18 Gerberas
Wieder dieses endlos nervtötende Dröhnen, das Dröhnen der Klingeln. Der Unterricht war vorbei und wieder musste ich in die Pause. Jeden Tag das Gleiche und es hörte nie auf. Ich ließ meine Sachen im Raum. Das machte ich immer so, wenn wir danach im selben Raum Unterricht haben, da SIE mir sonst das Geld wieder abnehmen würden, das ich mir so hart in dem Blumenladen meiner Mutter verdiente. Genau SIE. Jede Pause kamen SIE, schlugen mich, traten mich, drückten Zigaretten auf meiner Haut aus. Und das alles, nicht weil sie mich hassten oder ich ihnen etwas angetan hätte, sondern aus Langeweile. Einfach, weil sie sonst nichts zu tun hatten. . Einer von IHNEN kam regelmäßig in den Laden. Warum weiß ich nicht, aber er kam wöchentlich und kaufte Blumen bei mir. Oftmals holte er rosa Gerberas, meine Lieblingsblume. Obwohl er einer von IHNEN war, war er immer nett zu mir. Er hielt sich im Hintergrund und mischte sich nie ein. Außer manchmal, da besänftigte er SIE, dann lächelte er mich an und half mir auf. Also ging ich resigniert hinaus und wartete. Ich wartete ängstlich darauf, dass SIE kommen würden. Und sie kamen, wie jedes Mal, am selben Ort, zur selben Zeit. Es war schon fast ironisch, wie eine tägliche Verabredung die wir hatten. SIE kamen immer nach fünf Minuten. Minuten in denen ich mein Brot essen konnte. Dann kamen SIE, so pünktlich wie sonst auch. Er war auch dabei wie immer und wie immer passierte das Gleiche. Einer von IHNEN kam und zerrte mich an meinen Haaren weg. Weg von anderen, die das Geschehen hätten sehen können. ER schlug mich mit seinen abgewetzten und rauen Fäusten und DIE ANDEREN lachten nur. ER zog ein letztes Mal an seiner Zigarette, dann hauchte ER mir den ekelhaften Rauch in mein Gesicht um schließlich die Zigarette an meinem Hals auszudrücken. Als ich seine Hand wegschlug, rastete ER aus. ER begann mich zu würgen. „HALT!“, schrie jemand aus dem Hintergrund. „Du gehst zu weit! Hör damit auf!“. Wütend drehte sich der Typ, der mir das antat, um und meinte, es sei seine Sache, immerhin schlug ich ihn ja. ER behauptete, es sei meine Schuld und der Andere solle sich raushalten. Doch diesmal war es der Andere der zuschlug. Aber er traf nicht mein Gesicht, sondern das des wütenden Typens. Plötzlich war die Stimmung eine ganz andere. Wie er dalag, im Dreck. Sein Gesicht sah leer aus, als hätte er ihm die Wut mit diesem Schlag vertrieben. Ruhig starrte er in den Himmel. Langsam stand er auf und ging zu den anderen, die Augen und Münder vor Überraschung weit aufgerissen hatten. Nachdem sie fort wahren, kam der Andere zu mir. Es war der Junge aus dem Laden. Der Junge, der immer diese wunderschönen Blumen kaufte. Er setzte sich neben mich. „Für wen holst du immer die Blumen?“ „Für meine Mutter.“, antwortete er. „ Sie mag Gerberas ziemlich gerne, oder?“ „Ja die Rosanen. Es sind ihre Lieblingsblumen.“ „Meine auch, es sind auch meine Lieblingsblumen“, sagte ich. Er lächelte. Er stand auf und half mir hoch. Dann flüsterte er bloß noch die Worte „Es tut mir leid“, bevor er sich schließlich umdrehte und hinfort ging.
Ich war geschafft. Zu Hause legte ich mich hin. Doch schon nach ein paar Minuten wurde ich gestört und wachte auf. Es klingelte. Ich ging zur Tür und machte auf, doch niemand war da. Als ich meinen Blick nach unten richtete, sah ich einen Strauß Blumen, genau 18 rosa Gerberas und bei ihnen eine Karte.
„Für jeden Monat in welchem ich dir nicht geholfen habe und nicht für dich da war.
Es tut mir leid!“