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- 24.04.2003
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14:30 Uhr
Wie in einem schwergepolsterten Sessel aus Großvaters Zeiten versank er, gedanklich zumindest, in dem buntbedruckten Kunststoff des engen Platzes.
Nichts und niemand konnte ihm jetzt noch seinen Anspruch auf die wohlverdiente Gemütlichkeit nehmen.
Erst recht nicht eine lapidare Straßenbahn-Sitzgelegenheit. Dazu hätte es mehr gebraucht.
Weitaus mehr.
Phil war durch und durch mit sich zufrieden. Die monatelangen Vorbereitungen, all der Schweiss der seine Stirn, gerade in den letzten Wochen, beinahe unaufhörlich mit einem dünnen Film überzogen hatte; und vor allem das Zittern.
Nichts davon war umsonst gewesen.
Unter einem Aufheulen der alten Motoren setzte sich der Waggon langsam in Bewegung. Er hatte sich eine leere Viererbank ausgesucht und sein Blick starrte erwartungsvoll entgegen der Fahrtrichtung.
"Nächster Halt - Shadowarkaden.", verkündete eine sterile Frauenstimme durch die unsichtbaren Lautsprecher.
Eine fast völlig gerade Strecke, ohne Abzweigungen und Kurven, die sein Sichtfeld beeinträchtigen konnten.
Perfekt eben, wie alles was er organisierte.
Aus seiner linken Jackentasche förderte Phil den Mini-Disc Spieler hervor, auch dieser war Teil des Planes, wenngleich auch eher aus sekundärer, melodramatischer Sicht.
'Eine kleine Nachtmusik' stellte für ihn das fehlende Glied zwischen Erflogsgefühl und Chaos dar.
Ganz genau die richtige Medizin zur Beruhigung seiner flatternden Nerven.
Die Hydrauliktür hinter ihm zischte, während er sich die Kopfhörer überzog.
Dann sprach eine Stimme zu ihm, als sein Daumen über der Playtaste des Gerätes zur Leichenstarre verkrampfte.
"So weit geht unser Kundenservice.", lachte ihm die junge Blondine entgegen.
Als wären die inneren Organe auf Achterbahnfahrt, bei der die Rippen die Schienen darstellen. Anders ließ sich die spontane Kirmes in seiner Magengegend nicht in Worte fassen ; und plötzlich war sie wieder da, die dünne Schweissschicht, diesesmal allerdings am ganzen Körper.
Vollkommen unbeschwert ließ sich die circa zwanzigjährige Frau auf den Doppelsitz vor ihm fallen und grinste ihn an.
Das konnte nicht; durfte schlichtweg nicht sein!
Wie konnte diese Person ihm soetwas schreckliches antun? Naivität in reinster Form vielleicht.
Die Notbremse fiel ihm ins Auge, vermutlich schon zu spät.
Dann sprach sie weiter, unbekümmert und freundlich.
"Gut, dass ich auch gerade Feierabend hatte. Musste ganz schön rennen um sie einzuholen."
Es WAR definitiv zu spät zum Anhalten. In einer Mischung aus unglaublichem Entsetzen und einer morbiden Art von Faszination starrte er auf das ' Ding ' in ihren Händen.
"Sie haben ihren Koffer unter dem Tresen vergessen.", lächelte sie noch einmal kurz in Phils Richtung.
Das letzte was er hörte, war der piepsende Alarmton seiner Armbanduhr.
Genau 14:30 Uhr.