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„Harte Zeiten für Träumer...“

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25.12.2011
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„Harte Zeiten für Träumer...“

Der Vorhang öffnet sich und tausende Menschen schauen auf den jungen Mann, der dort selbstsicher stand, den Blick gesenkt, die eine Hand lässig an der Gibson-Gitarre, die andere zum Anschlag gehoben. Lederwesten, zerrissene Jeans, ärmellose Shirts, fette Gitarren und riesige Bühnen, das ist seine Welt, darin steht er der Elite des Old-School-Rocks in nichts nach. Die Belichtung setzt ein, alles läuft genau nach Plan. Die Menge kommt zur Ruhe, es wird still auf dem Festivalgelände. Was nun herrscht, ist die pure Erwartung. Die Spannung knistert, alles wartet auf den Einsatz. Sekundenlange Stille. Plötzlich schwingt der Rocker den ersten Akkord an. Begeisterungsstürme gehen durch die Menge, es wird geschrien, gepfiffen, gesprungen. Es folgt das Solo und die Menge tobt. Adrenalin schießt durch den Körper des Gitarristen, sein Herz schlägt wie wild und er genießt es. Nun der Break und sein neues Riff, sein persönlicher Höhepunkt des Abends. Das Publikum dreht schier durch, überall wird Beifall gerufen, doch durch die Rufe seiner Fans dringt noch etwas anderes. Eine Stimme, aufdringlich und alles überschattend, durchfährt die Menge. Der Rocker erschrickt. Ein kurzer Moment der Unsicherheit, und er rutscht ab. Die Begeisterungsstürme stoppen schlagartig. Er erstarrt. Was tut er hier nur? Die Stimme wird lauter, scheint näher, unmittelbar. Ein Raunen geht durch die Menge und die ersten Buhrufe erklingen, doch der junge Rocker ist unfähig, sich zu rühren. Bewegungslos steht er da, während das Publikum ihn anprangert. Die Stimme durchbricht die Geräuschkulisse. „Fabi, los doch!“ Die Welt verschwimmt, zerläuft förmlich. „Fabi, wir können nicht ewig auf dich warten!“ Die Stimme hatte Recht. Es war wohl Zeit, in die Realität zurückzukehren.

Fabi schreckte auf. Orientierungslos schaute er sich um. Hier stand er nun wirklich, umgeben von Menschen, die auf ihn hinab sahen. Was er hier in den Blicken sah, war keine Bewunderung, keine Begeisterung. Nach einigen Sekunden verstand er endlich, wo er wirklich war: In Raum 298, seinem Raum, dem Raum der 10. Klasse des städtischen Gymnasiums. „Fabi, wo bist du nur immer mit deinen Gedanken? Jetzt lies endlich deine Hausaufgabe vor.“ Frau Müller, seine Lehrerin. Fabi mochte sie immer, auch wenn sie sich selten durchsetzen konnte. Zitternd schaute Fabi durch die Klasse, versuchte den Blicken auszuweichen, die auf ihn einprasselten. Das Starren brannte schmerzhaft auf seiner Haut, bis er es nicht mehr aushielt. Er kratzte an seinen Armen, als könnte er die Blicke einfach wegwischen. Niemals fühlte er sich unwohler. „Was ist, Blindschleiche? Hat dir was die Sprache verschlagen?“ rief es von hinten. Die Klasse lachte. Fabis Wangen erröteten, selten fühlte er sich so unwohl. „Pascal, das ist unpassend. Noch so ein Kommentar, und du fliegst raus.“ Und mit einem Blick zu Fabi sagte sie: „Fabi, sei nicht schüchtern, lies schon vor.“ Fabi schluckte. Zweimal atmete er tief und schloss dabei die Augen. Dann begann er zu lesen: „Die V-V-Vorteile der heutigen g-globalen Verzw-ei-eigung sind za-za-za…“. Mehrere Huster aus der Klasse. Er stockte. Seine Zunge war wie gelähmt. Er wusste, dass sie alle über ihn urteilten, ihn verspotteten. „Fabi, langsam reicht es mir. Entweder du liest vor, oder ich muss dir für diese Stunde eine 6 aufschreiben, und ich glaube kaum, dass das deiner Mutter gut gefallen würde!“ „Was seiner Mutter gefällt, weiß ich immer noch am besten.“, rief Tobi mit einem breiten Lächeln. Zustimmendes Gemurmel ging durch die Klasse, hier und dort ein Lacher. „Tobi, geh jetzt zur Schulleitung.“ „Aber Frau Mü…“ „RAUS!“ „O-k-k-k-kay, Frau Müller!“, frotzelte Tobi noch und ging hinaus. „Und Fabi, mach weiter!“ Noch einmal atmete Fabi tief ein und seufzte tief. „… die Vorteile der globalen Verzweigung sind zahlreich. Überall auf d-d-er Welt k-kann man heute j-j-jede Art von Wirtsch-scha-schaftsgut erwerben…“ Minuten, die sich wie Stunden anfühlten, vergingen, bis es endlich zur Pause klingelte. Schnell verließ Fabi die Klasse, schaute keine Sekunde auf. Er wollte niemanden sehen und noch viel weniger wollte er gesehen werden. Mit jedem Meter wurde Fabi schneller, den Gang bis zum Ausgang rannte er fast. Er öffnete die Tür und ging hinaus auf den Hof. Erlösende Sonnenstrahlen trafen auf seine Haut.

Ruhe. Freiheit. Doch, das sollte nicht lange anhalten.

Es war große Pause. 1 Stunde zur freien Verfügung, bevor die Hölle des Unterrichts weiterging. Die anderen gingen jetzt zusammen in die Innenstadt, aßen etwas, spielten Billard in der nahegelegenen Bar, schlenderten vielleicht durch die vielen Geschäfte – aber nicht Fabi. Er musste runterkommen, irgendwie dem Stress der letzten Stunden entkommen. Aber vor allem musste er allein sein. Mit anderen Menschen konnte er nie viel anfangen, geschweige denn mit Jugendlichen. Er war ein Außenseiter, Freunde hatte er nie. Das lag zunächst einmal an seiner Erscheinung. Er war klein und schmächtig, trug eine Brille und seine Haut hatte immer dasselbe kränkliche bleiche Weiß. Die Haare ordentlich gescheitelt und gekämmt, die Kleidung akkurat und glatt gebügelt. Das weiße Hemd steckte er jeden morgen sorgfältig in die Hose, die schwarzen Lederschuhe polierte er gründlich. Dazu eine lange khakifarbene Hose. Nirgendwo war an ihm ein Fleck oder auch nur eine Fluse zu finden. Das hatte auch einen Grund. Fabi mochte Ordnung. Er liebte es, wenn alles an seinem richtigen, angestammten Platz war. Alles in seinem Leben musste ein System haben. Jedes Mal, bevor er zum Beispiel eine Arbeit in der Schule begann, reihte er erst alle seine Arbeitsutensilien der Größe nach auf. Dann schlug er das Buch an der entsprechenden Stelle auf, strich einmal über beide offenen Seiten, um sie glatt zu drücken, entfernte sorgsam mit seinem Radiergummi alle ungewollten Striche auf den Buchseiten und fing erst dann an, zu arbeiten. Oft sahen seine Mitschüler das und hänselten ihn deshalb, aber so sehr Fabi sich auch bemühte, er konnte damit nicht aufhören. Sein Verhalten schien den anderen Schülern seltsam, Fabi galt sogar unter den Freaks als Freak. So schien alles an Fabi geradezu zu schreien: „Ich bin ein kleiner Streber, kommt und tyrannisiert mich!“ Nicht nur deshalb mied Fabi es in der Regel, mit Menschen umzugehen. Lieber war er alleine. Auch in der Pause. Und so ging er an den einzigen Ort, an dem er jetzt allein sein konnte, zu seiner Zuflucht, seinem Refugium. Sein Refugium war eigentlich nichts besonderes. In der Nähe seiner Schule gab es einen kleinen öffentlichen Park mit einem Hügel – nicht schwer zu erreichen aber entlegen genug, dass man hier selten auf Mitschüler traf. Auf dem Hügel stand eine Bank. Seit Jahrzehnten war sie den Witterungen ausgeliefert, war Zeuge verschiedenster Geschehnisse geworden. Sie hatte erste Küsse erlebt, Liebesgeständnisse, Verlobungen, aber auch Trennungen, Streitigkeiten und Betrug. Einmal war sogar ein Bettler in einem besonders kalten Winter auf ihr gestorben. All diese Erinnerungen sind heute verblasst, viele werden für immer vergessen sein, doch die Parkbank bleibt bestehen. Oft sitzt Fabi auf ihr und denkt darüber nach, was diese alte, verrostete, grüne Parkbank alles erlebt hat, welche Geschichten die vielen Menschen erlebt haben, die hier ihre Namen eingeritzt haben. Heute brauchte Fabi das besonders. Er musste den Kopf frei kriegen. Fabis Weg führte ihn also durch den kleinen Park, vorbei an Rentnern, die gerade Enten Brot zuwarfen, spielenden Kindern, sogar dem ein oder anderen Drogensüchtigem auf der Suche nach dem ultimativen Kick. Mit schnellen Schritten lief erst den asphaltierten Hauptweg entlang, bis er dann auf einen der unzähligen Trampelpfade abbog. Fabi kannte sich hier aus, wie in seiner Westentasche, als könnte er eine Karte des Parks zeichnen – tatsächlich hatte er dies bereits vor Wochen getan, nur aus seiner Erinnerung. So stieg er also weiter über Geäst, kleinere Büsche und wich den in den Pfad ragenden Zweigen aus. Nun kam er an der letzten Kreuzung an. Von hier aus musste er bloß noch die eine Ecke passieren und dann dem Pfad steil bergauf folgen. Er ging also um die Ecke, voller Vorfreude lächelnd… Und dort standen sie. Drei Jungs aus Fabis Klasse. Allesamt waren sie größer als er, allesamt stärker und allesamt dümmer. Sie hassten Fabi. Nicht nur, weil er ihnen im Verstand klar überlegen war, sondern vielmehr, weil er anders war. Fabi blieb schlagartig stehen. Das Lächeln verging ihm sofort. Die drei Jungs, die zuvor noch angeregt miteinander darüber sprachen, wer wessen Mutter am liebsten „knallen“ würde, drehten sich um. Viktor, der jüngste und kleinste der drei Jungen trat einen Schritt vor. Viktor war 16 und hatte bereits eine Anzeige am Hals. Gewalt war sein zuhause. Schließlich erlebte er sie dort jeden Tag mit, während sein Vater seine Mutter im Suff schlug. Und so wie zuhause, ist ihm auch sonst nicht zum Lachen zumute. Mit Viktor war selten zu scherzen. „Na, wen haben wir denn da?“, sagte Viktor hämisch. „Hast du dich verlaufen, mein Kleiner?“ Fabi schaute zu Boden. Zitternd stand er da, konnte sich nicht bewegen. Den Blick auf Fabi gerichtet lief Viktor um Fabi herum. „Hey, Tobi, wir haben etwas gefangen. Hat sich die Jagd doch noch gelohnt, was?“ Tobi, ein hünenhafter Junge von 18 Jahren und 1,90 Größe, der bereits 2 mal sitzen geblieben war, antwortete: „Oh, ein Häschen. Was für eine Überraschung. Was machen wir mit kleinen süßen Häschen, Pascal?“ „Wir schlachten sie!“ gröhlte Pascal. Pascal war der inoffizielle Anführer der Clique. Er war klüger als die anderen beiden anderen, besonders intelligent jedoch nicht. Seine Haare waren kurz und zerzaust, hinter dem Ohr trug er immer eine Kippe. Seine Jeans war verblichen und hatte Löcher, meistens trug er dazu eine Lederjacke. Fabi verstand nie, wieso er das tat. Allen anderen Schülern jedoch lief beim bloßen Anblick dieser durchaus muskulösen Gestalt ein Schauer den Rücken herunter. Die drei Jungen umkreisten Fabi weiter, bis sie ihn umzingeln konnten. „Noch ein paar letzte Worte, Spinner, bevor wir dich aufknöpfen?“, sagte Pascal feierlich. „Ja, die Zigarette hinter deinem Ohr sieht lächerlich aus!“, rief Fabi und von nun an ging alles rasend schnell. Einen Moment riss Pascal bloß den Mund auf. Verwunderung wurde zu Zorn. Pascal griff nach Fabis Schulter, hielt ihn dort fest. Fabi packte seine Hand, riss sie rum. Pascal zog sich vor Schmerzen zusammen, während Fabi seinen Arm immer weiter verdrehte. Verdutzt starrten Viktor und Tobi dieses Schauspiel an. Niemand wollte und konnte einschreiten. Zu groß war der Schock. Währenddessen sank Pascal zu Boden. Den schmerzenden Arm haltend, wimmerte Pascal. Er war außer Gefecht gesetzt. Endlich löste sich Viktor aus der Erstarrung. Er ging auf Fabi los, versuchte ihn zu schlagen. Plötzlich schien die Welt sich zu verlangsamen. Für Fabi war es, als bewegte sich alles in Zeitlupe. Schnell wich Fabi aus und Viktor geriet ins Taumeln. Nun sah Fabi seine Chance. Schnell versetzte er Viktor einen sauberen rechten Kinnhaken. Es knackte laut und auch Viktor brach zusammen. Nun standen sich Fabi und Pascal gegenüber. Pascal war kreidebleich. Er versuchte, Fabi ins Gesicht zu sehen und seine Angst zu verhehlen, doch er konnte Fabis Blicken nicht standhalten. Fabi machte einen Satz nach vorne und hob drohend die Hand. Pascals Augen weiteten sich, er sprang zurück, drehte sich um und rannte weg. „Das habt ihr nun davon!“, rief Fabi und ging siegessicher in Richtung des Berges. Er grinste breit, endlich hatte er mal einen Kampf gewonnen.

„Was grinst du so, Spasti? Was gibt es hier zu lachen? Leute, ich glaube, wir müssen ihm mal eine Lektion erteilen.“ Wieder diese Stimmen. Etwas stimmte hier nicht. Irgendetwas war falsch an diesem Park. Das Licht war etwas zu hell, die Blätter zu grün. Das hier war bloß ein Traum. Wie immer.

Fabi schrak auf. Um ihn herum standen sie tatsächlich, diese drei bulligen Jungs. „Noch ein paar letzte Worte, Spinner, bevor wir dich aufknöpfen?“ Fabi schwieg. Seine Knie wurden weich. Dann begannen die Schläge. Fabi wurde schwarz vor Augen.

Eine Weile später wachte Fabi mitten im Matsch wieder auf. Es war bereits dunkel, er war wohl eine Weile bewusstlos gewesen. Fabi sah auf die Uhr. 19:21 und 31 Sekunden. Er musste längst zuhause sein. Fabi stemmte sich auf. Bei jeder Bewegung tat sein Kopf weh. Er erfühlte seine Stirn, suchte nach Blut. Und tatsächlich, er hatte wohl geblutet. Aber das war jetzt egal, er musste nach Hause. Schnell. Er humpelte los. Bei jeder Bewegung schmerzte sein Bein und zog sich sein Magen zusammen, aber es war spät und er wollte keinen Ärger riskieren. Bis nach Hause war es nicht weit. Nur ein paar Straßen. Vor ihm schlängelte sich der Weg. „Ganz wie beim Zauberer von Oz. Ich muss bloß dem Weg folgen, dann kann ich endlich glücklich sein“, dachte er und wünschte sich, die Realität wäre tatsächlich so einfach.

Zuhause angekommen, schloss Fabi die Tür auf. Vorsichtig betrat er den Flur, schloss leise die Tür, doch es nützte nichts. „Junge, komm und bring mir ein Bier aus dem Kühlschrank!“ Fabi eilte in die Küche, holte das Bier und brachte es seinem Vater, der gerade mit Fabis Mutter „Wetten, dass…“ sah. Desinteressiert blickte er Fabi an, musterte ihn einen Moment lang und schaute wieder zum Fernseher. Seine Mutter tat es ihm gleich. „Harte Zeiten für Träumer, was Junge?“. „Ja, Dad.“, entgegnete Fabi rasch und ging nach oben. Er wusch sich noch das Gesicht, zog seine Schlafsachen an und legte sich ins Bett. Es war 9 Uhr und er war nicht müde. Kein bisschen. Er schloss die Augen und wartete darauf, dass der Schlaf ihn mitnahm, denn die Nacht, das ist die Zeit der Träumer.

Doch es sollte noch Stunden dauern, bis seine Gedanken ihn losließen und er endlich von einem besseren Leben träumen konnte.

 

Hi!

Mach doch erst mal Absätze, damit man den text besser lesen kann. So ist das schwierig. Vor allem bei der wörtlichen Rede. Da solltest du immer eine neue Zeile anfangen, wenn der Sprecher wechselt. Ich kann mir gut vorstellen, dass du dann auch Kommentare zum Inhalt deines Textes bekommst. Wäre ja sonst schade. Ich habs versucht, aber die Form hat mir das so erschwert, dass ich mir dachte, ich lese das dann nochmal, wenn es ordentlich überarbeitet ist.


Lollek

 

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