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11. sept. (drei tage nachdem das lama...)

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18.06.2001
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11. sept. (drei tage nachdem das lama...)

Am dritten Tag nachdem Nodsches Lama in die Klippe stürzte im Jahr, als die schwarze Krankheit die Ernte bedrohte. (oder wie die Leute aus der großen Stadt sagen: der 11. September 2001)

Heute kam eine Frau aus der großen Stadt in das Dorf gelaufen. Sie war völlig außer Atem und fuchtelte hysterisch mit einem dieser kleinen Geräte, die ihnen so viel Freude oder Sorge bereiteten vor unseren Nasen herum. Offensichtlich wollte sie uns etwas mitteilen, das sie für sehr wichtig zu halten schien. Also schickten wir Ndschama, den kleinen Jungen mit den krummen Knochen los, um seinen Vater vom Feld zu holen. Er konnte als einziger in weitem Umkreis ein wenig Englisch.
Während wir auf ihn warteten versuchte die Frau - sie war noch nicht besonders alt und fett wie eine Masthenne - ihre Fassung wiederzugewinnen, aber es wollte ihr nicht gelingen, denn sie befingerte immer noch wie eine Verrückte ihren kleinen Kasten, stieß unverständliche Laute aus, wie eine Katze die sich verirrt hatte.
Endlich kam Nadschamas Vater. Er war halb verärgert halb neugierig darüber, dass man ihn vom Feld geholt hatte, jetzt wo er doch dort am nötigsten gebraucht wurde. Er versuchte die Frau zu beruhigen und tatsächlich wirkte der Zauber, der wilde Tiere Belik freundlich stimmte, auch bei diesem Wesen aus der anderen Welt. Vorsichtig versuchte er ihr durch seine Anwesenheit Kraft zu geben unsere und seine Fragen zu beantworten.
Nach mehrmaligem Nachfragen sagte Belik: „Sie erzählt dass in ihrer Stadt gerade ein Haus eingestürzt ist"
Wir sahen uns an und ließen dann kurz unseren Blick über das allzuvertraute Bild der windschiefen Wellblechhütten schweifen. „Warum stellen sie es nicht einfach wieder auf?" fragte eine Frau ärgerlich. Keine von uns konnte die Menschen aus der großen Stadt verstehen, die meisten wollten es auch gar nicht. Sie wussten dass es ohne sie besser gewesen war und das genügte ihnen.
„Sie sagt, dass Flugzeuge in das Haus geflogen sind und dass es groß wie hundert Häuser war, in einer sehr großen Stadt im Coca-Cola-Land."
Ah! Coca-Cola-Land. Viele schüttelten jetzt die Köpfe und wandten ihre Aufmerksamkeit wichtigeren Dingen zu. Nichts gutes kam aus Coca-Cola-Land, abgesehen von den Büchsen, aus denen man so wunderbar Drähte machen konnte, oder Spielzeug, oder Becher, oder Schmuck.
Wir, der kleine Rest, der zu alt war, wie ich, oder zu neugierig, wie Belik wollten nun genaueres wissen und wenn möglich schnell, denn es wurde langsam Abend und ein kühler Wind blies von den Bergen herab.
„Sie sagt dass viele tausend Menschen gestorben sind und dass es vielleicht Krieg geben wird."
Ich versuchte mich mit meiner zerschlissenen Decke besser gegen den Wind zu schützen, aber die Kälte wollte nicht aus meinen Knochen weichen. Krieg also. Und was die Soldaten für uns zurücklassen würden waren Dosen und noch mehr Hunger.

 

Ich schließe mich @Morphin an; die Geschichte ist echt besser als die meisten, die jetzt wahrscheinlich über das Unglück geschrieben werden... Glückwunsch!!! ;)
Sie hat sehr viel Potential und ist eigentlich recht schlicht gehalten...

Gruß
stephy

 

Ich schließe mich dem Lob an. einer meiner ersten Gedanken, nachdem ich ansatzweise begriffen hatte, was da geschehen ist, war: ob es jetzt auch nur ein Land auf der Welt gibt, wo man nichts darüber weiß? Ob es nicht spätestens in drei Tagen auch das hinterletze Dorf in der abgeschiedensten Gegend erreicht haben wird?
Und Du schreibst eine schlichte, aber ergreifende Geschichte genau darüber. Danke.

chaosqueen

 

Gute Geschichte !

Es ist wichtig die Perspektive zu wechseln - dieses gelingt hier mit erstaunlicher Leichtigkeit.

Es wirdt ein ernstes Problem besprochen, aber auf Schockeffekte verzichtet, ohne dabei jemals langweillig zu wirken.

 

Diese Geschichte geht wirklich unter die Haut. Kompliment, denn Du integrierst viel mehr Menschen mit ihren Problemen, als wirklich involviert waren. Und Du zeigst auf, welche Probleme es durch den Terroranschlag noch geben könnte und wie weit die Wellen schlagen können.
Diese Geschichte gefällt mir wirklich gut!

Liebe Grüße,
Andrea

 

Dir gelingt, dieses derzeit allzu heiße Eisen zu kühlen; mehr noch: Stellung zu beziehen aus einer uns fremden Sichtweise heraus, ohne Widerwillen, Streit, Kitik zu ernten. Für diesen geglückten Balanceakt ein "Hut ab". Ein wunderschöner Kontrapunkt zu einer in RTL und unreflektierter Reportermanier geschriebenen weiteren 11. Sept. Geschichte hier irgendwo.
Keine billige Effektheischerei z.B.

Irgendetwas - ohne es bennen zu können - stört mich an ihr. Woran liegt es, das mir die Geschichte im Kopf bleiben wird aber ein "ungerade" auch? Ist es der Satzbau? Stolpere ich durch die Sätze? Ich weiß es nicht. Vielleicht einfach nur persönlicher Geschmack.

 

Vielleicht waren es Sätze wie:

Er versuchte die Frau zu beruhigen und tatsächlich wirkte der Zauber, der wilde Tiere Belik freundlich stimmte, auch bei diesem Wesen aus der anderen Welt.

An sich wunderbar, aber was soll der gute alte Belik in dem eingeschobenen Relativsatz? Beliks Zauber? Oder ist Dir die Kopierpaste ausgelaufen? Würd ich editieren.

Mir gefällt sie ganz hervorragend, vor allem wegen der Perspektive und aus den o.g. Gründen. Ich wette übrigens, dass 1 Mrd. gar nichts davon mitbekommen hat. 2 Mrd. werden davon gehört haben, von Freunden oder aus dem Radio. Ich geb mal ein Beispiel: Als ich im Juli 1990 in China ankam, wussten alle, dass wir Weltmeister geworden waren, sie rannten sogar mit Klinsmann- und Matthäus-Shirts rum. Dass die Mauer gefallen war, und die Wiedervereinigung im Gange war, wussten fast nur die Studenten und "gebildete" Chinesen. Und in China gibt es jede Menge Radios und Ferseher...
So viel dazu.

Wiegesagt, großes Lob!

 

Etwas zynisch: Das war bestimmt nur in China so....nein im Ernst:
Genau das ist eine Geschichte wert, diese "Wurstbrot und Arbeit" Mentalität.

 

Auf den Inhalt brauche ich wohl nicht mehr breit einzugehen, haben die anderen ja schon alles wichtige gesagt. Und ich bin leider ein böser, sarkastischer Mensch, und mein inhaltlicher Beitrag kann eigentlich nur mißverstanden werden.

Also nur ein kurzes Lob für dich: das ist wieder eine Klasse Geschichte, anders als "Amok" und trotzdem immer noch DU. Was mehr soll ich sagen?

Mad Scientist

 

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