Ärzte an Bord
Mit der Leichtigkeit einer Feder flog die Boeing durch die Luft und hinterließ dicke Kondensstreifen im blauen, wolkenlosen Himmel. Sie befand sich nun auf halber Strecke zwischen New York und ihrem Ziel Frankfurt am Main. Unter ihr erstreckte sich das weite Blau des atlantischen Ozeans, der in allen Himmelsrichtungen mit dem Horizont zusammen lief.
In der Business Class, genauer gesagt ganz vorne im Mittelgang, saß der Passagier E. Müller, dem schon seit Stunden ein Gefühl von Schwindel zu schaffen machte. Es hatte kurz nach dem Aufsteigen des Flugzeuges begonnen und seit dem angehalten. Herr Müller dachte sich nicht viel dabei, er schob es auf die Druckveränderung oder seine Müdigkeit, da er in der vorherigen Nacht nicht viel Schlaf bekommen hatte. Gerne hätte er etwas gegessen, doch in seinem Magen herrschte ein flaues Gefühl das ihm jeglichen Appetit raubte und sein Unwohlsein noch vergrößerte. Doch Herr Müller war kein Mensch der zum Arzt ging, und darauf war er auch reichlich stolz. Fünfzig Jahre hatte er nun schon ohne die Hilfe von Ärzten geschafft und er war sich sicher, es auch weitere fünfzig ohne die Hilfe solcher schaffen zu können. Tatsächlich hatte er nur einmal in seinem Leben einen Arzt aufgesucht, jedoch nicht, weil er dessen medizinischen Rat benötigte, sondern weil er ihm die Tracht Prügel seines Lebens verpassen wollte, immerhin hatte der Mann mit Müllers erster Frau geschlafen.
Schwankend saß Müller auf seinem Platz im Flugzeug. Es fiel ihm immer schwerer sich zu konzentrieren und sein Kreislauf wollte auch nicht richtig in Fahrt kommen.
"Holpriger Flug, was?", fragte er seinen Sitznachbarn mit einem schwachen Lächeln.
"Finden Sie? Ich spüre gar nichts davon", erwiderte der Mann etwas überrascht und schaute sich interessiert einen Schweißtropfen an, der sich an Müllers Schläfe gebildet hatte und nun langsam an dessen Wange hinunter lief.
"Liegt wohl an mir", sagte Müller schwach und fing an sich leichte Sorgen zu machen. Mit zittrigen Fingern löste er den Sitzgurt, stützte sich dann auf die Armlehnen und stemmte sein schweres Körpergewicht hoch, bis er einen einigermaßen stabilen Stand erreicht hatte. Es waren kurze, schwankende Schritte mit denen er sich zur Toilettenkabine begab, die sich nur wenige Meter von seinem Sitzplatz entfernt befand.
Kaum hatte er die Kabine betreten und die Tür hinter sich geschlossen, musste er sich auch schon am Waschbecken abstützen. Er schaute sich, schwer atmend, sein Gesicht in dem kleinen Spiegel an. Der Schweiß lief aus den dünnen, grau werdenden Haare hinunter und floss dann in seltsamen Mustern zwischen seinen Bartstoppeln entlang, bis er am spitzen Kinn ankam und hinunter tropfte. Seine Augen waren etwas rot unterlaufen, aber ansonsten war nichts an seiner Erscheinung besonders auffällig. Er schüttelte seinen Kopf und spritzte sich dann etwas kaltes Wasser ins Gesicht.
"Du bist bald Zuhause, mach dir keine Sorgen", murmelte er leiste und kam wieder aus der Kabine zurück. Sein Sitzplatz befand sich schon in Reichweite, als ihm plötzlich schwarz vor Augen wurde und seine große, massige Gestalt mit einem lauten, dumpfen Geräusch auf den Boden aufschlug.
"Stewardess", rief der Mann, der kurz zuvor noch neben ihm gesessen hatte. "Ich glaube dieser Mann braucht Hilfe."
Eine Flugbegleiterin, die gerade vier Reihen weiter hinten damit beschäftigt war einem kleinen Jungen zu erklären, warum es falsch ist seinen Vordermann zu bespucken, hörte den Ruf und sah dann, als sie ihren Kopf in die Richtung drehte, sofort Müller, wie er bewusstlos am Boden lag.
"Oh mein Gott", sagte sie erschrocken und eilte dann zu Müller. Sie kniete sich neben ihn schaute in sein Gesicht. Erst redete sie mit ihm, dann schüttelte sie ihn sanft und als er dennoch nicht wieder zu Bewusstsein kam, kniff sie ihn. Doch es half nichts, Müller reagierte nicht. Unsicher darüber, wie sie in so einer Situation am besten vorgehen sollte, tat sie das, was sie in vielen Filmen gelernt hatte. Sie rief laut: "Ist hier ein Doktor anwesend?"
Zu ihrer Erleichterung stand zwei Reihen weiter ein Mann im Tweed- Sakko auf und verkündete Lautstark. "Hier, ich. Ich bin Doktor der Germanistik."
"Oh", war das Einzige was die Reisebegleiterin vorsichtig äußerte. "Na ja, ehrlich gesagt brauchen wir hier eher einen richtigen Doktor."
"Also hören Sie mal", sagte der Mann empört. "Ich habe einen richtigen Doktor und..."
"Schon gut", sagte plötzlich ein älterer Mann mit weißen Haaren und einem weißen Spitzbart, der langsam durch den Gang schritt. "Ich bin ein richtiger Arzt. Setzen Sie sich wieder hin, Goethe, und schreiben Sie solange ein Gedicht, oder so", sagte er abwertend.
Als er bei Müller angekommen war, kniete er sich mit langsamen Bewegungen hin und schaute sich seinen Patienten genauer an.
"Ist es etwas schlimmes?", fragte die Reisebegleitern nervös.
"Der Mann könnte mal eine neue Krawatte vertragen. Schauen Sie sich das Muster mal an, so etwas hat man schon vor fünf Jahren nicht mehr getragen", erwiderte der Mann. Nachdem er Müllers gesamte Kleidung mit einem angewiderten Blick ausreichend begutachtet hatte, schaute er sich schließlich dessen Gesicht an. "Scheint wenig Luft zu kriegen. Vielleicht liegt es am Kabinendruck, dadurch kann sich sein Brustkorb nicht vollständig ausdehnen."
Die Reisebegleiterin ging zu einer Kollegin um ihr von allem zu berichten, damit diese es an die Piloten weiterleiten konnte.
"Was machen wir denn jetzt?", fragte sie schließlich, als sie wieder neben Müller stand.
"Da muss man aufschneiden, hilft nichts", sagte der alte Mann lässig.
"Aufschneiden? Hier? Das geht doch nicht".
"Ich muss dem Kollegen widersprechen", sagte eine Frau um die vierzig, die in diesem Moment zu ihnen kam. "Ich denke nicht, dass der Patient zu wenig Luft bekommt."
"Sie sind auch Chirug?", fragte der Mann.
"Nein, ich bin Internistin. Frau Dr. Schneider", sagte sie und hielt ihm die Hand hin.
"Freut mich. Ich bin Dr. Fischer", antwortete er und schüttelte ihre Hand. Die Reisebegleiterin hatte das Gefühl, als würden sie dabei wie aus einem Reflex heraus die Gesichter des Gegenüber nach Symptomen absuchen.
"Wie ist der Patient denn versichert?", rief plötzlich ein Mann aus der dritten Reihe, der bis dahin damit beschäftigt war seine Financial Times zu lesen. Bei ihm handelte es sich um Dr. Erhardt, Radiologe. Die Reisebegleiterin holte die Geldbörse aus Müllers Tasche und durchsuchte sie mit schnellen Fingern, bis sie die Karte in der Hand hielt.
"Der Mann ist Kassenversichert."
"Dann wünsche ich ihm ein angenehmes Sterben", erwiderte Dr. Erhardt und widmete sich wieder seiner Zeitung.
Dr Fischer und Dr Schneider waren mittlerweile damit beschäftigt sich darum zu streiten, welche Vitalzeichen sie zuerst überprüfen sollten. Schließlich einigten sie sich auf den Puls, die Atmung und die Pupillen, für den Blutdruck fehlte ihnen die Ausrüstung.
"Zumindest ist er noch am Leben", sagte Dr. Fischer, als er Müllers Atem auf seiner Hand spürte.
"Seien Sie mal nicht zu beruhigt", sagte Dr. Schneider zu der Reisebegleiterin, die in diesem Moment aufatmete. "Der Mann ist Chirug, da muss man bei solchen Aussagen vorsichtig sein."
Dr. Fischer hatte diese Kritik an seinen Fähigkeiten gar nicht mitbekommen, er war zu sehr damit beschäftigt die Knöpfe von Müllers, seiner Meinung nach furchtbar hässlichem Hemd zu öffnen. Er holte einen Kugelschreiber aus seiner Brusttasche und fing an am Brustkorb des Patienten Linien zu malen.
"Ich denke wir sollten einen Einschnitt am besten hier vornehmen… oder vielleicht lieber hier", murmelte er dabei.
"Sie können den Mann doch nicht einfach aufschneiden", sagte Dr. Schneider.
"Warum denn nicht?", fragte Dr. Fischer etwas enttäuscht.
"Zum einem wissen wir noch nicht mal im Ansatz, was der Mann hat. Zum anderen ist es hier weder Steril, noch haben Sie die richtige Ausrüstung und wirklich betäubt ist der Patient auch nicht."
"Also wenn ich niemanden aufschneiden darf, dann weiß ich auch nicht, warum ich hier überhaupt noch bin", sagte Dr. Fischer sichtlich enttäuscht.
"Wir sollten erst mal herausfinden, was der Mann hat", sagte Dr. Schneider beschwichtigend. "Ich nehme mal eine Blutprobe und schicke die ans Labor, dann sehen wir weiter." Dabei kramte sie in ihren Jackentaschen und schien etwas zu suchen.
"Und von welchem Labor reden Sie bitte? Wir befinden uns hier in einem Flugzeug", sagte Dr. Fischer. "Hier gibt es kein Labor. Da hilft wohl nichts, wir müssen es auf die alte Art und Weise machen und uns den Patienten mal genauer anschauen."
Doch Dr. Schneider hörte ihn schon nicht mehr, sie war aufgestanden und hatte sich auf die Suche nach einer Spritze gemacht. Es musste doch jemanden in diesem Flugzeug geben, der etwas dabei hatte mit dem man Blut entnehmen konnte.
"Die jungen Ärzte von heute", schnaufte Dr. Fischer kopfschüttelnd und widmete sich dann wieder Müller. Er schaute ihn genau an und ertastete seinen Hals, seine Arme, die Beine und den Torso, ohne zu wissen was genau er da eigentlich tat. Er war Chirurg, kein Diagnostiker. Man sagte ihm was herausgeschnitten oder geflickt werden musste und das tat er dann. Für alles andere war das restliche Krankenhauspersonal zuständig.
"Man hat mir gesagt Sie brauchen einen Doktor?", fragte ein Mann, der gerade aus der Economy Class zu ihnen kam.
"Wir sind schon zu zweit, aber es kann ja nicht schaden", sagte die Reisebegleiterin mit einem Lächeln im Gesicht.
"Dr. Wagner", sagte er und schüttelte Dr. Fischers Hand. "Ich bin Dermatologe."
"Dermatologe, na toll", murmelte Dr. Fischer und versuchte weiter aus Müllers Körper schlau zu werden.
"Oh wei", sagte Dr. Wagner, als er sich gegenüber von Dr. Fischer hingekniet hatte.
"Was?", fragte dieser.
"Schauen Sie sich mal dieses Muttermal an. Etwas dunkel und unsauberer Rand. Sagen Sie, hat sich das schon mal ein Arzt angeschaut?", fragte der Müller, der jedoch nicht antwortete.
"Wissen Sie, es wäre wirklich nur zu ihrem Vorteil, wenn Sie kooperieren würden", sagte er vorwurfsvoll.
"Das würde er vielleicht gerne, aber der Mann ist bewusstlos", sagte Dr. Fischer und murmelte dann ein weiteres: "Dermatologe."
"Ich habs", sagte Dr. Schneider, die sich in diesem Moment neben Dr. Fischer kniete. In ihrer rechten Hand hielt sie ein Glas, in der linken eine Stecknadel. Mit dieser stach sie Müller in den Daumen der linken Hand und ließ das Blut dann langsam in das Glas tropfen. "Ich komme immer an meine Blutprobe", sagte sie zufrieden.
"Das freut mich für Sie", erwiderte Dr. Fischer. "Aber was machen Sie dann damit, wenn es kein Labor gibt? Können Sie die Bestandteile am Geschmack feststellen?"
"Eins nach dem anderen. Ich finde schon einen Weg", sagte sie und schaute sich an, wie sich das Glas weiterhin langsam mit Blut füllte.
"Mein Gott", rief Dr. Wagner mit Entsetzen in der Stimme. "Schauen Sie sich mal seine rechte Brust an. Diese Muttermale machen mir wirklich Sorgen. Sie müssen sich wirklich besser eincremen, gerade zu dieser Jahreszeit."
Patienten die bewusstlos waren, stellten für Dr. Wagner eine ganz neue Erfahrung da, weswegen er einfach weiter mit Müller redete und dessen Schweigen als eine Art schmerzhafter Einsicht über das eigene Fehlverhalten einstufte.
"Hören Sie mal", rief Dr. Erhardt von seinem Sitzplatz. "Es gibt hier auch Menschen die sich ein wenig konzentrieren wollen. Wenn Sie also die Güte besäßen Ihren Lärm auf ein Minimum zu reduzieren, wären wir Ihnen sehr dankbar."
Auch bei den anderen Passagieren war die Neugierde schon längst erwacht und so reckten sie ihre Köpfe oder standen auf, um einen Blick auf das Schauspiel erhaschen zu können. Die Reisebegleiter gaben sich alle Mühe und baten sie darum sitzen zu bleiben und sich anzuschnallen.
Während Dr. Wagner einen Vortrag über die Entwicklung der Sonnencreme hielt, Dr. Fischer weiterhin ziellos herumtastete und dabei schon einmal Linien zeichnete, damit er bei jeglicher Diagnose vorbereitet war, und Dr. Schneider weiterhin das Blut abtropfen ließ, kam der Pilot mit einem besorgten Blick zu ihnen.
"Guten Tag, ich bin Ihr Pilot", sagte er, als er neben ihnen stand. "Was hat der Mann? Müssen wir möglichst bald landen?"
"Können wir Ihnen noch nicht genau sagen", sagte Dr. Fischer ohne ihn anzuschauen.
"Kann ich Ihnen denn irgendwie behilflich sein?", fragte der Pilot.
"Ja, wo kann ich das hier an Bord untersuchen lassen?", fragte Dr. Schneider und hielt ihm das Glas voller Blut unter die Nase. Der Pilot schaute sich das Glas kurz an, wurde dann etwas blass und schließlich vergrößerten sich seine Wangen, während er beide Hände vor dem Mund hielt. Er drehte sich um und rannte zur Toilettenkabine, wo er lautstark seinen Magen entleerte.
"Hier wird ein Arzt benötigt?", fragte ein Mann mitte dreißig, der plötzlich neben ihnen stand.
"Sie sind Arzt?", fragt Dr. Schneider misstrauisch. Der Mann sah weniger aus wie ein Arzt und mehr wie ein Surflehrer.
"Ja, ich bin Chirurg. Dr. Schäfer."
"Noch ein Chirurg, das freut mich aber", sagte Dr. Fischer.
"Ja, was für ein Grund zur Freude", sagte Dr. Schneider in einem sarkastischen Tonfall.
"Oh, ich sehe das Problem schon", sagte Dr. Schäfer.
"Tatsächlich?", fragte Dr. Fischer ungläubig.
"Natürlich, schauen Sie sich sein Gesicht doch mal an. Das ist doch unverkennbar."
Dr. Fischer näherte sich dem Gesicht und betrachtete es aus jedem möglichen Winkel, doch egal was er versuchte, er konnte nichts auffälliges sehen. Dr. Schäfer kniete sich neben Müllers Kopf und holte ebenfalls einen Stift aus der Tasche, mit dem er anfing in Müllers Gesicht zu zeichnen.
"Das haben wir bald gelöst. Die Tränensäcke werden gestrafft, die Nase verkleinert und begradigt. An den Krähenfüßen könnten wir auch etwas machen, und die Stirnfalten sollten auch weg. Aber für das schiefe Gebiss ist ein Zahnarzt zuständig", sagte Dr. Schäfer dabei.
"Sagen Sie mal, Sie sind nicht zufälligerweise plastischer Chirurg, oder?", fragte Dr. Fischer.
"Doch, das bin ich. Und dieser Mann ist so furchtbar hässlich, dass ich sogar gewillt wäre ihn auf meine Kosten zu behandeln", sagte Dr. Schäfer und zeichnete dabei munter weiter.
Dr. Schneider war mittlerweile in der kleinen Küche des Schiffs verschwunden und suchte einen Mixer, mit dem sie das Blut etwas schleudern konnte. Leider gab es keine Zentrifuge an Bord.
"Schauen Sie sich das mal an", rief Dr. Wagner erschüttert, und versetzte seine Kollegen damit kurz in Panik. "Diese Schuppenflechte ist äußerst ausgeprägt. Was machen Sie nur mit ihrer Haut, das ist wirklich nicht mehr feierlich".
Dr. Wagner stand dann auf und ging durch das Flugzeug, auf der Suche nach jemandem mit der richtigen Hautcreme. Ersetzt wurde er von Dr. Schneider, die sich wieder zu den beiden Chirurgen kniete, ihr Gesichtsausdruck verhieß dabei nichts gutes.
"Wofür zahlt man eigentlich so viel für die Tickets, wenn es an Bord nicht einmal die einfachsten medizinischen Gerätschaften gibt? Kann mir das mal bitte jemand erklären?", fragte sie genervt.
"Sie werden doch wohl in der Lage sein eine einfache Diagnose zu erstellen, auch ohne Geräte, immerhin sind Sie die Internistin", sagte Dr. Fischer, der weiterhin den Brustkorb von Müller anmalte. Dr. Schäfer konzentrierte sich immer noch auf Müllers Gesicht, das er gleichzeitig faszinierend und furchtbar ekelhaft fand.
"Nein, warum auch? In jeder Klinik gibt es solche Geräte!", protestierte Dr. Schneider. "Wir sind hier doch nicht bei "Ärzte ohne Grenzen"."
"Da war ich mal, Aber das Interesse an der eigenen Schönheit ist in der dritten Welt gerade zu lächerlich gering", sagte Dr. Schäfer abwertend.
Doch seine Worte blieben unbeachtet, denn Dr. Schneider und Dr. Fischer standen bereits wieder und waren damit beschäftigt sich zu streiten. Sie nannte ihn einen ungebildeten Idioten und einen überbezahlten Automechaniker. Er bezeichnete sie als eine schlechtere Heilpraktikerin, die nicht einmal dann die Symptome eines Patienten erkennen würde, wenn er in Flammen stünde. Dr. Erhardt hatte genervt die Zeitung weggelegt und sich die Kopfhörer aufgesetzt. Es missfiel ihm wie hartnäckig sich dieser Patient dagegen weigerte, einfach zu sterben.
Zu Dr. Schäfer gesellte sich nun noch ein unbekannter Mann, der mit einem Maßband hantierte und Müllers Körper in verschiedene Positionen legte.
"Was machen Sie da?", fragte Dr. Schäfer verwundert.
"Winter mein Name. Ich bin Bestatter. Will den Toten nur schon mal vermessen", sagte er und schaute dabei auf sein Maßband.
"Da irren Sie sich. Der Mann ist nicht tot", sagte Dr. Schäfer überrascht.
"Doch ist er. Fühlen Sie doch mal wie kalt er ist, außerdem atmet er nicht. Hätte Ihnen schon vor fünf Minuten sagen können, dass Sie eine Leiche anmalen, aber ich wollte noch den Bordfilm zu ende schauen".
Dr. Schäfer stand wieder auf und stellte sich neben Dr. Schneider und Dr. Fischer, die in Anbetracht der Umstände ihren Streit beendet hatten. Winter holte einen Notizblock aus seiner Tasche und schrieb sich alles auf.
"Ich habe endlich die richtige Salbe", rief Dr. Wagner, der in diesem Moment grinsend den Gang entlang kam.
"Können Sie sich sparen, der Mann ist tot", sagte Dr. Fischer ruhig.
"Nein", sagte Dr. Wagner und fiel auf die Knie. Eine Träne lief aus seinem Auge. "Wieder einmal bin ich zu spät."