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Es ist wirklich bedauerlich, daß die Fähigkeit, einen kleinen, heimlichen Blick auf das was vor uns liegt zu werfen, einigen wenigen Auserwählten vorbehalten ist. Noch kleiner ist die Zahl derer, denen es vergönnt ist, die Zukunft ihrer Mitmenschen sauber gegliedert und gestochen klar vor ihrem geistigen Auge oder einem anderen geeigneten Medium zu sehen.
Welch erhebendes Gefühl muß es sein, das Schicksal der ganzen Menschheit wie einen Film ablaufen zu lassen, ein eigenes Kino, das bisher unveröffentlichte Aufnahmen von Situationen zeigt, die erst noch passieren müssen. Ich bin mir nicht sicher, wie technisch ausgereift die Home Kinos dieser vom Schicksal Begünstigten bereits sind, beziehungsweise ob die Instanz, bei der die Rechte für die gezeigten Filme liegen überhaupt eine Weiterentwicklung anstrebt. Doch zumindest eine Funktion, so stelle ich mir vor, um Unwichtiges vorzuspulen und spannende, entscheidende Szenen, wie etwa Kriege und Terroranschläge, wieder und wieder ansehen zu können, muß vorhanden sein.
Schon im Kleinen ist sie unabdingbar, bedenkt man daß Erwählte, die sich für eine Beratertätigkeit berufen fühlen, ihrer wissensdurstigen Klientel sozusagen eine prägnante Zusammenfassung der jeweiligen Highlights liefern können.
Diese Art von Diensten, die mildtätige Seher ihren benachteiligten Mitmenschen gegen ein geringes Entgelt selbstlos zur Verfügung stellt, beinhaltet oft auch fundierte Lebensweisheit gewürzt mit einer kräftigen Brise Weisheit von oben.
Wieviel Unglück könnte vermieden werden, wenn jeder sich vertrauensvoll der geistigen Führung von medialen Lebensberatern, Engelswesen, weißen Hexen, fernöstlichen, weitgereisten Wahrsagerinnen und diversen anderen kompetenten Ansprechpartnern anvertraute.
Doch leider ist dies nicht der Fall. Ich weiß es, las ich doch vor einiger Zeit den verzweifelten Appell einer weißmagischen Seherin, mit deren und der Hilfe ihres spirituell geschulten Teams, die Menschen ferntelepathisch auf den Weg zum Glück zurückgeführt werden könnten.
Einige ignorante Zeitgenossen verstehen dennoch immer noch nicht die Tragweite ihres Angebots und wandeln einsam in dunklen Tälern, von Nebelschwaden umgeben, mit tränennassen Augen auf den Abgrund zu. Es ist eine Tragödie, deren Ausmaß erst spät abzusehen sein wird.
Für lächerliche 2.50 Euro pro Minute, und ganz ohne zusätzliche Kosten, könnten diese armseligen Geschöpfe ihr Leben retten und Weisheit erfahren, wenn auch in letzter Sekunde.
Obwohl es immer mehr werden (Gott sei dank!) scheinen immer noch viel zu wenig Leute diese Erkenntnis zu haben.
Dabei sind die Anstrengungen, die man unternehmen muß um einen Blick in die Zukunft zu werfen, das Rezept für ein weißmagisches Ritual zu bekommen oder gar einen Rat von einem medialen Engel zu bekommen (wiederum durch ein Medium) vergleichsweise gering.
Ein Blick in einschlägige, wöchentlich erscheinende Fachliteratur wird eine Fülle von Auserwählten bieten, deren Kompetenz man schon an ihren klangvollen Namen erkennt. So sind solche mit indischen und spanischen Namen, oder Namen, die auf eine Herkunft aus einer anderen Sphäre schließen lassen, grundsätzlich zu bevorzugen. Auch Fotos, auf denen wallendes, überlanges Haar einen Großteil des Raumes einnimmt, verheißen Gutes, auch wenn die Betreuung nicht immer durch den Seher persönlich erfolgt (diese sind meistens überaus beschäftigt, was verständlich ist).
Natürlich wird es einige unter den Normalsterblichen geben, die die Enttäuschung, nicht mit besonderen, übersinnlichen Fähigkeiten ausgestattet zu sein, nicht verkraften können. Diesen sei geraten, die Angebote besonders gründlich und gewissenhaft zu studieren. Vielleicht finden sie ein lizenziertes Medium, das die Einweihungsriten für Anfänger vollzieht, und ihnen so die Möglichkeit gibt, in den Kreis der Seher, Heiler und Wahrsager einzutreten.
Wer weiß, vielleicht können sie mich ja eines Tages im Kreis ihrer Kunden begrüßen?!
22.01.02
© by Claudia Lichtenwald