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17.10.2002

Seniors
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25.06.2001
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Zuletzt bearbeitet:

17.10.2002

17.10.2002


Glasklar ist der heutige Himmel, und das Panorama, welches sich uns darbietet, wäre fast spektakulär, hätten wir nicht schon so viele Bilder vom Grand Canyon, dem Mount Everest, und so weiter gesehen.
„Und?“ ruft Alexi vom Auto herüber.
„Toll“, rufe ich zurück, ohne mich umzudrehen.

Ich höre, wie die beiden durch den Kiesel zu mir herstapfen. Ein wenig kalt ist es schon, also schließe ich meinen Anorak. Als sie neben mir stehen, blicken wir eine Weile still in das Tal hinunter.
„Sag mal“, meint Jonas auf einmal. „Was ist das für ein grauer Rand um den See dort.“
Ich blicke durch mein Kameraobjektiv und zoome den See näher heran. In der Tat ist er von einem grauen, unbewachsen Rand umgeben.
„Ich glaube das ist die Wasserlinie, wenn der Staudamm ganz geschlossen ist“, sage ich.
„Hmmmm ...“ Jonas hat eine Zigarette zwischen den Lippen, die er sich anzündet.
Wieder blicken wir eine Weile still ins Tal. Ich versuche den Damm zu finden, aber man kann ihn anscheinend von hier nicht sehen. Schließlich stapft Alexi zurück zum Auto.
„Was ist los?“ frage ich.
„Kalt ...“, meint sie.
Jonas scheint es ebenfalls zu frieren, denn er macht einen verkrampften Gesichtsausdruck und seine Schultern sind die ganze Zeit schon gezückt. Nach ein paar Zügen wirft er die Zigarette weg.
„Gehma!“
„Ja, einen Moment noch“, sage ich.

Während Jonas zum Auto geht, setze ich noch einmal die Kamera an, zoome den See ganz nahe heran und schieße ein Foto davon. Ich überlege mir noch, ob ich nicht eine Aufnahme von dem ganzen Tal nehmen sollte, entscheide mich aber dagegen.
Ich gehe zurück zum Wagen, in dem die beiden schon auf mich warten, und setze mich vor das Steuer.
„Wo gehen wir jetzt hin?“ fragt Jonas.
„Fahren wir höher!“ meint Alexi.
„Ja“, sage ich. „Fahren wir weiter hoch. Höher ist immer besser.“

 

Hallo,
nicht besonders lang, trotzdem gut - du beschreibst eine einfache Situation, wie sie in etwa jeder einmal durchlebt. Doch in der Geschichte lässt sich noch mehr Tiefe finden, der Staudamm, der das Panorama ändern wird. Es ist also die alltägliche Situation der Veränderung des Seins und der Umgebung.
Hier noch zwei Anmerkungen:

welches sich uns darbietet
Kommata davor und dahinter
nicht von hier sehen
von hier nicht sehen

Fazit: Ich muss sagen, es hat mir doch ganz gut gefallen.
Gruß
Arthuriel

 

Hallo I3en,

deine Geschichte hinterlässt drei Fragezeichen in meinem Kopf. Die Dialoge sind schön realistisch, das hat mir gefallen, aber es fehlt die Antwort auf die Frage: Was ist mit dem grauen Rand?

Die Antwort mit der Wasserlinie befriedigt mich nicht. Wenn sowas erwähnt wird, wenn sich einer der Protagonisten fragt, was dahinter steckt, dann frag ich mich das als Leser natürlich auch. Und wenn sich die Sache als banal erweist, dann bin ich enttäuscht - ein Gefühl, was man seinen Lesern ersparen sollte. Die Deutungen von Arthuriel und dem Illusionisten sind m.E. Überinterpretationen, sorry.

Grüße,
Stefan

 

Interpretation ist ein schwieriges Feld, ich definiere es so, dass eine Interpretation das ist, was ein Kunstwerk, in diesem Falle ein Text, auslöst, d.h. wie es wirkt. Daher kann es keine Überinterpretation geben, jede Interpretation ist gültig, solange sie nichts erfundenes beinhaltet und sich mit dem Text begründen lässt.

 

hallo 13en
der moment, den die drei erleben war 40 jahre vor dem 17.10.2002 eine ungewisse zukunft, die nicht hätte sein können.
wenn ich daran denke, dass die welt am rande eines atomkrieges stand, erfahre ich deine geschichte in ihrer einfachheit als ein geschenk. die andere mögliche zukunft, die der menscheit am 17.10.62 offenbahrt wurde, war schrecklich und die zeit des kalten krieges hat mich als jugendliche stark beinflußt. wir zogen mit dem motto frieden schaffen ohne waffen auf die straßen. als dann die sowjetunion und die usa keine feindbilder mehr waren, atmete ich auf. und heute...
danke, dass du mit deiner geschichte mich an etwas erinnert hast, was einmal nicht so selbstverständlich war.
goldene dame

 
Zuletzt bearbeitet:

O mein Gott!

Ich weiss gar nicht recht, was sagen. Seit ihr denn alle so kurzsichtig? Ich sehe so viel mehr in dieser Geschichte, sehe so viel Charakter, so viel Menschsein in diesen drei Personen. O, ich wünschte, ich wäre dort gewesen. Alles in dieser kurzen Situation erscheint mir so perfekt, so idyllisch. Jedes Bild, das mir durch den Kopf schiesst, beim lesen dieser Zeilen, ist wie ein Bild vor meinen wahren Augen. Nichts fehlt. Es ist fast so, als wäre ich tatsächlich dort gewesen und es tut irgendwie weh, zu wissen, dass es gar nicht so ist.

Meiner Meinung nach, die beste Kurzgeschichte auf KG.de! Ich verbeuge mich, I3en!

 

Vielleicht bin ich ja kurzsichtig :dozey:, aber für die beste Kurzgeschichte hier halte ichs nicht (hast du überhaupt alle gelesen oder wie kommst du darauf?).
Trotzdem hats mir gefallen, ich finde, dass der Text viel Atmosphäre hat. Und, ehrlich gesagt, hatte ich mir das genauso gedacht wie der Illusionist ;)
Liebe Grüße

 

Hallo Leute!

Danke für die vielen Kritiken.


@Arthuriel, Illusionist und coco

Finde eure Interpretationen sehr schön. Beim Schreiben sind mir ähnliche Dinge durch den Kopf gegangen. Zum einen wollte ich, unter anderem, ein ambivalentes Verhältnis zur sich verändernden Landschaft zeigen, welches ich von mir selbst kenne, andererseits wollte ich eine Parallele den "Problemlösungen" der drei Freunde und des Staudamms zeigen, die ja alle auch wieder neue Probleme mit sich bringen.

Als Reaktion, zur Lösung der Probleme fahren sie höher, in der naiven Überzeugung, damit die Hindernisse zu überwinden. Doch Kälte und Damm bleiben...

Genau! Schön, dass du das gesehen hast. :)


@leixoletti

Hallo I3en,

deine Geschichte hinterlässt drei Fragezeichen in meinem Kopf. Die Dialoge sind schön realistisch, das hat mir gefallen, aber es fehlt die Antwort auf die Frage: Was ist mit dem grauen Rand?

Die Antwort mit der Wasserlinie befriedigt mich nicht. Wenn sowas erwähnt wird, wenn sich einer der Protagonisten fragt, was dahinter steckt, dann frag ich mich das als Leser natürlich auch. Und wenn sich die Sache als banal erweist, dann bin ich enttäuscht - ein Gefühl, was man seinen Lesern ersparen sollte.


Du hast recht, die Antwort mit dem Staudamm ist ziemlich enttäuschend, aber genau das ist ja in gewisser Weise auch Thema der Geschichte, oder nicht? Wir haben unsere Landschaft banalisiert, obwohl wir uns doch noch nach schöner, unberührter Natur sehnen.


@Goldene Dame

Finde ich schön, dass dir der Text soviel gegeben hat. Ich verwende gerne Daten als Titel, da sie für mich das alltägliche, und das szenische unterschreiben, und einen gesellschaftlichen/zeitgeschichtlichen Kontext erlauben - und genau den hast du erstellt. Danke für den Kommentar!


@Clyan

Wow! Danke für das Lob. Da verschlägt's mir ja fast die Sprache. Finde ich jedenfalls super, dass dir der Text so gefallen hat. Sowas macht das Schreiben eben immer wieder wertvoll.


Gruss,

I3en

 

Mehr als fünf Minuten hast du dafür aber nicht gebraucht, oder? Als Momentaufnahme sehr schön, mehr als das ist es allerdings auch nicht.

Gelesen. In einer Woche vergessen. Immerhin erst in einer Woche!

Gegönnt sei dir natürlich die Lobeshymne, dass es "die beste KG ist, die hier jemals erschienen ist!" Wir beide wissen, dass es da weitaus bessere gibt. ;)

Augenzwinkernde Grüße,

Ponch

PS: Sehr schön fand ich den letzten Absatz. Da hatte ich ein Bild vorm geistigen Auge: In den Wagen steigen, kurz innehalten, überlegen, und dann sagen:

„Fahren wir weiter hoch. Höher ist immer besser.“
Trostlos, gleichzeitig gibt es Hoffnung. Wie gesagt, toll eingefangener Moment. Als Episode eines längeren Projekts wünschenswert! Mach was draus, Alter!

 

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