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Ägypten

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16.08.2010
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Ägypten

Es war letzte Weihnachten. Wie immer wurde unter dem Tannenbaum die Krippe aufgestellt und dieses Mal gab es von den Großeltern als Beigabe zwei Kamele. Sie machten sich gut inmitten der Krippenlandschaft, groß mit arrogantem Blick standen sie da und ließen die Schafe samt ihren Hirten, die sich wie jedes Jahr wieder um das Kind in der Krippe versammelt hatten, völlig verblassen.
Und mit diesen Kamelen begann es. Carolina, mit ihren fünf Jahren schon alleinige Beherrscherin des gesamten Haushaltes verliebte sich hemmungslos in diese mächtigen Tiere. Stundenlang konnte sie vor der Krippenlandschaft stehen, mit den Kamelen Auge in Auge Zwiesprache halten, sie schienen ihr tausend Dinge aus ihrer Heimat zu erzählen, die Carolina tief beeindruckten, sonst aber niemandem zugänglich waren. Und abends legte sie die Kamele schlafen. Man hätte meinen sollen, sie würde ihre Lieblinge mit ins eigene Bett nehmen, aber nein, die Kamele hatten ihr wohl erzählt, dass sie sich in ihrem eigenen Zuhause am wohlsten fühlten und sich vom täglichen Zwiegespräch hier am besten erholen konnten.
Weihnachten ging wie jedes Jahr vorüber und Carolina weinte bitterliche Tränen, als die Zeit kam und die Kamele in der großen Krippenpappschachtel verschwinden sollten, um hier ein Jahr lang auszuruhen.
Und nun begann es. Täglich erzählte Carolina Geschichten, die ihr die Kamele erzählt hatten und diese endeten immer mit dem Satz: Ich habe meinen Freunden versprochen, ihre Familie in Ägypten zu besuchen und ihr zu berichten, dass sie es bei uns gut haben. Jeden Tag, wochenlang, monatelang: „Ich habe meinen Freunden versprochen, ihre Familie in Ägypten zu besuchen und ihr zu berichten, dass sie es bei uns gut haben“.
Wen wundert es da noch, dass nichts anderes übrig blieb, als im Sommer einen Urlaub nach Ägypten zu buchen. Carolina hatte die Macht über die Familie endgültig an sich gerissen, niemand konnte ihre tägliche gebetsmühlenähnliche Beschwörung noch länger ertragen.
Und so fanden wir uns denn alle in einem Flugzeug nach Ägypten, nicht um wie andere Leute ein paar erholsame Wochen am herrlichen Sandstrand zu verbringen, Pyramiden zu bestaunen oder die Wunder der Wüste zu entdecken, nein wir waren unterwegs, um der Familie von Carolinas Freunden Gutes von ihren Angehörigen zu berichten.
Es kam wie es kommen musste, Carolina verbrachte ihre Tage Auge in Auge mit den Familienangehörigen unseres höckerigen Krippenpersonals und versank glücklich und zufrieden im Zwiegespräch mit ihnen. Einziger Unterschied zu Weihnachten, sie legte die Kamele abends nicht schlafen, das machten diese von ganz alleine.
Aber auch dieser Urlaub in Ägypten ging zuende, es gab viele heiße Tränen und doch traten wir den Rückflug ohne Widerspruch von Seiten Carolinas an, denn sie musste ja ihren Freunden zuhause von der Verwandtschaft berichten. Still saß sie im Flugzeug, wir waren wohl dieses Mal nicht würdig, zu erfahren, welche Geschichte ihr ihre neuen Freunde in Ägypten erzählt hatten.
Aber sie platzte beinahe, es war nicht zu übersehen. Ihre Botschaft an die in der Krippenpappschachtel eingelagerten Kamele musste überbracht werden, musste aus ihr raus, sonst würden wir nicht mehr glücklich werden bis das nächste Weihnachten kam.
Und so kam es, dass die Krippenkamele bereits im Spätsommer ihre mitverpackten Schafe und Hirten verlassen durften und die Zeit bis Weihnachten in Carolinas Zimmer verbrachten, wo sie ihnen fast ohne Unterbrechung das erzählte, was die Angehörigen ihrer Freunde sie zu erzählen beauftragt hatten.
Was für ein Glück, dass Klapperschlangen und Eisbären nichts in einer Krippenlandschaft verloren haben.

 

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