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Zeruya Shalev: „Liebesleben“, „Mann und Frau“ und „Späte Familie“

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31.08.2008
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Zeruya Shalev: „Liebesleben“, „Mann und Frau“ und „Späte Familie“

Rezension der Bücher „Liebesleben“, „Mann und Frau“ und „Späte Familie“ von Zeruya Shalev in Form eines fiktiven Dialoges mit Zeruya Shalev.
Der Rezensent fährt mit Zeruyah Shalev zu einem Blueskonzert. Er reflektiert mit ihr die drei Romane, die alle davon handeln, daß eine Frau ihren Mann bzw. ihre Familie verläßt.

Kursiv: Zitate aus den Büchern.

S: Zeruya, nein, immer habe ich deine Sätze in mir, wenn ich schlafen gehe, wenn ich aufwache, sie hören nie auf, diese seitenlangen Klagen, immer, wenn man denkt, jetzt hast du´s, jetzt halt mal an, setzt du fort, hechtest von einem Gedanken zum nächsten, erst, wenn du keine Kraft mehr hast und völlig erschöpft bist, läßt das Tempo nach, setzt du zur Landung an, findest du den Punkt, und für einen Augenblick ist Frieden. Aber sofort geht die Hast weiter, du hast keine Ruh´, du läßt keine Ruh´, was ist nur in dir, deine Wirbel von Gedanken, Hoffnungen, Rückblicken, Brüchen, ja, um Brüche geht es hier, geht es dir, um radikale Brüche, von denen du sagst, sie führen zum Leben, das immer besser ist als ein Ausharren in einem Totendasein, was weißt du vom Ausharren, mancher reift dabei und läßt Gutes wachsen, das eines Tages hervorkommt, die wahren Entwicklungen finden in der Stille statt, der Umbruch ist nur der Moment, wo sich das Ergebnis zeigt, dann wird das Neue sichtbar, der Weg ist frei für einen Neubeginn, der umso länger ausgebrütet wird, werden muß, je reifer und lebensfähiger er sein soll, nicht alles kann sich sanft entwickeln, darum hat die Natur den Bruch erfunden, weißt du, daß der Bruch eine Bezeichnung für eine Auenlandschaft ist, dort geht durch die Überflutungen alles drunter und drüber, kreuz und quer liegen die freigespülten, umgebrochenen Baumstämme, deshalb heißt es Bruch, schon die Kelten kannten den besonderen Zauber dieser Landschaft, denke an Brugh-na-Boinne, wo Oengus lebte, der Bruch ist die fruchtbarste Landschaft, die es gibt, deswegen beginnt alles Neue mit einem Bruch, einem Durchbruch, einem Umbruch, einem Abbruch, oder auch nur einem Ehebruch.

Z. (lacht): Ja, so schreibe ich, aber reden kann ich auch anders … nun komm´ mal runter…

S.: Und das in eurer Kultur, unter Juden ist die Frau noch Frau, sie steht im Mittelpunkt, sie ist stark, nicht so oberflächlich emanzipiert wie die Frauen der übrigen westlichen Zivilisation, die sich geschmeichelt fühlen, wenn man ihnen die ganze Last des Männerdaseins auch noch auflädt, die Lust der Frau ist das Höchste, unterweist der Rabbi Eure Männer vor der Hochzeit, ihr hat der Mann zu dienen, aber ist jede Versorgung der Frau die Pflicht des Mannes, folgt daraus das Recht der Frau, weiterzuziehen, wenn sie sich nicht versorgt fühlt?

Z.: Aber sicher, jeder hat ein Recht auf Leben, wem ist damit geholfen, wenn eine Frau neben einem Mann vertrocknet…glaubst Du, es hilft den Kindern, ihre Mutter so zu erleben?

S.: Ihr seit doch ein altes Patriarchat, das älteste, das es gibt, aber dies kommt von früher her, wie steht es um die Treue der Frau bei Krankheit des Mannes, darf sie da auch weiterziehen, das ist älter, es stammt aus der Zeit vor der Macht der Männer…

Z.: …ja, wenn der Mann nur krank spielt, um die Frau an sich zu ketten…

S.: Wie paßt hier die ewige Sinnsuche deiner Frauen in fremden Betten, ist da der Lebenssinn zu finden, nach der Affaire weiß Ja´ara, wie ihr Leben weiter geht, ist es also doch die Macht des Mannes, dem Leben der Frau Sinn zu geben?

Z: Nein, sieh doch, wie verzweifelt und haltlos meine Frauen kämpfen, sie haben alles verloren, nur die Erinnerung an das Leben in der alten Zeit ist noch da, sie fühlen noch, wie ihr Leben sein müßte, aber ihr gebt ihnen keine Kraft und keinen Raum, das zu leben, sieh doch, das habt ihr aus uns gemacht.

Die Tür klappt zu, der Motor springt an, wir fahren über die Landstraße, Bäume, Häuser ziehen vorbei, zu schnell für unser Bewußtsein, wer weiß noch, was hier alles zu sehen ist, wenn man geht, wenn man nur so schnell ist, wie unser Gehirn aufnehmen kann, das wird nur möglich durch die Reduktion, ein paar leuchtende Markierungen, ein paar Striche auf der Fahrbahn, mehr braucht man nicht, um hinzufinden, um viel schneller zu sein, als unserem Bewußtsein entspricht, die Gedanken sind dabei genauso, sie fahren, ziehen unkontrolliert in höllischem Tempo vorbei, auch sie nur reduziert, unser ganzes Leben ist nur lebbar, weil es so reduziert ist, wir leben nicht, wie man geht, sondern wie man auf der Autobahn den Streifen auf der Mitte der Fahrbahn folgt.

S.: Weißt du, daß die Streifen auf der Autobahn länger sind als auf der Landstraße?, das paßt besser zur Geschwindigkeit, aber es nimmt uns auch das Gefühl für die Geschwindigkeit, mir ist, als würde so auch uns er Leben beschleunigt, man macht einfach die Markierungen länger, und wir leben schneller, und schauen nicht mehr in die Landschaft, die an uns vorüberrast, wir wissen gar nicht mehr, wo wir gerade sind, wie Legehennen im 12Stunden-Tag beschleunigt für die Produktivität rasen wir daher, ebenso reduziert, konditioniert, um unser Leben betrogen.

Z: Was erzählst du mir, weißt du, wie es ist, wenn täglich Bomben explodieren, du wartest am Bus mit deinem Kind und die Bombe geht hoch, du wachst im Krankenhaus wieder auf, meinst du nicht, es gibt auch noch ganz andere Weisen, um das Leben betrogen zu werden?

A: Ja, sicher, aber Ihr teilt uns immer etwas anderes mit, nämlich das diese tägliche Bedrohung euch ins Leben holt, daß Ihr durch dieses Gefühl, daß jeder Tag der letzte sein kann, jeden Tag lebt, als wäre er der letzte, jeder, der von Israel kommt, erzählt das, ein blühendes, intensives Leben an der Schwelle des Todes.

Aber ich bin es selbst, der hier rast, keiner jagt mich, keine Bedrohung schwebt über mir, wer sagt mir, daß ich jetzt so schnell nach Schöndorf muß, ich kann auch auf dem Sofa sitzen oder den Hund ausführen, aber in Schöndorf spielen Gottfried und Abi ihren Blues, die rasen auch, auf dem Flügel und der Gitarre, aber so, daß man Ruhe findet, für einen kleinen, seligen Augenblick.

Z: Du mußt den Tag leben, jeden Tag, als wäre er der letzte, wie lange willst du von einer Batterie leben, von der du nicht weißt, ob sie je wieder aufgeladen wird?

S: Wie hältst du´s mit der Depression, Zeruya, es gibt nur leben oder verdrängen, aktiv und fröhlich bleiben, das macht sich gut, zu abschreckend, was sonst kommt, wie viele Männer verlassen ihre Frauen, bevor das Kind da ist, oder gehen fremd, wie viele Frauen werden depressiv, wir alle sind verletzt, vernachlässigt, verlassen, indirekt kriegsgeschädigt, auch nach fünfzig Jahren noch.

Z: Komm zu uns, dann siehst du, wie wir es halten, wenn du ganz im Leben angekommen bist, fühlst du Liebe, Not, Angst, Sinnsuche, auch die Nähe des Todes nicht zu selten, aber für Depression haben wir wirklich keine Zeit, das klingt sowieso, als hätten es die Deutschen erfunden…

S.: Fahren ist gleichmäßiges dahingleiten, es wird flüssiger mit Rhythmus, Boogie ist gut, man fährt und fährt und die Musik treibt einen fort, wie in einem Strom, man muß nur in der Mitte bleiben, rastlos ist das auch, aber in sich ruhend, ganz anders als deine Redeweise, ganz ohne die kraftlosen Erschöpfungspausen, auch ohne die Angst, die dich weiterhetzt, Fahren mit Boogie ist Ruhe, und mit Abi´s Boogie erst recht, weißt du, daß Abi in Jerusalem geboren ist? Er kommt aus derselben Stadt wie du, nur daß er hier aufgewachsen ist, in Deutschland, wie konnten seine Eltern ihn nur hier herbringen?

Die Landschaft zieht vorbei, die Streifen verschwinden unter dem Auto…

S.: Hast Du deinen Mann verlassen? Schreibst du von dir? Es wirkt, als hättest du schon viele Männer verlassen, um dich zu suchen…

Z: Ja, sicher … aber warum bin ich es, die verläßt? Warum bin ich es, die zerstört? Wie glücklich er war, wenn es mir schlecht ging, er war in seinem Glück eingekapselt, er hat mich überhaupt nicht gesehen, und ich war armselig und zugleich schuldig, weil ich es war, die alles kaputtgemacht hat, weil ich diejenige war, der nichts gereicht hat, und dabei wollte ich doch nur leben, wollte doch nur ein Mensch sein. Weißt du was das ist, ein Mensch? Das ist beides, gut und böse, und er hat sich all das Gute genommen und mir das Böse aufgeladen, aber das war nicht wirklich, alles war irgendwie falsch, sowohl seine Rolle als auch meine.

S: In einer Beziehung ist man wie in einem Suppentopf, man kann nicht sagen, was zu wem gehört, jeder lebt den anderen mit, eine große seelische Arbeitsteilung, „symbiotisch“ nennen das die Psychologen und meinen damit den Verlust an eigener Identität, der in´s Vererben führt, was Symbiose in der Ökologie bedeutet, haben sie nie gelesen, haben sie je überlegt, was Familien und andere „Systeme“ zu solchen Strategien führt? Sie helfen doch, sie sichern das Überleben, der Mensch ist doch ein Rudeltier, und alles Gerede vom emanzipierten Einzelnen, der nötig ist, damit das Zusammenleben klappt, ist doch leer, niemand hat die Kraft dazu.

Z: Wir auch nicht, denke an das Schicksal, das viele von uns durchgemacht haben, aber glaubst du, du kämest in einem Kibbuz zurecht, wenn du dich so hängen ließest? Keine Frau läßt sich so gehen, wenn sie sich schlecht fühlt … wir dürfen es einfach nicht … deswegen, ja, vielleicht deswegen brechen wir dann mit Gewalt aus, wenn es reicht…

S: Unsere Liebe war wie der tägliche Sonnenlauf, auch wenn es bewölkt ist, weiß man doch, daß die Sonne da ist, du auch nachts ist sie ja nicht verschwunden, sie wärmt unsere Schattenseite, kämpfen wir um die Existenz der Sonne? Sie ist doch unsere Lebensgrundlage, wie können wir da an ihr zweifeln. So war es mit unserer Liebe auch. Früher, da hat man Riten zelebriert, damit die Sonne weiterläuft, das nächste Jahr beginnt, alles wieder und wieder beginnt…ein paar tausend Jahre her, vielleicht wäre es besser, wenn wir alle uns täglich um das Selbstverständlichste bemühen, als könnte es jeden Tag verschwinden…

Z: … und plötzlich habe ich keine Lust, mir alles gründlich zu überlegen und zu zögern, wie verzaubert folge ich ihm, zum ersten Mal in meinem Leben, ohne zu überlegen, was passieren, wie hoch der Preis sein wird, ich gehe hinter einem Mann her, den ich heute morgen zum ersten Mal gesehen habe, und mein Körper erwacht, neues Leben durchströmt ihn, dieser Körper, der nur ihm gehört hat, wird mir vielleicht durch einen anderen Mann zurückgegeben, ich denke nur an den aufreizenden Charme, der in jeder seiner Bewegungen liegt…

S: Eine Frau sucht den Sinn ihres Lebens, und wirft sich in fremde Betten? In Eurer Kultur kann sie sich nur lösen, indem sie einen neuen Mann aufsucht? Hast du sonst nichts zu klären in deinem Leben, Zeruyah?

Z: Aber mit den Träumen beginnt das Leben, willst Du mir das Recht auf die Träume absprechen? Du könntest mir genauso gut das Recht auf das Atmen nehmen! Die anderen Frauen sehen zufrieden aus, als hätten sie eine Entscheidung gefällt, vielleicht haben sie wirklich alle einen Bund geschlossen, einen Bund wie der, den mein Vater empfohlen hat, der vollkommenes Glück ermöglicht, der die Erwartungen begrenzt und die Träume tötet, dafür aber große Gelassenheit verleiht. Und ich spürte ein Prickeln am ganzen Körper, ein Prickeln des Verlangens oder der Sehnsucht, ein Gefühl, das ich auch damals gehabt hatte, in meinem ersten Leben, und damals hatte ich immer gedacht, ich möchte Schokolade, aber dieses Gefühl ging nicht weg, auch wenn ich ununterbrochen Schokolade aß, so wie ich jetzt wußte, auch wenn ich mich auf diesen Körper stürzen würde, würde das sehnsüchtige Prickeln nicht aufhören, denn es ging um eine Sehnsucht, die nicht zu stillen war.

S: Wie es Bremsen in einem Auto gibt, braucht auch der Mensch seine Bremsen, ein Auto ohne Bremsen wird zerschmettert, und so geht es auch dem Menschen…

Z: …und wohin war er gegangen mit der vollen Tasche und der vollen Unterhose, warum hatte er mich nicht mitgenommen, denn ich hatte etwas verloren, dort, in der engen Umkleidekabine, ich hatte einen Schatz verloren, von dem ich nicht gewußt hatte, daß ich ihn besaß, das Nichtwissen, wie es ist, wenn man Feuer schluckt, denn jetzt, wo ich es wußte, verspürte ich einen schrecklich faden Geschmack, weil alles, was weniger war als das, mich nicht mehr begeistern würde.

S: Es rumort in meinem Bauch und einigen Gehirnwindungen, den ganz tiefliegenden, einzelne Sätze kämpfen sich hoch in das Gefühl, dann in das Bewußtsein, ganz unmerklich entsteht aus ihnen eine zweite Wirklichkeit, oder Unwirklichkeit, denn welcher soll man trauen, eine muß grundfalsch sein, so verschieden sind sie. Andeutungen, neue Gedanken, ungewöhnliche Einstellungen, die mir bisher unbekannt waren, vieles Neues drängt sich hervor, und alles hat eine Quelle, einen Ursprung, der schnell ausgemacht ist, ein neues Leben, abgespalten von diesem, hat an uns angekoppelt, wie eine Versorgungskapsel an einer Raumstation, die Versorgungsleitungen angeschlossen, nur, daß sie uns nichts liefert, sie tankt sich selbst voll, um mit vollen Tanks weiterzufliegen, in der Not kommen nie die Helfer, sondern immer die Plünderer, wie Hyänen umkreisen sie ihre Opfer, spüren sicher die Beute, die Not der überforderten, ausgelaugten vierzigjährigen Frauen, die fast überall zu wittern ist, sie sind schneller im Bett als ein Teenie, wissen gar nicht, wie ihnen geschieht, und die ganze Familie hängt daran, ihre Energie läßt sich lange verspeisen, eine Affaire mit einer Familienmutter ist kein one-night-stand, es dauert lange, bis eine ganze Familie ausgesaugt ist, hundert Mal länger als bei einer Single-Frau, darum gibt es diese Spezialisten, die nur mit verheirateten Frauen anbändeln, schon in der Kinderstube haben sie die Mutter gegen den Vater vereinnahmt, hat die Mutter sie gegen den Vater ins Rennen geschickt, ihr Programm läuft einfach weiter, es gibt keinen Schalter.

Z: Siehst du denn nicht, daß auch diese Männer helfen? Daß auch sie eine Aufgabe erfüllen? Dein Rivale war wichtig für deine Frau, er hat ihr einen neuen Weg eröffnet, auf dem sie irgendwann sich finden wird.

S: Aber für welchen Preis? Für welches Leiden der Kinder? Die dazu bestimmt sind, vollkommen andere mit ihr und mit mir zu sein, eine Hälfte jedes Kindes gehört schon nicht mehr zu mir, und mir kommt es vor, als sähe ich sie in zwei Teile geschnitten, welche Hälften wählst Du, Mama,…das ist eine lebenslängliche Wunde…die Frau fühlt neues Leben, sie fühlt den neuen Energiestrom, aber nicht die Richtung, in der er fließt. Wir versorgen jetzt einen mit, mit Sauerstoff, mit Strom, mit Wasser, mit Lebensmittelrationen, eine Zeitlang fällt es nicht auf, dann wird die Plünderung spürbar, wir alle haben nicht mehr genug Kraft zu leben.

Z: Ja...wer war er überhaupt? Eine Saugpumpe, die meine ganze Kraft und meine ganze Zeit und meine ganze Entschlußkraft aufsaugte und mein Leben beherrschte und mir nichts dafür gab, außer diesem Luxus, ohne Kraft, Zeit und Willen zurückzubleiben, und selbst das tat er mit einer solchen Gleichgültigkeit, als erweise er mir eine Gnade, wenn er mir erlaubte, mein Leben für ihn zu vergeuden.

S.: Warum mußtest du da hindurch? Der Mann ist eklig, du bist ihm gleichgültig, er hat seinen Kick, wenn er grausam zu dir ist … und du? Er zeigt dir keinen Weg, er gibt dir nichts, er macht dich nur fertig…

Z.: …manchmal muß man tief sinken, um sich selbst zu begegnen…

S.: also holst du dir diese Grausamkeit ab, um dich zu spüren … da konntest du ja gleich mit einer Rasierklinge vor dem Spiegel stehen…

Z.: … ja, es muß schon weh tun … kennst du das nicht?

S.: Ich habe es alles nicht verstanden … es fühlt sich gut an, und trotzdem … oder deswegen ?...ergreift sie die Flucht … als wäre ein Schritt notwendig, damit sie wieder lebt, ein Schritt, den sie nur allein gehen kann…

Z.: ... gerade, weil es gut war, hatte sie die Kraft dazu, und die Freiheit … also mach‘ dir keine Vorwürfe…

S.: ... aber was hätte ich tun können … woran hätte ich es kommen sehen können?

Z: Ihr schautet euch nicht mehr in die Augen … das hätte dir ein Signal sein müssen…Wie recht er hatte, dieser Taxifahrer, man konnte zwei Männer lieben, es war sogar leichter, zwei zu lieben, denn das schaffte ein seelisches Gleichgewicht, die beiden Lieben ergänzten einander, und das war keineswegs beängstigend, wieso hatte ich nie zuvor daran gedacht, und vor lauter Erregung wegen dem, was mich am kommenden Tag erwartete, hatte ich das Gefühl, daß auch Joni mich erregte, ich setzte mich auf seinen Schoß und küßte seinen Hals…

S.: „Wer gibt dem wird gegeben werden“, aber wo sollen wir das Geben denn hernehmen, wenn wir als Süchtige in dieses Leben gekommen sind, wenn es nie genug war, wer weiß warum?

Eine Abbiegung, eine kurze Beschleunigungsstrecke, einfädeln, aber da kommt gar kein Wagen, ganz allein sind wir auf der Strecke und fahre nschneller und schneller, die Mittelstreifen sind hier auch schon länger, ich lasse sie wieder zusammenschrumpfen, das Radio lauter gestellt und nur noch fahren!

S.: Weißt du, es hat mir einmal jemand gesagt, daß jeder, der einen Fehler macht, von vornherein weiß, daß er ihn machen wird, er kann sich einfach nicht beherrschen. Die Überraschung liegt vielleicht in der Größe des Fehlers, aber nicht in der Tatsache seines Auftretens…warum hat sie es so lange verborgen?

Z: Weißt du denn nicht, was für sie auf dem Spiel steht, es ist ihr Leben, sie ist eine Mutter, sie darf euch doch nicht verlassen, und sie weiß doch tief drinnen, daß ohne ihren Mann, ohne dich, alles zu Ende ist! …aber ich hatte vergessen, daran zu denken, was danach kommen würde, an den Augenblick, wenn wirklich ein Mensch vor dem anderen Menschen stehen mußte, und vor dem zerbrechlichen, zerbrochenen Leben, das rachsüchtig und nachtragend war, das sich durch keine Täuschung besänftigen ließ...

S: ... und dann ist das Band abgerissen, das Band, das uns all die Jahre verbunden hat, das Band, das mich zu Dir und Dich zu mir gezogen hat, damals, als wir schrittweise immer näher zueinander saßen und auf das Meer blickten, redeten, als würden wir uns ewig kennen, vielleicht war es ja auch so, aber jetzt kennen wir uns überhaupt nicht mehr...

Z.: ... ja, so war es … etwas zwischen uns war zerbrochen, ohne daß wir es erkannten, ein bitteres, forderndes Mißtrauen beherrschte alles, was vorher natürlich und selbstverständlich gewesen war, plötzlich fing ich an, ihn ununterbrochen zu besänftigen, ich versuchte mit allen Mitteln, ihn davon zu überzeugen, daß ich mich aus ganzem Herzen für ihn entschieden hatte, nicht, weil ich keine andere Wahl hatte, und ohne, daß ich es gewollt hatte, wurde das zu meiner Lebensaufgabe.

S.: Warum tun Frauen ihren Männern so etwas an…

Z.: Es wird langsam Zeit, daß du dich selbst hinterfragst, glaubst du etwa, es war ein großes Vergnügen, mit dir zusammenzuleben? Du willst nur nehmen, du hast beschlossen, daß du für alles, was du durchmachen mußtest, eine Entschädigung verdienst, jedes Problem empfíndest du als Teil einer Verschwörung gegen dich, du kannst immer nur anklagen, du hast keine Geduld für die Probleme anderer, mit Steinen kommst du vermutlich zurecht, aber Menschen sind einfach zuviel für dich.

Maria organisiert das Konzert, zu dem wir fahren, sie organisiert alle Konzerte in dem kleinen Touristenort, was macht sie eigentlich nicht? Und der Bürgermeister schreibt eine Kolumne über diese Konzerte im Gemeindeblatt, und erwähnt sie mit keinem Wort. Maria hat eine Tochter von den Kanarischen Inseln mitgebracht, sie hat dort einige Jahre gelebt, sie kennt mehr von dieser Welt als nur ein Dorf an der Ostsee.

Z: … erschrocken erinnere ich mich an ihn, was tut er den ganzen Tag lang, was denkt er, welche Pläne hat er, was kann er tun, aber wenn ich in sein Zimmer komme, sein düsteres Gesicht sehe und den abstoßenden Geruch wahrnehme, sage ich mir, ebenso aggressiv wie er, nichts, er tut nichts, er denkt nichts, und dann packt mich das Entsetzen, was soll aus mir werden, wie wird der Rest meines Lebens sein, ich bin schon fast wie eine verlassene Frau, und dann versuche ich herauszufinden, was von meiner Liebe zu ihm noch übrig ist, dieser Liebe, die fast so alt ist wie ich selbst, was ist geblieben von dem, was wir in all diesen Jahren getan, gelernt, gesammelt haben, und wieder hallt mir dieses Wort in den Ohren, nichts, es ist nichts geblieben.

S: Die Lösung liegt in der Lösung, jeder will sich, muß sich, soll sich entwickeln, daß ist unser Auftrag im Leben, und wenn es zusammen nicht geht, müssen wir uns trennen, aber warum so? So macht man das im Arbeitsleben, erst die neue Anstellung suchen und dann kündigen, aber eine Ehe ist doch kein Arbeitsvertrag.

Z: Weißt du nicht, daß der Weg des Lebens der Weg des Herzens ist, daß alles was du beklagst, nur entsteht, weil Menschen ihrem Herzen nicht folgen? Also nimm es wie es ist, es wird auch dir helfen, am Ende wirst auch Du wieder lieben. Wie gut wir eigentlich zusammengepaßt haben, wer hätte es besser als er geschafft, mich einzusperren, wer hätte es besser als ich geschafft, seine Schwäche zu ertragen, mit vier fleißigen Händen haben wir uns unser Leben zerstört, in erstaunlicher Harmonie…

S: ... vielleicht ist es überhaupt unsere Tragik, daß wir alles danach ausrichten, was wir brauchen, und nicht nach dem, wofür wir leben und was wir lieben. Was wir brauchen, werden wir immer wieder verlieren, nur der Sinn unseres Lebens und unsere Liebe leben weiter, wenn wir ganz für sie einstehen.

Z: Jetzt kommen wir uns näher! Ich hatte dich fast aufgegeben!

Ich biege zum Ort ein, noch eine kurvige Straße, ein Ortsschild, bald kommt das Hotel mit dem großen alten Saal von der Jahrhundertwende, was hat dieser Saal schon alles gesehen?

S.: Die Befreiung gilt allen, jeder spürt es, spürt die Angst, den Schmerz, die Erleichterung, es ist wie eine Geburt, wie jede Geburt, die man im Leben erfährt, durch die Schmerzen eröffnet sich das Neue, und die Angst verschwindet, wenn alles passiert ist, wovor man Angst hatte…

Z: …man kann das akzeptieren, was geschieht, ohne Schuldgefühle, man kann daran glauben, daß alles Schwere dazu bestimmt ist, uns stärker zu machen, die Tibeter glauben, daß derjenige, der dich verletzt, dein größter Lehrmeister ist.

Im Foyer stehen die Leute dicht gedrängt, redend, andere sitzen an der Bar, wieder andere speisen vornehm, mitten in diesem Gewühle, was müssen die aushalten. Im Saal erblicke ich Maria, sie mich, wir uns, sie begrüßt uns überschwenglich, schön, daß Ihr da seid, warte einen Augenblick, ich komme wieder, schon ist sie fort, spricht hier, regelt dort, dies ist ihr großer Tag, sozusagen Ausnahmezustand, alle kennen sie hier, sie hat wenige Minuten, um viele alte Beziehungen zu pflegen, und Zeruya steht mit mir in der Ecke des Saals, durch die Rauchschwaden funkeln ihre Augen mich an und sie sagt:

Z: siehst du, daß auch du wieder lebst?

…schon ist Maria wieder zurück, führt uns zusammen mit Gottfrieds Frau durch den vollen Saal, mitten vor der Bühne sind noch drei Plätze frei, dort sollen wir uns setzen, ich danke überrascht, sie wehrt es ab und sagt, nein, ich danke euch, ich freue mich, daß ihr gekommen seid, wie geht es Esther und dir, seid ihr noch zusammen, nein, wir haben uns getrennt, und ihr neuer Freund?, ach weißt du, Männer, die in eine Familie einbrechen, geben nichts, und Maria sagt: ich weiß, oder zumindest weniger, als sie sich holen, wie das weitergehen soll? und Maria sagt, ich weiß, ich weiß, deswegen mag ich die spanischen Männer, die haben noch so etwas wie… und Abi fängt an zu spielen; wir setzen uns, Maria zieht davon, sie alle wirbeln in meinem Kopf, Maria, Esther, Zeruya, ich denke an sie alle, und an ihre Liebhaber, Zeruyah lächelt zu mir herüber und Abi zupft seine warm klingende Gitarre, ich denke daran, wie lieb alle Menschen sein können, wenn sie mir nicht wehtun, und er singt „take your hands off her, ´cause she don´t belong to youuu…“ und er singt es nicht hart oder drohend, er singt es weich, mit einem sonnigen Lächeln und einem Blick, der alles Leid versteht, und alle Sünden auch, und mich durchströmt die Liebe seiner Augen und seiner Stimme und ich denke, ja, Abi.

 

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