ein Auto. Es war seines. Mit eingedrückten Scheinwerfern, deren kleine Lämpchen erloschen waren, wie ihre Augen... Ein schreckliches Überbleibsel dessen, worauf er für sie und sich so eisern... Sie! Wo war sie, und wie ging es ihr? Er versuchte seinen in arge Mitleidenschaft gezogenen Schädel in alle nur erdenklichen Richtungen zu bewegen, immer gerade so, daß die Schmerzen, die er dabei fühlte, ihn nicht wieder zurück in die Ohnmacht befördern konnten. Denn das wollte er auf keinen Fall. Er mußte sie finden, bei ihr sein, bei ihr bleiben, für immer...

Und dann sah er sie, auf einer Trage liegend, die Augen geschlossen. Was sie wohl dachte? Konnte sie auch die Stimmen hören, die selben wie er? Sie mußte auch jeden Moment aufwachen, schließlich waren beide zuvor in der gleichen Situation gewesen. Aber es wurde eine Decke über ihr Gesicht gelegt. Unmöglich! Sie konnte doch nicht allen Ernstes so lange schlafen wollen! War sie denn so müde? Zugegeben, er war es auch, aber so lange? Er war drauf und dran, sich seiner Verzweiflung hinzugeben. Der Schmerz war mittlerweile so groß, daß er ihr ohne große Mühe hätte folgen können. Er versuchte zu weinen, aber seine Augen brannten, sein ganzer Kopf brannte, und er wäre sicher froh gewesen, wenn er sich nie mehr hätte im Spiegel ansehen müssen. Wer weiß, ob er so lange durchhalten würde, bis er den nächsten Spiegel zu Gesicht bekommt. Er entschied sich doch, weiterzuschlafen, und das Schicksal würde über ihn entscheiden.

„Schatz?!“, hörte er eine Stimme, die zwar auch weit weg, aber sehr vertraut klang. „Was ist denn nur los mit Dir? Also wenn wir heute noch das Meer sehen wollen, sollten wir langsam weiterfahren. Möchtest Du, daß ich fahre? Du siehst unheimlich müde aus.“

Er erhob sich langsam von der Rückbank seines Kleinwagens, und bedeckte seinen Oberkörper mit einer Jacke, die neben ihm lag. Er stand auf, zog sich die Jacke an und setzte sich auf den Beifahrersitz.

Sie fuhren eine Weile, und als ob er es als eine Bestätigung für seinen Wachzustand gebraucht hätte, fing sie wieder an zu sprechen. „Hast Du irgend etwas? Du wirkst so schweigsam...“ --- „Nein“, sagte er, während er in seiner linken Jackentasche zu wühlen anfing, und ein eckiges kleines Etwas aus Plastik fühlen konnte. Es hatte ein Zick-Zack-Riffelmuster. Zufrieden zog er die Hand wieder aus der Tasche und mußte ein wenig schmunzeln. „Es ist alles in bester Ordnung.“


ENDE

 

Hi Julian und herzlich willkommen auf KG.de.
Deine kleine Geschichte hat ganz gut gefallen, sie ist nicht spektakulär und eher kurz, aber sie liest sich gut und unterhält. Habe ich das richtig verstanden, dass er das Internezzo mit dem Unfall nur geträumt hat? Also eine Geschichte mit Happy-End und der "Horror" liegt nur in dem schrecklichen Traum, den er hatte ...
Der Stil ist ziemlich flüssig und gefällt mir, der Anfang und das Ende haben einen leicht romantischen Touch, das finde ich auch gut. Zwischendurch gefiel es mir nicht so gut, als immer wieder Sätze mit "..." endeten, das war mir ein wenig zuviel, passt mM nach in Kurzgeschichten nicht so gut, es sei denn jemand macht lange Pausen beim Sprechen.
Auch die Einschübe der Gedanken in den Klammern sehen formal eher unschön aus:

(„sie hätte auch Nein sagen können...“)
Warum nicht einfach kursiv schreiben? :-)

Ein paarmal ist mir aufgefallen dass viele Sätze mit "Er" beginnen, vielleicht könnte man das noch abändern, hier z.B.:

. Er lehnte sich zurück in den Fahrersitz und blickte gelassen auf die vor ihm liegende Straße. Er hörte den Motor seines Wagens, das Prasseln des Regens auf dem Autodach und der Windschutzscheibe. Er hörte das gleichmäßige Quietschen der Scheibenwischer.
Möglicherweise sind die Wiederholungen gewollt - da reagiere ich meist vorsichitg drauf, man setzt das zwar schonmal als Stilmittel ein, aber in meinen Augen funktioniert das nur selten und muss wirklich passen. Hier könnte ich darauf verzichten ... aber erstmal sehen was andere Leser dazu sagen. ;-)

Unheimlich oder horrormäßig fand ich Deine Story jetzt eher nicht, zumal sich ja alles in Wohlgefallen auflöst und das Motiv "Es war nur ein Traum" oft verwendet wird, aber ich fands ganz gut geschrieben und habe die Geschichte gerne gelesen.

LG
Ginny

 

Ja, scheint wohl so zu sein, dass das nur ein Traum war, allerdings könnte man es auch so deuten, dass das Ende ab "Schatz?!" die Vorgeschichte ist und es dann also doch wirklich passiert. War aber wohl nicht so gemeint. Schade eigentlich. Denn Ginny-Rose hat schon recht: "War alles nur ein Traum" ist schon immer wieder auf's Neue ernüchternd. Trotzdem in manchen Fällen nicht unsympathisch. ;)

Grüße
Visualizer

 

Geschrieben von Visualizer
Ja, scheint wohl so zu sein, dass das nur ein Traum war, allerdings könnte man es auch so deuten, dass das Ende ab "Schatz?!" die Vorgeschichte ist und es dann also doch wirklich passiert. War aber wohl nicht so gemeint. Schade eigentlich. Denn Ginny-Rose hat schon recht: "War alles nur ein Traum" ist schon immer wieder auf's Neue ernüchternd. Trotzdem in manchen Fällen nicht unsympathisch. ;)

Grüße
Visualizer


Das ist ja gerade das Schöne: Man kann es als Traum werten oder eben so, wie Du es für möglich gehalten hast. Oder so in etwa wie in "Dead Zone". Der Hauptdarsteller meiner Geschichte sieht dann quasi in seinem Traum die Zukunft, nimmt diesen aber nicht ernst, daher auch das Schmunzeln.
Happy End oder nicht - das bleibt dadurch offen!

@ Ginny: Das mit dem "Er" ist eigentlich zum Teil beabsichtigt, wenn vielleicht auch etwas übertrieben.

Die Punkte mache ich immer unbewußt, danke für den Hinweis :)

Kursiv habe ich absichtlich nicht benutzt, weil ich es u.a. im Txt-Format haben möchte.

Vielen Dank auf jeden Fall für Eure sachlichen und netten Kommentare!

 

Hallo Julian,

das wichtigste haben die anderen ja schon geschrieben - nette Geschichte, vielleicht nicht im eigentlichen Sinne Horror -, aber ich habe eine Frage (liegt vielleicht nur daran, daß ich gerade ein wenig müde bin): Was hat es denn mit dem Titel "21 Watt" auf sich?

Schöne Grüße
Roy

 

Ich glaube, 21 Watt ist die Glühbirne eines Blinklichtes beim Auto, oder täusch ich mich da?

@Julian: Ja, das andere Ende, dass es doch kein Traum war, wäre auch eine Interpretation, find ich ganz gut, das man beides sehen kann. :-)

 

Das stimmt, vielleicht ist die Kategorie nicht richtig, aber seltsam ist glaube ich auch nicht das Wahre, oder?

@ Ginny: Genau, soweit ich weiß, ist 21 Watt eine Standardnorm bei Auto-Glühbirnen.

 

"21 Watt" - Dieser Titel hat mich neugierig gemacht, und er war der Grund, warum ich diese Geschichte überhaupt gelesen habe. Leider hast Du meine Neugier aber nicht befriedigt. (Das ist eigentlich der schwerwiegenste Kritikpunkt) Denn was hat dieser Titel mit der Geschichte zu tun? Die nachträgliche Erklärung mit der Leistung einer Auto-Glühbirne befriedigt mich auch nicht. - So wichtig sind Glühbirnen für deine Story nicht. Sie funktioniert auch ganz ohne.

Es war Mitternacht durch
Schreckliche Formulierung. "Es war kurz nach Mitternacht" finde ich viel besser.

viel schneller als für gewöhnlich
Lass das "für" weg, dann passt's.

Er hörte die Druckwelle
Ne! Druckwellen hört man nicht. Sie fegen über einen hinweg, werfen einen um oder wirbeln Staub und Laub auf. Hören tut man eine Explosion oder einen Knall.

Er hörte noch immer die Dunkelheit, wie ein Surren, ohne jede Frequenz, die er jemals in seinem Leben vernommen hatte.
Nix deutsches Satz.

... Eiscreme aus einem Gefäß zu kratzen, ... damit es besser ging.
"damit es besser ging" ist überflüssig.

Überflüssig. Wenn nichts mehr kommt, wird's wohl aus sein. Der Leser ist klug genug, das Ende auch ohne ausdrücklichen Hinweis zu erkennen. Du schreibst ja auch nicht vor die erste Zeile das Wort "Anfang".

Die Geschichte hat einen guten Spannungsaufbau. Einmal angefangen, schaft man es nicht, mittendrin aufzuhören, weil man wissen will, was als nächstes kommt.
Du gibst auch die Stimmung sehr gut wieder.

Mir gefällt auch, dass Du es dem Leser überlässt, wie deine Geschichter zu deuten ist. Meine Variante:
Der Unfall ist wirklich passiert, doch zu dem Zeitpunkt, an dem Er sterben sollte, findet ein Zeitsprung statt, und Er landet wieder am Anfang der Geschichte (und ewig grüßt das Murmeltier)

Liebe Grüße
Hubert

 

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