13 Minuten
Der scharfe Wind verlangt den Kragen des Trenchcoats in aufrechte Position zu begeben und den Reißverschluss, der besonders bei Kälte schwierig zu bedienen ist, bis knapp unter die Kinnfalte zu schließen. Der überlappende Schal bietet eine willkommene Rückzugsmöglichkeit für das rau rasierte Gesicht. In diesem Moment passiert der Bus der Linie 13a in Richtung Hauptbahnhof, der McDonalds ragt immer noch als wüste Hässlichkeit in das kalte Bild des doch so schönen Wien und die Besitzer der knappgesähten Dönerbuden der Pilgramgasse freuen sich über zahlreiche Gäste, die im Feierabend Trubel auf der Suche nach Nahrung und Wärme sind. Die zwei auf der Anzeigetafel wechselt im Bruchteil einer Sekunde auf eins, aber doch ist am Ende der Autokolonne an den südlichen Ausläufen der Straße kein Bus zu sehen. Endlos scheint das metallene Meer, nur unterbrochen von gelben Augen, mal freundlich, mal bissig, mal den Augen eines verschlafenen Hundes ähnelnd. Im nächsten Augenblick erscheint das leere Gesicht eines thailändischen Buddhas und die Schwenktüren eröffnen abrupt die Sicht in eine Versammlung von melancholischen Gestalten, deren Anblick an das Wartezimmer eines Bestattungsunternehmens erinnert. Der Nässedunst steigt vom Boden auf und vermischt sich auf Augenhöhe mit dem Zwiebelatem beistehender Jugendlicher. Der seltsame, aber erstaunlicherweise nicht unangenehme Geruch, verhilft dem Geist zu einem Tagtraum in die Wirren der Metropole am Bosporus. Viele Geschichten, Abenteuer und Anekdoten machen die pulsierende Stadt so interessant und doch so abstoßend. Die romantischen Bilder dieser Gegend lassen sich nur schwer mit den Berichten aus Politik und Kultur vereinbaren und sind Anlass für kritische Gedankengänge. Langsam bahnt sich ein Regentropfen seinen beschwerlichen Weg außerhalb entlang der Scheibe. Fast schon sicher am Ende der diagonale Angelangt teilt er sich in drei kleinere Bahnen und verschwindet plötzlich in den schwarzen Fugen der Unterkante. In dieser atomaren Reaktion spielgelt sich der Ablauf einer Explosion wieder. Die Durchsage meldet die bevorstehende Haltestelle. Gerne würde man länger der sympathischen Stimme der unbekannten Frau aus dem Lautsprecher zuhören, oder sie auf einen Kaffee an einem so regnerischen Tag einladen. Das erneute rasche Öffnen der Türen erinnert an das notwendige Verlassen des Busses und die ersten Sohlen werden hörbar, als sie auf dem Nassen Bordstein der Strozzigasse auftreten. Am Rande der Straße hat sich ein kleiner Bach gebildet, der trotz des hektischen Verkehrsaufkommens, ruhig seiner Spur entlang bis an das Kopfende des Zebrastreifens folgt und dort unhörbar durch mehrere Spalten in die düstere Tiefe fällt. Nach wenigen Metern dringt das erste Wasser in das natürlich völlig unpassende Schuhwerk ein. Besonders die zwei zur Lüftung gedachten Löcher an der Innenseite der Converse scheinen sich relativ suboptimal auf das Wohlbehagen auszuwirken und bald fühlt sich der Schuh an wie eine kalte Bandage die zur Kurierung einer Schwellung gedacht war. Von weitem ist das traurige Bellen eines Hundes vernehmbar. An der Straßenecke reckt ein Obdachloser mit verknittertem Gesicht seine hoffnungslose Hand nach jeglichen Gaben aus und wirkt so geschwächt, dass nicht einmal die einfache bitte nach Hilfe den Ausgang zwischen seinen Lippen findet. Mitleid steigt im Körper auf und der Gedanke an eine Nacht außerhalb seiner eigenen vier Wände scheint schier unvorstellbar. Die gefühlte Kälte und die Geldbörse in der Innenseite des Mantels sind Grund genug um teilnahmslos an der Tragödie am Straßeneck vorbeizugehen. Der Blick über die Schulter eröffnet den gutbesuchten Weihnachtsmarkt mit all seinen hellen Leuchten, dem warmen Duft und der riechenden Dekadenz. Unzählige Anzugträger verbringen hier Glühweintrinkend ihren Feierabend. Einzelne, schon sichtlich betrunken, heben ihre Stimmen, während andere zwischen die geparkten Autos pinkeln und Mühe mit dem eigenen Gleichgewicht haben. An der Lerchengasse 21 zieht eine grauhaarige, freundlich wirkende Frau die Rollos ihres Antiquitätenladens herunter und schaltet die Lichterkette an. Den letzten Zug von meiner Zigarette nehmend betrachte ich, wie sie mit langsamen Schritten ans andere Ende der Straße spaziert und in Gedanken verloren, an den vielen kleinen Standhütten vorbeibummelt. Wenige Meter weiter suche ich die Klingel der Türe 12. Nach kurzer Wartezeit erklingt eine feine, fast traurig klingende Stimme und der Türraster summt. Kurz antworte ich.: „Ich bin da“