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1 Geschichte über Schnee und Eistee, Kinder und 26-jährige Personen. Mäßig kitschig.
Die Person ist 26 Jahre alt und sitzt im Schneidersitz am Fenster nach draußen, wo der Winter ist. Er ist kalt, jedoch das Fenster klirrt noch nicht: knistern derweil hört man – von den herannahenden Eisblumen. Die Nase der Person steckt in der Wand zwischen kalter und warmer Luft, die sich im Winter vor Fenstern zu pflegen bildet. Es ist eine männliche Person. Bei dem Alter ist man heutzutage schon versucht, noch von einem jungen Mann zu sprechen. Insbesondere dieses Exemplar sieht auch noch sehr jung aus, fragil und hautdurchsichtig. Letztlich, muss man sagen, bringt es der Hautton nichtmal zur Lebendigkeit des Schnees draußen. Ähnlich tot ist dann noch das Tier, auf dessen Fell der 26-Jährige sitzt. Normal liegt es mehr in der Mitte des Raums, aber für die heutige, für die momentane Beobachtungshandlung, die Beobachtung des winterlichen Draußen, hat er es an diesen Platz geschleift. So liegen in seinem Rücken die vielen Räume der großen Villa, die einzig ihn beherbergen. "Richtig lebendig", denkt er, "ist hier farblich nur dieser Eistee." Er liebt den Eistee mit den Eiswürfeln im kalten Glas da in seiner Hand. Vielleicht kälter als das Glas der Fensterscheibe. Nun, warum kein Glühwein zu dieser Jahreszeit? Die Person macht den Rücken grade und beginnt zu erzählen.
Es war vor ein paar Wintern. Manche Zeiträume verschwimmen, so ist das. Aber's war im Winter, darum geht's. Ich ging allein spazieren zu einem weißgeschneiten Berg, oder sagen wir lieber Hügel. Einer dieser Orte, die abgelegen in Waldparks liegen und im Winter die Leute zum Schlittenfahren anziehen, solange die es schaffen, die unbefestigten Wege und wild rumlaufenden Hunde dahin zu überwinden. Und dann geht's auch nur um Schlittenfahren und vielleicht Schneeballschlacht. Karotten- und knopfgetränkte Erde ist nicht hier, sondern in den Vorgärtern der Leute. Hier, bei diesen Winterhügeln, ist eben harte Kälte und Adrenalinrausch der Abfahrten. Da ging ich hin, um den Leuten zuzuschauen oder so. Im Rucksack wirklich warmen Glühwein, aber nichts zu essen, denn das ist lahm: Was zu essen mitzunehmen in so eine temporäre Abenteuerwelt.
Ich setzte mich also auf einen Baumstumpf, allem zuguckend und fühlte mich gut und warm vom Glühwein. Das waren der Winter und das Leben, wie ich sie gewohnt war, zu behandeln und auszuführen. Ich hatte keine Zweifel, ja, kaum Zweifel oder keine Zweifel, das ist recht sicher. Und es lief so sehr schön. Immer wieder fiel jemand hin, eins der kleinen süßen Kinder warf es von seinem Schlitten; aber Kinder sind ja geradezu wie aus Gummi. Die heulen kurz, aber, yeah, es ist Winter und Schnee und Schlitten und so ein toller Berg, nach ein paar Minuten sind die schon wieder am Start und alles ist vergessen. Alles ist vergessen.
Aber ich, ich kann nicht mehr vergessen: Was dann passierte. Da kippte ein Kind um und das war erst unbemerkt. Dann bemerkt, nach einer Weile, und dann bildete sich eine Traube aus Menschen drum; erst wurden die aus der unmittelbaren Nähe angesogen, aber dann breitete sich das aus, so ungefähr der ganze Berg kam und auch ich stand auf, um zu sehen, was dort vor sich ging. Das Kind also bewegte sich nicht, atmete nicht. Leute telefonierten schon mit den Leuten in der Notrufzentrale. Kein Erwachsener schien sonst direkt verantwortlich zu sein. Aber ich bemerkte ein paar Kinder, die sich also so sonderbar in der Nähe rumdrückten, dass sie etwas mit dem umgefallenen süßen kleinen Kind zu tun haben mussten, dachte ich mir. Also ging ich auf sie zu und gerade da erhob sich ein Gemurmel in der Menschentraube. So schaute ich wieder, über einige Schultern, auf das Kind. Ihm hatte jemand die Jacke geöffnet, um für Wiederbelebungsversuche die Brust freizulegen, nehme ich an, und dort war ein roter Schimmer unter der Haut auszumachen, ein Leuchten genau dort, wo das reglose Herz des Jungen wohl lag.
Die komisch sich herumdrückenden anderen Kinder – seine Freunde –, mit denen ich dann noch sprach, sagten mir, es habe damit dies auf sich: Er habe Glühwein getrunken, immer. Nicht viel, aber er habe ihn für sich entdeckt schon in diesem jungen Alter, den Glühwein. Und nun sei es wohl zu viel gewesen, sein Herz verglüht – sein Herz, das nicht ganz gesund war, und dessen Zustand er auch zu lindern suchte oder wenigstens seine Wahrnehmung des Zustands zu lindern suchte mit dem Glühwein. Aber nun hat der Glühwein sein Herz verglüht, sagten sie, der Glühwein hat sein Herz verglüht. Er hat es getan, hat es verglüht, war auch dazu eingeladen worden, hat es dann auch getan.
Und ich, mit meinem eigenen kleinen Glühweinrausch, der noch größer hatte werden wollen – ich nahm das auf und nahm das hin… was ich sagen will: ich will nicht ein Herz haben – ich wollte und ich will nicht, will nicht ein Herz haben, das verglüht. Mein Herz soll nicht verglühen, es soll anders enden, ich trinke Eistee, Eistee, ich sitze an diesem ganzen kalten Glas und will mein Herz einfrieren sehen ganz starr, endlich gesplittert von einer ultimativen, endgültigen Koffeeinspitze; sodann alle Splitter entflammt von Feuerwasser zu einem Feuerwerk, einem großen Feuerwerk…
Die Person verstummt wieder und blickt weiter eisteetrinkend nach draußen in den Winter.