Überweisung
Weiß wie Elfenbein, sanft geschwungen. Über die kalte Keramik gebeugt, an sie gekrampft Halt suchend.
Durch ihr Oval hindurch starrt er die stille Wasserfläche auf ihrem Grund an, als wolle er in ihr versinken. Endlich werden seine Augen glasig, und mit einem Male speit er das letzte bisschen Lebenskraft hinaus, durch das Oval, nur weg damit.
Zuckt, krampft, würgt, wünscht sich das Ende herbei.
Als es wieder still wird, sein Körper zur Ruhe kommt, reißt ein schwacher Druck auf die Spülung wieder alles hinweg, sauber. Als wäre nichts gewesen.
Leer, leer, so leer.
Freundliches weißes Lächeln. Gewohnt, eingeübt, routiniert und irgendwie beruhigend.
„Wie geht ´s uns denn heute?“
Schulterzucken. Routinierte Antwort.
„Ach, ich kann nicht klagen. Muss, muss.“
Das Lächeln entspannt sich etwas.
„Sie haben Glück, gehen sie schon mal rein, heut ist kaum was los. Wissen ja, wohin. Der Herr Doktor kommt gleich.“
Der Herr Doktor, ja. Den Flur lang, himmelblauer Boden, dann links. Da steht schon der glänzende, kalte Lebensbaum vor der Liege, noch unbetropft, kahl. Tür angelehnt lassen, Schuhe aus, hinlegen, unbequem.
Warten.
Endlich kommt er herein, der weiße Kittel mit dem alten Kopf, souverän und aktiv.
„Guten Tag, wie geht´ s uns denn heute?“
„Gut, ganz gut“, lügt er, weil er die Wahrheit nicht ertragen kann.
„Naja, vielleicht brauchen sie ja dann bald gar nicht mehr kommen“, flötet der Arzt und macht sich am Lebensbaum zu schaffen, hängt vorsichtig den Tropf daran wie an einen Galgen. Erwartungsfroh hält er ihm seinen nackten Arm entgegen und erwartet sehnlich den kalten dünnen Stahl wie immer.
Schweigen, bis die Flüssigkeit die Kanüle hinunter läuft und in die Vene gelangt, dann dreht der Mediziner ab und lässt ihn alleine mit einem halben Liter Lösung, dass reicht für zwei Stunden.
Entspannt versinkt er in ihr. Die sehnlich erwartete Infusion wiegt ihn in zufriedenen Schlaf. Mit offenen Augen träumt er:
Ich bin glücklich.
Es ist alles gut.
Ich bin mehr wert als die Summe meiner Organe.
Es ist schön, das Leben.
Zwei Stunden lang.
Danach taumelt er, von der Kanüle getrennt, zum weißen Oval und versenkt alle seine Reste darin.
Der Doktor zieht ein ernstes Gesicht am nächsten Tag, macht keine Anstalten, den dünnen stählernen Lebensbaum neu zu bestücken. Angesichts dieses Routinebruchs wächst in ihm instinktive Nervosität.
„Was ist los?“ speit er endlich den Fragebrocken ins den alten Kopf. Dieser wirkt wie ein Denkmal.
„Es tut mir leid.“, sagt er jetzt, „aber ihre Therapie ist wegen Erfolglosigkeit abgebrochen worden. Hier ist der Bescheid.“ Der Arzt hält ihn vor sein liegendes Gesicht wie einen Schild. „Was, was heißt das?“, fragt er nur, Farbe verlierend.
„Die Kosten werden nicht mehr getragen. Es lohnt nicht. Ab jetzt keine Infusionen mehr. Ihr Körper stößt sie eh ab, dass wissen sie.“
Er krampft unwillkürlich. Es ist aus. Nie wieder ein zum Lebenssinn gewordener halber Liter Trost, 6%, ohne Kochsalz. Aus Kostengründen. Weil er ihn abstoßen würde. So ein Schwachsinn. Jeder verträgt die Lösung.
„Aber Herr Doktor, ich, ich...“, trotzt er weinend. Fleht, es noch einmal zu versuchen.
Aber der Mediziner pocht auf den Zettel. Keine Therapie mehr. Schließlich schickt er ihn weg mit der Information, es gäbe noch eine Sinn versprechende Alternative.
Den Flur entlang, himmelblauer Boden. Dieses Mal rechts. Ein Schild, ja, es sagt, Neurologie, da muss er vorbei dran, weiter geradeaus.
Ich bin glücklich, es ist alles gut, ich bin mehr wert als die Summe meiner Organe, es ist schön, das Leben wird es nie wieder geben.
In der verkrampften Hand trägt er die weiße Überweisung des Arztes zur Euthanasie.