- Beitritt
- 02.02.2004
- Beiträge
- 3.781
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 14
Überspannte Haushaltsgeräte
Ein fensterloser Raum in einem alten Lagerhaus, im Kreis angeordnet mehrere Elektrogeräte, die Stimmung war gereizt.
"Hei, Bro, Heizstab weg von der Kleinen!", rief Philip, nach eigenen Angaben das bestausgestattete Multifunktionsküchengerät seiner Zeit, und hielt dabei seinen Rührschlegel unter Brunos Gehäuse.
"Nenn mich nicht Bro, du eingebildeter Mixer", entgegnete Bruno, der mit Elektroband geliftete Haarföhn und Schwerenöter der Gruppe. Er schaltete auf Stufe 2 und blies Philip heisse Luft in seine Schüssel.
"Ich bin kein Mixer, ich bin ein Multifunktionsgerät!", schrie Philip in Brunos Warmluftstrom hinein.
"Ich kriege keine Luft!" Mielena, die melancholische Staubsaugerlady, saugte, was das Zeug hielt.
"Das hört sich jetzt aber nicht gesund an, Doc", raunte Clockia, die betagte mechanische Eieruhr.
"Hört auf! Alle zusammen. Sonst brechen wir die Sitzung ab", rief der Therapeut mit donnernder Stimme dazwischen.
Ercon Dishon, seines Zeichens mobiles Klimagerät mit Doktortitel in Psychologie zum Thema "Gibt es einen Zusammenhang zwischen Demenz bei Haushaltsgeräten und langjährig erlittener Überspannung?", eröffnete nach seinem Studium in Tokyo eine eigene Haushaltsgerätepraxis. Allerdings sah er seine Berufung eher in der Betreuung lieblos Ausgemusterter. Er vergass nie das Bild seines Vaters, als sie ihn mit erhobenem Hauptaggregat in die Recyclingpresse schoben.
So eröffnete er gleich bei seiner Ankunft im Hafen von Rotterdam eine Selbsthilfegruppe für randständige Haushaltsgeräte.
"Willst du mal an meinem Rohr schnuppern, Süsse?" Bruno hatte sich wieder zu Mielena gedreht und bliess ihr warme Luft ins Rohr. Mielena hyperventilierte auf Maximalstufe und kippte hintenüber, worauf der Überlastschalter ansprang und ihr eine Auszeit gönnte.
"Bruno! Was haben wir letzte Woche über Umgangsformen ..."
Ein lautes Klopfen liess alle Geräte verstummen, nur Dishons Assistentin Clockia, die mechanische Eieruhr, zählte gut hörbar die Sekunden fürs Protokoll.
"Herein", rief Dishon. Die Tür schwang auf und ein etwas heruntergekommener Wäschetrockner schob sich über die Schwelle.
"Hallo, bin ich hier richtig bei den anonymen ..."
"... Haushaltsgeräten. Ja, komm rein und stell dich zu uns." Dishon zeigte auf die leere Stelle zwischen sich und Mielena, die immer noch hintenübergekippt ihre Auszeit nahm.
Der Wäschetrockner schob sich in die Lücke und seine Armaturen schauten etwas verlegen in die Runde.
"Wie ist dein Name und was führt dich zu uns", fragte Dishon.
"Bu. Bu Knecht und ich bin hier, weil ... weil ich unbrauchbar geworden bin." Er schaute betreten auf seine Trommel.
"Ha, noch so'n Weichei", grölte Philip und klatschte mit dem Schwingbesen gegen seine Schüssel.
"Hör nicht auf den alten Mixer", raunte Bruno. "Erzähl uns deine Geschichte."
"Ich liebe Geschichten", seufzte Mielena, die sich wieder eingeschaltet hatte.
"Nur zu, Bu!", ermutigte ihn Ercon und hielt Philip drohend seinen Sensor vor's Rührwerk.
"Also alles fing an, als die neue in unserer Waschküche auftauchte. Oh, wie war sie schön, eine richtige Lady ..."
"Muha, unser Super-Tumbler ist verknallt", prustete Philip und schnippelte ein paar Möhren klein. "Schnauze, Bro!"
"Fahr fort, Bu."
"Also, äh, diese Wachmaschine hatte einfach Klasse, schnurrte so ruhig vor sich hin, dass meine Heizstäbe ganz ohne Trockenprogramm zu glühen anfingen. Ich wollte nur noch in ihrer Nähe sein. Und so begann ich zu vibrieren. Das habe ich früher schon mal gemacht, einfach das Antriebsrad etwas andrücken, dann bewirkt die Unwucht ..."
"Quatsch keine Handbücher", rief Philip, "was war denn nun mit deiner Waschtussi? Hast du sie klar gemacht?"
"Jedenfalls vibrierte ich, was das Zeug hielt, und rutschte tatsächlich vom Sockel, immer weiter in ihre Richtung, noch ein paar Zentimeter und ich würde ihr zartes Blech spüren." Bu Knechts Anzeige glänzte versonnen im Neonlicht.
"Plötzlich kamen die Menschen und stellten mich fluchend zurück auf den Sockel."
"Ooch, wie gemein." Mielena klatschte auf ihren Staubbeutel.
"Ja, und so ging es dann eine Woche, ich versuchte, noch mehr zu vibrieren, damit ich endlich bei ihr landen konnte, doch am Ende schraubten sie mich einfach am Sockel fest."
"Nein", hauchte Mielena.
"Du bist nun mal ein ortsfester Automat", gab Dishon zu bedenken, "und die sollten auch möglichst an Ort und Stelle bleiben, dafür bist du konstruiert worden."
"Und was hat dich dann zum Alteisen verschlagen?", meinte Bruno.
"Böses Wort, Bruno, du weisst, dass wir das hier nicht dulden."
"Verzeihung, ich fön die Bemerkung zurück."
Bu liess sich nicht beirren, der Trockner war nun so richtig warm gelaufen.
"Wie ich da so festgeschraubt auf meinem Sockel stand, zwei Meter von der knackigen Lady mit ihrem verdammt noch mal scharfen Designergehäuse, da geht die Tür auf und ein verschwitzter Klempner schob einen blitzblanken Sonnyboy herein. Der hatte noch nicht mal richtige Knöpfe, nur so 'ne komische Bedienplatte."
"Wow, Touchscreen! Der war ja wirklich heiss", raunte Philip.
Bu senkte seine Stimme.
"Lady Tumblers Dioden leuchteten nur noch für ihn. Und mich haben sie einfach auf die Strasse gestellt."
"Ha, Alter, du hast dich verknallt und ein Frischling hat dich nach Strich und Faden ausgebootet!", prustete Philip hervor.
"Ich hau dir gleich meinen Adapter gegen die Schüssel, wenn du dich nicht sofort bei Bu entsch..."
Weiter kam Bruno nicht, Philip schleuderte ihm eine Ladung frisch pürierte Randen ins Rohr. Dabei erwischte es auch Mielena, die sofort wieder laut keuchend zu saugen anfing.
"Schluss jetzt!", rief Dishon und erhöhte kurzerhand auf 42 Grad Raumtemperatur, worauf die Überhitzungsschalter ihren Dienst verrichteten. Es herrschte schlagartig Ruhe.
"Immer das gleiche mit diesem Gemüseraspler", raunte Clockia, die dank rein mechanischem Uhrwerk bei Bewusstsein blieb.
"Okay, kurze Pause, bis sich ihre Schaltkreise wieder erholt haben."
Clockia stellte ihr Rad auf fünf Minuten und fing an zu ticken.
Ercon Dishon sehnte sich plötzlich nach Tokyo, dachte an die hübsche Mizubschi mit ihrem runden Design, den mandelförmigen Kühlschlitzen ...
"Ich sollte wieder mal ausspannen und Seeluft schnuppern."
Clockia schmunzelte und tickte wissend.
"Aber wer soll dann den armen Elektrodingern hier noch Hoffnung geben?", seufzte Ercon und schaltete in den Schockfrost-Modus. Tokyo musste warten.