Über Götter, Nervensägen und Dreckschweine
Friseure sind entweder Götter oder Dreckschweine, dazwischen gibt es nichts. Man liebt oder hasst sie, weil sie einen entweder zu neuem Glanz verhelfen, oder wie die böse Stiefschwester aussehen lassen.
kamelins Cutter hieß Xabo und war ein Gott. Er entsprach so ziemlich jedem gängigen Klischee, das man seiner Art hinterher flüsterte.
Xabo war ein Bär von einem Mann, ein Ungar mit pechschwarzer, zottiger Mähne, buschigen Brauen und rehbraunen Augen. Natürlich war er stockschwul und liebte es sein Hemd vorne weit offen zu tragen, damit Mann sein dichtes, krauses Brusthaar bewundern konnte, das wie ein Tannenbaum mit einer dicken, goldenen Kette geschmückt war.
War? Nun ja, Xabo ist nicht tod, aber verschollen. Er ist weggezogen, und hat seinen Kundinnen keine neue Adresse hinterlassen.
So traf man in jenen Tagen in Köln häufiger auf völlig verstörte Frauen, die orientierungslos durch die City wanken, auf der Suche nach ihrem Gott, den sie in diesem Fall bedauerlicherweise nicht im Kölner Dom fanden – ihren Schöpfer suchten sie vielmehr Richtung Friseurinnung.
So zogen die Jahre ins Land, in denen sich die kamelin nach einschlägigen Erfahrungen hartnäckig weigerte, einen anderen Hair-Stylisten aufzusuchen. Nein, es muss Xabo sein. Ein Blick seiner wissenden Augen genügte, und er zückte Messer und Gabel – Verzeihung – Schere und Kamm, und machte sich ans Werk.
Nach 4 Jahren ohne ordentlichen Haarschnitt, sah sich die kamelin schließlich mit der Notwendigkeit konfrontiert, sich einen anderen Gott zu suchen.
Sein Name war Frank, der vom Scheitel bis zur Sohle eine fade Arroganz verströmte. Kein gutes Zeichen, das hätte der kamelin sofort eine Warnung sein sollen. Er war der Chef des Ladens auf der Ehrenstrasse, und hatte ein dementsprechendes Auftreten. Keine goldene Rapperkette baumelte an seinem Hals – der einige Zierrat war eine kritische Steilfalte zwischen seinen Brauen. So taxierte er die kamelin aus eisgrauen Augen mit der kalten Berechnung eines Buchhalters.
“Sie sind aber keine Zwanzig mehr!”, stellt er nach eingehender Musterung fest. Na toll, eine Intelligenzbestie!
“Wie recht sie haben! Sonst noch was?”
“Nehmen sie Vitamine?” Ich glaub’s nicht!
“Nein, und sie?”
“Das sollten sie aber. Mit dem Alter wird die Haut trockener, das Haar spröder und es verliert an Vitalität!”
Habe ich wirklich den weiten Weg gemacht, um mich daran erinnern zu lassen, dass ich nicht mehr taufrische Ware bin?
Leicht verschämt sinke ich tiefer in den Sessel. Hätte ich gewusst, dass ich als Mittdreißigerin den Majestro mit meinem versplissten, trockenen Haar beleidigen würde, wäre ich seinem Etablissement selbstverständlich ferngeblieben.
Doch ausgerechnet heute war mein ganzes Erscheinungsbild ein einziger Schlag ins Gesicht. So sieht man eben aus, wenn man frisch von der Kosmetikerin kommt: rote Punkte prangen dort, wo vor einer halben Stunde noch kleine Mitesser hausten, gerötete Stellen, wo vormals garstige Brauen Wurzeln schlagen wollten, und kein bisschen Tönungscreme oder Wimperntusche lenken von diesem Masern-Look ab. Grund dafür ist der Fakt, dass ich nach meinen diversen Beautyterminen ein heißes Schaumbad nehmen wollte, und deswegen auf jede Art von Maskerade verzichtet habe.
Zu spät muss ich meinen groben Fehler einsehen, denn nun sitze ich in diesem viel zu großen Sessel, und bin peinlich berührt ob all meiner Hässlichkeit, während mein Folterknecht mich abschätzig anglotzt.
Sein Blick spricht Bände: Was soll ich mit diesem Material anfangen? Schliesslich seufzt er ergeben, nach dem Motto: Noch kann ich keine Wunder vollbringen, aber ich kann es zumindest versuchen - was für ein Arsch!
So kommt es, dass ich mir allerlei Blödsinn aufschwatzen lasse, angefangen von einer super-speziellen-molekularwissenschaftlich-entwickelten Enzymkur, deren Preis alles übertrifft, was ich bisher in Sachen Haare bezahlt habe. Aber gut, als alterndes Wrack, muss man eben tief in die Tasche greifen. Wer schön sein will – und so weiter,– sie wissen schon.
Frank, im folgenden nur noch Dreckschwein genannt, kennt keine Gnade. Er knetet irgendeinen Schmarrn in mein sprödes Haar, färbt, kurt, kämmt und wäscht meine Fransen bis der Arzt kommt. Dann will er mir noch bescheuerte Dragees verkaufen, damit meine Fingernägel nie wieder splittern, und ich keine gespaltene Zunge, Pardon, Haarspitzen bekomme.
Nein Danke, langsam reicht es mir, wo ist mein Xabo?
Das Schlimmste steht mir allerdings noch bevor, denn der Grund meines Besuchs war ja ursprünglich ein passabler Haarschnitt.
Schwieg ich bisher in verschämter Zurückhaltung, wurden meine Lebensgeister langsam wieder wach, denn was der Typ nun mit meinem Haupthaar anstellte, sah selbst in nassem Zustand grauenhaft aus.
Was soll das werden? Patrick Lindner für Arme?
Als der Blödmann endlich fertig ist, sehe ich zwar nicht wie ein Volksmusiker aus, dafür wie Frau Jakobs aus den Siebzigern - fehlt nur noch der Kaffee! Nachdem er schließlich sein Folterwerkzeug beiseite legt, liegen meine Nerven in Fetzen auf dem schwarz-weiß karierten Kachelboden:
Die wilde, lange Mähne ist einer 08/15-Hausfrauenfrisur gewichen – das Entsetzen steht mir ins Gesicht geschrieben. Franks Falte zwischen den Brauen wird immer steiler, denn er bemerkt meinen Schrecken, der allmählich in Wut umschlägt. Drei Stunden in dieser Latte-Macchiato-Schicki-Micki-Bude, und ich sehe beschissener aus, als meine verfluchte Mathelehrerin! Und dieser Affe schaut mich völlig verständnislos an, als könnte ich einen Picasso nicht von einem Rothko unterscheiden. Na toll, jetzt bin ich auch noch ein Kunstbanause, der Froonks Werk nicht zu würdigen weiß? Ich will meinen Xabo zurück, und zwar sofort!
“Gibt es ein Problem?”
Eins?
“Das sieht unmöglich aus, langweilig und phantasielos!”, platzt es aus mir heraus.
“Ah ja?”, gibt er spitz zurück “Sie müssen bedenken, dass ihre Spitzen abgebrochen waren, da kann man nun mal nicht viel machen. Erstmal müssen wir eine gesunde Grundlänge finden, das hat Vorrang!”
“Für wen? Ich bin davon ausgegangen, dass der Kundenwunsch Vorrang hat, und wenn ich sage ”Spitzen schneiden“ gehe ich nicht davon aus, dass sie mir 15 cm Haar absäbeln!”
“Aber ihr Haar brauchte das!”
“Mag sein, aber ich brauchte etwas anderes!” Ich will meinen Xabo zurück!!!
“Xabo?”
Verwirrt sehe ich auf. Habe ich das etwa laut gesagt?
“Das war mal mein Friseur!”, murre ich, während ich mich umständlich aus dem Sessel wuchte.
“Der arbeitet für mich!”
“Wie war das?”
“Xabo arbeitet in der Filiale auf der Dürener Strasse!”
“Das ist ein Scherz?!”
“Keineswegs!” Meine Augen werden rund. Dieser ungarische Deserteur arbeitet für diesen Waschlappen? Kein Wunder, dass Fronk meinen Gott in eine abgelegene Kapelle verbannt hat. Einerseits wäre er ein Idiot, ein solches Talent nicht einzustellen (okay, er ist ein Idiot, aber zumindest kann er rechnen). Anderseits würde Xabo ihm in der Hauptfiliale nicht nur die Show stehlen, sondern auch seine Kunden wegschnappen, also ab mit ihm nach Sibirien.
Fliegenschiss und Hühnerkacke, da grase ich jahrelang jeden Friseurladen zwischen Ebertplatz und Heumarkt auf der Suche nach meinem Gott ab, während der Arme in einer verlassenen Gruft im Hinterland verschrumpelten Omas das dünne violette Haar eindreht. Was für eine Verschwendung. Jemand wie Xabo gehört in den Innenstadt-Olymp, und nicht auf die Dürener Strasse!
Auf einmal habe ich es eilig mich zu verabschieden. Ich will nach Hause um meine Wunden zu lecken. Xabo arbeitet also versteckt in der Provinz? Nun gut, dem werde ich einen Besuch abstatten. Sobald sich mein malträtiertes Haar von Fronk erholt hat, vereinbare ich einen Termin als Frau Grantig, ein Name, der zu meiner aktuellen Stimmung passt. Und grantig bin ich – aber sowas von – denn der Spiegel kennt kein Erbarmen: Ich sehe aus wie der fleischgewordene Hausfrauen-Albtraum, um mal in Klischees zu baden.
Zuhause heule ich ein bisschen in meinen Tee, doch mein Selbstmitleid ist schnell erschöpft.
“Selber schuld!“, denke ich. ”Wenn du etwas willst, musst du dafür sorgen, dass es genau so gemacht wird.“ Wie wahr, denn eines war doch klar: Friseure sind entweder Götter oder Dreckschweine, dazwischen gibt es nichts. Und Frank gehört eindeutig der letzten Gattung an. Allerdings hat er meinen Gott unter Vertrag, darum werde ich mich schnellstmöglich in Xabos Tempel begeben, eine Kerze anzünden, und auf ein Knie sinken. Endlich habe ich ihn wieder!
Beschwingt schütte ich meine Tee fort, öffne eine Flasche Montbasillac, und proste mir im Spiegel zu, als es an der Tür klingelt. Mein Bruder steht auf der Matte und glotzt, und glotzt, und glotzt ...
“Heilige Scheiße, wie siehst du denn aus!”
“Schnauze!”, belle ich und schlage ihm die Tür vor der Nase zu.
Okay, gleich morgen kaufe ich mir ein Kopftuch - oder zwei. Bis dahin ertänke ich mich in der Badewanne.
Als es eine halbe Stunde später wieder klingelt, reagiere ich nicht. Das ist bestimmt der Herr Bruder mit einem Friedensangebot.
Friseure sind entweder Götter oder Dreckschweine. Und Brüder nerven manchmal gewaltig, meint kamelin, als sie sich leise seufzend den Bademantel überzieht, um der Nervensäge doch noch die Tür zu öffnen.