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11. sept. (drei tage nachdem das lama...)
Am dritten Tag nachdem Nodsches Lama in die Klippe stürzte im Jahr, als die schwarze Krankheit die Ernte bedrohte. (oder wie die Leute aus der großen Stadt sagen: der 11. September 2001)
Heute kam eine Frau aus der großen Stadt in das Dorf gelaufen. Sie war völlig außer Atem und fuchtelte hysterisch mit einem dieser kleinen Geräte, die ihnen so viel Freude oder Sorge bereiteten vor unseren Nasen herum. Offensichtlich wollte sie uns etwas mitteilen, das sie für sehr wichtig zu halten schien. Also schickten wir Ndschama, den kleinen Jungen mit den krummen Knochen los, um seinen Vater vom Feld zu holen. Er konnte als einziger in weitem Umkreis ein wenig Englisch.
Während wir auf ihn warteten versuchte die Frau - sie war noch nicht besonders alt und fett wie eine Masthenne - ihre Fassung wiederzugewinnen, aber es wollte ihr nicht gelingen, denn sie befingerte immer noch wie eine Verrückte ihren kleinen Kasten, stieß unverständliche Laute aus, wie eine Katze die sich verirrt hatte.
Endlich kam Nadschamas Vater. Er war halb verärgert halb neugierig darüber, dass man ihn vom Feld geholt hatte, jetzt wo er doch dort am nötigsten gebraucht wurde. Er versuchte die Frau zu beruhigen und tatsächlich wirkte der Zauber, der wilde Tiere Belik freundlich stimmte, auch bei diesem Wesen aus der anderen Welt. Vorsichtig versuchte er ihr durch seine Anwesenheit Kraft zu geben unsere und seine Fragen zu beantworten.
Nach mehrmaligem Nachfragen sagte Belik: „Sie erzählt dass in ihrer Stadt gerade ein Haus eingestürzt ist"
Wir sahen uns an und ließen dann kurz unseren Blick über das allzuvertraute Bild der windschiefen Wellblechhütten schweifen. „Warum stellen sie es nicht einfach wieder auf?" fragte eine Frau ärgerlich. Keine von uns konnte die Menschen aus der großen Stadt verstehen, die meisten wollten es auch gar nicht. Sie wussten dass es ohne sie besser gewesen war und das genügte ihnen.
„Sie sagt, dass Flugzeuge in das Haus geflogen sind und dass es groß wie hundert Häuser war, in einer sehr großen Stadt im Coca-Cola-Land."
Ah! Coca-Cola-Land. Viele schüttelten jetzt die Köpfe und wandten ihre Aufmerksamkeit wichtigeren Dingen zu. Nichts gutes kam aus Coca-Cola-Land, abgesehen von den Büchsen, aus denen man so wunderbar Drähte machen konnte, oder Spielzeug, oder Becher, oder Schmuck.
Wir, der kleine Rest, der zu alt war, wie ich, oder zu neugierig, wie Belik wollten nun genaueres wissen und wenn möglich schnell, denn es wurde langsam Abend und ein kühler Wind blies von den Bergen herab.
„Sie sagt dass viele tausend Menschen gestorben sind und dass es vielleicht Krieg geben wird."
Ich versuchte mich mit meiner zerschlissenen Decke besser gegen den Wind zu schützen, aber die Kälte wollte nicht aus meinen Knochen weichen. Krieg also. Und was die Soldaten für uns zurücklassen würden waren Dosen und noch mehr Hunger.