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Über meinen Lieblingslehrer
Über meinen Lieblingslehrer
Es war der 21.04.04, 6. Unterrichtsstunde, Physik. Wir hatten die Ehre von einem der besten Lehrer unserer Schule, ach Quatsch, dem besten Lehrer der ganzen Stadt unterrichtet zu werden. Herrn B.! Schon beim Betreten des Raumes fiel mir auf: er hatte ein komplett neues Outfit! Das war daran erkennbar, dass er seinen üblichen professionell-weißen Atomphysiker-Kittel durch ein blaues Hemd mit dunklerem, modisch-anmutenden Wet-Look-Blau im Bereich der Achselhöhlen, ersetzte! Ein Lehrer, der auf sein Aussehen achtet. Wie schön! Aber auch sein Duft war atemberaubend. Und das ist wörtlich zu nehmen. Ich bin immer der Meinung, dass es gut ist, wenn man einen Lehrer auch im Dunkeln, allein an seiner Duftnote erkennen kann. Ist es nicht beruhigend, immer zu wissen, wann sein Lieblingslehrer in der Nähe ist? Was mich angeht, ich habe mir schon eine Meinung darüber gebildet.
Nun in der Stunde, die ich schildern möchte, begann er, mein Lieblingslehrer, mit einem neuen Thema: der Schwingung. Zum besseren Verständnis für die Schüler stellte er uns zuerst „Willi“ vor, eine an einer Feder baumelnde Holzpuppe, die durch ihre Körperlichkeit beeindruckte und von normalen Menschen, wie wir es waren, kaum zu unterscheiden war. Eine derartige Visualisierung hilft einer 10. Klasse enorm, komplizierte mechanische Auf-Und-Ab-Bewegungen zu verstehen. Fast gleichzeitig zeigte er uns eine so genannte „Pendelschwingung“! Diese zeitliche Überschneidung, zwei verschiedener Bewegungen, hatte Herr B., ohne Zweifel, beabsichtigt, um bei mir und dem Rest der Klasse beide Augen unabhängig zu trainieren. Nach anfänglicher Verwirrung funktionierte es dann auch mit dem rechten Auge die Auf-Und-Ab-Bewegungen von Willi zu verfolgen, während das linke Auge horizontale Bewegungen machte, um die äußerst spannende Pendelschwingung zu beobachten.
Danach erklärte uns Herr B. einige Fachbegriffe, die man unbedingt kennen muss, um mit der komplexen Thematik der Pendelschwingung zu Recht zu kommen. Es handelte sich dabei um wissenschaftliche Wörter wie: Elongation, Amplitude und Frequenz. Am schwierigsten war jedoch der Begriff der Schwingungsdauer. Damit auch garantiert jeder Schüler wusste, was er sich unter „Schwingungsdauer“ vorzustellen hatte, verbrachte Herr B. die nächsten zehn Minuten damit zu erklären, dass damit die Dauer einer Schwingung gemeint war. Eben ein Lehrer mit Leib und Seele!
Nachdem auch dieses Thema abgeschlossen war, zeigte er uns, wie er eine Aufgabe samt Einheiten in den Taschenrechner eingegeben hatte. Doch schon nach kurzer Dauer bemerkte er, dass wir noch nicht bereit waren, so etwas Großartiges zu verstehen und entschied, uns ein anderes Mal zu zeigen, wie das geht. Diese Reaktion auf unser Verhalten zeigt zweifelsfrei, dass mein Lieblingslehrer auch über große Menschenkenntnis verfügt!
Als krönenden Abschluss der Stunde gab er uns unsere erste, bei ihm geschriebene Leistungskontrolle zurück. Ich kann überhaupt nicht verstehen, warum sich manche meiner Mitschüler so fürchterlich über ihre Note aufgeregt haben. Die besagten Schüler hatten meist ein „ausreichend“, „mangelhaft“ oder „ungenügend“ bekommen und das, obwohl sie doch alle Aufgaben richtig gelöst hatten. Als ob es nichts Wichtigeres in einer Physikkontrolle gäbe als richtige Lösungen! Viel wichtiger sind doch formelle Aspekte. Was nützt einem Schüler das korrekte Ergebnis, wenn er es nicht wieder findet, weil er es nicht formgemäß zweimal ordentlich mit Lineal unterstrichen hat? Auch daran sieht man, wie weise mein Lieblingslehrer ist. Herr B.! Sein selbstsicheres und souveränes Auftreten lässt keine Zweifel daran, dass er alles weiß und niemals Fehler macht.
Nach der Stunde wollte ich diesem perfekten Mann und meinem Lieblingslehrer, Herrn B.!, einen Antrag machen. Aber als ich ihn vor mir stehen sah, mit seiner imposanten und kräftig gebauten Figur, verschlug es mir die Sprache und ich ging stillschweigend mit den anderen aus dem Raum, in der Hoffnung bald wieder eine Stunde bei meinem Lieblingslehrer zu haben. Herrn B.!