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Überlebenstechniken für Zyniker

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Überlebenstechniken für Zyniker

Überlebenstechniken für Zyniker

Eigentlich gelten diese Zeilen allen intelligenten Menschen. Da alle intelligenten Menschen zuweilen ein gerüttelt Maß Zynismus verspüren, treffen diese Worte auch auf Sie zu.
Etwa nicht?
Dann gehören Sie keinesfalls zu meiner Zielgruppe. Verpissen Sie sich! Lesen Sie auf keinen Fall weiter, Sie widerlicher Gutmensch! Goutieren Sie philanthropische Fachzeitschriften für Zellulite (Frigitte, Frau im Spiegel) oder die neuesten Enthüllungen der Wichsblätter für Phallusbesessene (Auto Motor Sport, Auto Bild), was immer Ihrer sexuellen Orientierung am ehesten entspricht, Sie Zangengeburt, aber lesen Sie auf keinen Fall weiter!

Sie lesen ja immer noch. Dabei habe ich extra diesen Absatz eingefügt, um zögerlichen Kunden wie Ihnen die Entscheidung zu erleichtern. Sie sind also ein Zyniker. Eines dieser ekelhaften, menschenverachtenden, ewig nörgelnden, alles kritisierenden, schwarzmalerischen Wesen, die unverblümt lachen, wenn Schlagersänger ihrer ehrlichen Arbeit nachgehen, die Schwiegermutter auf Ihrem Türvorleger eine Sonne schießt und sich das Steißbein bricht – „Jeden Montag wird das Treppenhaus gebohnert. Ich dachte, du wüsstest das...“ – oder aufgebrezelte Sekretärinnen – „Ich bin administrative Assistentin!“ – mit ihrem Pfennigabsatz in einem U-Bahn-Gitterrost stecken bleiben und der Schwerkraft die Treppe hinunter folgen.
Sind Sie auch enttäuscht, wenn nach dem ohrenbetäubenden Kreischen zweier Bremsen kein erlösender Knall folgt? Fragen Sie Bullen, ob Schnauzbärte Teil ihrer Uniform sind? Gehen Sie im Osama-Bin-Laden-Kostüm zur Jahreshauptversammlung der National Rifle Association?
Ja?
Dann fühlen Sie sich umarmt! Ich liebe Sie. Weil Sie ein besserer Mensch sind. Weil Sie, wie fast jeder Zyniker, ein desillusionierter Romantiker sind, jemand, der das Licht gesehen hat, jemand, der eine Vorstellung davon hat, wie wundervoll dieser Planet sein könnte, wäre er nicht von uns bevölkert.
Ich meine damit natürlich weder Sie noch mich, sondern die aufgetakelte Yuppieschlampe, die an der Kasse vor Ihnen steht und ihr Päckchen ‚Yves Saint Laurent‘ mit der Kreditkarte bezahlt, obwohl die Schlange endlos ist. Drei Minuten später hat die Maschine endlich die Karte akzeptiert, die Tusse unterschreibt ein Formular, um die geschäftliche Transaktion zu besiegeln, da fällt ihr ein, dass sie schnell noch kalorienarme, das Zahnfleisch pflegende, Karies bekämpfende, Nikotingeruch beseitigende Kaugummis braucht, um dem von der Industrie vorgegebenen Bild eines vollwertigen Homo sapiens zu entsprechen. Flugs wird die Karte erneut gezückt, und als Sie endlich dran sind, ist selbstverständlich die Bonrolle alle.
Man kann das natürlich auf selektive Wahrnehmung schieben – weshalb ist es dann jedem schon mal passiert? – oder auf Murphys Gesetz, das nichts als selektive Wahrnehmung darstellt, doch die Erklärung derlei zivilisatorischer Syndrome ist viel grundlegenderer Natur:
Die Evolution hat in enger Zusammenarbeit mit Umweltkatastrophen, Darwinismus, giftigen Dämpfen und Fernsehshows eine Information auf unsere DNS-Stränge tätowiert, die uns – spätestens sobald unser Sprachzentrum weit genug entwickelt ist, also etwa mit drei Jahren – zu Arschlöchern werden lässt. In diesem zarten Alter finden wir heraus, dass wir von unseren Mitmenschen fast alles bekommen können, wenn wir sie nur lange genug nerven. Aus genau diesem Grund werden Süßigkeiten immer an der Kasse platziert, was unendlich viele Berufszweige am Leben erhält: Farbmittelhersteller, Werbefuzzis, Tierversuchsanstalten, Zahnärzte, Talkmaster, Therapeuten, um nur einige zu nennen.
Das genetisch angeborene Nerven beginnt mit der Pubertät erst richtig zu knospen. Wir nerven unsere Eltern so lange, bis sie uns endlich das Motorrad oder die Abtreibung bezahlen. Wir nerven unsere potentiellen Sexualpartner so lange, bis sie uns endlich oral befriedigen, danach nerven wir sie so lange, bis sie uns endlich verlassen, damit wir endlich ihre/n süße/n Schwester/Bruder fi... äh, nerven können. Während dieses nervtötenden Vorgangs nervt uns ständig die Werbung, so lange, bis wir endlich ihre Produkte kaufen, deren wohlkalkulierte Ersatzbefriedigung uns nervt, kaum dass wir sie besitzen.

Das Groteske ist, dass es funktioniert.

Die moralisch verfaulte Spirale unserer jüngst entschlüsselten Doppelhelix würde uns nie etwas tun oder denken lassen, das nicht arterhaltend ist. Wer am meisten nervt, gewinnt und pflanzt sich fort. Die Überlebensstrategie kann also folgerichtig nur darin bestehen, andere Mitmenschen mehr zu nerven, als sie einen selbst nerven.
Auch das funktioniert. Vertrauen Sie mir!
Wenn das nächste mal ein Vertreter geruht, Sie aus dem Bett zu klingeln, um Ihnen den preisgünstigsten Mobilfunkanbieter oder ein Zeitschriftenabonnement schmackhaft zu machen, probieren Sie es doch mal mit einer unverfänglichen Floskel wie: „Ich würd dich gern in den Arsch ficken, du geile Sau. Komm rein!“ Sollte der Vertreter auf ihr Angebot freudestrahlend eingehen, fügen Sie „Mit der Klobürste!“ hinzu und er wird sie in Ruhe lassen. Wenn nicht, nehmen Sie ruhig Rache an seiner Branche! Und tauchen sie die Bürste vorher in Domestos, damit er länger etwas davon hat!
Sollten Sie weiblichen Geschlechts sein oder ihrem Gegenüber körperlich unterlegen, empfehle ich: „Haben Sie schon mal über Gott nachgedacht?“ Dieser Evergreen unter den Partykillern funktioniert selbst bei den Zeugen Jehovas. Man muss sich nur schnell genug zum Satanismus bekennen und wild mit den Augen rollen. Ich persönlich schwöre auf Ziegenblut in Verbindung mit halb zerkauten Brausetabletten.
Neben der allgemeinen Nerverei, die unsere Spezies ausmacht, existiert noch die geschlechtsspezifische Nerverei: Frauen nerven am liebsten dadurch, dass sie eine Körperöffnung, die ursprünglich zur Nahrungsaufnahme konzipiert war, in grotesker Weise zweckentfremden, um Banalitäten wiederzukäuen. Männer nerven durch ein anderes Organ, das sie immer und überall irgendwo hinstecken müssen. Dazu fällt mir eine relevante Statistik ein:
Wussten Sie, dass 57 Prozent aller Penisverletzungen durch den Missbrauch von Staubsaugern entstehen? Führend ist dabei die Marke ‚Electrolux‘, deren Produkte dicht hinter dem Ansaugstutzen mit einem fiesen metallenen Rotor ausgerüstet sind, den selbstverständlich nur eine Lesbe erfunden haben kann. Der aufgeschlossene Zeitgenosse fragt sich, wodurch die restlichen 43 Prozent ihre Nudel verstümmeln. Scheidenkrampf? Ein scharfkantiger Vorderzahn? Trug das Schaf eine Spirale? Exhibitionismus nördlich des Polarkreises? Oder hat Mutti bei ihrem wilden Ritt vergessen, wie gefährlich es ist, wenn man im Rausch der Sinne unvermittelt abglipscht?
Ich weiß es nicht, tippe aber auf Zungenpiercings.

Bin ich vulgär und anmaßend?
Gut.
Nerve ich Sie?
Noch besser.

Grämen Sie sich nicht! Wir Zyniker müssen zusammenhalten. Stellen Sie sich nur mal vor, die Welt wäre von weisen, verantwortungsbewussten Menschen bevölkert! Das würde uns unsere Daseinsberechtigung entziehen. Und was noch viel grausamer wäre:

Wir hätten nichts mehr, worüber wir lästern können.

[ 23.05.2002, 11:59: Beitrag editiert von: Alpha O'Droma ]

 

Alpha!

Du sprichst mir aus der Seele.

Ich danke für dein Verständnis.

 

Also.....das ist GUT.....ich hab noch nie ne bessere Gesellschaftskritik gelesen. Bitte mehr davon ich lache immer noch.

 

Kann mich meinen Vorgängern nur anschließen. Endlich mal eine Satire, bei der mir die Tränen kommen :-)

 

Koestlich, ich habe mich glatt wiedererkannt. ;)

Aber warum Satire? Ist doch die volle Wahrheit. ;) ;)

Aber im Ernst, echt klasse gemacht, da werde ich glatt neidisch.

 

Klasse! Wirklich klasse!

Wenn das nächste mal ein Vertreter geruht, sie aus dem Bett zu klingeln, um ihnen den preisgünstigsten Mobilfunkanbieter schmackhaft zu machen, probieren Sie es doch mal mit einer unverfänglichen Floskel wie: „Ich würd dich gern in den Arsch ficken. Komm rein!“ Sollte der Vertreter auf ihr Angebot freudestrahlend eingehen, fügen Sie: „Mit der Klobürste!“, hinzu und er wird sie in Ruhe lassen. Wenn nicht, nehmen Sie ruhig Rache an seiner Branche! Und tauchen sie die Bürste vorher in Domestos, damit er länger etwas davon hat!

Die beste Stelle! Selten so gelacht :D

Gruß, Patrick

 

Wenn es irgend etwas gab, was ich an der Geschichte am meisten liebe, dann war es die Tatsache, dass sie mir von der Seele spricht.
Wenn ich was kritisieren müsste, ist es die Tatsache, dass es wie eine Anleitung klingt, aber: Das weiß ich doch schon alles. Das klingt natürlich auch anmaßend, aber verschafft mir quasi meine Daseinsberechtigung. Fast schon seit 20 Jahren. Abzüglich der drei Jahre, die man noch nicht nervig sein kann... - was soll das? Man nervt vom ersten Augenblick an! Das ist doch quasi ein Urinstinkt!
Trotzdem Danke für dieses glorreiche Doktrin - auf das die Menschheit eines besseren (?) belehrt werde! :D
Gruß, Cheese and Bacon.

 

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