12 Stunden
Ich wache auf und schaue auf die Uhr. Es ist erst 8, draußen wird es langsam hell. Einschlafen kann ich jetzt nicht mehr, konnte es ohnehin die ganze Nacht nicht. Neben mir liegt mein bester Freund, er schläft noch. Wir sind beide nackt, doch darüber will ich grad nicht nachdenken. Ich stehe auf, zieh‘ mich an und pack‘ meine Sachen- Gebe ihm noch einen kleinen Kuss auf den Mund und verschwinde dann leise. Ich steige auf mein Fahrrad und fahre nach Hause. Die Nacht ist vorbei und die Welt wacht langsam auf- aber ich will nur zurück ins Bett. In mein Bett. Was ist da bloß passiert? Ich will nicht daran denken. Noch nicht. Es ist noch zu früh. Ich hab‘ ihn nicht geweckt, ich hatte Angst davor was er sagen würde. Angst wie er reagieren würde. Es ist noch zu früh. Ich kann damit jetzt noch nicht umgehen. Ich stelle mein Fahrrad ab, geh‘ ins Haus und mache keine Pause bis ich völlig ruhig in meinem Bett liege. Ich schließe die Augen und es geht los.
Das Bild wie er auf mir liegt, wie er mich küsst. Wie wir uns gegenseitig ausziehen. Und sein Blick, vor allem sein Blick. Diese Augen, so hatte er mich noch nie angesehen. Wie ist das nur möglich, wie ist das nur passiert. Ich schlafe ein.
Nun ist es 12 Uhr, richtig ausgeschlafen bin ich nicht, doch mein Herz rast so schnell. Zu schnell. Ich finde keine Ruhe. Wie soll ich damit jetzt umgehen? Ich denke an letzte Nacht. Ich wollte einfach nicht alleine sein, gestern, also rief ich ihn an. Ich fuhr zu ihm und wir schauten zusammen Fernsehen. Was passierte dann? Achja. Es wurde spät und wir wurden müde. Ich legte meinen Kopf an seine Schulter und sagte, dass ich gleich fahren würde. Doch er schlug mir vor bei ihm zu schlafen. Wieso hat er das nur getan? Und verdammt wieso hab‘ ich bloß eingewilligt. Er kuschelte sich an mich und als sein Becken an das meine drückte, da wusste ich was passieren würde. Und es passierte.
Mein Kopf droht zu explodieren. Das wird mir alles zu viel. Wir sind doch Freunde, warum hat er das getan? Ich meine natürlich, ich hab‘ mich immer gefragt, wie es wohl wäre. Wie fühlt es sich an, an seiner Seite zu sein? Von ihm geküsst zu werden? Aber wir sind doch Freunde. Das waren immer nur schwachsinnige Gedanken. Warum musstest du diese Linie überschreiten? Kannst du dir vorstellen in was für ein Chaos mich das wirft?
Es ist bereits 16 Uhr. Die Zeit fliegt einfach so davon. Ich merke es nicht. Ich muss klar kommen, erstmal. Ich denke unaufhörlich an die letzte Nacht. Und an ihn. Ich fühle und fühlte so viel, wie schon seit Jahren nicht mehr. Und da ist es: Ein Pochen in meiner Brust und ein Lächeln. Vielleicht war mir bisher einfach nie klar, was ich jetzt weiß. An seiner Seite hab‘ ich mich schon immer wohl gefühlt. Ohne es zu merken hab‘ ich ihn schon immer besser als alle anderen behandelt. Er kam bei mir doch eigentlich schon immer an erster Stelle. Ist es möglich, dass ich all die Jahre ihn geliebt habe ohne es zu merken?
Die Uhr zeigt schon 18 Uhr an. Und ich komme klar. Ich will ihn wiedersehen, ihm das sagen. Ihm sagen, was ich nun endlich weiß. Ich halte mein Handy in der Hand. Er hat sich noch nicht gemeldet. Soll ich ihn einfach anrufen? Nein ich muss darauf warten dass er sich meldet. Ich hab meine Zeit gebraucht- er wird die auch brauchen. Und ich werde sie ihm geben. Ich bin keine Träumerin, ich weiß wann ich mir etwas vormache. Aber ich bin mir sicher, dass alles gut gehen wird. Es ist alles so hektisch. Meine Gefühle, Endorphine, Euphorie und die Liebe die ich empfinde. Ich drehe die Musik auf und ich tanze. Letzte Nacht, das war alles echt. Es ist passiert. Er hat mich geküsst. Es war fast so als wären wir verliebt.
20 Uhr. Mein Handy klingelt. Er ist es. Ich gehe sofort ran. Er klingt froh, ich auch. Doch dann entschuldigt er sich. Er entschuldigt sich für letzte Nacht. Sagt, dass es ein Fehler war, dass es ihm Leid tut und dass wir die ganze Sache einfach vergessen sollten. Dabei klingt er so lieb und fröhlich wie immer. Er sagt, dass wir Freunde sind und auch Freunde bleiben sollten. Ich bleibe ruhig. Ich lächle und stimme ihm zu. Dann lege ich auf.
Es ist kurz nach 20 Uhr. Ich sitze auf dem Boden, das Telefon liegt neben mir. Im Radio läuft „Bad Romance“. Ich denke nichts, ich fühle nichts. Ich sitze da. Wie kann ein Tag so gut anfangen und dann so beschissen enden? Leise singe ich „I don’t wanna be friends“ während die erste Träne eine schlaflose Nacht ankündigt.