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Über die Wahrheit

Beitritt
30.09.2002
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105

Über die Wahrheit

Mühsam öffne ich meine Augen. Dunkelheit umgibt mich. Undurchdringliche, alles verhüllende Dunkelheit. Fast alles. Ein trüber Lichtstrahl fällt hilflos durch das winzige Fenster rechts von mir und verleiht den kalten Gitterstäben einen sanften Glanz.
Gitterstäbe?
Ich erstarre ob der dicken Metallröhren und benötige einen Moment, um mir meiner Situation bewusst zu werden: Ich bin gefangen. Gefangen in einer winzigen, dreckigen, übelriechenden Zelle, an einer Seite gesäumt von resoluten Gitterstäben, die siegessicher signalisieren: Hier kommst du nicht mehr heraus!
Mit zitternden Knien gehe ich einige Schritte zurück, bis ich auf Widerstand stoße. Mutlos sinke ich an der feuchten Wand hinab und setze mit einem dumpfen Geräusch auf den kalten Steinboden auf. Fast unmerklich, dann aber immer deutlicher, stoßen kleine Bruchstücke meiner Erinnerung durch und setzen sich, gleich einem Mosaik, allmählich zusammen zu einem Ganzen.
Bei diesem Jungen hat alles seinen Anfang genommen. Tagelang hat er mich gesucht und ich habe ihn gesucht, weil er mich nicht ablehnte, wie es die übrigen, die sogenannten Diplomaten aus Nah und Fern, taten. Als wir uns schließlich gefunden haben, hat das staatliche System, das mit meinem Todfeind kooperiert, ihn bereits für seine Zwecke missbraucht und bis auf weiteres, bis er selbst wieder auf den wahren Pfad stieß, unempfänglich für mich gemacht. Ich war zu spät. Der letzte seiner Art war erloschen. Es kam noch schlimmer. Durch meine hereinbrechende Hoffnungslosigkeit völlig konfus und in trübseligen Gedanken versunken, fiel das staatliche System aus dem Hinterhalt über mich her und flößte mir unter Gewaltandrohung ein Mittel ein. Kurz darauf fiel ich in einen langen und unruhigen Schlaf.
Zitternd und hilflos hocke ich nun in meiner Zelle und bin mir über eines klar bewusst: Diesem Ort werde ich nicht mehr entfliehen können. Nicht ohne Hoffnung. Ohne Aussicht auf Erfolg. Zu dick sind die imposanten Gitterstäbe, zu qualvoll die Stille. Es scheint, als lebe keine Menschenseele hier unten, also auch keiner der mich erlösen, der mit einem Schlüssel das Schloss öffnen könnte.
Schloss? Es gibt keines. Um kein Risiko einzugehen, haben Sie auf eine Tür verzichtet.
Ich blicke zum Fenster und sehe, wie der einfallende Lichtstrahl immer schwächer wird, nur noch wenig gegen die drohende Dunkelheit einzuwenden hat.
Ich möchte nichts beschönigen: Meine Leben auf diesem Makrokosmos ist vorüber, ohne dass es richtig hat beginnen können. Allerorten wurde ich zeit meines Lebens verschmäht und verstoßen. Man bespuckte und biss, verjagte und peinigte, verpönte und verspottete mich, auf dass ich zuerst nicht mehr unerwünscht und schließlich gar nicht mehr erscheinen möge.
Ich weiß, es hört sich absurd und lächerlich an, wie eine leere, hohle Drohung, die man frei jeglicher Substanz verkündet, aber ohne mich wird dieser Planet nicht mehr lange bestehen können. Sterbe ich, stirbt unausweichlich auch er. Später. Aber er stirbt. Sein marodes Gerüst fällt in sich zusammen und wenn sich der aufgewirbelte Staub gelichtet hat, wird jegliches Leben hinfort geweht sein.
Ich vermag nicht sicher zu sagen, wann genau dies geschehen wird. Ich weiß nur eines: Der Lichtstrahl wird unaufhörlich schwächer. Ich werde schwächer. Es bleibt nicht mehr viel Zeit.

 

Hallo Sebastian,

mir haben , neben anderen Dingen, Deine Vergleiche gefallen, z.B. die „siegessicher signalisierenden“ Gitterstäbe. Das Problem, warum die Menschen die Wahrheit einsperren, müßte man vielleicht noch ausführen, eigentlich ist es ja ein kurzsichtiges Verhalten.
Den Satz „ ... bis er selbst wieder auf den wahren Pfad stieß ...“ verstehe ich nicht, er ist doch für die Wahrheit verloren?
Kleine Korrektur: Auf dem kalten ... ; zusammen, zu einem Ganzen.

Tschüß... Woltochinon

 

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