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„Vielleicht gibt es ja doch noch ein Happy End..."
„Vielleicht gibt es ja doch noch ein Happy End murmelte Tom leise während er sein Gesicht in Sophies Haaren vergraben hatte und den klassischen Sophie-Duft einatmete. Auch wenn die Haare nicht frisch gewaschen waren, so ließ sich dennoch der unverwechselbare Duft des Himbeeraromas ihrer Pflegespülung erkennen. Sophie löste ihr, durch die unzähligen verzweifelten Tränenausbrüche der letzten 24 Stunden, rotfleckiges und angeschwollenes Gesicht von Toms, durchs viele Krafttraining, definiertem Oberkörper. Wie hatte sie es doch immer genossen, sich an seinen starken Schultern anzulehnen, sich vollkommen beschützt zu fühlen und das Gefühl zu haben, dass komme was wolle, sich so lange Tom an ihrer Seite wäre alles zum Guten wenden würde. Wenn sie in seinen Armen gelegen hatte, hatte Sophie stets voller Genugtuung gedacht, dass der Ausspruch eine ´starke Schulter zum Anlehnen haben´ auf sie definitiv zutraf. Aber eben diese ´starke Schulter´ würde ihr nun bei allen Widrigkeiten des Lebens, die noch auf sie zukommen würden, fehlen. Sophie blickte Tom aus verquollenen und verklebten Augen heraus an. Schnodder klebte unter ihrer Nase. Ganz der Mann war Tom darum bemüht die Fassung zu bewahren und nicht zu heulen – denn große Jungs weinen schließlich nicht. Vielleicht war er aber auch einfach noch zu überwältigt von den negativen Entwicklungen, die sein Leben innerhalb eines Tages genommen hatte. Doch nichtsdestotrotz konnte Sophie in seinen Augen die Traurigkeit und den Schmerz erkennen. Beinahe hatte sie sich schon von Tom gelöst, um nun doch die Wohnung zu verlassen und in ein Leben ohne Tom zu gehen, doch sie konnte einfach nicht. Nein, sie konnte einfach nicht. Denn sobald sie ohne Tom über die Türschwelle treten würde, wurde ihr schmerzlich bewusst, war sie nicht mehr Toms Freundin. Von diesem Moment an würde Tom nicht mehr ihr Freund, sondern nur noch ihr Ex-Freund sein. Doch der endgültige Abschied war nun nicht mehr aufzuhalten und so drückte Sophie Tom noch einmal ganz fest an sich, um sich das Gefühl seines warmen und starken Körpers felsenfest im Gedächtnis zu verankern. „Dieses Gefühl muss ich mir einprägen, dieses Gefühl darf auf keinen Fall verloren gehen, an dieses Gefühl will ich mich mein Leben lang erinnern können. Denn immer wenn in den letzten fast acht Jahren etwas schief ging, ich traurig war oder Angst hatte, wusste ich so lange ich in Toms starken Armen Zuflucht finden kann, würde sich alles irgendwie zum Guten wenden. Aber dies wird in Zukunft ja so nicht mehr sein.“ Diese Gedanken schossen Sofie resigniert durch den Kopf. „So, dann flattere mal davon“ sprach Tom nachdem er und Sophie sich ein vielleicht letztes Mal ganz fest und innig umarmt hatten. Traurig blickten die beiden sich noch einmal an, bevor Tom die Tür schloss und Sophie mit schweren Schritten die Stufen des Treppenhauses herunterging.
Bei jedem Schritt so schien es ihr, wurde die Trennung zwischen Tom und ihr endgültiger. „Erschien es mir nicht als ein unglaublich erstrebenswerter Zustand frei davon zu fliegen und einfach zu schauen, wo hin oder auch zu wem es mich verschlägt? Was habe ich mir eigentlich dabei gedacht? Nun bin ich frei und habe nicht das Gefühl frei und leicht wie ein Vogel davon flattern zu können, sondern fühle mich eher wie ein Nilpferd, das gerade in einem Sumpf aus Tränen versinkt.“ Diese und ähnliche trübsinnige Gedanken schossen Sophie durch den Kopf.
Schließlich trat sie aus der Wohnungstür. Draußen herrschte das typische Novemberwetter. Kalt peitschte der Wind den Regen Sophie ins Gesicht, so dass sich dort der schmuddelige Novemberregen und Sophies salzige Tränen vermischen. Sie zieht sich die Kapuze tief ins Gesicht, um den Passanten den Blick auf ihr verheultes Gesicht zu verbergen. Doch dies ist eigentlich nicht notwendig, denn die Straßen sind dank der Uhrzeit und dank des Wetters nahezu leer gefegt. So geht Sophie durch die leeren Straßen und ebenso wie auf den Straßen herrscht auch in ihr drinnen eine tiefe Leere. Während der Novemberregen weiter auf sie einprasselt und bis in die Tiefen ihres grünen Parkas dringt, wird ihr plötzlich schlagartig eine gewisse Ironie bewusst und das erste Mal seit Verlassen von Toms Wohnung muss sie ein wenig lächeln. Doch dies ist kein freudiges, sondern eher ein zynisches Lächeln. Denn Novemberregen war schon ganz zu Beginn ihrer Beziehung nicht ganz unwichtig gewesen. Damals war es zwar März und der nächste Novemberregen war noch eine ganze Weile entfernt. Zwischen diesem März und dem nächsten Novemberregen lag noch ein ganzer heißer Sommer voller Leidenschaft. Während ganz Deutschland vom Sommermärchen sprach, erlebten die beiden ihr eigenes ganz persönliches Sommermärchen. Bei der Erinnerung an eine andere Zeit, an ein anderes Leben und auch an eine andere Sophie, summte sie plötzlich unbewusst einige Song-Zeilen er Band Guns ´n Roses. „We still can find a way - 'Cause nothin' lasts forever - Even cold November rain.“ Vielleicht gab es ja doch ein Hoffen darauf, dass sie sich nicht ewig so fühlen würde, wie jetzt gerade... Vielleicht würde sie sich, wenn der Novemberregen vorbei ist, wieder besser fühlen... Und ganz vielleicht gibt es ja doch noch ein Happy End... „Vielleicht gibt es ja doch noch ein Happy End“, murmelte Sophie leise vor sich hin und sie lächelte und das Lächeln war dieses Mal kein zynisches, sondern ein echtes und hoffnungsvolles.
Als dieser kleine Hoffnungsschimmer sich wirklich und wahrhaftig bei Sophie manifestiert hatte, wurden ihr auch plötzlich wieder solch triviale Dinge, wie beispielsweise etwas zu essen bewusst. Wenn Sophie einmal tatsächlich der Appetit vergeht oder sie schlicht und ergreifend vergisst etwas zu essen, dann muss das schon etwas heißen. Und nachdem sie bis zum Abend nur eine Banane gegessen hatte, war es natürlich nicht verwunderlich, dass sie trotz aller Melancholie wieder ein ganz gewöhnliches und unspektakuläres Gefühl, wie Hunger empfand. Wenig später ging Sophie weiter ihres Weges, doch in ihrer Hand hielt sie nun eine große Portion Pommes mit Majo. Fast schon gierig tunkte sie die erste Pommes in die Majo, führte sie zum Mund, kaute und kaute – und kaute. Doch es gelang ihr nur unter Mühen die Fritte herunterzuschlucken und dies, obwohl sie Pommes normalerweise nur schwer wiederstehen konnte. Der Kloß in ihrem Hals war wieder klar und deutlich zu spüren. Sophie schluckte, doch der Kloß ging nicht weg. „Ohne Tom schmecken Pommes einfach nicht richtig. Wenn ich jetzt aus irgendeinem x-beliebigen Grund traurig wäre und nicht weil es keinen Tom mehr in meinem Leben gibt, dann würden wir jetzt einen lustigen Film gucken, Weißwein trinken, Snickers Eis und eben Pommes mit Würstchen essen und dabei glücklich ineinander verschlungen auf dem Sofa zu sitzen und den Alltag einfach auszublenden“ Als Sofie bewusst wurde, dass sie vermutlich nie wieder gemeinsam nach einem anstrengen und vielleicht auch blöden Tag nebeneinander sitzen, essen, chillen und kuscheln würden, kamen ihr erneut die Tränen. „Und was, wenn es nachher doch kein Happy End geben würde?“ Das letzte Stück des Weges legte sie still schluchzend zurück und versuchte mal einfach an gar nichts zu denken. Denn nichts denken heißt auch nichts fühlen. Doch dies ist natürlich einfacher gesagt, als getan. Und während der Regen einfach nicht aufhören wollte, fühlte sie sich so orientierungslos, wie sich Odysseus gefühlt haben musste, als er den Winden des Aiolos ausgeliefert gewesen ist und nicht wissen konnte, wo es ihn dem Willen der Winde entsprechend hin verschlagen würde.
Zu Hause angekommen, legte Sophie sich sofort ins Bett. In der Hoffnung, es möge ihr irgendwie gelingen, sich vor der Welt da draußen und vor allen Schwierigkeiten zu verstecken, zog sie sich ihre Bettdecke über den Kopf. Nichts denken, nichts denken, nichts denken... Diese Worte immer wieder leise vor sich hin murmelnd glitt Sophie langsam in einen unruhigen aber glücklicherweise traumlosen Schlaf.
Zum gefühlten tausendsten Mal überprüfte Sophie kritisch ihr Spiegelbild – dieses Mal in der leicht verspiegelten Eingangstür des Starbucks unmittelbar in der Nähe von Toms Wohnung. „Verdammt, meine Haare fangen schon wieder an sich zu krüsseln. Weder seidig glatt, noch geschwungene Locken und nur nicht einmal Wellen. Diese Haare sind einfach nicht für das typische deutsche Wetter geeignet. Im Sommer sehen meine Haare eindeutig besser aus. Ich bin auch viel zu blass gerade. Kein Wunder, dass Tom mich im Sommer immer am schönsten fand; im Sommer, wenn ich braun gebrannt war und die Haare vernünftig aussahen – von der Sonne natürliche hellblonde Reflexe anstatt der künstlichen Strähnchen vom Frisör. Na ja, wenigstens war mir in den letzten Wochen jetzt nicht gerade danach voller Genuss zu schlemmen, so dass sich meine Figur gerade durchaus sehen lassen kann.“ Sophie trug einen kurzen abgeschnittenen Jeansrock, darunter jedoch der Jahreszeit entsprechend eine schwarze Strumpfhose und ihre geliebten UGG Boots.
Tom hatte diese Kombi bestehend aus kurzem Rock und klobigen Boots immer geliebt und heute wollte Sophie ihm um jeden Preis gefallen. Denn vielleicht gibt es ja doch noch ein Happy End... Sophie war aufgeregter, als bei ihrem ersten Date. Fast fühlte sie sich auch so, als wäre dies ihr erstes Date. Es hatte ihr richtig Spaß gemacht sich heute Mittag für Tom schön zu machen. Fast eine halbe Stunde hatte sie in ihrer kleinen Wohnung vor dem Kleiderschrank gestanden und mit Ausnahme der flatterige Sommerkleidchen und Tops nahezu den gesamten Inhalt des Schrankes auf dem Fußboden verteilt, um abzuwägen, in welchem Outfit sie Tom wohl am besten gefallen würde – ja, in welchem Outfit am ehesten der Grundstein für ein Happy End gelegt werden könnte. Natürlich war ihr bewusst, dass es bei der Frage, ob Tom sie nach alle dem, was vorgefallen war, wieder Hoffnung für eine gemeinsame Zukunft sehen würde, nicht von einem richtigen oder falschen Outfit bestimmt werden würde.
Sieben Wochen sind es nun schon her, seitdem Sophie vollkommen aufgelöst Toms Wohnung verlassen hatte. Sieben Wochen voller Zweifel und Bangen. Aber auch sieben Wochen lang, in denen Sophie die Hoffnung auf ein Happy End nie ganz aufgegeben hatte. Wie überglücklich war sie gewesen, als klar wurde, dass Tom sie wohl auch vermisst hatte und dass er sie auch gerne wiedersehen würde.
Aus der Ferne sah Sophie bereits das Schild der Bar, die sie als Treffpunkt vereinbart hatten. Von einer Lichterkette umrahmt, war der Name der Bar gut zu lesen. „Zu Hause“ leuchtete es in die Dezembernacht. Sophie überkam mit einem Mal ein wohliger Schauer, als sie fast bei der Bar angekommen war. Tom und sie hatten ausgemacht, dass sie sich draußen treffen würden, um dann gemeinsam in der Bar einen gemütlichen Tisch zu suchen. Tom war noch nicht da. Sophie schaute noch einmal im Nachrichtenverlauf des Messangers nach, ob sie nicht nachher etwas falsch verstanden hatte. Aber Treffpunkt und Uhrzeit hatte sie sich richtig gemerkt. Sobald sie ihr iphone wieder in den Tiefen der Manteltasche hatte versinken lassen, den Blick wieder aufgerichtet hatte, da sah sie Tom die Straße lang gehen.
Gut sah er aus. Groß und stark. Er war wohl vor ein paar Wochen beim Frisör gewesen, denn die Haare hatten genau die richtige Länge. Aber was viel wichtiger war, Sophie fühlte, wie eine Woge von Zärtlichkeit sie überkam. Am liebsten wäre sie einfach los gelaufen und ihm in die Arme gefallen. Doch dies ging natürlich nicht. Nicht nach sieben Wochen nahezu ohne Kontakt und vor allem nicht nach allem, was vorgefallen war. So blieb sie seitlich neben dem Eingang der Bar stehen und wartete bis Tom auf ihrer Höhe angekommen war. „Hey“, sagte Sophie. „Na“, erwiderte Tom. Beide lächelten. Hätte sie in diesem Moment jemand beobachtet, so wäre niemand auf die Idee gekommen, dass sie sich eigentlich schon acht Jahre kannten. In der Tat erweckte es den Anschein eines ersten Dates. Doch ein besonders aufmerksamer Beobachter hätte eine gewisse Vertrautheit und ganz tief versteckt einen Hauch von einer ganz besonderen Zärtlichkeit erkennen können. Doch der Anschein eines ersten Dates blieb bestehen. Doch vielleicht war dies gerade gut. Denn jedem ersten Date wohnt ein ganz besonderer Zauber inne. Dieser Zauber des ersten Dates liegt in der Hoffnung. Die Hoffnung, dass alles möglich ist, wenn es nur beide wollen. Die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft. Aber eben auch die Hoffnung auf ein Happy End. Mit dieser Hoffnung in ihren Herzen gingen Tom und Sophie in die Bar hinein, über deren Tür die Worte „Zu Hause“ in die kalte aber klare Dezembernacht hinein leuchteten. Sophie blickte Tom verstohlen von der Seite an, lächelte und dachte leise bei sich: „Vielleicht gibt es doch noch ein Happy End...“