Mitglied
- Beitritt
- 21.03.2021
- Beiträge
- 292
- Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:
- Kommentare: 4
- Anmerkungen zum Text
Moin zusammen,
die "Hausaufgabe" eines Freundes lautete: »Schreib eine KG mit maximal 1500 Wörtern und dem Titel: Tequila, Tod und Meuterei.«
Am Ende sind zwei Geschichten dabei herausgekommen. Welche gefällt euch besser?
Tequila, Tod und Meuterei I (Drei Buzzwords - Zwei Stories)
Acapulco, 1967
Sehen und gesehen werden. Auf der Terrasse des Hotels ›Los Flamingos‹ pulsiert der Jetset, die Schickeria zieht ihr Ding durch. Der Schampus fließt in Strömen, am Nebentisch sabbeln zwei junge Blondinen enthusiastisch über die Möglichkeit, gleich Johnny Weissmüller, Cary Grant oder Errol Flynn zu treffen.
Ein Kellner bringt meinen Drink. »Haben Sie sonst noch einen Wunsch?«, fragt er.
»Nein, Danke«, antworte ich auf Spanisch.
Der ›Toreador‹ benetzt meine Lippen, leise klirren die Eiswürfel. Die Geschmacksknospen erblühen unter Limette und Aprikosenbrandy, den Abgang bildet der herbe Reposado Tequila. Köstlich. Vom Pool wehen die Klänge der Rolling Stones, ›Satisfaction‹ herüber, für einen Moment vergesse ich beinahe meinen Auftrag und nehme einen größeren Schluck.
Ich hebe das Fernglas und tue nur so, als würde ich die Clavadistas, die Klippenspringer beobachten. Dort drüben am Felsen ist es fast das Gleiche wie hier. Sehen und gesehen werden.
Die Sichthilfe schwenkt ein Stück zu Seite und dort ist er.
Ismail Zambada Garcia. Athletisch gebaut, maßgeschneiderter Leinenanzug, weißer Fedora. Der Bursche ist gerade mal 18 Jahre alt. Zusammen mit seinen Leibwächtern geht er am Strand spazieren.
»Verzeihen Sie bitte?«
Ich senke das Fernglas. Neben meinem Stuhl steht ein älterer Herr, dem Akzent nach zu urteilen ist er wie ich Amerikaner. Sein Gesicht ist sonnengebräunt, die wachen Augen lassen ihn jünger wirken. Er lächelt. »Dürfte ich mir ihre Zeitung ausborgen?«, fragt er höflich und zeigt auf die Ausgabe der New York Times, schon will er danach greifen.
Meine Hand ist schneller, ich nehme das Papier sowie die darin verborgene schallgedämpfte Pistole an mich und lege alles auf meinen Schoß. »Bedaure, ich bin noch nicht damit durch«, sage ich und zeige ebenfalls Zähne. Meine Ausstrahlung wirkt überzeugend, der Rentner verschwindet.
Ein weiterer Blick durch den Feldstecher. Garcia, der aufstrebende Drogenbaron des Sinaloa-Kartells, steigt gerade mit seinen Wachen in ein Schlauchboot und fährt zu der weißen Yacht, die weiter draußen vor Anker liegt. Mir entfleucht ein Seufzen. Er wird nicht ins Hotel kommen.
Vor meinem geistigen Auge verpasse ich jedem in der Abteilung Aufklärung eins in die Fresse. Zeit für Plan B. Ich brauche neue Ausrüstung und ein Boot.
Die ›La Felicidad‹ hat schon bessere Tage gesehen. Der Lack blättert ab.
Mein Geschäftspartner heißt Esteban. Dreizehn Jahre jung und ein aufgewecktes Kerlchen, ich erkenne klares Misstrauen in seinen Augen. Es kommt anscheinend nicht allzu oft vor, dass ein Gringo allein hinausfahren will. Wahrscheinlich hat er mir die Geschichte vom Fotografen, der zum Sonnenuntergang das bunte Treiben am Playa Caleta vom Meer aus ablichten will, nicht abgekauft. Er besteht darauf, mich zu begleiten. Das Fischerboot gehört seinem Vater, Carlos, doch von dem ist weit und breit nichts zu sehen.
»Papi schläft sehr viel«, sagt Esteban.
»Und er lässt dich ganz allein mit der Arbeit?«, frage ich.
Der Junge zuckt mit den Schultern, als wolle er sagen: Was soll man machen?
Ich habe kein allzu gutes Gefühl bei dem Deal, doch das Zeitfenster schließt sich bereits. Improvisieren gehört zum Job. Wir verabreden uns für den frühen Abend.
Zurück im Hotel liegt an der Rezeption eine Nachricht für mich bereit: Teleobjektiv liegt zur Abholung bereit. La Roqueta 29.
Die Adresse ist bloß fünf Minuten entfernt. Ein schmutzig weißes Flachdach, von einer grauen Mauer umgeben, obenauf Stacheldraht. Ich klopfe an. Ein Fettsack um die Vierzig im fleckigen Feinripp macht auf.
»Ich bin hier um das Paket abzuholen. Señor Smith schickt mich«, sage ich auf Spanisch.
Die Wohnung ist ein Saustall, es stinkt nach Zigarettenqualm. Ein Deckenventilator versucht sein Bestes. Sie sind zu dritt und spielen Karten, der Türöffner zockelt zurück zum Tisch.
»Das Paket?«, frage ich.
Die drei wechseln einen Blick, anstatt sich zu setzen schlurft der Fette ins Nebenzimmer und kommt mit einem Fotokoffer aus Aluminium zurück.
»Wo ist das Geld?«, fragt mich einer.
»Welches Geld?«, erwidere ich und verschränke meine Hände hinter dem Rücken.
»Das du uns schuldest, ›cabron‹«.
»Ihr wurdet bereits angemessen bezahlt.«
»Wir wollen mehr«, knurrt der Dritte.
»Tja, da kann ich euch nicht helfen«, sage ich und mache einen Schritt auf den Kofferträger zu.
Dann geht alles ganz schnell.
Die Stühle fallen um als sie aufspringen, einer von ihnen zieht eine Pistole und legt auf mich an, doch ich bin schon nicht mehr dort.
Vierteldrehung, Gewicht auf das linke Bein, Tritt mit dem Rechten. Die Kniescheibe des Fettsacks bricht mit einem Knacken. Noch während er fällt greife ich mir den Koffer und schleudere ihn gegen den Pistolero. Es knallt, sein Schuss killt den Ventilator.
Mit zwei Schritten bin ich zwischen ihnen. Handkantenschlag gegen den Kehlkopf, dann wegducken. Block mit der Linken. Uppercut ans Kinn, volle Power. Der letzte Mexikaner segelt auf den Kartentisch, krachend bricht das Holz zusammen.
Wimmernd liegen sie da, halten sich das Knie und die Kehle. Der Empfänger des Kinnhakens scheint bewusstlos. Ich zupfe mir einen Flusen vom Revers, hebe den Metallkoffer auf und kann mir den Spruch zum Abschied nicht verkneifen: »Gentlemen, es war mir eine Freude mit Ihnen Geschäfte zu machen.«
Esteban ist pünktlich, die mexikanische Sonne versinkt als orange glühender Feuerball im Ozean. Bevor wir ablegen, hat er mir noch etwas zu sagen: »Mein Schiff, meine Befehle.«
»Dein Schiff, deine Befehle?«, frage ich.
»Mein Schiff, meine Befehle.« Er reckt sein dreizehnjähriges Kinn vor. Ich mag den Kleinen.
»Alles klar, du bist der Kapitän«, antworte ich und unterdrücke ein Schmunzeln.
Wir machen gute Fahrt, eine leichte Brise umspielt meinen Dreiteiler und sorgt für angenehme Abkühlung. Als ich gedankenlos meine Hand ins Wasser halte, schreit Kapitän Esteban mich auf Spanisch an: »Señor! Lassen Sie das!«
Ich schaue ihn bloß fragend an.
»Hier gibt es Haie!«
Ich nehme meine Hand aus dem Nass.
Die See ist ruhig, sanft schaukelt die ›La Felicidad‹ auf dem Wasser. Ich sitze im Heck, im Schoß die Spiegelreflexkamera, den Fotokoffer sicher zwischen meinen Knien.
Garcias Yacht dümpelt etwa zweihundert Meter entfernt.
Estebans Blick vom Steuer her kann ich bloß als Neugierig beschreiben. Besonders mein Gepäck scheint es ihm angetan zu haben. Zeit, dass er verschwindet.
»Kapitän!«, rufe ich. Er stellt den Motor ab und kommt zu mir, noch immer liegt seine Aufmerksamkeit auf dem Koffer. Cleverer Bursche. »Würde es dir etwas ausmachen, mir einen Moment zu geben und kurz unter Deck zu warten bis ich in Ruhe meine Fotos geschossen habe?« Hinter uns erleuchtet ein Meer aus bunten Lichtern den Küstenstreifen. Das Motiv ist malerisch.
Jetzt sieht er mich an. »Darf ich sehen?«, fragt er und zeigt auf das Aluminium.
Ich öffne den Koffer. In grauem Schaumstoff liegt ein Teleobjektiv. Ich schraube es auf die Kamera, nehme Esteban in den Sucher und drücke ab. Er grinst.
»Zehn Minuten? Bitte?«, sage ich.
Er fügt sich und verschwindet unter Deck. Langsam zähle ich bis zehn, dann schleiche ich zur Tür und verriegle sie mit einem Kescher.
Unter der obersten Schicht des Schaumstoffs im Koffer befindet sich das Scharfschützengewehr, zerlegt in seine Einzelteile. Die Handgriffe beherrsche ich blind, schnell ist die Waffe einsatzbereit. Ich lege auf die Yacht an und kontrolliere meine Atmung.
Da ist er.
Garcia steht auf dem Vorderdeck und schäkert im Sonnenuntergang mit einer mexikanischen Schönheit.
Mein Zeigefinger schmiegt sich um den Abzug.
Die Schwierigkeit, Leute von einem Boot aus zu erschießen, liegt im Wellengang. Ich nehme mir die Zeit, das beständige Auf und Ab zu verinnerlichen, dann rücke ich Garcias Hinterkopf ins Visier. Es ist so weit. Zeit für die rote Wolke.
Ein metallisches Geräusch in meinem Rücken.
Ich drehe mich um.
Kapitän Esteban steht an der Reling und zielt mit einer rostigen Harpune auf mich. Der Widerhaken des Speers funkelt böse im letzten Licht der Sonne. Mein Blick wandert an ihm vorbei zum Niedergang, der Kescher befindet sich noch an Ort und Stelle. Schlüpfriger kleiner Scheißer.
»Was machst du da?«, fragt er.
»Meinen Job.«
»Du tötest Menschen?«
»Wenn es sein muss.«
»Das will ich nicht. Weg mit der Waffe.«
»Hör mal ich ...«
»Weg mit der Waffe! Mein Schiff, meine Befehle!«
Ich will ihn nicht erschießen, aber seine Forderungen zu befolgen ist keine Option. Zeit für eine Meuterei. Ich halte das Gewehr weg vom Körper und tue so, als würde ich es ablegen. Mit einer Bewegung aus dem Handgelenk schleudere ich es ihm entgegen.
Tschak!
Feuer explodiert in meiner Brust, als der Speer hindurchfährt. Die Wucht des Geschosses schleudert mich über die Reling. Es ist stockfinster, die Baumwolle meines Anzugs saugt sich voll und zieht mich abwärts. Ich versuche zu schwimmen, doch der Schmerz ist unbeschreiblich. Meine Finger ertasten den Stahlschaft, der in meinem Brustkorb steckt und während ich sinke, versuche ich daran zu ziehen. Noch heißeres Feuer. Das Letzte, was ich spüre, ist ein gewaltiger Aufprall, gefolgt vom Schmerz rasiermesserscharfer Zähne, die in meinen Körper beißen.