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Vom Fliegen

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02.10.2005
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Vom Fliegen

>Vom Fliegen.

1. Eine Rose ist mein Geschenk an sie. Sie mustert kurz die Rose und legt sie bei Seite. Umso ausführlicher inspiziert sie nun mich. Von unten nach oben fliegt ihr Blick über meine zerfetzten Kleider und mein unrasiertes Gesicht. Wilde Nacht gehabt, fragt sie mich. Ich stehe nur da und weiss nicht, was ich sagen soll. Irritiert starre ich sie an und frage mich, was bloss geschehen war. Ich kann mich nur noch sehr schlecht erinnern. Da ist eine Frau. Sie hat eine Schürze an. Die Putzfrau! Endlich ist mir wieder etwas eingefallen. Ein Anhaltspunkt. Ja die Putzfrau war gestern da gewesen. Ich hatte auf dem Bett gelegen. Die Türe war zu gewesen und ich hörte das Geräusch eines Staubsaugers. Meine Augen waren feucht gewesen. Ja , ich hatte geweint. Den Morgenmantel noch dicht um den Körper geschlungen, öffnete ich die Schlafzimmertür und ging in die Küche. Ich kann mich an den Geruch von heissem Kaffee erinnern. Was war dann passiert? Warum hatte ich geweint? Sie tritt nun einige Schritte zurück und meint, dass sie mich so gar nicht kennen würde. So ungepflegt und verwirrt. Ja, so kenne ich mich auch nicht. Ich führe doch ein geordnetes Leben. Dann erinnere ich mich an ein Telefongespräch. Ein kurzes Telefongespräch. Die monotone und ausdruckslose Stimme am anderen Ende der Leitung habe ich nicht vergessen. Ihre Mutter ist gestorben! Der Hörer fällt und Tränen folgen. Mehr und mehr kann ich mich wieder daran erinnern. Meine unsicheren Gefühle, mein pochendes Herz und die erdrückende Müdigkeit. Ich drohte umzufallen wie ein Brett. Meine Beine wackelten. Sie Sonne schien mir ins Gesicht, wo sonst gar nichts sonnig war. Nebel beherrschte die Situation. Nebel der Gefühle. Nebel der Gedanken. Sie meint nun, ich solle mich zu einem Arzt begeben. Ich würde gar nicht gut aussehen. Die Leichtigkeit des Seins ist ihr ins Gesicht geschrieben. Sie hat es schön. Wie ein kleiner Stein, lässt sie sich von der Strömung tragen. Immer mit dem Strom. Manchmal ganz vorne und manchmal ganz hinten. Ja, so lässt es sich leben.
Meine Gedanken fliegen weg von ihr, wieder zurück zu gestern. Es war doch gestern gewesen oder? Ich weiss es nicht. Mein Zeitgefühl ist verloren gegangen. Raum und Zeit spielen üble Spiele mit mir.
Ich erinnere mich, wie ich in mein Bett stieg. Den Blick an die Decke, fasste ich einen letzten Entschluss, mich hochzurappeln und die Fensterläden zu schliessen. Die Sonne hatte ihren Meister gefunden. Ich kann mich wieder an den Hass erinnern, den ich auf die Sonne, auf dieses Licht hatte. Es sollte Dunkel sein. Ganz stark, kann ich mich wieder an diesen Wunsch erinnern. Wenn alles Dunkel ist vergisst man schneller, meinte ich wohl. Ich weiss so wenig von gestern, dass ich das nur bestätigen kann. Die Dunkelheit, ein Kissen, die Tränen und eine lange Nacht machen vieles vergessen. Aber nicht für immer vergessen. So langsam aber sicher fallen mir viele Dinge wieder ein. Die Putzfrau, die zum Abschied etwas durch die Wohnung rief. Die Fliege, die im Schlafzimmer umherschwirrte und immer wieder auf meiner Nase Platz nahm. Kleinigkeiten eben, die mir gestern viel mehr bedeutet hatten. Die Putzfrau, welcher ich nicht Aufwidersehen sagen konnte, weil ich einfach nicht im Stande dazu war. Nicht weil ich mich meiner Tränen schämte oder weil ich kein Wort herausbrachte. Nein ganz einfach, weil ich sie nicht belügen wollte. So oft belügen wir unsere Mitmenschen mit Kleinigkeiten. So, dass schliesslich das ganze Leben nur noch aus Lügen besteht. Gestern konnte ich einfach nicht lügen. Ich wusste nicht, ob ich sie je wieder sehn würde. Dann die Fliege. Ja, ich kann mich wieder sehr genau an sie erinnern. Sie summte leise über meinem Kopf um sich dann für kurze Zeit irgendwo niederzusetzen. Es tat weh vor Neid. Der Neid die Fliege fliegen zu sehen. Auf und ab, rechts und links, hoch und tief. Die Fliege demütigte mich. Der Schmerz durchfuhr mich und versetzte mir einen Schlag. Wahnsinn, denke ich mir jetzt. Was mir dieses kleine Geschöpf gestern antun konnte. Durch blosses Fliegen, hatte sie mich auffliegen lassen. Reglos lag ich da und mein einziger Gedanke galt dem Fliegen. Ich weiss auch heute noch wieso. Weg von allem weg! Das Fliegen spendete Hoffnung.


2. Sie hat mir einen Kaffee gemacht und sich an den Küchentisch gesetzt. Setz dich, meint sie. Ich setze mich ihr gegenüber uns starre ins Leere. Was ist los, fragt sie mich. Sie meine ein Selbstgespräch zu führen. Ich würde ihr keine Beachtung schenken. Warum sollte ich dir Beachtung schenken, würde ich am liebsten laut schreien. Wer hat es denn noch verdient, Beachtung zu bekommen? Du? Nein du nicht. Niemand von uns. So unvollkommen und hilflos wie wir sind. Wir haben es nicht verdient. Nun scheint sie wütend zu werden. Verdammt, sagt sie laut. Du kannst mich doch nicht einfach so ignorieren! Und ob ich das kann, denke ich. Ich ignoriere wen ich will und wie oft ich will. Ich bin mittlerweile der Meinung, dass Ignorieren, das einzige Mittel zum Überleben ist.
Danach verfalle ich wieder in meinen Trott. Ich denke an gestern. Ich denke daran wie ich aufgestanden und ins Bad gelaufen war. Ich hatte mich im Spiegel angekuckt und musste wieder beginnen zu weinen. Ich weiss wieder, dass ich an früher denken musste. Die Tage auf dem Hof. Die vielen Tiere. Meine Mutter, die mich zum Essen gerufen hatte und vor allem dachte ich an die Sonne. Wie hatte sie mich erfreut. Wie hatte sich mich wärmen können. Niemand hatte ihr den Weg versperrt. Sie hatte ihre eigenen Wege gehen können. Niemand hatte ihr einen Meister vor die Nase gesetzt. Und dann musste ich wieder an die Gegenwart denken. An die geschlossenen Fensterläden. Eine tiefe Traurigkeit überkam mich. Ich ging zurück ins Schlafzimmer und liess mich aufs Bett fallen. Kurze Zeit später war ich eingeschlafen.

3. Ich erwachte schweissgebadet. Mein Herz pochte wie verrückt. Nichts, aber auch gar nichts, lässt einen in Ruhe, waren meine ersten Gedanken gewesen. Nicht einmal die Fliege hatte diese Absicht. Sie flog immer noch ziellos durchs Zimmer. Was sie wohl suchte? Suchte sie Halt? Oder suchte sie gar nichts? Wie ich. Ich drehte mich im Bett um und starrte wieder an die Decke. Es tat gut, die grosse weiss Fläche zu betrachten. Es hatte etwas Klares, etwas Unschuldiges. Etwas das mir fehlte. Und dann, urplötzlich und völlig unerwartet musste ich wieder an das Telefongespräch denken. Die monotone Stimme. Ihre Mutter ist gestorben! Warum war das keine Hiobsbotschaft gewesen? Warum hatte ich keine Trauer empfunden? Warum hatte ich aus reinem Egoismus zu weinen begonnen? Der Schmerz, dass mich diese Nachricht kein bisschen erdrückt hatte, fiel mir jetzt wieder schwer auf.
Ich sitze ihr immer noch gegenüber und meine Gefühle sind leer. Momente des Schweigens. Sie schaut mich an und meint, sie müsse jetzt gehen. Sie wisse nicht, ob sie zurückkomme. Wie ? meine ich. Doch nun ist es zu spät. Sie ist aufgestanden und zur Türe getreten. Leb wohl, sind ihre letzten Worte. Tu tust mir Leid, hätte ich von ihr hören wollen. Doch sie hat kein Mitgefühl für mich übrig. Sie ist wie ein Stein und lässt sich treiben. Als sie gegangen ist stehe ich auf und begebe mich zum Balkon. Ich trete hinaus und blicke ins Weite. Zum Glück scheint die Sonne, denke ich mir. Sie würde jetzt vieles erschweren. Und schwer ist es, im moment schon genug. Schwere Fragen liegen mir auf dem Herzen. Ich frage mich, wann es begonnen hat. Dieses Gefühl der Leere. Wann es begonnen hat, dass ich mich in der Dunkelheit wohl fühlte. Wann es begonnen hat, dass ich mich von hier weg wünschte. Ich weiss es nicht. Es muss fliessend geschehen sein. Unbemerkbar hatte es sich eingeschlichen und von mir Besitz ergriffen. Es herrschten keine Werte mehr. Normen waren über den Haufen gefahren. Normalität, wie man sie sich wünschte, war nicht mehr möglich. Jeder Tag musste etwas besonderes sein. Doch dem Anspruch konnte nicht mehr genüge getan werden. Ich schaue ins Weite und bemerke einen Schmetterling der an mir vorüberzieht. Wieder schmerzt es. Neid, vom der Fusssohle bis in die oberste Haarspitze. Es ist Schmerz und gleichzeitig Hoffnung. Man will an die Hoffnung glauben und spürt nur den Schmerz. Und ich denke mir wieder, Weg! Weg von all dem! Einfach Wegfliegen und alles zurücklassen. Ach, wenn es doch nur so Einfach wäre.

 

hallo the fool

bin neu hier und gleich auch deine geschichte gestossen. sie ist nicht ganz einfach zu lesen, was vorallem auf die etwas mühsame gliederung und die verschiedenen zeiten zurückzuführen ist. inhaltlich hat mich die geschichte aber doch sehr gepackt. wirklich überzeugend vorgetragen. liest sich teilweise fast schon wie ein krimi. zum teil auch einige interessante philosophische aspekte. vielleicht solltest du dabei noch schauen, etwas ordnung in die story zu bringen. wie genau war sein verhältnis zur mutter? wie genau sein verhältnis zu der person mit der er spricht? einige kleinigkeiten, die ich gerne noch etwas ausführlicher mitbekommen hätte. insgesamt aber wie gesagt: interessant! weiter so ;)

LG, Kathrin

 
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Hallo the fool!

Mir hat die Geschichte gefallen. Einzige Kritik: Der Text könnte flüssiger sein. Hier ein paar Tipps:

"Die Türe war zu gewesen und ich hörte das Geräusch eines Staubsaugers."
(1) Unnötiges Beschreiben eines Wahrnehmungsvorgänges ("ich hörte").
(2) Geräusch eines Staubsaugers: Nomen durch Verben ersetzten. Also:
>>Die Tür war zu, dahinter brummte ein Staubsauger.

"Meine Augen waren feucht gewesen. Ja , ich hatte geweint."
(3) Andeutungen sind klasse, doch Offensichtliches tötet die Spannung. Also:
>>Das Kopfkissen war nass und kalt. Dort, wo meine Augen gelegen hatten, waren zwei dunklen Flecken im Leinen.

"Irritiert starre ich sie an und frage mich, was bloss geschehen war."
(4) Adjektive vermeiden. Wenn man geschickt erzählt, kann sich der Leser selbst vorstellen, wie der Erzähler blickte. Wenn Du schreibst:
>> Ich starre sie an. Was war bloss geschehen?
dann kommt der irritierte Blick von ganz allein herüber.

LG

Gernot

 

Ein paar Fehler sind mir gestern aufgefallen. Erinnere mich nur noch an die zwei großen:

The Fool schrieb:
Sie Sonne schien mir ins Gesicht, wo sonst gar nichts sonnig war

The Fool schrieb:
Tu tust mir Leid, hätte ich von ihr hören wollen.

Aber ein Experiment ist mir nicht aufgefallen. Warum nicht "Sonstige"?

 

@ gernot, leif: danke für die hinweise. werd mich, wenn ich mal zeit dafür habe an die korrekturen machen.

@kathrin: thx :)

 

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