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1941

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27.05.2008
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1941

Mit einem Zischen kam der Lastwagen zum Stehen. Auf der Ladefläche kippten alle nach vorn, die keinen Halt gefunden hatten. Ich wusste nicht, ob mich das geweckt hatte, oder ob ich schon die ganze Zeit über wach gewesen war. Mir dröhnte noch das Megaphon in den Ohren, das mir Tage zuvor in der Erzählung eines Kameraden begegnet war. Über regennasses Pflaster hinweg war dem der Name gerauscht, den sie jedem Deutschen gaben, der durch die Gasse kam: „Kornilow! Kornilow!“ Sie selbst waren unbewaffnet, doch in Sicherheit. Man hätte bei diesen Schmährufen regelrecht die Fassung verlieren können, hatte er resümiert, doch man wusste es besser, denn letztlich waren sie es ja, die Russen, welche die Last ihrer Wut auf uns Durchreisende abzuwälzen sich mühten. Es ist immerhin, so hatte er seine Rede geschlossen – und das nicht ohne Freude - die schnellste Landnahme aller Zeiten gewesen.
Der Sturmbannführer an der Ladeklappe erhob sich und wackelte mit dem Schnauzer.
„Alle Mann“ - wobei er das „Alle“ verknappte und das „Mann“ auswälzte - „Ausrücken!“ Ich wollte augenblicklich Folge leisten, wir alle wollten das, da schrie er schon: „Und das Ganze mit Tempo!“ Das Klappern unserer Ausrüstung erfüllte die Ladefläche. Jetzt ging es wohl endlich los, das Schlachten, das Morden, das Sterben. So grausam es klingt, mir blieb nichts anderes übrig, als in den vergangenen Wochen ununterbrochen an diese Dinge zu denken und sie in erträgliche Häppchen zu teilen. Ich kann nicht sagen, inwiefern mir dies bis zu diesem Zeitpunkt gelungen war, doch die Worte und die Vorstellungen dahinter waren mir zumindest vertraut geworden.
Vor mir drängte ein junger, blasser Bursche gen Ausgang und wie auf meine Befürchtung hin, er könne noch zum Problem werden, begann er irgendetwas zu stottern. Ich drängte ihn weiter in Richtung der Laderampe, ganz entgegen meiner Art und versuchte keinen weiteren Anstoß an ihm zu nehmen. Ich wünschte insgeheim, dass er betete, aber je mehr ich das zu ignorieren versuchte, desto überzeugter wurde ich, dass er Selbstgespräche führe. Anfangs war es noch ein Flüstern, so zaghaft, dass es fast wie eine Frage klang: „Ich hab vergessen, wie man das Gewehr lädt.“, sagte er und schüttelte wie für sich selbst den Kopf. „Ich habs vergessen, einfach so. Jemand muss mir erklären, wie man es lädt. Ich kann mein Gewehr nicht mehr laden, weil ich es einfach vergessen hab.“ Als wir beide, schiebend, und geschoben, uns vorne dem Sturmbannführer näherten, begann der Junge lauter vor sich hin zu quatschen. Inzwischen gereizt von dieser eigentlichen Banalität, wurde ich zusehends ungeduldiger. Das versprochene Blutbad dort draußen vor großer Kulisse, bahnte sich womöglich schon hier im Verschlag an. Ich stieß dem Bengel meine Hand in den Rücken, wobei er nach vorne stolperte und den straffen Bauch des Aufsehers streifte. Halt suchend, griff er nach dessen Gürtel und ließ nicht wieder los. Augenscheinlich vollkommen orientierungslos hob der Junge den Kopf, sah hinauf zum vor Wut feuchten Gesicht unseres Vorgesetzten und wiederholte seine Predigt:
„Ich hab vergessen wie man das Gewehr lädt. Ich kann mein Gewehr nicht mehr laden. Jemand muss mir erklären, wie man das Gewehr lädt. Andernfalls - andernfalls“, da packte der Sturmbannführer ihn am Kragen, sah, statt noch ein Wort zu verlieren, zu uns anderen hinüber, und schleuderte mit einem harten Ruck den Jungen von der Ladefläche. Das Geräusch des dumpf unten aufschlagenden Körpers verursachte mir eine Gänsehaut. Mit dem Gewehr fest in der Hand, einen Ellenbogen vorschriftsmäßig abgewinkelt, schob ich mich am Sturmbannführer vorbei und sprang in einem so weiten Satz hinterher, dass bei der Landung meine kalten Knöchel vor Schmerz aufschrien.
Das, was ich nun sah, ließ mich jeden Gedanken an den noch heulenden Jungen zu meinen Füßen vergessen. Das Land so flach und still, selbst wie nieder gestreckt vom schwachen, aber stechend kalten Wind, schien sich weit hinter dem Horizont noch etwas hinauf zu wölben, um auch die letzten Hoffnungen zu zerstreuen, bar jedem topographischen Abschluss. Das einzige Detail, das fähig war, die Einöde dieses Anblicks zu färben, war das spröde, weiße Moosgewächs unter meinen Sohlen. Kein Baum weit und breit, kein Haus, keine Rauchfahnen, kein Kanonengehämmer. Das Land war leer. Und auch wenn ich mich inzwischen nur durch willentliche Anstrengung und gewissermaßen steril daran zurück erinnern kann, dieses Panorama war in seiner stummen, selbstgefälligen Maßlosigkeit und meiner Verblüffung darüber, das letzte, unerwartete Grauen dieses, unseren Krieges. Umsonst war ich bereit zu töten und zu sterben. Diese Grenze passierte man und wusste, dass da nichts mehr kommen konnte.
„Beweg dich“, brüllte einer von oben. Ich machte einen Schritt zur Seite. Eine lose Gruppe Soldaten hatte sich um eine gehisste Flagge versammelt. Ein paar von ihnen feuerten Kugeln in die Landschaft ab. Der Knall der Schüsse breitete sich deutlich hörbar in die Tiefe der Ebene aus. Ja, man glaubte sogar hören zu können, wie die einzelnen Schallwände einander in rasendem Tempo verfolgten.
Jemand packte mich grob an der Wade. Es war der stotternde Junge. Ohne darüber im Geringsten erschrocken zu sein - denn für den Moment wusste ich einfach, was ich an dieser Welt hatte - zog ich ihn auf die Beine empor, hob sein Gewehr vom Boden auf, klopfte den Staub ab und drückte es ihm in die Hand. Ich zögerte in keinem Moment, war wie berauscht von meiner Orientierungslosigkeit.
„Komm schon“, sagte ich und führte ihn hinter mir her zu der Gruppe an der Fahne. „Komm!“ Die anderen beachteten uns gar nicht. In aller Ruhe legte ich im Stand nach der Ebene an. Der Wind war still, kein Ziel vor Augen. Nach einigem Zögern tat er es mir gleich und schaffte es, wie schon vermutet, mit wenigen Handgriffen seine Waffe zu laden.
Als wir beide in gleicher Pose verharrten, den Blick über Kimme und Korn auf die Luft vor uns gerichtet, fragte er: „Ziel?“
„Zwölf Uhr“, antwortete ich vorschriftsgemäß, „Keine Entfernung, Feuer!“
Zeitgleich lösten sich unsere Schüsse, und die Kugeln, nach einigen hundert Metern schon in den Staub peitschend, wurden bald überholt vom eigenen ohrenbetäubenden .
„Das ist unser Krieg“, rief ich meinem Nebenmann zu und mir brach vor Euphorie die Stimme, „Da ist er endlich, unser Krieg.“ Kugel um Kugel schickten wir in die Ebene und ich meinte sogar, ihn lachen zu hören.
„Ich kann mein Gewehr nicht mehr laden“, erwiderte er und feuerte weiter. Und endlich hatte ich ihn verstanden. „Oh, wenn es nur einer von uns könnte“, rief ich wie im Rausch. „Irgendwer!“ Mein Daumen hatte sich am Abzug schon unlösbar verkrampft.
Der Sturmbannführer trat heran und rief mich beim Namen. Ohne darauf zu reagieren, schoss ich weiter ins Leere. Da packte er mich an der Schulter und begann wie von Sinnen daran zu rütteln. Mein Name dröhnte mir in den Ohren, schmerzhaft laut und vorwurfsvoll, doch ich wollte lieber das Gehör verlieren, als in den letzten Tagen des Krieges als Feigling zu gelten. Wieder und wieder, solang ich Halt fand an meinem tobenden Gewehr, brüllte ich dem Sturmbannführer meine Antwort entgegen:
„Nicht hier! Nicht hier!“

 

Hej Richy,

ich habe das Gefühl, dass ich die Handlung stellenweise aus für mich verdrehten oder umständlich wirkenden Formulierungen heraus sortieren muss. Dadurch geht wohlmöglich einiges von dem verloren, was Du zeigen willst.

Z.B. im ersten Absatz:

Mir dröhnte noch das Megaphon in den Ohren, das mir Tage zuvor in der Erzählung eines Kameraden begegnet war.
Ich finde nicht leicht nachvollziehbar, dass er nicht weiß ob er (vom Bremsen) geweckt wurde oder ob er wach war. Dazu kommt die starke Betonung des Megaphons, dass aber in jedem Fall eine Erinnerung und nicht sein Erlebtes ist. Dass es dennoch dröhnt ... hmm, woher nimmt er das Geräusch?

Über regennasses Pflaster hinweg war dem der Name gerauscht, den sie jedem Deutschen gaben, der durch die Gasse kam
Auch hier wird mein Vorstellungsvermögen strapaziert, weil ich die Idee, dass ein Name übers Pflaster rauscht im Grunde wundervoll lyrisch finde, aber für diese Stelle unpassend.

Sie selbst waren unbewaffnet, doch in Sicherheit.
Nun, es herrscht Krieg. Wer ist da in Sicherheit? Ich habe den Eindruck, dass Du etwas anderes ausdrücken willst.

Man hätte bei diesen Schmährufen regelrecht die Fassung verlieren können, hatte er resümiert, doch man wusste es besser, denn letztlich waren sie es ja, die Russen, welche die Last ihrer Wut auf uns Durchreisende abzuwälzen sich mühten.
Der verschwurbelste Satz in diesem Teil. Mach es einfacher, das kannst Du.

Es ist immerhin, so hatte er seine Rede geschlossen – und das nicht ohne Freude - die schnellste Landnahme aller Zeiten gewesen.
Es wäre/sei, so hatte er seine Rede geschlossen ...

Ich hab mal versucht, es so zu schreiben, wie ich es verstehe (hoffe, Du blickst durch), vllt ist das ja auch falsch:
Mit einem Zischen (der Bremsen?) kam der Lastwagen zum Stehen. Auf der Ladefläche kippten alle, die keinen Halt gefunden hatten nach vorn. Ich (befand mich ständig in einem Zustand des Halbschlafs und) wusste nicht, was mich geweckt hatte, aber beim Aufwachen erinnerte ich mich an die Erzählung eines Kameraden: Übers regennasse Pflaster hinweg hätten sie (die Russen? Vllt doch weiter ausholen, z.B "Als er durch ein Dorf kam, hätten sie ..." ) ihn (beschimpft?) (Vllt kannst Du eine Erklärung einfließen lassen, was es mit diesem Namen auf sich hat) wie alle Deutschen: „Kornilow! Kornilow!“ Sie seien unbewaffnet gewesen und hätten trotzdem furchtlos gewirkt. Man hätte bei diesen Schmährufen regelrecht die Fassung verlieren können, doch er wusste, dass sie uns in ihrer Wut letztendlich letztlich nur provozieren wollten. Es wäre immerhin, so hatte er stolz/freudig seine Rede geschlossen die schnellste Landnahme aller Zeiten gewesen.

Ich würde Dir empfehlen, schlichter zu formulieren.

Ansonsten verstehe ich die Geschichte so, dass der Erzähler sich als Kriegshelden sehen und auch nach außen darstellen möchte, und das auch irgendwie durchlebt, aber gleichzeitig begreift wie hoffnungslos alles ist.
"Nicht hier" bedeutet, dass er nicht "hier" sterben will?

Soviel von mir,

LG
Ane

 

Hallo, Ane. Danke für deine Kritik!

In der Tat, die Formulierungen sind streckenweise sehr verquer geraten - für mich als Autor schwer zu erkennen :) Aber ich gebe mir Mühe.
Was mir am Herzen lag, war die Darstellung der enttäuschten Erwartung, selbst wenn diese nur eine wie auch immer geartete Kampfhandlung umfasst. Ich denke, wo und wann auf der Welt auch immer ein Soldat in den Krieg berufen wird, wird sein Alltag sich ab díesem Moment zu großen Teilen gedanklich um diesen Frontdienst drehen, noch lange bevor er überhaupt vor Ort ist. Jeder wache Geist wird viel investieren in diese Vorbereitung des Selbst auf das eigentlich Unfassbare - das auch den eigenen Tod nicht unbedingt ausschließt - und am Ende, wenn man endlich, endlich am Punkt der Erfüllung und Einlösung all dieser Mühen steht, und einfach nichts passiert - ich glaube, dann wird man sich trotz oder gerade wegen des ausbleibenden Leids betrogen fühlen.

Das "Nicht hier" am Ende bezieht sich auf den Sturmbannführer, der immer wieder den Namen des Soldaten ruft. SInngemäß: "Der ist nicht hier"

 

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