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Messenhausergasse 13
„Cesar 1“
„Cesar 1“
„Cesar 1, fahren sie in die Messenhausergasse 13, 2. Stock, Tür 6. Unfall in Wohnung befürchtet.“
„Verstanden.“
Mein Blick fällt durch die tropfnasse Seitenscheibe auf die trostlosen, verregneten Straßen. Ich fahre heute mit Saskia am Wagen, auf der Landstraßer Hauptstraße hängt überall die Weihnachtsbeleuchtung, obwohl noch nicht mal Dezember ist. Und dauernd dudelt der neue Nummer eins Hit „Without you“ von Mariah Carey im Radio. Wir biegen rechts in die Messenhausergasse ein. Gleich am Eck ist 13. Meine Glückszahl, das spür ich. Es ist noch nicht ganz 20 Uhr, Samstag. Erstaunt nehme ich zur Kenntnis, dass das Beisl im unteren Teil des Hauses, ansonsten immer ziemlich voll, schlecht besucht ist. Offensichtlich will heute keiner so richtig ausgehen, das Wetter schlägt nicht nur mir aufs Gemüt.
Saskia quält sich hinter mir über die engen Wendelstufen in den 2. Stock hinauf, wo bereits die sperrangelweite Wohnungstüre auf uns wartet. Eine alte Frau lehnt an der Bassena und kräht mir entgegen, dass ihr das schon seltsam vorkomme, schließlich ist die Tür schon seit den frühen Morgenstunden offen und auf Rufen reagiert niemand.
Ah, na dann hast ja rechtzeitig angerufen, denke ich. Hinter ihr kläfft so ein Rehrattler. Als ich sie frage, ob sie vielleicht schon in der Wohnung nachgesehen habe, ob alles in Ordnung ist, sieht sie mich betont unschuldig an und sagt: „Ah, wos glauben’s denn. I geh do in ka fremde Wohnung nei.“
Na, garantiert net, denke ich.
Endlich kommt Saskia an und blickt sorgenvoll auf die offene Wohnungstür.
Mit ihrem niedlichen Kärntner Dialekt fragt sie mich: „Und? Schau ma eini?“
Ich zucke nur mit den Achseln, schließlich wird uns leider nichts anderes übrig bleiben. Saskia befragt noch die Alte und erkundigt sich nach den Bewohnern der Wohnung. „Ja mei, so eine Junge ausn Ostblock, die Monna kumman und gengan, wissen‘s eh.“
„Nein, nit so wirkli“, sagt Saskia und ich erkenne an ihrer Stimmlage, dass sie verärgert ist, während ich in mich reinschmunzeln muss.
„Name?“
„Den Namen woaß i do net, heutzutage stellt sich ja keiner mehr vor, gell.“
„I manat ihren.“
„A so. Ja wofür braucht’s den? I hob jo gor nix g’sehn. Oba bitte, Brunner ist mein Name. Annemarie Brunner.“
Nachdem keine vernünftige Auskunft mehr zu holen ist, und Saskia sämtliche Eckdaten notiert hat, folgt sie mir durch die Doppelflügeltür in die Wohnung. Als unsere liebe Frau Brunner Anstalten macht, hinter ihr in die Wohnung schlüpfen zu wollen, knallt sie ihr die Türe vor der Nase zu. Wir stehen im Flur und rufen mal so in den Rest der Wohnung hinein, doch es rührt sich nichts, bis auf die Stimmen aus dem Fernseher. Den ganzen Tag über habe ich schon ein unruhiges Gefühl in der Magengegend, und als ich vom Vorzimmer ins Wohnzimmer schiele, ahne ich bereits, nein, ich weiß, was mich hier erwartet. Ich zieh mir meine Lieblingshandschuhe an. Weiches Rauleder, mittlerweile an bestimmten Stellen schon glatt und früher mal grau, jetzt eher schwarz. Saskia mag es hygienischer und stülpt sich ihre Einweg-Schlüpfer über die Hände. Vom Vorzimmer, das eigentlich auch gleichzeitig Küche ist, kann man bereits in das Wohnzimmer sehen und ich erkenne, dass ein Fauteuil umgekippt mitten im Raum liegt. Saskia und ich sehen uns an und eine unsichtbare Kraft namens Pflicht, schiebt uns näher ins Wohnzimmer. Im Fernsehen laufen gerade die Nachrichten, und als ich auf den Perserteppich trete, merke ich, dass dieser mit einer Flüssigkeit getränkt ist, denn es fühlt sich so an, als würde man in nasses, matschiges Gras treten. Es ist allerdings Blut und nicht etwa Regenwasser. Auf dem umgekippten Fauteuil sitzt noch eine Frau. Nur eben mit dem Rücken dem Boden zugewandt und die Beine ragen in die Luft. Ansonsten stehen noch ein Sofa an der Wand und ein Couchtisch davor. Neben dem Couchtisch liegt eine weitere Leiche bäuchlings auf dem Boden.
„Oj“, entwischt es mir. „Des schaut net guat aus. Ruf ma den Krankenwagen, a, wenn a nimmer viel bringt.“
Saskia nimmt das Funkgerät und teilt der Leitstelle mit, was Sache ist.
„Schaut ja grauslich aus, so als ob‘s ihr mitten ins
G‘ sicht g’ schossen hättn“, meint meine Kollegin. Ich gehe näher ran, um mir die Leiche besser ansehen zu können.
„Jo, aber i glaub des ist eher a Stich g‘ wesen.“
Weil Saskia mich fragend anschaut, deute ich vorsichtig auf das riesige Sushimesser, das gleich rechts neben der Frau auf dem versauten Perser liegt. Auf dem Tisch stehen sechs Gläser und eine leere Flasche Whiskey. Eine angefangene Flasche „Southern Comfort“ steht ebenfalls noch auf dem Tisch.
„Und? Trink ma an“, frag ich.
„Bist g’ scheit.“
„War nur ein Scherz.“ Mei, ist die heute empfindlich. Typisch Kärntner, immun gegen den Wiener Schmäh. Ich zucke wieder nur mit den Achseln und sehe zu der Glotze. Der Musikantenstadl wird angekündigt.
Na, jö. Gloria in der Höhe!
Während der kleine, blade Blonde im Fernseher angestrengt grinst, macht meine brave Saskia eine Meldeauskunft. Ich wende mich der toten Frau zu. Sie ist blond oder besser gesagt war einmal blond, jetzt haben ihre Haare eher die Farbe blutig-braun-verkrustet. Beim BIPA findet man so eine Tönung nicht. Sie war auch mal schön, leider kann man das aufgrund der zahlreichen Stichverletzungen nicht mehr so gut erkennen. Der Minirock ist so weit verrutscht, dass man ihr rotes Spitzenhöschen sehen kann.
Na, was tät die Frau Brunner zu der Aufmachung sagen, geht es mir durch den Kopf.
„Hm, vielleicht eine Streiterei nach einer Feier?“, sagte Saskia.
„Vielleicht eine Tat der Ostblock – Mafia“, sagte ich und muss unweigerlich grinsen, als ich Saskias Gesicht sehe.
„Wieso Ostblock?“
„Na, hat doch die alte Brunner g’ meint.“
„Ah so, geh, verschon mi mit der.“
Gut, also keine Scherzerl mehr.
Endlich klopft es an der Wohnungstüre, die Rettungsmannschaft steht vor der Tür und begehrt Einlass. Der Notarzt betritt mit den Sanis den Tatort und man merkt, dass er in seinem Leben schon genug Tote gesehen hat, denn er schaut nicht sonderlich interessiert aus der Wäsche. „Tot“, sagt er zur Frau.
„Jo, i glaub, des hats a scho mitgekriegt“.
Er wirft mir einen bösen Seitenblick zu, aber, ich hab es mir einfach nicht verkneifen können. Dann wendet er sich dem Mann zu und dreht ihn auf den Rücken. Das Messer im Rücken tangiert ihn dabei nur peripher.
„Jo, der auch.“ Gleich wie er es sagt, schaut er warnend zu mir rüber. Gut, ich sag eh nix mehr. Nachdem er alle Formulare ausgefüllt und Saskia übergeben hat, mir hätt er nichts mehr gegeben, nicht einmal die Hand, verlässt er die Wohnung so schnell, wie er gekommen war. Die Sanitäter schauen noch kurz, ganz besonders die Blonde hat es ihnen angetan und dann machen sie Anstalten den Ort des Schreckens ebenfalls wieder zu verlassen. Beim Hinausgehen bleibt einer von ihnen bei mir stehen, um die Daten aufzunehmen, die er für seinen Bericht brauchen wird.
„Wissen wir schon was über die Identität der Toten?“ Ich sehe Saskia an: „Haben wir schon eine Ahnung, wer die zwei sind, Saskia?“
Sie schüttelt den Kopf und ist etwas weiß um die Nase. „Ich rufe dich an, wenn ich mehr weiß“, sage ich zu dem Sanitäter.
„Ok, aber deine Dienstnummer brauch ich noch.“
„1283.“
Jetzt, wo der Mann sowieso schon am Rücken liegt, kann ich ihn mir ja auch gleich einmal näher ansehen.
Ich sehe in seine toten Augen und ein Schauder kriecht mir den Rücken hinunter.
„Saski, schau mal. Den kenn ma doch. Des ist doch der vom Bahnhof? Komisch. Was macht der da in der Wohnung, der ist doch a Sandler. Wie heißt der nochmal?“
„Hmmm. Jo, kinnt sei. Da Huaba?“
Richtig! Der alte Huber. Ich komme aus dem Wundern nicht heraus. Der Huber ist immer am Bahnhof Wien Mitte. Weil er nicht weiß, wo er sonst hin soll. Also er und sein Sohn. Der Sohn ist schon nicht mehr der Jüngste und der Huber Senior jenseits der siebzig. Jeder von uns kennt ihn. Ruhig ist er. Also gewesen. Jetzt zwangsweise auch …
Ich weiß, dass er immer seinen Personalausweis in der rechten Jackentasche seines grauen Sakkos hat. Also schau ich nach und werde fündig.
In dem Moment trifft die Hautevolee der Journalisten ein und verlangt Auskunft, Fotos und am besten wäre es, wenn sie den Tatort auch gleich besichtigen könnten. Die Bürger haben ein Recht auf Information, keine Frage. Natürlich spricht sich so ein Mord immer schnell herum, der Funk reicht eben weit. Aber nicht mit Saskia und mir. Sie versucht verzweifelt die Meute davon abzuhalten, den Tatort zu betreten. Und ich steh ihr tatkräftig zur Seite, indem ich die linke Flügeltür allein durch meine physische Anwesenheit blockiere. Sie funkeln uns böse an aber diesmal schaffen wir beide ein kurzes Schulterzucken. Nicht eine Sekunde zu spät trifft Chefinspektor Kuzmaneck von der Mordgruppe mit seinen Leuten ein.
„Allmächd!“
Mehr bringt er so schnell nicht heraus. Als er endlich alle Unbefugten verscheucht hat, wendet er sich mir zu.
„Ah Wahnsinn, de san schneller als wir. Und? Wos wiss ma?“
„Du, no net vü. Aber ich weiß etwas, was du nicht weißt.“
Er legt den Kopf schief und schaut mich nur an. Irgendwie komm ich heute mit meinen Schmäh net durch.
„Kumm, gemma in de Kuchl. Loss ma de Kollegen vom Tatort de Orbeit machen.“ Ein Typ mit Krankenkassa-Brillengestell und Zahnspange von der Spurensicherung baut sich hinter ihm auf und nickt nach jedem Satz vom Kuzmaneck inständig.
„Jo, was soll ich sagen, der Arzt hat den Huaba schon leicht ortsverändert. Aber wirklich nur leicht. Also, von Bauch in Rückenlage.“
„Wer ist da Huaba?“
„Der Huaba ist a Unterstandsloser vom Bahnhof. Ka Ahnung, wie der da herkommt.“
„Und wer ist sie?“
Das Stichwort ruft Saskia auf den Plan.
„Laut Meldeauskunft wohnt eine gewisse Nadja Sokolow da. Also, vielleicht is sie es. Unter Umständen aber a nit. Wirklich kennen tu ma nur den Huaba. Also, kannten …“
„Ha, also wirklich Ostblock“, entfährt es mir, als ich mitbekomme, dass die Wohnungsinhaberin eine Russin ist.
Weil mich der Kuzmaneck nur verständnislos anschaut, sag ich: „Gut, uns brauchts ja nimmer. I fahr mal am Bahnhof und schau ob i sein Buam find. I man, der wird scho wissen wolln, was mit sein Vater is.“
„Wos, den kennst a?“
„Die haben a alte Bahnhofstradition.“
„Melds euch, wenns was erfahrts.“
„Passt.“ Wir drehen am Absatz um und schreiten durch die Doppelflügeltür. Als wir beim Treppenabsatz ankommen, öffnet die alte Frau Brunner ihre Türe und steckt den Kopf raus. „Sagen’s, was ist denn passiert? Heute früh, wie sie vorbei g’schaut haben, war doch noch alles in Ordnung, oder?“
Verständnislos schau ich die Alte an. Vorbei g’schaut? Ich? Daran würde ich mich aber schon erinnern. Da kommt noch mal der Kuzmaneck aus der Wohnung.
„Geh, deine Dienstnummer.“
„Klar“, sag ich, „1283.“
In dem Moment freut sich die alte Brunner, weil mit strahlenden Augen geht sie auf den Kuzmaneck zu und raunt ihm geheimnisvoll zu: „Ois die Dame heut in der Früh da war, war no alles in Ordnung.“ Dabei deutet sie mit ihren knochigem Finger auf mich und sie dürfte ziemlich Mundgeruch haben, weil der Kuzmaneck die Nasenlöcher bis zur Nasenwurzel zieht.
„Ich war heute nicht da, Frau Brunner. Da irren sie sich, vielleicht haben’s den Tag verwechselt.“ Ich sag es ziemlich laut, obwohl die Alte sicher alles andere als schwerhörig ist.
„Aber i hob sie doch genau gesehn!“
Anklagend trifft mich ihr Blick, der von Kuzmaneck und von Saskia eher fragend.
Ja, ist die komplett deppert, denk ich mir und will es auch gerade sagen aber da meint die Brunner, Gott sei Dank zur Saskia: „Oder warn sie des?“ Irgendwie atmen wir alle drei auf, der Kuzmaneck, die Saskia und ich.
„Komm, schau ma, dass ma wegkommen.“ Unschlüssig schaut uns die Brunner nach. Noch im Stieghaus hör ich, wie ihr der Kuzmaneck jetzt genauer auf den Zahn fühlt.
„Wie hat die Frau den ausgeschaut, die sie gesehen haben?“
Er schreit nach der Schreibe.
Wir beeilen uns zum Funkwagen und Saskia manövriert uns sicher zum Bahnhof. Das Wetter wird noch trostloser, falls das überhaupt noch möglich ist und Saskia parkt den Wagen ein. Bevor wir aussteigen, sieht sie mich an. Sie sieht nicht gut aus, irgendwie so als wäre ihr schlecht.
„Ist dir nicht gut?“
Sie schluckt und als sie zu reden anfängt, klingt es kratzig, wie eingerostet.
„I weiß, des klingt jetzt bled, ober i hob scho a bissale a Angst, wenn wir den jungen Huaba de Nachricht von seinem Vater überbringen miassn.“
Ich weiß, was sie meint, im Gegensatz zum Huber Senior ist der Junior nicht ganz so ruhig … und meistens fett wie die russische Erde. Apropos, da fällt mir wieder der Ostblock ein und ich muss grinsen.
„Was ist daran luschtig?“, keift mich die Saskia gleich an.
„Nix. I hab net über di g‘ lacht. Mir is nur grad was eing‘ fallen.“
Saskia schüttelt den Kopf und begibt sich in das Bahnhofsinnere. Grauslich schaut’s da aus. Noch schlimmer als draußen das Novemberwetter. Asbest und loses Kabel Treffen. Aber warm ist es und so stoßen wir nicht nur auf den Haufen Obdachlose, sondern auch gleich auf den Sechshunderter. Das ist der Kollege, der schaut, dass am Bahnhof alles glatt läuft. Wir begrüßen uns und ich erkundige mich, ob der Kollege weiß, wo der Huber Junior ist.
„Der liegt hinten beim Busbahnhof auf an Bankerl.“
Ja, da liegt er tatsächlich. Der leere Doppler schön unter dem kleinen Stahlbankerl platziert, verströmt der junge Huber einen leicht säuerlichen, abgestandenen Geruch.
„Du Huaba, wach auf.“
Der Huber öffnet ein Auge, nur ganz wenig und als er unser ansichtig wird, meint er: „Schleichts eich.“
Saskia kann ich ansehen, dass sie nichts lieber täte, als das und ich für meinen Teil würd ihr gerne folgen. Aber es hilft alles nichts. Wir müssen bleiben, also fackle ich nicht lange: „Dein Vater ist tot.“
Saskia schaut mich erschrocken an. Ich zucke mit den Schultern, ein Pflaster muss man auch schnell abziehen, oder?
„Wos?“ Der Huber setzt sich auf und der Kurier rutscht ihm von dem Schoß. Dann steht er auf und baut sich in voller Größe vor mir auf. Gut, man muss sagen, dass er jetzt nicht viel größer ist, als ich es bin und ich bin schon nicht gerade von hochgewachsener Gestalt.
„Wos host g’ sagt? Bist deppert, oda wos is mit dir?“
Naja, die Idee mit dem Pflaster war offensichtlich doch nicht so gut.
„Schau Franz. Dein Papa, ja wie soll ich sagen …“
„Dein Vater wurde heute ermordet aufgefunden. Bei einer Frau in der Wohnung war er. In der Messenhausergasse.“
Verblüfft schau ich jetzt Saskia an. Wer hätte gedacht, dass sie den Mumm aufbringt, die Sache so schnell auf den Punkt zu bringen.
Aber der Franz scheint nur Bahnhof zu verstehen, denn er schaut uns weiter verständnislos an. Ich scharre mit meinen schwarzen Einsatzschuhen am dreckigen Bahnhofsboden, weil mir jetzt eigentlich nicht mehr viel einfällt.
Ist auch nicht notwendig, weil, Saskia redet gleich weiter: „Weißt zufällig, war er dort wolln hat? Ah junge Frau wars. Wann hast ihn denn zuletzt g’ sehn?“
Saskia beschäftigt den Huber Junior mit Fragen.
„Jo, i was net“, sagt er und lässt sich wieder auf die Stahlbank plumpsen.
„Hot eam die Oida leicht hamdraht?“
„Nein, des glaub i eher net. Die ist nämlich auch nimmer ganz unter den Lebenden.“
Der Franz schaut uns aus seinen blutunterlaufenen Augen an.
„Schleichts eich“, schreit er.
So hat das wirklich keinen Sinn und so rücken wir ein und schreiben unseren Bericht. Weil mir die Sache aber keine Ruhe lassen will und ich das Gefühl hab, dass der Junior doch irgendwas wissen muss, mache ich mich in der Früh noch mal auf den Weg zum Bahnhof. In Zivil, da redet es sich vielleicht besser.
Ich finde den Franz leicht, weil er noch immer auf der Stahlbank beim Busbahnhof sitzt.
„Servas, Huaba.“
„Servas.“ Na bitte, besser wie schleich dich.
„Und? Hast nach‘ dacht? Is da was eingefallen?“
„Da brauch i net nachdenkn. I hob eam glei g’ sagt, dass des a blede Idee is. Und eifersüchtig wor i a.“
„Wieso?“
„Wir sitzen so beinander. Da kummt a Frau. A Dame, fast. Schee, jung. Und brot mein oidn Voter an. I denk, de muass deppat sei. Wos wü de mit dem Oidn? Oba sie lodt eam ei. Zu ihr nach Hause. Gredt hots komisch. Mit so an Akzent. No oba der Oide ist mitgangan mit ihr, eh kloar. Weu a woames Bett und was zum tschechern, da kann er net na sog’n. I warad a gern mitgangen. Aber mi hats net eiglodt.“
Mir kommt das auch seltsam vor, was mir der junge Huber erzählt. Was will eine hübsche, junge Russin von einem alten Obdachlosen? Ich ruf den Kuzmaneck an. Der kommt sowieso nicht zum Schlafen, solange er nicht weiß, wer die Misere angerichtet hat. Und während ich auf ihn warte, gehe ich in den Bahnhofsshop und kaufe dem Huber noch eine Wurstsemmel und ein Bier dazu. Und weil ich mittlerweile freihabe, mir auch gleich. Dann quetsch ich mich zu ihm auf das Stahlbankerl. Der Sechshunderter kommt vorbei und schaut uns komisch an, als der Kuzmaneck kommt und sich auch noch dazu setzt, schüttelt er den Kopf und dreht weiter seine Runde.
„Also, Huaba. Wie wor des jetzt genau“, fragt der Kuzmaneck. Der Huber braucht erst mal einen Schluck Bier. Gut, zwei oder drei Schluck. Aber, dann erzählt er weiter. Der Kontakt mit der Frau fing schon vor ungefähr vier Wochen an. Immer wieder ist sein Vater zu ihr nach Hause gegangen.
„Aber die wollte doch sicher was von deinem Vater, oder? Ich meine, aus Nächstenliebe wird’s ihn ja doch net mitgenommen haben?“ Ich bin nun wirklich neugierig.
„Sicha. Wos glaubst denn? Noch zwa Wochn hot sie g’mant, er solls do heiratn. Sie kriagt die Staatsbürgerschaft und an anderen Namen und er a Bett und gnua zum Saufen. Do wor ma a kloar, warums mi nie mitgnumma hot. I wor ihr wahrscheinlich no z’jung.“
„Naja, des is zwar net ganz legal, aber scheint mir jetzt ka Grund für an Doppelmord“, wundert sich der Kuzmaneck.
Nach der dritten Runde Wurstsemmel und Bier überlassen wir den jungen Huber seiner Trauer. Weil, wirklich neue Erkenntnisse kamen nicht mehr.
„Was meinst, hat der junge Huaba vielleicht seine Finger im Spiel? Vielleicht war er ein wenig zu eifersüchtig?“
Die Überlegung vom Chefinspektor halte ich jedoch für ziemlich bei den Haaren herbeigezogen und sag ihm das auch. Der junge und der alte Huber waren nämlich im Grunde ein Herz und eine Seele. Auf ihre eigene, seltsame Weise zwar aber das hätte eine Frau auch nicht zerstören können. Nein, da muss was anderes vorgefallen sein.
„Weißt, ich glaub, da waren auf alle Fälle mehrere Personen beteiligt. Denk doch an die sechs Whiskeygläser. Vielleicht ist der Huaba nur zufällig grad dabei g’ wesen?“ Ich denke an die Frau Brunner und ihre Frau, die sie in den frühen Morgenstunden des Mordtages im Stiegenhaus zu sehen glaubte. Das Hirnkasterl vom Kuzmaneck dreht auch auf Hochtouren, denn die Zornesfalte zieht sich immer mehr zusammen, sodass eine Furche entsteht, die der Samaria-Schlucht ziemlich ähnlich sieht.
„Eins sog i da, Mädl. No bevur das Christkindl kummt, ham ma’s.“
Klar, ist doch Ehrensache. Wo kämen wir da hin, wenn jetzt schon unsere Sandler vom Bahnhof ungestraft beseitigen werden.
Einen Tag vor Weihnachten treffe ich den jungen Huber am Bahnhof, wo auch sonst.
„Na, Huaba. Servas, na was sagst, dass ma de Mörder von deinem Vater und der Russin erwischt haben.“
„Geh. Schleich di“, sagt er.
Aha, wir sind wieder in der Rückbildungsphase.
„Des bringt eam a nimma z’ ruck“, sagt er aber nun etwas milder.
„Na, sicher nicht. Trotzdem, besser wie die Mörder täten noch frei rumlaufen, oder?“
„Jo, der Trottel. I hob eam glei g’sagt, dass des net normal ist mit der Oiden. Da knotzt er bei derer umadum, während die Strizzi von ihr auftauchen. So a Depp.“
„Ja, zur falschen Zeit am falschen Ort, kann man da wirklich sagen. Die Frau, die in aller Herrgotts Früh dort war, hat die Sokolow ausspioniert und deinen Vater aber net g’ sehen. Die Nadja ist zur Prostitution gezwungen worden und abpascht. Als as finden, sitzt dann plötzlich dein Vater auch dort rum.“
Der Huaba und ich seufzen und zucken mit den Achseln. Vielleicht bekommt er heute Abend von mir noch ein Bier spendiert, weil er irgendwie arm ist, so ohne Papa.