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Trugschluss

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14.04.2005
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Trugschluss

Trugschluss

Wie wenn man mit dem Bus fährt, ist es, merkte er. Erst langsam, dann das Türenschließen mit einem fernen Ruck. Morris, der Typ in der letzen Reihe, hatte sich Ziegenkäse und Bier für die Rückfahrt durch die Serpentinen besorgt und sah nun den Dänen oder Schweden, soviel konnte er dessen Dialog mit einem weiteren Fahrgast entnehmen, mit der Haarverpflanzung vor sich sitzen. Die ansonsten kahle Stelle auf dessen Hinterkopf hatte nadelkopfgroße, im Abstand zueinander sehr genau kalkulierte Einstiche, die der Haut etwas Ledernes und Künstliches gaben. Rundherum, an den leicht ergrauten Schläfen mit den ansonsten dunkleren Koteletten war das Haar noch buschig, nahezu ungepflegt.
Ein Schwede (oder Däne) in Spanien, dachte Morris. Er selbst, der Weltenbummler, den es nie länger als ein paar Tage an einem Ort hielt, immer auf dem Quivive, wie er es nannte, dachte unwillkürlich an die Häftlinge in Las Palmas. Der deutsche Wirt, bei dem er die vergangenen zwei Tage gewohnt hatte, hatte ihm erzählt, dass sie es waren, die nach seinen künstlerischen Vorgaben die Glasuren auf die Tonteller malten, nach alten Mustern der Eingeborenen. Er hatte diese Teller, von denen es mittags Seefisch und abends Tapas gab, bewundert, vielleicht auch, weil sie ihm wegen der wenigen, jedoch ineinander verlaufenden Farben auf der Vorderseite kraftvoller und einzigartiger vorkamen als herkömmliches Geschirr. Vielleicht, überlegte er jetzt, kam das wegen der Ausweglosigkeit der Situation. Menschen, die es in den Knast getrieben hatte, aus welchen Gründen auch immer, für Monate oder Jahre, manchmal sogar für ein ganzes Leben, richteten sich anders ein. Die kahlen Wände der engen Zellen wirkten anfangs neu, man malte sich aus, was man aufhängen könnte, spielte mit Bildern in Gedanken, verwarf etliche und musste doch immer, wenn man etwas handeln konnte, die draußen billigen, aber hier teuren Poster aus Zeitschriften nehmen. Dann kam die schwierige Phase des Akzeptierens der neuen Umgebung. Man begriff, dass eine Wand nur zum Bilderanbringen taugte. Man begriff, dass die Wand aber vor allem jeden Widerstand bot gegen Entkommen. So etwas, Tag für Tag besehen, prägt sich wohl ein, überlagert die anfangs lichten Gespinste und kriegt dich klein. Die Gedanken hören merklich auf zu schweifen und fangen an, Musik zu machen, dachte Morris. Man hörte hin und wieder weg, musste es. Immer wieder von neuem. Das Töpfern hingegen kam einem dann zunächst fremd vor, doch mit zunehmender Übung, mit jedem Pinselstrich sozusagen, drang ein Bruchteil einer Melodie in die Handbewegung ein und fing an, sie zu führen. Zumindest für Sekunden. Dieses Überlagern von Bewegung und Aufgabe, wie sie der Wirt vorgegeben hatte, wie er sie von den Eingeborenen abgeschaut hatte, schaffte für Momente neue Bilder in den Kopf von Routine und Geborgenheit. Morris hatte vor kurzem einmal gegenüber dem Wirt bemerkt, dass er Gefängnisstrafen ablehne, alleine schon deshalb, weil Tat und der Termin, bis es zur Verurteilung kam, meist Monate auseinander lagen. Ändern konnte man dann spontan nicht viel, die Strafe führte auch zu keinem veränderten Bewusstsein, was auch Wiederholungstäter belegten. Das mit der Abschreckung war sowieso ein Witz. Hier wurde man ja auch schon wegen Bagatellen eingesperrt.
Morris öffnete nun ein Bier und betrachtete die nordeuropäische Kopfhaut erneut. Diese exakt nebeneinander gesetzten Wurzeln faszinierten und stießen ihn gleichzeitig ab, jetzt mehr als beim ersten Blick. Der Bus würde an der nächsten Station anhalten, die noch eine halbe Stunde entfernt war. Spätestens dann musste er sich entscheiden, was tun.

 
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Hallo freewaythor,


es sind ein paar interessante Gedanken in deinem Text, aber insgesamt konnte ich leider nicht viel mit ihm anfangen.
Da wurde für meinen Geschmack zu oft hin und hergesprungen. Vom Bus zum Wirt, zur Zelle und sonstwohin und wieder zurück.
Immer, wenn ich gerade anfing, mich in einer Szene oder einem Gedanken zurechtzufinden, kam schon wieder der nächste Wechsel.
Auch wenn die Zusammenhänge letztendlich verständlich sind, so wirkt der Text auf mich etwas wirr und zu nervös.


Hier noch ein paar Dinge, die mir aufgefallen sind:

und sah nun den Dänen oder Schweden, soviel konnte er dessen Dialog mit einem weiteren Fahrgast entnehmen, mit der Haarverpflanzung vor sich sitzen.

Dieser Satz klingt in meinen Ohren unrund. Ich würde zwei draus machen: einen über den Dialog und einen über die Haare.


Haar noch buschig, nahezu ungepflegt

Klingt, als sei "ungepflegt" eine Steigerung von "buschig".


Er selbst, der Weltenbummler, den es nie länger als ein paar Tage an einem Ort hielt, immer auf dem Quivive, wie er es nannte, dachte unwillkürlich an die Häftlinge in Las Palmas.

Mir persönlich gefallen derart verschachtelte Sätze nicht, wobei der Satz letztendlich stimmig ist. Möglich, dass andere Leser, da nichts einzuwenden haben.

Er hatte diese Teller, von denen es mittags Seefisch und abends Tapas gab, bewundert, vielleicht auch, weil sie ihm wegen der wenigen, jedoch ineinander verlaufenden Farben auf der Vorderseite kraftvoller und einzigartiger vorkamen als herkömmliches Geschirr. Vielleicht, überlegte er jetzt, kam das wegen der Ausweglosigkeit der Situation.

Finde ich schwer zu lesen, so eine Passage.
Und wenn du dann von der "Ausweglosigkeit" sprichst, denke ich: hä?
Klar, im Anschluss erklärst du den Zusammenhang (der ja durchaus interessant ist), aber bevor ich weiterlas, war ich erstmal völlig raus aus dem Text, weil ich dachte, ich hätte im ersten Satz etwas übersehen.


Viele Grüße
Tom

 

Hi freewaythor!

Eine komische Geschichte, finde ich.
Morris ist also auf der Flucht und war schon mal im Gefängnis, richtig?
Wofür muss er sich entscheiden?

 

Ich dachte eher daran, dass ein Aussteiger wie Morris Probleme damit hat, sich generell festzulegen oder überhaupt Entscheidungen zu treffen. Was ist für so jemanden normal, wenn man immer nur unterwegs (zu welchem Ziel eigenlich?) ist? Wann wird so jemand damit konfrontiert, dass Entscheidungen treffen etwas mit Grenzen erfahren zu tun hat? Ich dachte, bei einem Typ wie Morris würde so eine Erkenntnis eher in der Phantasie als in der realen Erfahrung er-wach-sen. Ich selbst finde übrigens Entscheidungsprozesse immer wieder spannend als auch problematisch. Es heißt eigentlich immer, dass du zumindest einen Teil, den du hättest wählen können, nicht bekommst. Insofern sympathisiere ich auch mit Morris Lebensstil, obwohl ich generell nichts gegen mutiges, enschiedenes Handeln einzuwenden habe. - In jedem Fall bedanke ich mich für deine Kritik.

 

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