Überheblichkeit (der erste Versuch)
Hallo!
Diese Geschichte habe ich mit ca. 15 Jahren geschrieben ... heute finde ich sie zwar nicht mehr gut, aber ich kann nicht genau festmachen, was mir daran nicht gefällt!
Jedenfalls bin ich gespannt auf eure Kritik!
Überheblichkeit
Es war bereits Mitternacht, als es bei mir klingelte. Ich hatte es mir gerade mit einem Buch im Bett bequem gemacht und stand nur mit Widerwillen auf, doch meine Neugierde trieb mich geradezu dazu an, nachzusehen, wer mich besuchte.
Ich öffnete die Tür einen Spaltbreit, darauf bedacht, nicht in Gefahr zu geraten. Der Wind wehte Blätter vor sich her, und es ging auf den Winter zu. Ich sah, dass er keine Waffe bei sich trug, es nicht einmal konnte: er war mit Hemd und dünner Anzughose bekleidet, doch zu frieren schien er nicht. Bevor ich Erbarmen zeigen und ihn hereinbitten konnte, hatte er bereits die Tür aufgedrückt, denn verwirrt wie ich war, hatte ich seiner Kraft nicht nachgeben können.
Er schritt den Flur entlang und öffnete intuitiv die Tür zum Wohnzimmer. Ich sprang ihm hinterher und fragte „Kennen wir uns?“ oder besser, ich versuchte es zu fragen, denn er schien mir gar nicht zuzuhören, und so kam ich über das erste Wort nicht hinaus. „Kennen ...“ stammelte ich, während er seine Blicke über meine Einrichtung schweifen ließ, und noch einmal „Kennen ...“.
Und wie er so in der Mitte meines Wohnzimmers stand, unnahbar und steif, begann er plötzlich zu reden; doch nicht zu mir, sondern mit sich selber. Ich verstand nicht viel, ich muss zugeben, dass ich ihn für geistig verwirrt hielt, ich konnte nur unvollständige Sätze heraushören.
Dann drehte er sich um. Nicht ruckartig, sondern langsam und fixierte mich dabei mit diesem abgeklärten, entrückten Gesichtsausdruck. Er war sehr groß und hatte stechende Augen, die meinen Blick gefangen hielten. Wohl deswegen weiß ich heute nicht mehr, wie sein Gesicht aussah. „Sie haben meinen Geschmack. Nicht verwunderlich“, sagte er, „ich nehme an, ich darf heute Nacht auf dem Bett in Ihrem Arbeitszimmer schlafen, das Sie extra für mich aufgestellt haben.“
Verwundert runzelte ich die Stirn. Tatsächlich stand ein Bett in meinem Arbeitszimmer, doch ich hatte diesen Mann nie gesehen, geschweige denn das Bett ausgerechnet für ihn aufgestellt. Warum ich ihn trotzdem dort schlafen ließ, ist leicht zu erklären. Meine Mutter pflegte zu sagen: Verrückten sollte man nicht widersprechen, und insgeheim hatte ich eine gewissen Angst vor diesem Fremden, zumal er so viel über mich wusste.
Wortlos führte ich ihn in das Arbeitszimmer (was gar nicht nötig gewesen wäre, er kannte meine Wohnung in- und auswendig), und er setzte sich auf das Gästebett.
„Ich weiß, warum ich bei Ihnen übernachten darf“, unterbrach er meine Gedanken, „denn ich habe Ihrer Mutter diese Ehrfurcht vor Verrückten beigebracht. Ich weiß auch, dass Sie mich für verrückt halten, denn ich wollte es so.“
Ungläubig starrte ich ihn an. „Meine Mutter“, sagte ich, „ist gestorben, als ich elf Jahre alt war. Sie können sie gar nicht gekannt haben.“ In der Tat schätzte ich ihn deutlich jünger als mich ein.
Er lächelte überlegen. „Ihre Mutter hat es nie gegeben. Sie existiert nur in Ihrer Vorstellung, verstehen Sie?“
Ich verstand nicht. Ich wollte nicht verstehen. Ich konnte mich noch an meine Mutter erinnern, wie sie mich abends vor dem Schlafengehen auf die Wange geküsst hatte, wie sie mich morgens umarmt hatte, bevor ich in die Schule gegangen war. Ich wollte einen Satz anfangen, doch dann setzte ich aus, biss mir auf die Oberlippe und schwieg. Es war ohnehin sinnlos, diesem Verrückten etwas einreden zu wollen. Am besten ließe ich ihn bis zum nächsten Morgen in Ruhe, in der Hoffnung, dass er dann freiwillig verschwinden würde, andernfalls müsste ich die Polizei rufen. Ich wünschte ihm hastig eine gute Nacht und war im Begriff zu gehen, als er aufstand und mich am Arm packte. „Bleiben Sie doch, lassen Sie uns ein wenig plaudern“, sagte er gespielt freundlich und zog mit der anderen Hand einen Stuhl heran. Ich setzte mich notgedrungen, klammerte mich mit beiden Händen an die Sitzfläche und spürte mein Herz schneller und deutlicher schlagen. Er setzte sich wieder auf das Bett, mir gegenüber, und zog eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche. Bevor ich protestieren konnte, hatte er sich bereits eine angezündet und die Schachtel wieder eingesteckt. Ich war zwar Nichtraucher, doch ich hatte nichts dagegen, dass er rauchte. Allein diese Geste, ohne um Erlaubnis zu bitten und ohne mir eine Zigarette anzubieten, regte mich auf. Doch ich klammerte mich fester an den Stuhl und zählte bis zehn, um mich unter Kontrolle zu behalten. Er schwieg und rauchte, ich wagte es nicht aufzustehen. So saßen wir dort einige Minuten lang, bevor er unvermittelt sagte, „Schauen Sie mich an. An Ihrer Stelle würde ich alle Messer, Gürtel und ähnlichen Dinge, mit denen man sich umbringen kann“, ich zuckte zusammen, „aus Ihrem Schlafzimmer entfernen, bevor Sie heute nacht zu Bett gehen.“ Ich beschloss, stattdessen lieber die Tür abzuschließen und zu verbarrikadieren und wand mich auf dem Stuhl in der Hoffnung freizukommen.
Grinsend fuhr er fort. „Es wird besser für Sie sein. Übrigens, wissen Sie, wer der Mörder Ihrer Mutter war? Das wird Sie sicher brennend interessieren.“
Zögernd schüttelte ich den Kopf. Meine Mutter war an Krebs gestorben.
„Er sitzt vor Ihnen. Und wissen Sie, wer Sie gezeugt hat? Bingo: das war ich auch“, brachte er noch heraus, bevor seine Stimme in ein krankhaftes Lachen überging.
Schaudernd setzte ich mich wieder aufrecht hin und kniff mich in den Arm, doch ich wachte nicht auf.
„Denken Sie an etwas Bestimmtes“, forderte er mich auf. Beinahe genervt, dachte ich an Vanillepudding.
„Vanillepudding“, rief er triumphierend aus, „das kannst du nicht, wa?“
Nicht nur, dass er kindische Spiele mit mir spielte, nun hatte er auch noch angefangen, mich zu duzen. Mit Mühe blieb ich auf dem Stuhl sitzen und schleuderte ihm meine vollste Verachtung ins Gesicht.
Er verzog den Mund. „Geh ins Bett. Morgen erkläre ich dir alles“, sagte er gelangweilt, fast schon gehässig. Dann legte er sich hin, den Rücken mir zugewandt.
Ich blieb noch einige Minuten sitzen, bevor ich in mein Schlafzimmer ging, die Tür sorgfältig abschloss und den Kleiderschrank davorschob. Um das Fenster kümmerte ich mich nicht, schließlich lebte ich im vierten Stock. Als ich gerade zu Bett gehen wollte, packte mich eine unbändige Sucht nach dem Tod, ohne dass ich mich dagegen wehren konnte; und obwohl ich bei vollem Bewusstsein war, konnte ich mich nicht davon abhalten, die Schubladen der Kommode nach einem Messer zu durchwühlen, doch ich fand keins. Also nahm ich den erstbesten Gürtel aus dem Kleiderschrank, bildete eine Schlinge, die ich mir um den Hals legte, und würgte mich; ein sinnloses Unterfangen, dass mir wenig außer Schmerzen einbrachte. Mein Gehirn wehrte sich gegen mein Tun, doch die Hände gehorchten nicht, wie von einer fremden Macht gesteuert. Endlich sank ich röchelnd auf den Boden, mein Hals löste sich aus der Schlinge, mir wurde schwarz vor Augen, doch ich blieb am Leben.
Als ich wieder zu mir kam, stand er über mir. „Steh auf“, befahl er mir, „komm mit.“ Ungeschickt stand ich auf und folgte ihm auf wackligen Füßen. Der Kleiderschrank stand an der üblichen Stelle, und auch die Tür war unverschlossen. Wir verließen die Wohnung, wir verließen das Haus. Auf dem Hof machte er Halt, und ich blieb neben ihm stehen. „Was siehst du“, fragte er mich, während er auf den sechsstöckigen Wohnblock zeigte.
„Sechs Stockwerke Gefängnis, für die man auch noch Miete zahlen muss“, anwortete ich bissig.
Er lächelte schwach und bemerkte, „für mich ist es ein Luxushotel“, dann grinste er breit.
Aus der Ferne hörten wir ein Auto. „In diesem Auto sitzt eine junge Frau“, sagte er. „Sie wird anhalten und mich fragen, ob ich mitkommen möchte. Ich werde Nein sagen und sie wird wütend weiterfahren.“
Tatsächlich kam es so.
Ich brachte ein schwaches Lächeln auf die Lippen. Abgesprochen, dachte ich mir, billige Tricks.
„Gib dir selbst eine Ohrfeige!“
Ich holte mit der rechten Hand aus und schlug mir mit aller Kraft auf die Wange, so dass ich einen Schmerzensschrei unterdrücken musste.
„Warum machst du das“, fragte er mich. Ich zuckte die Schultern.
„Deine Mutter hat es nie gegeben, dich gibt es auch nicht! Du bist nur das Produkt meiner Einbildung, ich bin das einzige lebende Wesen auf der Erde, ich kann tun, was ich will.“ Eine Krähe hatte sich auf seiner Schulter niedergelassen.
„Ich habe dich erschaffen, und ich kann alles erschaffen und über alles bestimmen.“ Als sei er größenwahnsinnig, hob er die Hände auf Höhe seines Gesichtes und ging in die Knie. Gottähnlich wollte er sein. Für einen Moment war ich drauf und dran, ihm zu glauben, dass ich nichts sei, nichts weiter als Teil seines Spiels, als ich ihn schreien hörte. Die Krähe hatte angefangen, auf sein Gesicht einzuhacken. Verzweifelt schlug er um sich, versuchte vergeblich die Krähe wegzuwischen, die sich mit den Krallen tief in seine Schultern eingegraben hatte. „Warum ist diese gottverdammte Krähe das einzige Wesen auf Erden, das mir nicht gehorcht?“ Sein Schreien klingt mir immer noch im Ohr, denn es war das Letzte, was ich von ihm hörte, als er die Straße hinablief.