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„Ich habe kein Geld mehr, können Sie mir etwas geben?“
Diesen Satz werde ich wohl noch auf meinem Sterbebett hören. Aus so vielen verschiedenen Mündern habe ich ihn gehört. Manchmal bittend, manchmal fordern, nie ohne Grund. Selbst im privaten Bereich höre ich diesen Satz: „ Du bist doch Sozialarbeiterin und weisst, wie man sich fühlt, wenn alles schief geht und das Betreibungsamt im Nacken sitzt.“ „Ich habe kein Geld mehr, kannst du mir etwas geben?“ Diese Münder sind eher bittend und bitten nie ohne Grund.
Als ich mein viertes Kind geboren hatte, wurde mir von der Krankenkasse eine Haushalthilfe bezahlt. Eine bezaubernde ältere Frau mit viel Herz. Sie hat mir kiloweise frisch gemachte „Spätzli“ eingefroren. Sie hat meinen Kindern nebst dem Putzen, Waschen und Kochen die schönsten Geschichten erzählt. Sie brachte mir beim Stillen des Babys ein Tee ans Bett und umsorgte so die ganze Familie. Ich wusste nicht, wie ich ihr danken soll. Auf meinen Dank erwiderte sie meist: „Ich mache das gerne.“ Nach 6 Wochen war ihr Einsatz bei uns beendet. Ich umarmte sie, dankte und sagte: „ich werde Ihnen nie zurückgeben können, was sie für uns gemacht haben. Sie antwortete lächeln: „Kein Problem ich habe schon viel Hilfe von Menschen erhalten und konnte es Ihnen nie direkt zurückgeben. Ich denke halt, wenn ich anderen helfe ist das ebenso viel wert.
Eine andere Geschichte ist, dass ich bei der Scheidung dringend Geld brauchte für mein Studium als Sozialarbeiterin. Ich fand einen älteren Mann, der bereit war, mit ein zinsloses Darlehen zu gewähren. Ohne grosse Worte überwies er mir das Geld. Wir vereinbarten, dass ich wenn ich das Studium fertig hatte, ihm monatlich Fr. 500. — wieder überwies. Alles klappte wunderbar. Sobald ich anfing richtig zu verdienen habe ich ihm die Raten überwiesen. Nachdem ich 5‘500. — bezahlt habe, rief er mich an und lud mich zu einem Kaffee ein. Er meinte: „Sie können aufhören zu zahlen, für mich ist das Darlehen getilgt“. Er erzählte mir, dass er seit 35 Jahren dieses Geld an andere Menschen vergab und dass er es immer wieder zurückbekommen hatte. Ich war beeindruckt und gerührt.
Vor einiger Zeit habe ich einen Mann kennengelernt, ich war total verliebt in ihn. Er konnte seine Miete nicht bezahlen und bat mich um Fr. 1000.--. Ich habe ihm das Geld gegeben. Nach einem Monat wollte er Fr. 2000. —, er könne die Miete wieder nicht bezahlen. Er setzte mich derart unter Druck, dass ich die Beziehung Knall auf Fall beendete. Er schrieb mir Drohmails ins Büro. Ich antwortete ihm nicht mehr. Er hat aufgehört zu schreiben, und das war gut für ihn, ansonsten hätte ich ihn angezeigt, wegen Belästigung und Bedrohung.
Ich weiss nicht, ob ich das Geld jemals wieder zurück erhalte und meine Schlussfolgerung hätte sein können, niemandem mehr Geld auszuleihen. Vielleicht ist es nicht gerade eine professionelle Haltung, aber ich bin ja auch eine Frau, und dennoch denke ich an die bezaubernde ältere Frau und an den älteren Herrn, die beiden haben mir so viel Gutes im Leben gegeben. Ich spüre ihr Lachen und ihre Herzlichkeit, wenn ich den Satz höre: „ich habe keine Geld mehr, können sie mir etwas geben?