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Die Soldaten hatten ihre Ausgangspositionen eingenommen. Rechts und links der Türen kniend und stehend, die stählernen Rammböcke in den behandschuhten Händen. Auf den Befehl des Zenturios würden sie zeitgleich in die aneinander gebauten, ärmlichen und unverputzten Häuser in der Lazarus-Straße eindringen. Marcus wartete ebenso gespannt wie die Legionäre auf das Kommando.
Heute Nacht würden sie vielleicht den einen oder anderen Terroristen festnehmen können. Vielleicht würden auch ein paar dran glauben müssen, aber darauf kam es nicht an. Es waren viele, viel zu viele, die sich für ihren Glauben opfern wollten. Marcus Claudius würde keinem der Araber, der heute Nacht fallen würde, eine Träne nachweinen.
Die Soldaten der XCIX LEGIO TIKAL, bis auf die höheren Offiziere alles kleine und wendige Maya aus Yucatan und dem angrenzenden Hochland, eigneten sich für solche Einsätze, und generell für den Häuserkampf, am besten. Darum war genau diese Legion in die Stadt verlegt worden. Und er war der Praefectus Castrorum der Legion, der Lagerkommandant. Er konnte sich gerade noch zurückhalten und spie nicht angewidert aus, als er sich vorstellte, was seine Legionäre in den Häusern erwartete.
Der Zenturio sprach einen Befehl in sein Mikro und die Legionäre in Tarnkleidung strafften sich. Manche richteten und justierten ein letztes Mal die Nachtsichtgläser mit Restlichtverstärkung. Dann kam der Befehl zum Angriff.
Es dauerte zwei Sekunden, um mit den Rammen Schwung zu holen. Holzverschläge und Türen, die Trennung zwischen Außen- und Innenwelt, barsten überall gleichzeitig und die Welten vereinten sich im Donner.
Blitzschnell drangen die Soldaten in ihren Splitterschutzwesten in die Häuser ein. Rufe hallten durch die bis eben noch stille Nacht in diesem Viertel. Schreie schallten durch die Luft an seiner linke Seite. Kommandos und Meldungen kamen durch den Äther und brachen sich in seinem rechten Ohr.
Er müsste nicht hier sein, aber er war gerne hier und hatte um die Gunst gebeten, diesen Einsatz leiten zu dürfen. Bei den Legionären, an der Front, dort, wo den dreckigen Arabern alles, was sie ihm angetan hatten, zurückgezahlt wurde. Das brachte ihm sein Ansehen und seine Karriere nicht wieder zurück, aber es war Balsam für seine Wunden. Grinsend beobachtete er die Aktion und jubelte innerlich, als die ersten bärtigen Männer gebracht wurden.
Eine halbe Stunde später war die Aktion zu Ende. Ein paar Weiber kreischten noch irgendwo verloren in den Häusern, während etwas mehr als ein Dutzend verdächtig aussehende Männer vor einer Hauswand aufgereiht standen. Sie waren verdächtig, einfach weil sie Araber und bärtig waren. In dieser Reihenfolge.
Marcus wandte sich ab und beobachtete die Legionäre in ihren schweren Kampfanzügen.
Dann trat Zenturio Lucius Gnaeus Rufus vor ihn, schlug die Rechte auf seine Brust und erstattete Meldung.
„Keine besonderen Vorkommnisse. Alle Mann sind wohlauf, auch die Terroristen“, lachte er.
Marcus nahm sein Nachtsichtgerät ab, nickte knapp. Der Soldat hatte ihm Meldung erstattet wie es ihm zustand.
Kurz dachte Marcus über die politischen Verwicklungen seiner Aktion nach, während seine Männer den Abmarsch vorbereiteten. Bestimmt würde eine Beschwerde kommen. Wenn nicht von den Arabern, dann von der eigenen Zivilverwaltung. Er schüttelte den Kopf und widmete seine Aufmerksamkeit wieder seinen Männern.
„Ave Legatus Legionis!“, grüßte Vitellius Aulus atemlos, als er endlich durch den Raum war. „Cornelius, ich komme gleich zum vordringlichsten Thema.“ Er ließ sich japsend auf die angebotene Liege nieder. „Ich habe um die Anwesenheit unseres Marcus Claudius gebeten. Er hat gestern diesen Malik al-Maut verhaftet, aber ihr könnt ihn nicht hier behalten. Legatus Legionis Cornelius, dieser Mann ist einer der Meinungsmacher hier in der Stadt und veröffentlicht auf YouTube. Er muss da raus. Noch können wir es als Missverständnis tarnen!“
Böse fixierte Marcus seinen Blick auf dem liegenden Vitellius, den dicken Praefectus Civitatis Mesopotamia. Der sah ihn bei keinem Wort an, sondern schaute nur auf Cornelius Flavius, Befehlshaber der XCIX LEGIO TIKAL. Er war der Mann, der die militärische Entscheidung treffen würde. In seinen Händen lagen die Freiheit al-Mauts und die politischen Folgen seines kleinen Berichts bei YouTube und später vielleicht bei Al-Dschasira. Oder ein langer Bericht über die ungerechtfertigte Verhaftung al-Mauts und das Elend der Unterdrückung, von beinahe professionellen Reportern im Untergrund gedreht. Ein solcher Bericht auf YouTube würde die arabische Volksseele wieder aufkochen lassen und neue Selbstmordattentate in der Stadt und in den zwei neuen Provinzen heraufbeschwören.
„Was meinst Ihr, Marcus? Ihr habt den Araber festgenommen.“ Cornelius sah zu seinem stehenden Lagerkommandanten auf.
„Legatus, ich kann es vor dem Senat, dem Volk und dem Imperator nicht verantworten, diesen Terroristen frei zu lassen. Er und die Männer, die wir gestern Nacht festgenommen haben, wurden mir von zwei unterschiedlichen Informanten als Terroristen genannt. Wir sollten ihn ungeachtet der politischen Konsequenzen in Haft behalten“, fasste Marcus seinen Standpunkt in drei Sätzen zusammen. Damit war für ihn alles gesagt, was zu sagen war.
Cornelius bemerkte den verkniffenen Zug um Marcus Mund, während Vitellius sagte, was Cornelius dachte.
„Marcus Claudius, Ihr führt einen privaten Feldzug gegen die Araber. Die Rache wird Euch noch das Leben kosten, aber sie wird Euch Eure Karriere nicht wieder zurückbringen.“
„Ich sorge mich um die Sicherheit des Imperiums“, giftete er.
„Ihr seht überall die achtzehn Terroristen, die die Flugzeuge in das Imperial Trade Center geflogen haben. Aber das hier sind doch nur normale Menschen, die ihrer Arbeit nachgehen wollen und nur nicht immer unserer Ansicht sind. Selbst wenn Ihr sie alle umbringt, werdet Ihr nicht wieder Promagistrator von Nova Eboracum.“
„Sie haben die Terroristen ausgebildet, die die Flugzeuge in die Türme gesteuert haben“, beharrte Marcus.
„Haben sie nicht. Wir haben Saladin den Siebenundzwanzigsten gefasst, er wurde zum Tod verurteilt und exekutiert, aber niemand hat auch nur die Andeutung seiner Verbindung zu al-Qaida gefunden“, sagte Vitellius lächelnd und beugte sich zu Cornelius vor. „War es nicht Demütigung genug, diesen einst stolzen und mächtigen Mann wie einen Bettler in einem Erdloch zu finden? Er erhielt vom Imperator nicht einmal die Gnade, wie ein Mann durch das Schwert oder wenigstens durch die Kugel zu sterben. Er wurde wie ein Verbrecher gehängt. Die Araber waren entsetzt.“ Seine Stimme war eindringlich und Cornelius verzeichnete die besseren Argumente auf seiner Seite.
„Jeder, der auch nur in Verdacht gerät, sollte so enden. Was meint Ihr, wie schnell wir dann Ruhe hätten.“ Marcus lachte gehässig.
„Ihr werdet die arabische Seele und ihren Glauben nie verstehen. Wegen Leuten wie Euch werden wir im Zweistromland und in Arabia Felix keinen Fuß auf den Boden bekommen. Wir werden in beiden Provinzen über Jahrzehnte einen permanenten Bürgerkrieg führen müssen“, seufzte Vitellius und hob entnervt die Hand.
„Diocletians größter Fehler war, diese Menschen nicht samt und sonders auszurotten“, bereitete Marcus den Stoß in Vitellius Brust vor und vollzog ihn mit seinem nächsten Satz. „Und darum werden wir jetzt das vor knapp siebenhundert Jahren Versäumte nachholen.“
Vitellius sah ihn nur ungläubig an.
Cornelius folgte seinem Bauch. Und dieser sagte ihm, dass der dicke Vitellius sich mit den Arabern beschäftigt hatte und sie zumindest ansatzweise verstand, während Marcus nur darauf aus war, seinen bei dem Anschlag beschädigten Ruf wieder herzustellen.
Die Befehlshaber der Geheimdienste und Prätorianer hatten Marcus Claudius dem Imperator in Roma als Bauernopfer dargebracht. Er war in den Legionsdienst befohlen worden. Allerdings wenigstens als Offizier.
Seither war Marcus verbissen darauf aus, die Araber zu demütigen, denn an die, die ihn verraten hatten, kam er in seiner Position nicht heran. Seine Motive widerten Cornelius an und auch Marcus’ Art, sich an Schwächeren zu vergreifen, trug nicht dazu bei, ihn auf seine Seite zu bringen. Heute konnte und wollte Cornelius dem Offizier nicht helfen.
„Marcus Claudius, lasst diesen Malik al-Maut frei. Die anderen behalten wir vorerst hier. Ihr könnt gehen“, befahl der Legat und Marcus biss sich auf die Lippen, schlug aber zum Salut die rechte Faust auf die linke Seite seines Zeremonienpanzers aus Leder, bevor er sich umdrehte und losging. Er presste gerade noch kopfschüttelnd ein „Ave Legatus!“ zwischen den Zähnen hindurch.
Diesem Mann war das politische Hirn entfernt worden, dachte Cornelius und rief, einem spontanen Einfall folgend, „Marcus?“
Der Angesprochene blieb mitten im Audienzraum zwischen der zweiflügligen Tür und den Liegen stehen, drehte sich aber nicht um.
„Versucht mal, mit den Leuten hier zu reden, findet heraus, was und wie sie denken und versucht wenigstens, sie zu verstehen. Vielleicht lernt Ihr etwas dabei.“
„Ich bin Soldat, Legatus, kein griechischer Denker!“, war Marcus Antwort. Dann ging er weiter und verließ die Halle.
„Mir graut es. Ihr Soldaten habt seit Varus nichts dazu gelernt. Armes Imperium“, kommentierte Vitellius resigniert.
„Er ist kein typischer Soldat. Das wisst Ihr. Ich frage mich, wie er Promagistrator von Nova Eboracum werden konnte“, sagte Cornelius und starrte auf die Tür seiner Audienzhalle. Mit einem unverbindlichen Lächeln wandte er sich dann wieder seinem Gesprächspartner und dem Tagesgeschäft der Verwaltung in einer besetzten Stadt zu.
Malik al-Maut betrat drei Tage darauf das kleine, viel zu voll gestopfte Büro und Marcus schaute auf. Dann drückte er genüsslich seine nur halb gerauchte Zigarette aus und dachte daran, dass Tabak beinahe das einzig Gute war, das Julius Americus mit der Entdeckung des neuen Kontinents dem Imperium beschert hatte. Dann erst bot er seinem arabischen Gast eine Liege an.
„Eure Wachen wollten mir sogar die Digicam abnehmen. Dabei brauche ich die doch für meine Reportage über euch.“ Lächelnd legte er die Kamera auf Marcus Tisch und setzte sich auf die Liege.
„Ihr habt um ein Gespräch gebeten?“, begann al-Maut das Gespräch und Marcus konterte „Ich habe dich zu dem Gespräch befohlen!“
„Ihr seid die neuen Herren in Arabien und Mesopotamien. Es hört und fühlt sich nur besser an, wenn man zu jemandem gebeten anstatt befohlen wird“, lächelte al-Maut.
„Komm mir nicht mit solchen Wortspielereien“, fauchte Marcus. Dann ging er das Thema der römisch-arabischen Schwierigkeiten mit seiner eigenen Diplomatie an. „Was für ein Problem habt ihr mit uns Römern?“
Der Araber lächelte weiter.
„Dem Imperium war es seit Menschengedenken egal, was die Araber auf der Halbinsel, in Palästina und in Mesopotamien zu sagen haben. Das zieht sich wie ein roter Blutfaden durch unsere Geschichte. Ihr habt den Juden dann, über elfhundert Jahren nach ihrer Vertreibung, wieder einen Staat in Palästina gegeben und dafür unsere Leute vertrieben. Sabra und Schatila waren die Folge und ihr habt nichts dagegen unternommen. Euch Römern ist alles egal, solange ihr die Sesterzen verdienen könnt.“
„In Schatila sind noch viel zu wenig gestorben“, giftete Marcus und in seinen Augen stand blanker Hass.
Beide schwiegen.
„Wenigstens konnten wir im Zweistromland und in Arabien die letzten Jahrhunderte ohne Unterdrückung und unter eigener Regierung leben. Aber lassen wir die Vergangenheit ruhen. Was kann ich tun, um euch davon zu überzeugen, dass wir auch nur Menschen sind und in Ruhe leben wollen?“, begann al-Maut das Gespräch neu.
„Nichts. Während ihr hier auf eurem Öl sitzt und die Legionen des Kaisers mit eurem wahnsinnigen Widerstand bindet, erstarkt im Osten der Feind, um den sich der Imperator euretwegen nicht kümmern kann.“
„Vor vierhundert Jahren gab Kaiser Justinian Arabicus unserem König Saladin nach einem heftigen Krieg das Zweistromland und Arabia Felix als eigenständiges Königreich. Und es ging uns gut, wir haben kooperiert, Tribut gezahlt, alles getan, was ihr Römer wolltet. Bis ihr nach dem Anschlag auf das Imperial Trade Center in unser Land kommen musstet. Ohne richtigen Grund. Unser Staat hatte keine Verbindung zu al-Qaida und auch keine Massenvernichtungswaffen.“
„Nach euren Maßstäben vielleicht.“
Al-Maut lachte trocken auf, bevor er antwortete. „Die Maßstäbe des Imperiums unterscheiden sich nicht besonders von unseren. Der entscheidende Punkt ist die eigene Position und die daraus resultierende Sicht.“
„Wieder Wortspiele“, lachte der Römer gehässig. „Es gibt Tatsachen, die auch du nicht leugnen kannst. Ihr wollt euch nicht ins Imperium integrieren. Das sieht man auch an den Arabern in Palästina, in Gallien und Germanien.“
„Weil unsere Frauen dort Kopftücher tragen?“, fragte al-Maut mit hochgezogenen Brauen. „Wir lebten hier unter eigener Regierung. Seit der Besetzung weigern wir uns nur, eure Lebensweise anzunehmen und eure tausenden Götter anzuerkennen. All die Götzen, die ihr seit der Gründung Romas vor zweitausendundsieben Jahren aufgesammelt habt. Eure eigenen Gottheiten, die der Briten, Gallier und Ägypter, die der Mayas, Azteken, Indianer und wer weiß wie viele und welche noch. Für uns gibt es nur einen Gott. Und das seit seiner Geburt vor zwölfhundertvierundfünfzig Jahren.“
„Wenn ihr nur einen Gott haben wollt, dann muss das für den Bürger des Imperiums der Imperator als Dominus et Deus sein.“
„Wir brauchen euren Imperator nicht, wir haben schon einen Gott. Und unser Gott ist die Liebe.“
Meckernd lachte Marcus auf. „Euer Gott ist die Liebe? Ist das der Gott, der euch verbietet, zu töten? Oder der Gott, der euch verbietet, zu lügen?“ Marcus schüttelte sich gekünstelt vor Lachen und hieb mit der Faust auf seinen Schreibtisch. „Ihr dürft nicht lügen, sagt aber, euer Gott sei die Liebe und im gleichen Moment sprengen sich eure Selbstmordattentäter in die Luft. Ihr verbreitet eine Lüge. Ihr lebt eine Lüge.“
„Das ist Ansichtssache. Als Christen verbreiten wir die Liebe zu Gott. Und in dieser Liebe glauben wir daran, dass es für manche Menschen besser ist, früher zu Gott zu kommen. Und für die, die am Leben bleiben, ist das auch besser.“ Bei diesen Worten nahm Malik al-Maut lächelnd seine Digicam vom Tisch.
„Und ich bin einer davon, oder?“, fragte Marcus erkennend, griff liegend an sein Gladius auf der linken Seite. Dann grinste er. „Zu spät, oder? Was ist da drin?“
„C4“, antwortete al-Maut und betätigte den Auslöser.
Glossar
Arabia Felix - römischer Name für das Gebiet Saudi-Arabiens, das aber nur in dieser Geschichte zum Römischen Reich gehört
Al-Dschasira - Arabischer Fernsehsender
C4 - Eine Sorte Plastiksprengstoff
Imperial Trade Center - Die Welt ist das Römische Imperium, also brauchen die Römer ein Imperiumshandelszentrum.
Legatus Legionis - Befehlshaber einer Legion
Malik al-Maut - Engel des Todes, in der islamischen Traditionsliteratur auch Azrael genannt
Nova Eboracum - New York
Praefectus Castrorum - der Lagerkommandant einer Legion, dritthöchster Offizier einer Legion
Praefectus Civitatis Mesopotamia - Statthalter einer Region, die noch nicht in die Provinzverwaltung einbezogen war. Hier die Region Mesopotamien
Prätorianer - Leibwache des Kaisers
Promagistrator - Bei den Römern ein Gouverneur eines überseeischen Territoriums
Sabra und Schatila - Massaker christlicher Milizen an palästinensischen Flüchtlingen 1982 in Beirut, während die Israelische Armee zu sah und nichts dagegen tat.
Varus - Römischer Befehlshabe, verlor die Varus-Schlacht
XCIX LEGIO TIKAL - 99. Legion aus Tikal, einer alten Maya-Stadt in Guatemala