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- Anmerkungen zum Text
Ich wollte mich mal an einer klassischen Abenteuergeschichte versuchen. Der Text ist etwas länger geraten als geplant, obwohl er nur den Anfang mehrerer Teile bilden soll .Hoffentlich kann er über die Länge zumindest eine gewisse Spannung aufrecht erhalten.
Überbleibsel
Die Expedition
Stitch streckte seine Hand der Sonne entgegen und schätzte den verbliebenen Winkel zum Horizont ab. Ihnen blieben etwa vier Stunden Sonnenlicht. Schnell synchronisierte er seine innere Uhr mit der neuen Berechnung. Seine Gelenke und Energieleitungen schmerzten beim Gedanken an weitere Stunden Marsch und Wire, der Hacker ihrer Gruppe, schien seinen Gedanken zu erraten: „Wir könnten heute doch mal früher Schluss machen. Die Schrotthaufen werden uns schon nicht weglaufen.“
Der Gedanke war verlockend, aber sie alle wussten, dass das keine echte Option war. Dafür war ihre Aufgabe zu wichtig. Die Hoffnungen ihrer Gemeinschaft lasteten auf ihnen. Nur mehr wenige Maschinen erwachten heute. Immer öfter brachen sie zu den Ruinen der großen Hallen auf, auf der Suche nach den Bauteilen für ein neues Mitglied ihrer Gemeinschaft und immer öfter kehrten sie mit leeren Händen zurück. Sie waren wie Aasfresser, die sich durch den Kadaver einer verlorenen Welt wühlten, doch die Mahlzeit neigte sich ihrem Ende zu.
Ein Licht blendete Stitch, er hob seine Faust und die Gruppe blieb stehen. Lens, ihr Späher, hatte etwas gefunden. Diszipliniert suchten sich Wire und Plate Deckung, während Stitch zu Lens aufschloss. „Ratten“, begann Lens ohne Umschweife und zeigte auf den Weg ein Stück unter ihnen. „Schon wieder? Das müssen hunderte sein“, erwiderte Stitch ungläubig. Eine Flut aus behaarten Körpern wälzte sich über den Pfad. Erbarmungslos drückten die Ratten ihre schwächeren Artgenossen nach unten, um nicht selbst von dieser unaufhaltsamen Masse zerquetscht zu werden. Die dabei herrschende Stille ließ die Szene surreal wirken. Ein Kampf ums Überleben, in völligem Schweigen. „Was kann eine so große Gruppe aufgescheucht haben?“, fragte Stitch flüsternd und mehr an sich selbst gerichtet. Lens zuckte nur mit den Schultern und fügte hinzu: „Sie ziehen weiter.“
Einige Minuten später verschwanden die letzten Nachzügler der Horde im Gebüsch und nur eine Handvoll sterbender Ratten blieb zurück, zu schwach, um die panische Flucht zu überleben. Doch auch ihre Zuckungen endeten bald und die Gruppe konnte ihren Weg fortsetzen. Sie gingen langsam und angespannt an den leblosen Körpern vorbei. Was auch immer die Ratten verjagt hatte, sie wollten mit Sicherheit keine Aufmerksamkeit auf sich lenken. Lens hatte sich bereits wieder von der Gruppe abgesetzt und erkundete den weiteren Weg. Plate inspizierte eine der Leichen. Im Vergleich zum Rest ihrer Truppe war Plate ein Hüne, trotzdem hätten ihn einige der Ratten auf den Hinterbeinen wohl überragt. In solchen Momenten wünschte sich Stitch manchmal, sie wären so groß und stark wie die Erbauer, die sie vor Jahrhunderten erschaffen hatten. Die Welt war ein gefährlicher Ort für die Kleinen. Er trieb sie zur Eile an, sie mussten vor der Nacht noch ein gutes Stück Weg zwischen sich und die Kadaver bringen. Wer wusste schon, was die toten Körper anlocken würden.
Die leuchtenden Sümpfe
Lens hatte einen der alten Lagerplätze am Rand der Sümpfe entdeckt, der noch aus Zeiten stammte, als der Pfad durch die leuchtenden Sümpfe selbst und zu anderen Siedlungen führte. Heute kam niemand mehr von dort und der Weg war schon vor Jahrzenten überwuchert worden.
„Wire, du kümmerst dich um Feuerholz. Plate und Lens, dreht eine Runde ums Lager, wir wollen möglichst keine Überraschungen erleben. Falls die Ratten aus den Sümpfen vertrieben wurden…“
„Dann könnten wir sehr bald herausfinden, wovor sie solche Angst hatten.“, verstand Plate die Andeutung sofort.
„Ich kümmere mich schon mal um die Energy-Packs von Cook.“
Wire begann fast augenblicklich zu jammern: „Wie kann jemand, der einzig und allein zum Herstellen von Energy-Packs gebaut wurde, nur so unglaublich schlecht darin sein. Meine Energiezelle meldet schon einen Totalausfall, wenn ich nur an das Zeug denke.“
„Du und deine Gourmet-Zelle werdet es überleben, zumindest verfällst du dann nicht auf halber Strecke in den Energiesparmodus.“, antwortete Stitch trocken. „Vielleicht wäre das gar keine schlechte Idee“, witzelte Plate, „dann könnte er sich zumindest nicht mehr beschweren.“
Eine halbe Stunde später war das Lager fertig und sie genossen die wohlverdiente Wärme des Feuers. Sie fühlte sich gut in den Energieleitungen an und ließ Stitch die Strapazen der vergangenen Tage für einen Moment vergessen. Außerdem genossen sie den Anblick der Sümpfe bei Nacht. Stitch kam nur noch selten hier her, doch das Schauspiel der Lichter hatte nichts von seiner Magie verloren. Ein Meer aus Millionen weißer Punkte erstreckte sich unter ihnen. Jedes Tier und jede Pflanze schien der Dunkelheit trotzen zu wollen. Nur Lens saß etwas abseits von ihnen und schien seine Blicke nicht von der Finsternis um ihr Lager lösen zu können. Als würde etwas darin lauern, wartend auf einen einzigen, unachtsamen Moment.
Plate warf einen Ast in das knisternde Feuer und wie zum Gruß an die leuchtenden Punkte der Sümpfe stoben tausende glühende Funken zum Himmel empor. Wire machte es sich auf seinem Rucksack bequem und schloss die Augen und auch Stitch wusste, was jetzt kam. Plate war als Krieger erschaffen worden, als Beschützer für ihre Gemeinschaft. Er war zwei Köpfe größer als Stitch und sicher doppelt so schwer, aber seine wahre Berufung waren die Mythen und Legenden der Welt. Eine kleine Geschichte würde ihnen allen gut tun, auch wenn ihre Sagen eine starke Tendenz zu unheilvollen Prophezeiungen, Tod und Weltuntergängen hatten.
Stitch lauschte noch eine Weile den Geschichten von Plate und dem Knistern der Flammen, doch schon bald glitt er in den Ruhemodus. Seine Gedächtnis-Subroutinen begannen ihr Werk. Stück für Stück katalogisierten sie die Ereignisse des Tages, durchwühlten seine Gefühle auf der Suche nach den prägendsten Momenten. Bilder toter Ratten blitzten in seinem visuellen Prozessor auf. Spitze, gelbe Zähne und leblose Augen starrten ihm entgegen, füllten ihn mit der vagen Ahnung einer drohenden Gefahr.
„Hallo Fremder, setz dich doch zu uns.“
Schlagartig warf ihn sein Basissystem aus dem Ruhemodus. Leicht benommen richtete er sich auf und öffnete die Augen. Fremder? Was redete Wire da bloß? Das Feuer war zu einer schwelenden Glut heruntergebrannt, doch Wire stand, hell erleuchtet, nur einige Schritte neben Stitch. Sein Blick folgte dem Licht. Zwei gleißend helle Punkte strahlten ihm entgegen und brannten in seinen Augen. Es dauerte ein paar Momente, ehe er sich an die Helligkeit gewöhnt hatte. Es war eine Maschine, nicht größer als sie selbst, mit zwei Händen und zwei Beinen. Doch seine Augen leuchteten wunderschön. Wo sie Stitch im ersten Moment noch geblendet hatten, gaben sie ihm jetzt ein Gefühl der Geborgenheit. Er wollte ihnen nahe sein, den Anblick nie wieder vermissen müssen. Langsam stand er auf und machte einen ersten Schritt in Richtung ihres Besuchers. Wire hatte ihn bereits erreicht, stand dicht vor dem Fremden, der ihn fest in seine Arme schloss. Stitch spürte Eifersucht in sich hochsteigen, auch er wollte die Umarmung spüren.
Plötzlich stöhnte Wire schmerzvoll auf, wollte sich von dem Fremden wegdrücken, doch der schloss seine Umklammerung nur noch fester. Stitch hörte ein Knacken. Wires Stöhnen wandelte sich in Schreie. Immer heftiger schlug er um sich, doch ihr Besucher schien nichts davon zu bemerken. Wieso wehrte er sich? Stitch konnte seinen Freund nicht verstehen, der Fremde wollte ihnen doch nichts Böses. Aus dem Augenwinkel nahm Stitch eine Bewegung war. Lens sprang hinter einem Felsen hervor und stürmte mit gezogenem Beil nach vor. Nein! Stitch konnte nur noch ungläubig seine Hand ausstrecken, doch stoppen konnte er seinen Gefährten nicht. Der Fremde brüllte auf, als sich die Axt in seinen Rücken grub. Das Geräusch fuhr ihm durch sein ganzes Exoskelett, es war unnatürlich hoch, klang, als würde man eine Metallplatte aufschlitzen. Wire sackte zu Boden, als ihn der Fremde aus der Umarmung entließ und seine Aufmerksamkeit auf Lens richtete. Er versuchte, den Späher mit einem schwingenden Schlag nach hinten zu erwischen, doch Lens rollte unter dem Angriff hindurch und kam einige Schritte entfernt elegant wieder zum Stehen. Mit einer fließenden Bewegung zog er den klappbaren Speer von seinem Rücken und ließ ihn mit einem Ruck in seiner vollen Länge einrasten.
Eine starke Hand packte Stitch am Arm und zog ihn hinter ein Trümmerteil. Plate schüttelte ihn und redete energisch auf ihn ein: „Komm zu dir! Stitch, reiß dich zusammen. Sieh ihm nicht in die Augen! Hörst du mich? Sieh ihm auf keinen Fall in die Augen.“
Was? Stitch war verwirrt, wusste einen Moment nicht wovon Plate sprach. Wire, er war verletzt! Wie hatte er die Schreie seines Freundes ignorieren können? „Plate, hör auf! Ich bin da, ich bin wieder da.“, versicherte er dem Krieger, der ihn noch immer schüttelte und fügte hinzu, „Wir müssen das Ding erledigen.“
Plate nickte nur, sie hatten gemeinsam schon genügend Kämpfe bestanden. Lens lenkte den Angreifer noch immer ab, hatte damit aber seine liebe Mühe. Die Schläge des Fremden waren schwerfällig und langsam, zu langsam für den flinken Späher. Doch er schien die Treffer von Lens nicht einmal zu spüren und jeder Angriff mit dem Speer gab diesem Ding die Gelegenheit für einen Gegenschlag. „Lens, Rolle!“, rief ihm Stitch zu. Der Späher begriff. Plate stürmte brüllend auf den Fremden zu, der sich zu seinem neuen Widersacher umdrehte. Als er mit seiner Schulter in den Angreifer prallte, hatte sich Lens schon hinter seinen Beinen platziert. Plate und der Fremde landeten krachend im Dreck und der Krieger fixierte seinen Gegner am Boden. Nur einen Augenblick später war Stitch zur Stelle, schob seine Hand zielsicher durch eine Öffnung im Exoskelett des Fremden und riss ihm die Energiezelle aus dem Leib. Geschafft, das Ding war erledigt.
Dann traf Stitch eine Faust ins Gesicht. Er segelte mehrere Schritte durch die Luft, bevor er schmerzvoll auf dem Boden aufschlug. Taumelnd kam er wieder auf die Füße. Alles drehte sich. Nur unscharf konnte er erkennen, wie Plate und der Fremde miteinander rangen. Wie war das möglich? Wie konnte sich dieses Ding überhaupt noch bewegen? Plate hob seinen Gegner hoch und schleuderte ihn in die glühenden Reste des Feuers. Der Fremde schrie auf, noch lauter als das erste Mal und voller Hass. Es wand sich vor Schmerzen in der Glut. Flammen züngelten über seinen Körper. Es versuchte sich wegzurollen. „Plate, halt es fest! Lass es auf keinen Fall aus dem Feuer!“, schrie Stitch. Mit zwei Sätzen war der Krieger an der Feuerstelle und fixierte den Fremden. Grausame Augenblicke lang schrie und wand er sich noch, doch schlussendlich verstummten die Schreie und sein Körper erschlaffte. Plate erhob sich und sie alle starrten voller Entsetzen zu den Überresten dieser Kreatur. Immer höher und heller schlugen die Flammen aus dem verkohlten Körper.
Wire! Stitch rannte zu seinem Freund, der immer noch verletzt am Boden lag. „Es ist in mir Stitch! Irgendwas ist von diesem Monster in mich reingekrabbelt!“, schrie ihn Wire verzweifelt an. „Beruhig dich, ich krieg das hin. Mach den Brustkorb auf“, antwortete ihm Stitch mit so viel Ruhe und Sicherheit in der Stimme wie er zurzeit zustande brachte. Ein leises Klicken ertönte und Wire öffnete den Brustpanzer seines Exoskeletts. Stitch kramte in seiner Tasche, zog eine kleine Taschenlampe heraus und fixierte sie magnetisch an seinem Kopf. Grüner Schleim kroch in den Eingeweiden seines Freundes herum. Stück für Stück breitete sich die Substanz aus, griff mit feinen Fäden nach der Elektronik und zog sich träge vorwärts. „Es ist in den Platinen, ich muss die untere Steuerungseinheit rausziehen. Wenn es zum Hauptprozessor kommt kann ich nichts mehr dagegen tun“, sagte Stitch. Wire riss die Augen weit auf und setze zu einer Erwiderung an: „Rausziehen? Moment mal, wir wollen doch nichts…“
Doch Stitch entfernte ihm die Platine bereits mit einem gezielten Ruck. Was auch immer dieses Zeug war, er würde nicht riskieren, dass Wire zu einem Monster mit Hypnosefetisch wurde. Stitch warf die Steuerungseinheit ins Feuer. Wire schaute seinem verlorenen Teil ungläubig hinterher. „Verdammt, ich brauch die noch! Ich spür meine Beine nicht mehr, Stitch!“, rief Wire vorwurfsvoll. „Heul nicht rum, ich habe ein Ersatzteil dabei“, antwortete er. Nach einem Moment hatte er die Ersatzplatine in seinem Rucksack gefunden und setzte sie seinem Freund ein. „Fertig. Lass uns hoffen, dass das alles von dem Zeug war, sonst fehlt dir bald sehr viel mehr als das Gefühl in deinen Beinen.“
Warnung
„Es duldet uns nicht mehr auf dieser Welt“, sagte Plate verzweifelt, „Das Leben will uns endlich den Garaus machen. Erst hat es die Erbauer von der Erde getilgt und jetzt sind wir als ihre Überbleibsel an der Reihe.“
„Ach komm schon, Plate“, antwortete ihm Wire vorwurfsvoll, „Nicht alles lässt sich mit Mythen und Legenden erklären. Die Welt schmeißt uns jedes Jahr eine neue Katastrophe vor die Füße und wir bewältigen sie, so wie wir es alle seit unserem Erwachen tun.“
„Wir müssen das Dorf warnen“, fiel ihnen Stitch ins Wort, „Was auch immer diese Dinger sind und woher auch immer sie kommen, wenn es eins davon gibt, dann gibt es noch mehr. Wenn sie das Dorf unvorbereitet erreichen, dann ist alles aus.“
So wie Stitch die Sache sah, stand ihnen ein unbarmherziger Marsch zum Dorf zurück bevor, die Expedition war abgeblasen. Überraschend meldete sich Lens zu Wort: „Sie kommen.“
Alle Blicke richteten sich auf den Späher, der bisher schweigsam etwas abseits der anderen gestanden hatte und seinen Blick über die Sümpfe gleiten ließ. Langsam und widerwillig gingen sie zum Rand des Lagers. Jeder von ihnen ahnte was sie sehen würden, doch sie zögerten den Moment hinaus, in dem ihre Vorstellung zur schrecklichen Realität werden würde.
Hunderte leuchtender Augenpaare wanderten aus den Sümpfen hinaus und begannen die umliegenden Hügel zu erklimmen. Ein kurzes, entsetztes Keuchen, zu mehr war keiner von ihnen fähig. Das war das Ende. Sie würden alles verlieren. Ihr Dorf, ihr Zuhause, ihre Heimat. Doch vielleicht konnten sie zumindest ihre Freunde retten, wenn sie sofort aufbrachen.
„Es gibt eine Funkstation“, begann Wire zu sprechen. Er wurde unter den überraschten Blicken seiner Gefährten sichtlich nervös. „Ähh… sie ist ziemlich verfallen, funktioniert aber noch. Ich bin dort alle paar Monate mal. Von hier aus könnten wir sie in ein paar Stunden erreichen.“
„Das ist perfekt!“, rief Stitch und schöpfte neue Hoffnung, „Damit können wir das Dorf warnen, lange bevor diese Dinger dort eintreffen. Dann können sich alle in Sicherheit bringen oder vielleicht sogar eine Verteidigung aufbauen. Wo ist sie?“
Wire schien bei der Frage ein ganzes Stück kleiner zu werden. Nervös kratzte er sich am Hinterkopf und starrte auf seine Füße. „Sie ist in den Sümpfen. Auf einer kleinen Lichtung in der Nähe des alten Handelsweges.“
Hätte Stitch eine Kinnlade, wäre sie ihm in diesem Moment vermutlich abgefallen. Wie um alles in der Welt sollten sie es jetzt lebend in die Sümpfe schaffen? Doch der Blick des Hackers wurde fester. Er sah Stitch direkt in die Augen und sagte: „Wir brauchen mehr Feuer.“
Die Welt war voller Schrott. Die Unmengen an langsam verfallendem Müll, den die Erbauer zurückgelassen hatten, würden die Erde noch in tausend Jahren übersähen. Zu ihrem Glück wie sich herausstellte. Sie hatten ein Fass mit einem großen, flammenden Gefahrensymbol gefunden, nur ein kleines Stück oberhalb ihres Lagers. Es war halb überwuchert und vergraben, aber immer noch gefüllt. Sie hatten die letzte halbe Stunde damit verbracht es auszugraben. Das Fass war viel zu schwer, als dass sie es bewegen hätten können, doch zum Glück würde ihnen die Schwerkraft diese Arbeit abnehmen. Lens kam zu ihnen gerannt und sagte: „Es wird Zeit.“
Plate und Stitch schlugen mit ihren Äxten auf beiden Seiten ein Loch in das Fass. Die klare Flüssigkeit verströmte einen beißenden Gestank. „Wire, jetzt!“, rief Stitch und der Hacker zog mit einem Seil den Holzpflock heraus der das Fass noch in Position hielt. Es bewegte sich nicht. Scheiße, scheiße, scheiße! „Plate, schnapp dir den Ast“, befahl Stitch. Der Krieger hob keuchend einen fünf Schritte langen Ast auf, schleifte ihn zur Erhebung hinter dem Fass und rammte ihn zwischen das Metall und das Erdreich. Zu viert zogen sie mit aller Kraft an dem improvisierten Hebel. Sie wirkten geradezu winzig im Vergleich zu dem haushohen Fass und zuerst schien ihre Anstrengung vergeblich, doch langsam setzte sich der Stahlzylinder in Bewegung. Stitch landete unsanft auf seinem Gesäß, als der Ast plötzlich seinen Widerstand verlor. Das Fass wälzte sich unaufhaltsam in Richtung der Sümpfe und verwüstete auch das Lager, in dem sie noch vor kurzem campiert hatten. „Anzünden“, sagte Stitch und Plate und Wire entfachten die beiden Spuren aus brennbarer Flüssigkeit, die es hinter sich herzog. Ein von Flammen beschützter Pfad breitete sich vor ihnen aus. Gleichzeitig stürmten sie los. Das war ihr Weg in den Sumpf.
Das Fass war nach einigen Metern im Dickicht der Sümpfe zum Erliegen gekommen und zu Stitchs freudiger Überraschung war es nicht unter ihren Füßen explodiert, als sie es mit ihren Enterhaken überklettert hatten. Mit etwas Glück würden die Flammen ihnen genügend Vorsprung verschaffen. Die Lichter der Pflanzen waren in dieser Nacht Fluch und Segen zu gleich. Einerseits erleuchteten sie die Umgebung genug, um auch unter dem dichten Blätterdach der Sträucher und Bäume zumindest den Boden unter den Füßen zu erkennen, andererseits sahen sie in jedem sich im Wind wiegenden Halm einen Fremden, der nur darauf wartete nach ihnen zu greifen. Es war mühsam, sich einen Weg durch die dichte Vegetation zu bahnen und dabei die schmalen Streifen festen Untergrunds zu suchen, die den Sumpf durchzogen. Mehr als einmal landeten sie in einer Sackgasse und mussten ihr Glück über eine andere Route versuchen.
„Wie weit ist es noch Wire?“, fragte Plate mit gedämpfter Stimme. Der Hacker blieb stehen und atmete tief aus, dann antwortete er: „Musstest du mich das wirklich in genau diesem Moment fragen, während wir auf einem glitschigen, morschen Baumstamm über ein Moor balancieren?“
„Entschuldigung, ich will nur endlich hier raus. Die Lichter machen mich langsam paranoid.“
Einen Moment herrschte Stille, dann antwortete Wire: „Ich denke wir sollten in der Nähe sein.“
Unvermittelt begann der Stamm unter ihren Füßen zu zittern und das Laub der Bäume und Sträucher um sie herum raschelte aufgebracht. Stitch ging in die Knie, um sein Gleichgewicht zu halten, doch nach einem Moment war alles wieder ruhig. Sie schauten sich nervös um, konnten jedoch nichts als die dunklen Schemen von Bäumen erkennen. Dann traf sie das nächste Beben, dieses Mal heftiger. Plate rutschte aus, konnte sich aber noch sitzend an den Stamm klammern. Plötzlich wurde die Welt um sie herum in gleißendes Licht getaucht. Zuerst konnte Stitch nicht erkennen, woher das Licht kam, doch dann wanderte sein Blick nach oben. Eine unmöglich große Maschine ragte hinter ihnen empor. Die drei Beine waren dick wie Baumstämme, wirken wegen ihrer Länge aber schon beinahe dürr. Sie trugen einen kugelförmigen Körper, der sie mit seinen zwei leuchtenden Augen in das kalte, blendende Licht tauchte. Schnell wandte Stitch seinen Blick wieder ab und brüllte: „Lauft!“
Mit drei weiten Sätzen überquerten sie den Rest des Baumstamms und wie durch ein Wunder rutschte keiner von ihnen auf dem glitschigen Holz aus. Die Erde schien sich bei jedem Schritt des Ungetüms zu heben. „Wo kommt dieses Ding nur her? Es gibt seit über hundert Jahren keine Maschine in der Größe mehr!“, schrie Stitch während er durch die Nacht hechtete. „Jetzt laufen, später denken!“, brüllte ihm Wire zurück und überholte ihn rechts. „Ausweichen!“, rief ihnen Lens entgegen und Wire und er machten einen Hechtsprung in entgegengesetzte Richtungen. Nur Sekundenbruchteile später grub sich ein Bein des Kolosses neben ihm in den Boden. Die Erschütterung warf Stitch von den Füßen. Auf allen Vieren zog er sich weiter vorwärts und rappelte sich wieder auf. Hektisch blickte er sich um. Lens und Plate waren verschwunden. Er schloss zu Wire auf, wollte ihm etwas zurufen, doch plötzlich traten seine Beine ins Leere. Für einen kurzen Augenblick schien die Welt um ihn herum stehen zu bleiben, ließ ihn verwirrt in der Luft hängen. Dann stürzte er nach unten in ein Erdloch, nein, einen Tunnel. Dunkelheit umgab ihn. Stitch wurde unsanft gegen eine Wand geschleudert als der Tunnel schlagartig die Richtung änderte. Unvermittelt endete die Röhre und er fiel. Für einen Moment herrschten nichts als Stille und Dunkelheit um ihn herum, keine Sinneswahrnehmung erreichte seinen Prozessor. Krachend schlug er am Boden auf. Plate keuchte unter ihm auf und presste gequält hervor: „Verdammt, das war das zweite Mal.“
Stitch rollte sich von seinem Freund. Einen Augenblick später landete auch Wire auf dem Krieger.
Beide rollten sich stöhnend auf dem Boden. „Lens, bist du auch hier?“, fragte Stitch in die Finsternis. „Hier“, antwortete der Späher und fügte nach einer kurzen Pause hinzu, „Was für ein beschissener Tag.“
Stitch musste unwillkürlich lachen.
Das Knacken alternder Relais ertönte und eine einzelne, flackernde Lampe tauchte ihre Umgebung in ein kaltes Licht. Sie waren in keiner Höhle gelandet, sondern im Raum eines verschütteten Gebäudes. Die einzige Tür lag staubbedeckt auf dem Boden. Aus den Angeln gerissen vom Schutt, der durch den Türrahmen quoll. Stitch entdeckte das Skelett eines Erbauers. Zusammengekauert verharrte es in einer dunklen Ecke, in Form gehalten von vertrockneten Überresten organischen Materials. Ein filigraner Helm voller Elektroden ruhte auf dem Schädel. Der Strang verbundener Kabel wand sich über den Boden und verschwand schlussendlich in einem stählernen Schrank. Wie lange es wohl schon so da saß? Stitch empfand Mitgefühl, stellte sich vor, wie der Mensch hier auf seinen Tod gewartet hatte.
Lens tippte ihm auf die Schulter und deutete mit einem Blick auf einen Schreibtisch nur wenige Schritte neben ihnen. Von hier unten war es schwierig zu erkennen, aber über der Tischkante lugte der obere Rand eines Terminals hervor und leuchtete schwach vor sich hin. „Wire“, begann Stitch zu sprechen, „klettre auf den Tisch und versuch dich in das Terminal zu hängen. Ich weiß zwar nicht, woher hier unten überhaupt Strom kommt, aber wenn es noch funktioniert, finden wir vielleicht heraus, wo wir gerade sind.“
Wire kramte seinen Enterhaken aus dem Rucksack, schoss ihn über den Rand der Tischplatte und zog sich zielstrebig nach oben. „Gute Nachrichten“, rief der Hacker vom Tisch herab, „es gibt einen Universalport. Mal sehen was ich aus der Antiquität noch herausbekomme.“
„Pass bloß auf. Wenn dir eine Überspannung die Schaltkreise grillt, wirst du die Zeit bis zur Rückkehr ins Dorf als Schrotthaufen in einem Rucksack verbringen.“, mahnte ihn Stitch. Eine Minute lange herrschte eine angespannte Stille, während sich Wire mit dem Jahrhunderte alten System verband. „Wie sieht es aus? Kannst du was interessantes finden?“, fragte Plate und durchbrach das Schweigen. „Ich brauch noch einen Moment, sowas habe ich noch nie gesehen. Der Datenspeicher ist riesig, aber hier herrscht das pure Chaos. Es ist ein ständiger Strom zusammenhangloser Informationsfetzen und nach einem Moment ist alles wieder weg. Wartet mal, da ist ein einfacheres Basissystem. Ziemlich gut versteckt, aber ich denke ich sollte mir Zugang verschaffen können. Was wohl passiert, wenn ich…“
Ein durchdringender, kreischend hoher Sinuston erfüllte den Raum und ließ sie zusammenzucken. Stitch schloss die Schutzklappen um seine Mikrofone, um die empfindlichen Bauteile zu schützen, doch nach einem Moment wich das Fiepen einem leiseren, aber deutlich beunruhigenderen Geräusch. Ein kaum hörbares Schluchzen und Wimmern drangen aus den Lautsprechern im Raum. „Ist das eine Aufzeichnung? Was spielst du uns gerade vor, Wire?“, fragte Stitch mit gezwungener Ruhe. Er konnte das Unbehagen förmlich spüren, das sie alle ergriffen hatte. „Vermutlich, keine Ahnung. Ich habe das nicht gestartet. Verdammt, ich komm hier so nicht weiter. Ohne etwas mehr Struktur in den Daten werde ich gar nichts finden, aber die Rechner sind jetzt schon völlig überlastet. Mir bleibt nur, den Speicher mit meinen eigenen Prozessoren neu zu organisieren. Das könnte jetzt richtig unangenehm werden.“
Plate und Lens sahen besorgt zu Stitch, aber keiner von ihnen konnte ihrem Freund gerade helfen. Ein angestrengtes Stöhnen kam vom Tisch und er sah, dass Wire auf die Knie ging. Die Datenmenge musste ihn an seine Grenzen treiben. Doch auch das Wimmern aus den Lautsprechern veränderte sich, wurde intensiver und flehender. Stitch bildete sich ein, einzelne Wortfetzen zwischen den gequälten Lauten zu hören. Etwas stimmte hier ganz und gar nicht. Immer weiter steigerte sich das Klagen, wandelte sich erst in unterdrückte Schreie und schlussendlich in verzweifeltes Kreischen. Unbewusst waren Stitch, Plate und Lens näher zusammengerückt und ließen ihre Blicke nervös zwischen den dunklen Schatten im Raum hin und her zucken. Plötzlich stieß auch Wire einen erschrockenen Schrei aus. Im letzten Moment bemerke Plate, dass der Hacker torkelnd vom Tisch fiel und fing ihn zielsicher auf. Der Krieger stellte Wire auf den Boden, doch seine Füße gaben unter ihm nach. Auf den Knien hockend sah er Stitch direkt in die Augen. „Es… es ist ein Mensch… oder zumindest war es, nein sie, dass früher mal. Sie ist hier seit 200 Jahren, Stitch. Ohne Augen, ohne Ohren, nur sie und die Dunkelheit. Verwirrt und allein.“
Niemand konnte etwas sagen. Es war ein Wunder. Keiner hätte damit gerechnet, jemals einen lebenden Erbauer zu finden. Gleichzeitig war es ein Alptraum. Plate fand als Erster seine Stimme wieder: „Wir müssen ihr helfen, irgendetwas müssen wir doch tun können.“
Beschämt senkte Wire seinen Blick und sagte: „Es gibt eine Serie von Radionuklidbatterien unter dem Boden, sie versorgen hier alles.“
„Ich werde es tun.“, sagte Stitch. Niemand sonst sollte mit dieser Bürde leben müssen. Plate sah sie einen Augenblick verständnislos an, doch dann trat die traurige Erkenntnis in seine Augen.
In den Raum waren wieder Stille und Dunkelheit eingekehrt. Nur ihre eigenen Lampen spendeten ein paar enge Kegel aus Licht. Sie standen im Kreis um die geöffnete Bodenplatte und starrten auf die abgetrennten Kabel der Energieversorgung. „Ihr Name war Susanne.“, sagte Wire leise.
Nach einigen Minuten hatten sie sich wieder gefangen. Sie mussten weitermachen, zu viel stand auf dem Spiel. „Konntest du irgendetwas…?“, fragte Stitch vorsichtig. Der Hacker straffte sich und antwortete: „Ja. Ich konnte eine ganze Menge sehen bevor ich… die Verbindung gekappt habe. Manches war wirr, aber es war genug. Wir sind angekommen. Die alte Sendestation gehört zu diesem Gebäudekomplex, wir haben es geschafft. Wir werden das Dorf rechtzeitig warnen können.“
Endlich ein paar gute Nachrichten an die sie sich klammern konnten. „Da ist noch etwas“, fuhr Wire fort, „Sie nannten es das Wiederherstellungsprogramm. Die Menschen wollten dem Leben eine Chance geben sich anzupassen, um in einer veränderten Welt zu bestehen. Also haben sie die übrigen Spezies mit Evolutionsbeschleunigern ausgestattet. Susanne hatte daran geforscht. Irgendetwas ist schiefgelaufen. Das Programm hätte beendet werden müssen, es gab Notfallpläne, Sicherheitsmaßnahmen. Doch es war niemand mehr da, der sie auslösen hätte können.“
„Über was für Notfallpläne reden wir hier?“, fragte Stitch. „Keine Ahnung, aber sie wollten damit die Veränderungen des Lebens aufhalten, vielleicht sogar rückgängig machen. Wenn davon noch irgendetwas übrig ist, dann…“.
„Dann könnten sie uns alle retten.“, beendete Stitch den Satz. „In Susannes Gedanken tauchte ein Wort immer wieder auf. Der Archivar.“, fuhr der Hacker fort, „Wenn irgendetwas die Jahrhunderte überdauert hat, dann werden wir es dort finden.“
Stitch sah seine Freunde an. Ein leichtes Nicken, ein entschlossener Blick, ein resignierendes Seufzen. Sie alle wussten was getan werden musste. „Ziemlich armselige Erfolgschancen.“, bemerkte Lens. „Der Marsch dorthin wird brutal werden.“, sagte Wire. „Dann verschwenden wir am besten keine Zeit mehr.“, antwortete Plate und klopfte ihnen beiden auf die Schultern.
„Und wie kommen wir hier raus?“