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1.1.1 Wie konnte das nur geschehen?

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Abschließender Band der Göttinen-Triologie
Aschmunadai - Eine Göttin erwacht
Neschama - Die Rache der Göttin

1.1.1 Wie konnte das nur geschehen?

Ein Asteroid trieb durch die einsame Nacht fernab jeder Sonne. Über seine schroffe Felswüste kroch ein eisiges Blau und sammelte sich in einer Senke. Thetis öffnete sich dem Universum weit. Seine Harmonie und sein Friede verzauberten ihn. So sollte es sein, so war es gut. Feuerräder von Galaxien loderten in der Unendlichkeit. Ein leerer Bereich zwischen ihnen bat ihn um Hilfe, und er sandte ihm seine Kraft. Erleichtert und mit neuer Kraft setzten sich Gaswolken in Bewegung, rotierten und verdichteten sich zu neuen Systemen, schufen Wohnraum für Leben.
Alte Sterne schwiegen ihn müde an. Er schickte ihnen Trost und Frieden. Sie warfen einen letzten Blick auf ihre Systeme, die das Leben längst verlassen hatte, blähten sich dankbar auf und verglühten in gleißendem Licht. Manche verkümmerten zu Zwergen, andere implodierten zu einem schwarzen Nichts, das alles in seinem Umkreis aufsog. Thetis leuchtete ihren Seelen den Weg, bis sie in den Ewigen Ozean tauchten, um erfrischt wiedergeboren zu werden.

Ein kaum wahrnehmbares grünes Glimmen störte seine Ruhe. Es reichte von einem Ende des Universums bis zum anderen. Rasch verdichtete es sich, bis eine kleine grüne Sphäre neben ihm schwebte. Sie zog sich ein wenig in die Länge, wurde undurchsichtig und flackerte. Dann stand vor Thetis die Gestalt eines Mädchens. Lange, braune Haare flossen über ein schulterfreies blaues Kleid, die Augen strahlten schelmisch, und ihre bloßen Füße standen auf den schroffen Felsen. Sie verzog den Mund zu einem Schmollen. »Wie heißt du denn deine Avancie willkommen?«
Thetis warf der Gestalt einen Blick zu. »Was willst du hier?«

»Es heißt: Womit kann ich Euch dienen, Ehrwürdige Mutter.«

Thetis riss sich zusammen. »Vergebt mir, Ehrwürdige Mutter. Womit wollt Ihr mich diesmal um den Verstand bringen?«

Avancie zwirbelte eine Haarsträhne zwischen den Fingern und betrachtete die Sterne über sich. »Och, nichts. Hatte nur Lust, mich mit dir zu unterhalten.«

Thetis glaubte ihr kein Wort. Er konnte regelrecht spüren, wie ihn sein Friede verließ.

»Und sei doch nicht so verkrampft, du Zausel.« Eine Handbewegung, und das eisige Blau von Thetis Existenz verdichtete sich zu einem Körper. Vor Avancie stand ein kleiner, schlanker Mann. Dunkle Brillengläser verbargen seine Augen, in die Ellenbeuge hatte er einen Blindenstock gehängt. Eine weitere Bewegung, und sie standen auf einer lauschigen Lichtung mit einem kleinen See. Eichen wogten im Wind, und aus den Kronen zwitscherten ihnen Vögel zu. Avancie ließ ihr Kleid zu Boden gleiten und sprang so lebhaft in den See, dass es bis zu Thetis spritzte.

Thetis nahm die Brille ab und wischte die schwarzen Gläser trocken. »Was willst du?« Und zwischen zusammengepressten Zähnen: »Ehrwürdige?«
»Dass du zu mir in den Teich kommst! Ist es nicht herrlich?« Sie schöpfte mit der Hand Wasser und goss es sich über die Haare.

Thetis ergab sich in sein Schicksal. »Gut. Aber nur, wenn es nicht schon wieder um Aschmunadai geht.«

»Leider doch.«

Thetis machte auf der Stelle kehrt – und konnte sich nicht mehr rühren.

»Du vergisst, mit wem du redest! Hier her!«

Aus ihrem Schmollmund wurde eine harte Linie. Das war nicht gut, gar nicht gut. Avancie ging es um etwas Ernstes. Thetis zwang seinen Stolz nieder, drehte sich um und stapfte mitsamt Anzug und Krawatte in den See. Stocksteif baute er sich vor Avancie auf. »Komm endlich zur Sache.«
Sie antwortete nicht, sondern schmiegte sich an seine Schulter. »Können wir nicht ein einziges Mal sein wie früher? Nur einen winzigen Moment lang?«

Mehr und mehr Alarmglocken schrillten in Thetis. Antworten würde er nur bekommen, wenn er auf ihr Spiel einging. Was im Umkehrschluss bedeutete, dass er vielleicht davon kam, wenn er nicht … Thetis seufzte. Sie würde einen anderen Weg finden. Er legte seine Arme um Avancie und drückte die Illusion ihres menschlichen Körpers an sich. Er fühlte das Beben ihres Körpers, wie ihr Atem stoßweise ging. Sie spielte ihre Rolle perfekt!

Die Zeit verging. Avancies Atem wurde ruhiger. Er streichelte ihre Schultern und ertappt sich dabei, in uralten Erinnerungen zu schwelgen. Erinnerungen aus einer Zeit, in der er diesen Körper so gerne gehalten hatte, als alles so viel leichter gewesen war. »Du hängst dieser Existenz immer noch nach? Es gibt keine Menschen mehr! Verdammt, wir sind ausgestorben. Es gibt keine menschliche Rasse mehr, ebenso wenig wie die Sonne, um die unser Planet kreiste.« Was wollte Avancie von ihm?

»Nun – das ist nicht ganz korrekt.« Sie schaute ihn lauernd von unten her an.

»Nein! Nicht das schon wieder!«

»Doch, Thetis. Es geht um dich!«

»Nein!«

»Träumst du nicht manchmal davon, wieder unter Menschen zu leben? Ihre Freuden und Sorgen zu teilen? Das könntest du jederzeit wieder haben. Eine einzige Geste von dir reicht.« Lachen drang zu ihnen. Ein junges Paar tauchte zwischen den Bäumen auf, sah die splitternackte Avancie, winkte ihnen zu und verschwand.

»Lass das! Das ist nichts als eine billige Kopie!«

»Nana, warum so entrüstet? Hab ich da einen Nerv bei dir gefunden?« Sie zog ihn an der Krawatte zu sich und gab ihm einen Kuss. »Wie lange soll ich noch auf dich warten? Wann findest du endlich den Mut?«

Thetis befreite sich aus der Umarmung. Der Strand wölbte sich hoch und bildete einen harten Stuhl. Thetis nahm Platz und befahl dem Wasser, seine Kleidung zu verlassen. »Das ist kein Mut. Das ist Irrsinn.«

»Aber der Lohn! Du machst dir einfach keine Vorstellung vom Leben einer Ehrwürdigen Mutter. Ich stehe so weit über dir, wie du über einer Küchenschabe. Komm zu mir! Werde wie ich! Lass uns wieder zusammen leben!«

Sie hatte ihn, und er wusste es. Tief in seinem Inneren spürte er, wie sein Widerstand erlahmte. »Und wenn es nicht klappt?«

»Was für eine lahme Antwort! Du enttäuschst mich!« Auf einen Wink von ihr verschwand die Lichtung. Der Asteroid trieb wieder einsam im All.

Avancie schwebte als grüne Sphäre vor Thetis. »Schau mich an! Ich habe den Prozess gewagt, und ich habe ihn überlebt. Jetzt bin ich die hübscheste Ehrwürdige Mutter weit und breit und du ein tattriger alter Gott.«

»Überlebt! Draufgegangen wärst du! Wenn ich für dein Leben nicht jede Regel gebrochen hätte, die es im Universum gibt.«

»Regeln! Wenn der Schöpfer nicht gewollt hätte, dass wird sie brechen, hätte er sie nicht geschaffen. Jetzt sei doch nicht immer so pedantisch. Und es ist kein Grund, es nicht selbst zu versuchen.«

»Nein.« Wie entsetzlich halbherzig das geklungen hatte!

»Nun, vielleicht könnte ich noch etwas Motivation nachlegen.«

Die Alarmglocken waren zurück! Und sie überboten sich gegenseitig in der Hysterie ihres Schrillens. Thetis war außerstande zu antworten.
»Komm schon! Wie viele Ewigkeiten willst du noch ein Gott bleiben? Komm zu mir! Schaff eine neue Welt! Voller Menschen, über die wir wachen können.«

Ihre Stimme war immer leiser geworden. Thetis näherte sich, nahm Avancie in sich auf. »Allmächtiger!« Von wegen vorgespielt! Nichts von all dem war vorgetäuscht! Ihre Angst, ihr Zittern – Avancie war in hellem Aufruhr. Blanke Panik hielt sie im Griff! Thetis hüllte sie ein und gab ihr Kraft. »Es wäre jetzt vielleicht an der Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen.«

Avancie sagte nur ein Wort: »Aschmunadai.«

Er wusste es! Er hatte es die ganze Zeit über gewusst! »Was hat dieses missratene Gör jetzt schon wieder ausgefressen?«

Avancie brauste auf. »Red nicht so von meiner Tochter!«

»Tut mir leid. Also?«

»Ich zeig es dir. Komm mit!«

Mit einem einzigen Gedanken waren sie über Aschmunadai. Eine unbedeutende Sonne wandte sich beschämt ab. Sie war ein junges Gestirn und hatte gerade erst Planeten geboren. Die ersten beiden Planeten kreisten um sie, wie es sich gehörte. Der dritte … Thetis stoppte, als wäre er in ein schwarzes Loch gefallen. Aschmunadai … Das Grauen kroch durch Thetis Seele und fraß sich fest. »Das ist … Gütiger Schöpfer steh uns bei!« Der Zwang, hinzusehen und gleichzeitig zu fliehen, zerriss Thetis. »Das ist unmöglich!«

Unter ihm flammte der Glutball des dritten Planeten. Und in ihm rührte sich Aschmunadai in hellem Aufruhr, floss hier hin und dahin. Sie wand sich in Zuckungen, bäumte sich auf, brandete gegen Widerstände, rollte über Oberflächen. Sie war stofflich geworden. Sie hatte sich mit der Materie des Planeten verbunden! Sie war ein Teil davon geworden, sie war der Planet!

»Der Teufel soll ihre Seele fressen!«

»Mäßige dich, Thetis! Wenn ich nicht wüsste, dass du genau andersrum fühlst, als du redest, und in Wahrheit grundgütig bist, wäre ich jetzt sauer.«
Thetis richtete einen Gedanken an Aschmunadai. »Was hast du nur getan? Warum?«

Eine Antwort kam nicht. Vorsichtig tastete sich Thetis vor – und zuckte zurück! Aschmunadais Gedanken jagten sich, kaum einer wurde fertig gedacht, nichts ergab einen Sinn für sie. Sie hatte dem Mahlstrom der Verstofflichung nichts entgegenzusetzen, befand sich bereits mitten in ihrer Auflösung.

Erschüttert wandte sich Thetis ab. »Deine Tochter hat keine Chance. Sie ist weder reif noch vorbereitet. Sie wird ihre Hybris mit dem Leben bezahlen.« Er zögerte. »Und erwählt ist sie auch nicht. Das heißt, der Hohe Rat wird nichts unternehmen, um sie zu retten.«

Ein schwacher Gedanke Aschmunadais holte Thetis aus seiner Tirade. »Bitte verlass mich nicht!«

»Ich kann nichts für dich tun.«

»Aber ich habe das nicht gewollt! Hilf mir, bitte!«

»Sag mir nicht, du wusstest nicht, worauf du dich einlässt. Du bist nicht vorbereitet, nicht reif, nicht erwählt. Es hat seinen Grund, warum die Erwählten so genannt werden.«

»Oh bitte! Ich wollte doch nur ein Kind!«

»Und Ehrwürdige Mutter werden?« Ein Kind wollte sie haben! Welches Leben dieser bemitleidenswerte Planet auch immer hervorbringen würde, die Verderbtheit war ihm in die Wiege gelegt.

»Bitte! Ich habe Angst vor dem Tod.«

»Du kehrst zurück in den Ewigen Ozean. Deine Seele wird erfrischt erwachen und es erneut versuchen, und dann hoffentlich die richtigen Entscheidungen treffen.«

Aschmunadai bäumte sich auf, wölbte sich zu einem Berg und fiel zurück. Ein gewaltiger Amethyst blieb zurück, schwebte frei im Raum, die letzte Verbindung zwischen dem Kristall und dem Körper der Göttin riss.

Fassungslos sandte Thetis einen Gedanken an den Kristall. Der Amethyst zitterte, antwortete mit einem verwirrten Gefühl. Das Massiv lebte!
»Ich bin jetzt bereit zu sterben!« Aschmunadais Stimme wurde sanft. »Sag meiner Emnasut, dass ich sie über alles geliebt habe.«

Thetis zögerte. Was hatte Aschmunadai nur dazu gebracht, dieses Leid auf sich zu nehmen? Hatte sie in ihrem jugendlichen Eifer nur die Verlockung gesehen – und die Qualen des Weges dorthin verdrängt? Und dass den Prozess die wenigsten überlebten?

Avancie drängte sich an ihn. »Tu etwas. Rette meine Tochter!«

»Warum tust du es nicht selbst? Hast du nicht gerade eben noch geprahlt, dass du so weit über mir stehst, wie ich über einer Küchenschabe?«
»Das geht nicht, und das weißt du. Aber dich hat der Hohe Rat nicht auf dem Schirm.«

Thetis sah sie schief an. »Der Hohe Rat weiß nichts hiervon! Du verbirgst uns vor ihm! Avancie, was hast du getan?«

Sie zuckte nur mit der Schulter. »Du rettest sie, und ich sorge dafür, dass keiner was mitkriegt.«

»Verdammt. Deine Tochter kommt ganz nach dir! Aber ich kann das nicht noch einmal tun. Die Regeln haben ihren tieferen Sinn.«

»Du würdest meine Tochter sterben lassen?«

Thetis fühlte sich in jede Ecke gedrängt, die das Universum hergab.

»Und wenn ich einen Weg wüsste, sie zu retten, ohne eine Regel zu brechen?«

Thetis stöhnte. Es konnte doch immer noch eine Nuance schlimmer kommen. Er kannte ihren Vorschlag, ihren Plan, das ganze Ausmaß ihrer Intrige, bevor er es hörte.

»Aschmunadai ist nicht bereit. Sie ist impulsiv und, nun, vielleicht würde ihr ein wenig Verantwortungsbewusstsein nicht schaden. Und du, mein Bester, bist versteinert in deinem Zaudern. Was, wenn ihr euch gegenseitig unter die Arme greift? Komm schon. Gib dir einen Ruck. Verlasse diese armselige Existenz! Raus aus dem Astralraum! Werde stofflich!«

Thetis war unfähig, den Blick von der sterbenden Göttin zu lösen.

»Worauf wartest du? Dir steht ein Leben als Ehrwürdige Mutter offen. Dir. Euch beiden. Ihr würdet euch prima ergänzen. Deine Besonnenheit und ihre Impulsivität! Und ganz nebenbei: Du könntest eine neue Menschheit schaffen. Na?«

Thetis wusste nicht, ob er überzeugt war, oder einfach nur noch müde. Was konnte da noch schiefgehen? Schlimmer konnte es nicht mehr werden.

»Sperr dich nicht. Ich pass auf dich auf, wie du vor so viel Äonen auf mich acht gegeben hast.«

Thetis stöhnte. Jetzt konnte es nicht mehr schlimmer kommen. Er gab auf.

 

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