Was ist neu

Tattoo

Seniors
Beitritt
12.04.2007
Beiträge
6.487
Zuletzt bearbeitet:

Tattoo

Tattoo

Der Alte erstarrt, als er das Tattoo an der Dirne sieht.

Plötzlich ist er wieder der Junge von sechs oder sieben Jahren, der draußen länger gespielt hatte, als von den Eltern erlaubt. Es hieß grundsätzlich
„spätestens um sechs zum Abendbrot!“,
und es galt das noch strengere
„wenn die Laternen angehn!“,
zu Hause zu sein.

Was sollte einer wie er auch zuhause, wenn der Fernseher kaputt war und der Onkel Janos erst zum Abendbrot käme, um hernach das Gerät zu reparieren?

So hatte er mit Freunden Verstecken gespielt – einen ganzen vergnüglichen Nachmittag lang.
Es war ein gerechtes Spiel, für alle Jungen mit gleichmäßig verteiltem Erfolg.

Als die Dämmerung einsetzte, einigte sich die Rasselbande auf ein letztes Spiel für diesen Tag.

Er versteckte sich und war zunächst stolz, dass kein Spielgenosse ihn allzu schnell fände.
Als schließlich „die Laternen angingen“ und aufleuchteten, gab er den Spielkameraden einen Ton zur Hilfestellung. Und doch wurde er von niemandem gefunden!
Wenn man ihn schon nicht sah, warum hörte man ihn nicht?

Langsam dämmerte ihm, dass er sich allzu gut verborgen hätte!
Stolz wandelte sich in Sorge.
Als er endlich aus dem Versteck kam, war kein Spielkamerad mehr zu sehen und es stand zu befürchten, dass keiner nach ihm gesucht hätte.
Dem Jungen wurde mulmig.
Zum Heulen elend kam er nach Hause, wo die Eltern und Onkel Janos lange gewartet hatten und dann vor Sorge, was geschehn sein könnte, ohne ihn oder besonderen Appetit das Brot brachen.

Gerade wollten die Männer zur Suche aufbrechen, als der weinende Junge in Erwartung einer Strafe zögerlich anklopfte. Aber es erhob sich kein Donnerwetter. Nicht ein böses Wort fiel! Stattdessen fragte Onkel Janos sofort nach dem, was geschehen sei. Und der Neffe klagte über die gemeinen Spielkameraden!

Er meinte nun, Tränen in Onkels Auge zu erkennen, als der sagte: „Es ist also wahr, wenn es da heißt: Ich verberge mich, aber niemand will mich suchen!“, dass die Mama sofort anfügte: „Wie aber mag’s angehn, dass ein kleiner Wurm, der Gott und der Welt getreulich anhängt und sich der Güte nahe weiß, zunehmend Bruch und Entfernung erfährt?“

Onkel Janos wählte nun ein Bild vom Laufenlernen: „Wenn das Kindchen zu gehen lernt, stellt man es zunächst nah vor oder zwischen sich und hält es an seinen Händchen, auf dass es begreife und nicht falle. So geht das Kind auf Mama oder Papa zu und beide sind bei ihm und das Kind weiß es. Es weiß die Eltern an seiner Seite und kommt nicht ins Straucheln.

Mit der Zeit aber rückt man, egal, ob Mutter oder Vater, vom Kinde immer mehr ab und lässt es ohne zu halten immer länger laufen. Was das Kind auch will seit dem Augenblick, da es sich zum ersten Male aufgerichtet hat. Bis hin zu dem Tage, an dem das Kind ohne Halt selbständig läuft.

So lernt in der Regel ein Kind gehen durch Abstand halten und Entfernung.“

An diesem Tag war nichts mehr mit Fernsehen.
Und als der Junge - bereits im Schlafanzug - „eine gute Nacht“ wünschen wollte, hatte Onkel Janos gerade die Rückwand des Fernsehers abgeschraubt, schaute ins Innere des Gehäuses und schraubte eine durchgebrannte Röhre heraus. Weil die Ärmel aufgekrempelt waren, erblickte der Junge auf einem Arm des Onkels – direkt unterhalb des Handgelenkes – einige Ziffern, zu viele für eine Telefonnummer.

„Was bedeuten die Zahlen, Onkel Janos?“, fragte der Junge und der antwortete verschmitzt: „Als ich ein kleiner Junge war – wenn auch mehr als doppelt so alt wie du – haben Faschisten die Ziffern angebracht, damit ich nicht verlorenginge“, und heute weiß der Alte, dass Onkel Janos nie ein kleiner Junge sein durfte. In seiner Heimat tobte der Faschismus und die Familie wurde umgesiedelt nach Nirgendwo, das sich findet am Westrande der Stadt Oswiecim.

Onkel Janos war immer groß gewachsen und kräftig. Er kam in einer ehemaligen Kaserne unter und wurde an Großunternehmen vermietet. Zeitlebens fragte er sich: „Warum gerade ich?“

Vater, Mutter und Geschwister hat er nie wiedergesehen.

Im Angesicht der Lüge, dass Arbeit frei mache, hat er die Sprüche Salomo begriffen, wonach einem Menschen vergolten würde, was sein Mund geredet, und gesättigt würde er mit dem, was seine Lippen ihm einbrächten. Tod wie Leben stünden in der Macht der Zunge, wer sie aber beherrschte, würde ihre Frucht genießen.

Was aber mit verschwundenen Leuten geschähe, wusste er damals nicht. Ob sie die Selektion auf der Viehrampe auch nur um eine halbe Stunde oder einen Tag überlebt hätten, sei ungewiss. Sicher war er, dass sie ausgeschlachtet wurden und immer schloss er die Erzählung ab mit einem „Warum gerade ich nicht?“

Als der Alte selber Vater geworden und Onkel Janos ans Sterben ging, fragte der Neffe, was mit all denen sei, die dafür sorgten, dass die verbrecherischen Regimes reibungslos liefen – und der Onkel antwortete leise und behutsam, nannte den Neffen gar mit seinem hebräischen Namen: „Siehe, Shelomo, in jeder Mischpoke gibt’s solche, die Massel haben und geben und solche, die Bohai machen. Die schlimmsten aber, die über deinesgleichen Schlamassel bringen, stammen aus dem eigenen Haus. Es ist müßig, sich ihrer zu erinnern.“

 

Lieber Friedel

Der Alte erstarrt, als er das Tattoo an der Dirne sieht.

Als ich den vorstehenden Satz las, dachte ich mir es beginnt ein Spiel, das du da mit den Lesern treibst. Das Tattoo einer Dirne als philosophisches Lesestück. Dies muss zweideutig enden.

Das Spiel eröffnest du mit restriktiven Erinnerungen, da sind Laternen, die aufleuchten, ohne dass ihr Farbton spezifiziert wäre. Also ist die Dirne nur Einstiegshilfe zur Assoziation, entgegen dem, dass sie zu anderem dienen könnte.

Die schemenhafte Skizze kindlicher Entwicklung brachte mich nicht auf die Spur, was daraus folgern könnte. Ein Versteckspiel, bei dem Onkel Janos meint es sei wahr, niemand will suchen. Eine Anekdote, doch aus welchem Stoff stammt sie und auf was will sie hindeuten? Ich kenne sie nicht und die Laterne erleuchtet es mir nicht.

Die Assoziation des Alten hingegen ist sofort klar, einige Ziffern. Aber was erblickte er bei der Dirne? Den Preis als Tattoo publiziert sicher nicht. Auch steht ihr Alter einer Analogie entgegen, dieses könnte dem des Onkels annähern.

Die Lösung verbirgt sich wohl in Salomos Sprüchen, die nur angetönt und deren Begrifflichkeit sich mir entziehen, da ich sie nicht kenne. Nein, stimmt nicht ganz, ein Gedanke ist mir aufgekommen. Da gibt es doch das salomonische Urteil, bei dem sich zwei Dirnen um die Mutterschaft eines Kindes streiten. Es soll gezweiteilt werden, lautet der Richterspruch, der Wahrheitsfindung dienend.

„Warum gerade ich nicht?“

Fragte ich mich, der das Spiel letztlich nicht durchschaute, nachdem es doch so schillernd begann.

Vom Text her nahm ich es fragmentarisch wahr, das Konzept erlaubte mir kein gerundetes Bild, dem ich Vollendung entnehmen konnte. Zu dieser späten Stunde noch sinnieren ist mir auch eine zu reichliche Bürde. So bleibt mir nur abzuwarten, was andere mehr deuten, um hier Erkenntnis zu gewinnen.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo, lieber Friedel, hoffentlich hast du dich erholt von deinem Schnupfen und niest uns nicht hier die Bude voll ;) Wünsch dir alles Gute für die Friedelnase.

Ich hab deine Geschichte gern gelesen, ich mag deine rätelhaften Andeutungen und deine symbolischen Einsprengsel, wenn es auch schon manchen Text gab, der mich inhaltlich überfordert hat.
:confused:

Dieser hier ist jetzt geschrieben wie eine Parabel.
Es ist wohl auch eine Parabel, denn so wie beispielsweise Mutter und Onkel mit dem Jungen sprechen, sind die Sätze zu anderem Zweck geschrieben als zu dem, im Rahmen einer herkömmlichen Geschichte eine Szene und einen Dialog auszugestalten. Hier in dem Gespräch geht es darum, auszuführen, welche Bedeutung Abstand/Entfernung für das Selbständigwerden (das Gehenlernen) eines Menschen haben.

Onkel Janos ist ein liebenswürdiger Zeitgenosse.
Da erzählt er dem kleinen Jungen, dass ihm die Erkennungsziffern in Auschwitz angebracht worden seien, um vor dem Verlorengehen zu schützen. Der Janos verschweigt die grauenvolle Wahrheit und wandelt/dichtet sie so ein klein wenig um und schon klingt es versöhnlicher und beschützender. (Erinnert mich ein kleines bisschen an die Idee aus "Das Leben ist schön".)
Für mich ist das eine Geschichte von einem Jungen, der das erste Mal in seinem Leben das Gefühl des Verlorenseins empfindet, was den Onkel aus seinen Erfahrungen heraus mitleiden lässt. Er verschweigt dem Jungen aus Mitleid die grausige Auschwitzwahrheit (wo ist denn das der Abstand frage ich mich? Ein solches Verhalten erfordert sehr viel Nähe, wenn ich es auch nicht unbedingt teile, was der Onkel da sagt). Erst sehr viel später erfährt dieser Junge, was seinem Onkel wirklich geschah und was mit den Zahlen los war.
Die Frau, von der am Anfang die Rede ist, ist entweder selbst in einem KZ gewesen oder vielleicht gibt es ja auch merkwürdige Leute, die das für ein originelles Tattoo halten. Jedenfalls erinnert es ihn an seinen Onkel Janos und an sein Leben.

Insgesamt muss ich sagen, dass mir die Parabel gefällt, weil du in einer so kleinen Form viele Fragestellungen aufwirfst, die den Menschen so ab und an umtreiben können. Allerdings bin ich auch gleichzeitig ein bisschen verwirrt.
Ich habe mal oben den Kern rausgegriffen, der mich besonders interessiert hat. Aber es gibt auch Dinge, die ich absolut nicht einordnen kann. Fast klingt es , als seien dir vor lauter Lust am Schreiben und an der prinzipiellen Idee die Schreibe- und Ideen-Gäule durchgegangen.

Der Dialog über Entfernung und Laufenlernen zum Beispiel. In welchem Zusammenhang soll das denn zu der KZ-Erfahrungdes Onkels stehen? Guck mal, dein Onkel hat Tränen in den Augen, weil er das Verlorensein des Jungen (das ist ja auch eine scheiß Erfahrung für so einen kleinen Kerl) begreift. Und dann holt er aus zu dem Monolog über die Entfernung? Das passt für mich nicht zusammen. Der Onkel will ja trösten, jedenfalls kommt es für mich so rüber, dann aber doch nicht damit, dass er die Härte der menschlichen Entwicklung zeigt. An der Idee als solcher/dem Gedanken als solchem ist m. E. ja was dran, ohne Entfernung würde man nicht laufen lernen =selbständig werden, aber gleichzeitig stimmt das allein ja auch nicht. Die Bindung braucht der Mensch auch und zwar sehr lang und sehr intensiv, sonst wird das auch nix mit den armen Wesen. Und der Janos widerspricht seinem Entfernungsmonolog ja auch schon durch seine Tränen und später bringt er die Nähe auf, die der Junge braucht, als er nach den Zahlen fragt.

Das Warum ich und warum ich nicht, kann ich in dem Zusammenhang auch nicht so recht einordnen. Also ich versteh natürlich, was gemeint ist, aber der sonstige Zusammenhang? Übrigens, aber das nur am Rande, finde ich, dass du das zwar sprachlich schön aufbereitet und bestrickend eingefügt hast, ich kann das genießen, aber: Dieses warum ich/nicht steht ja so unabhängig von dem dargestellten Handeln einer Figur da, dann kommt man natürlich ins Überlegen. So ganz grundsätzlich würde ich immer sagen, auch wenn es welche gibt, denen es noch schlechter geht als dem im Arbeitslager Knechtenden, bleibt die Grundlage des Warum ich doch genau so brutal wie sie eben ist. Diese Idee, die im Warum-Hin und Her ausgedrückt wird, nämlich immer daran zu denken, dass es ja jemanden gibt, den es schlechter getroffen hat, führt aus meiner Sicht zu schnell zu Affirmation. Man schickt sich in sein Schicksal, anstatt sich zu wehren. Das hast du sicherlich nicht gemeint, jedenfalls so, wie ich dich einschätze, aber wenn es so plan da steht, wird man dann halt als Leser auf
solche Gedankenreisen geschickt.

Die Sprüche Salomo:

Tod wie Leben stünden in der Macht der Zunge, wer sie aber beherrschte, würde ihre Frucht genießen.
habe ich verstanden als Gedanken über die Möglichkeiten der Einflussnahme auf Menschen, auf Manipulation. Aber der Zusammenhang zur Geschichte? Armes Novak fühlt sich ratlos.

Also, lieber Friedel, wieder mal gern gelesen, du hast schon eine sehr eigenwillige Schreib- und Denkweise, aber ich genieße das, wenn du mich auch wie gesagt stellenweise sehr ratlos oder mit Widerspruchsgeist zu bestimmten Gedanken hinterlässt.
Aber mal anbei, ich weiß, ich bin frech, aber sieh es mir nach, es ist eher neckend gemeint. Kannst du überhaupt normale Geschichten schreiben? :D
Ich wünsch dir was Gutes und Nettes und was gegen Schnupfennasen obendrein.
Novak

 
Zuletzt bearbeitet:

Vaterglückchen, Mutterschößchen,
Kinderstübchen, trautes Heim,
Knusperhexlein, Tante Rös’chen
Kuchen schmeckt wie Fliegenleim.

Wenn ich in die Stube speie
Lacht mein Bruder wie ein Schwein
Wenn er lacht, haut meine Schwester,
Wenn sie haut, weint Mütterlein.

Wenn die weint, muß Vater fluchen.
Wenn er flucht, trinkt Tante Wein
Trinkt sie Wein, schenkt sie mir Kuchen:
Wenn ich Kuchen kriege, muß ich spein.​

Lieber Friedel

Ein kleiner ringelnatzscher Reim in Erinnerung an die vergangene Kinderzeit.
Ohne Vorkenntnisse und/oder entsprechende Recherche ist Deine Geschichte schwer zu deuten.
Das Tattoo ist da noch ein leichtes und schon beim ersten Satz denkt man gleich an den Nationalsozialismus und Judenverfolgung. Doch statt das Thema gleich von Beginn an zu vertiefen, machst Du einen Umweg, den man erstmal verstehen muss: Statt also an Gräueltaten erinnert Dein Protagonist sich an ein Versteckspiel aus seiner Kindheit und diesbezüglich auch an seinen Onkel Janos.
Selbiges Versteckspiel wurde, soweit ich das herausfinden konnte, von Martin Buber erzählt, in dem sich Rabbi Baruchs Enkel, der Knabe Jechiel, im Spiel mit anderen Kinder versteckt und nicht nur nicht gefunden, sondern gleich gar nicht gesucht wird.
Zitat:

„Rabbi Baruchs Enkel, der Knabe Jechiel, spielte einst mit einem anderen Knaben verstecken. Er verbarg sich gut und wartete, dass ihn sein Gefährte suche. Als er lange gewartet hatte, kam er aus dem Versteck; aber der andere war nirgends zu sehen. Nun merkte Jechiel, dass jener ihn von Anfang an nicht gesucht hatte. Darüber musste er weinen, kam weinend in die Stube seines Großvaters gelaufen und beklagte sich über den bösen Spielgenossen.
Da flossen Rabbi Baruch die Augen über, und er sagte: „So spricht Gott auch: Ich verberge mich, aber keiner will mich suchen.“

Dabei handelt es sich um eine Parabel, die zeigen soll, dass auch Gott sich vor uns versteckt und darauf hofft, dass wir ihn suchen. Damit wird der Glaube an Gott nicht zu einem passiven Erleben, sondern wandelt sich zu einem aktiven Geschehen.
Dem gegenüber stellst Du die Geschichte von Hiob, wo es heißt: Warum gerade ich? Oder im Fall von Onkel Janosch, der nicht nach Auschwitz kam: „Warum gerade ich nicht?“
In dieser Geschichte klingt durch, dass Gott auf sich aufmerksam macht. Leider jedoch weniger durch Pfeifen und Rufen, wie in dem Kinderspiel, wo der Versteckte gefunden werden will. Im Gegenteil, bei Hiob hagelt es Schicksalsschläge.

Was bedeutet das nun?
So wie ich das lese, willst Du uns sagen: Das sich Gott zwar versteckt und uns selber machen lässt, damit wir auf eigenen Beinen stehen lernen, aber wehe Du vergisst darüber Gott, oder unterlässt es gar ihn zu suchen. Dann könnte er auf die Idee kommen Dir Hinweise zu geben und er wird sich nicht mit einem Pfeifen begnügen.


Hier noch ein paar Textsachen:

Erst schreibst Du:

Es war ein gerechtes Spiel, für alle Jungen mit gleichmäßig verteiltem Erfolg.

Dann heißt es:
Als er endlich aus dem Versteck kam, war kein Spielkamerad mehr zu sehen und es stand zu befürchten, dass keiner nach ihm gesucht hätte

Klingt für mich ein wenig unlogisch. Erst ist das Spiel ja gerecht, und danach plötzlich nicht mehr.


Als die erste Dämmerung einsetzte, einigte sich die Rasselbande auf ein letztes Spiel für diesen Tag.
Die erste Dämmerung klingt schon sehr seltsam, weil es sich ja um die Abenddämmerung handelt, die es nur einmal geben kann.

Langsam dämmerte ihm, dass er sich allzu gut verborgen hätte!
Hier hat man dann die zweite Dämmerung. Aber als Wortspiel finde ich das zu verwirrend und lenkt meiner Meinung nach vom Text zu sehr ab.


Oswiecim
Auch bekannt unter den Namen: Auschwitz.
Persönlich fände ich es gut, wenn das im Text noch mal erwähnt werden würde.


Im Angesicht der Lüge, dass Arbeit frei mache, hat er die Sprüche Salomo begriffen, wonach einem Menschen vergolten würde, was sein Mund geredet, und gesättigt würde er mit dem, was seine Lippen ihm einbrächten. Tod wie Leben stünden in der Macht der Zunge, wer sie aber beherrschte, würde ihre Frucht genießen.

Da bin ich auch hängen geblieben, da mir die Sprüche nicht bekannt waren. Du bringst das zwar gleich im nächsten Satz, aber der muss auch erstmal entschlüsselt werden.
Ich hab dann selber noch mal gegoogelt und bin dann auf das hier gestoßen:

Zitat: Wer viel spricht, der tut Frevel; und wer Worten nachjagt, der wird nicht entrinnen.

In diesem Sinne fasse ich mich kurz und sage: Gern gelesen und für mich, hoffentlich richtig, entschlüsselt!

Liebe Grüße

Mothman

 

Novak schrieb:
Kannst du überhaupt normale Geschichten schreiben?
Freilich kann er das, aber wehe ihm, er tut es!

Lieber Friedl,

um ein Tattoo gehts und ich bin eingestiegen, nicht ganz unbefangen. Hab neulich "Die Kriegerin" gesehen und die ganzen Neunazis mit ihrem Körperschmuck, der nicht rostet, sondern verblasst. Eigentlich immer schon blass ist. Und dann kommt das absolute Gegenteil von einem Tattoo. Dieser Kontrast hat deiner Geschichte noch einmal zusätzlich Intensität verliehen, was ja auch praktisch ist, wenn die verirrten Gedanken der Leser schon was mit dem Text machen. Das ist bei dir sowieso oft der Fall: deine Texte sind wie Socken. Ich schreibe vielleicht Hemden, andere Handschuhe oder Hüte. Da passt nicht jeder rein. Bei den Socken, da können die Zehen krumm sein, amputiert oder lang und sich kreuzend, hobbitgleich oder doch ein bisschen riesig. Egal welche Gedanken der Leser mitbringt oder aus der Geschichte mitnimmt, sie haben Platz in deiner Socke.

Zunächst ein bisschen Janos:

Weil die Ärmel aufgekrempelt waren, erblickte der Junge auf einem Arm des Onkels – direkt unterhalb des Handgelenkes – einige Ziffern, zu viele für eine Telefonnummer.
Die Nummern sind tatsächlich kürzer als so manche Telefonnummer, haben meistens sechs Ziffern. Mein Vorschlag: lass den Teil "zu viele für eine Telefonnummer" weg und belasse es bei einer Zahl, die der Junge noch nicht sagen kann, weil sie zu groß ist. Das macht den Jungen jung und die Opfer zahlreich, weil da die unvorstellbaren Opferzahlen mitschwingen, in dieser Frage.

Und warum stellt er die Frage das erste Mal. Der Umgang mit dem Onkel Janos scheint mir doch sehr vertraut und da fällt einem so ein Tattoo gewiss früher auf. Außerdem Fragen kinder schon, wenn sie es das erste Mal nicht verstehen. Die sagen nicht, jo, check ich ned, mal gucke, maybe later.

Und wieder zurück zum Dur:

Zum Heulen elend kam er nach Hause, wo die Eltern und Onkel Janos lange gewartet hatten und dann vor Sorge, was geschehn sein könnte, ohne ihn oder besonderen Appetit das Brot brachen.
Diesen Satz mag ich total, vor allem das Ende. Der Junge, der weinen könnte, aber nicht weint, und nach Hause geht, nicht weiß, was ihn erwartet, die Eltern UND Onkel Janos, was ihn schon ein bisschen hervorhebt, ganz dezent nur, dann die Frage nach dem Was und Warum und dass sie nicht sofort suchen, dass sie nicht fluchen, sondern essen, Brot und Sorge und nur das Brot bricht. Zudem schmeckt es nicht. Und wie herrlich das alles klingt, trotz Komma und Nebel.

Aber es erhob sich kein Donnerwetter. Nicht ein böses Wort fiel!
Da spürt man des Jungen kleinerliche Lungenflügel - wie sie sich heben und senken, hoben und fielen.

„Wenn das Kindchen zu gehen lernt, stellt man es zunächst nah vor oder zwischen sich und hält es an seinen Händchen, auf dass es nicht falle und begreife. So geht das Kind auf Mama oder Papa zu und beide sind bei ihm und das Kind weiß es.
Was hältst du davon: auf dass es nicht falle, sondern begreife.

In seiner Heimat tobte der Faschismus und die Familie wurde umgesiedelt nach Nirgendwo, das sich findet am Westrande der Stadt Oswiecim.
Finde ich gut, dass du dem Nirgendwo einem Ort zuteilst. Und es ist traurig, dass man tatsächlich existieren kann und nicht, im Nirgendwo.

Was aber mit verschwundenen Leuten geschähe, wusste er damals nicht. Ob sie die Selektion auf der Viehrampe auch nur um eine halbe Stunde oder einen Tag überlebt hätten, sei ungewiss. Sicher war er, dass sie ausgeschlachtet wurden und immer schloss er die Erzählung ab mit einem „Warum gerade ich nicht?“
Das ist ein richtig gruseliges Ende


Ich mag das Bild vom Jungen, der sich versteckt, aber nicht gesucht wird. Und ich hab etwas verstanden, glaube ich. Du zeichnest da ein bisschen den Weg vom Geborenwerden zum Tod. Wie man gehen lernt, sich versteckt und nicht gesucht wird, sich versteckt und gesucht wird, beide Male nicht gefunden wird und sich selbst ein Stück verliert und am Ende ist das Ende und die Frage, warum ich und warum ich nicht.

Dieses Mal stören mich die Unstimmigkeiten, die ich oben angesprochen habe und vielleicht der Satz von der Mutter bezüglich Bruch und Entfernung, trotzdem hab ich es gerne gelesen. Du stürzt den Leser von einer alltäglich Situation in etwas Parabelhaftes, um ihn dann in die grausamsten aller Alltage zu schubsen.

Beste Grüße
markus.

 
Zuletzt bearbeitet:

Vielen Dank, Mothman, du hast mir ein bisschen Licht ins Dunkel gebracht, ich glaube, durch deine Erklärungen verstehe ich die Geschichte ein bisschen besser.

Das sich Gott zwar versteckt und uns selber machen lässt, damit wir auf eigenen Beinen stehen lernen, aber wehe Du vergisst darüber Gott, oder unterlässt es gar ihn zu suchen. Dann könnte er auf die Idee kommen Dir Hinweise zu geben und er wird sich nicht mit einem Pfeifen begnügen.
Ja, so rum wird für mich ein Schuh draus und ich kann all die Stränge einordnen.
Hast du es denn auch so gemeint und geplant, lieber Friedel? :D fragt sich freches Novak und blickt traurig auf ihre eigenen ärmlichen Interpretationsversuche. Zum Glück gibt es ja euch.

Aber, lieber Friedel, ich wusste ja nicht, dass man ein ganzes Lexikon fressen muss, damit man deine Geschichte versteht. Ohne googeln ist da nix.

Und warum das so ist, das hat dann netterweise Markus erklärt.

deine Texte sind wie Socken.
Lieber Markus, das war die schönste Abhandlung über Geschichtenarten, die ich jemals gehört habe.
:D
Viele Grüße für Friedel, Mothman und Markus und Anakreon, der glücklicherweise ähnlich ratlos war wie ich, da bin ich nicht so allein.

 

»[…]
Mutter Erde! Rief ich, du bist zur Witwe geworden,
Dürftig und kinderlos lebst du in langsamer Zeit.
Nichts zu erzeugen und nichts zu pflegen in sorgender Liebe,
Alternd im Kinde sich nicht wiederzusehn, ist der Tod.
[…]« Hölderlin, Der Wanderer​

Ohne Vorkenntnisse und/oder entsprechende Recherche ist Deine Geschichte schwer zu deuten. [Mothman]

Wohl richtig, aber was hab ich da nur wieder angerichtet!,

Ihr Lieben,

frag ich mich, dass ich Dear,

Anakreon,

den Schlaf rauben konnte?
Dass ich Dear,

liebe Novak,

das erste Glatteis dieses Winters bereitete (zur Entschädigung das kleine Gebinde zu Anfang und Ende), auf dem Du,

Mothman & markus sei Dank!,

eben nicht ans Straucheln kamst? Aber Mothmann und markus gebührt heute der mobile Wäschetrockner, haben sie mich zum Glück erkannt: der eine als Pfadfinder – wäre Lesen denn was anderes, als einer Fährte zu folgen? - und der andere als Hunde-artigen („Socke“ wird der Wolf in “Dances With Wolves“ genannt), der selbst Fährten folgt - und wär's als Gefährte.

Vorm Simmel (der nix mit dem seichten Bestsellerfuzzie zu tun hat) hatte ich die humorvolle bis satirische Seite von Friedrich Torberg in seinen Anekdoten zur Tante Jolesch kennengelernt (die mir durch die Beschäftigung mit Karl Kraus noch bekannt vorkam), zuvor aber sein fiktives und schon vom Namen her symbolträchtiges „Heidenburg“ besucht („Die Rache ist mein“) und zu der Weihnachtsgeschichte von Marai seinen Zeitgenossen Martin Buber ausgegraben, eigentlich nur, um nachzuschauen, wie er das Gebot „Du sollst nicht töten“ korrekter und lebensnäher als Luther übersetzt hatte – und wurde mit dem „morde nicht!“ belohnt. Da ich jetzt nicht mehr an Zufall glauben kann, kommt jetzt kein „bin ich“, sondern ein: „musste ich“ auf Rabbi Baruch nebst Enkel stoßen, wie Torberg und Buber auf dem letzten Drücker die Naziherrlichkeit verlassen konnten.

Wie das so geht im Leben: nach der Lektüre Torbergs stieß ich über Google (ein Name wie Humpty Dumpty, wie ich finde, aber bedeutend gefährlicher, da machtgierig und zugleich gewinnsüchtig) auf – Holocaust-Leugner, die ich in den hiesigen Filialen der Stadtbücherei niemals gefunden hätte, im Original - was wiederum mein Interesse am Fall „Irving vs. Lipstadt/Penguin Books“ zur Jahrtausendwende weckte, dass ich mich durch die umfangreiche Berichterstattung D. D. Guttenplans zum Holocaust-Prozess fraß – all diese Quellen und andere, nachträglich betrachtet unbedeutendere Anregungen, fließen hier zusammen mit dem Buber’schen Erziehungsmodell als Pivotelement ein. So viel und so wenig zugleich zur Quellenlage.

Mit der „Dirne“ treib ich sicherlich, wie Anakreon hellsichtig bemerkt, ein Spiel, vielleicht sogar ein übles mit dem Scherz zum Grauen.
Aber es war nicht immer ein zweideutiges Wort und es ist heute immer noch eindeutig im niederdeutschen (incl. niederl.) als Deern (im niederl. freilich mit Kleinbuchstaben, um auch dergleichen einmal anzuritzen, dass nicht eines Tages ein argloser kaaskop im kORREKTUzENTRUM lande).
Wer aber könnte überhaupt einen Hintergedanken beim Anblick eines Dirndl haben? Ich nicht.

Aber die ahnungslosen jungen Dinger halten Tattoos für modische Erscheinungen, die man freilich nicht so leicht wie den Ohrring der Fahrensleute und Zimmerleute wieder loswird. Und der soziale wie religiöse Hintergrund im pazifischen Raum bleibt ihnen zeitlebens ein Rätsel, das niemand mehr interessiert. Man ist ja kein Papua „oder so“. Der Gipfel wäre da m. E. – wie markus korrekt bemerkt, ich komm sofort zu Dir – sechsstellige Ziffern unterhalb des Handgelenkes anzubringen.

Die Nummern sind tatsächlich kürzer als so manche Telefonnummer, haben meistens sechs Ziffern,
bemerkt markus korrekt. Aber zum einen: in den 1950-er Jahren gab es bei Weitem nicht diese Dichte an Kommunikationsmitteln überhaupt und ich hab hier in der Stadt mit dem schrägen O seit 1981 eine sechsstellige Telefonnummer – ohne Vorwahl natürlich, was ebenso gut für die vier- bzw. fünfstelligen Nummern z. B. in Lingen gilt – was wiederum wie eine Ablenkung wirken muss, es aber gar nicht ist:

selbst im Internet findet sich ein Unterarm abgebildet, der direkt unterhalb des Handgelenkes zweizeilig die Ziffernfolge „227. / 138793“ aufweist, wenn ich Blindfisch sie korrekt lese (auschwitz.pdf).

Aber Ihr habt doch alle das Wesentliche erkannt (ich zitier die Novaks ersten Auftritt),

Hier … geht es darum, auszuführen, welche Bedeutung Abstand/Entfernung für das Selbständigwerden (das Gehenlernen) eines Menschen haben,
was mit einem erzwungenen Urvertrauen der biologischen Frühgeburt (wie Adolf Portmann seinerzeit den Menschen nannte) zu ersten Kontaktpersonen beginnt und sich mit seinen wachsenden Fähigkeiten „ent“wickelt - woraus schon fast zwingend folgt
Die Bindung braucht der Mensch auch und zwar sehr lang
Eben!, weil er zu früh geboren wird. Kann ja nicht mal laufen wie andere Säugetiere und – siehe Eingangszitat – bedarf der Bildung – aber nicht als Konsument (der ja jeder auf natürliche Weise eh schon ist).

Mothmann hat ja das Geheimnis um den alttestamentarischen Gottesbegriff, der bei Strafe weder genannt noch aufgezeigt werden darf – im Gegensatz zu unserer modernen Religion (Konsumismus), die ja für ihre Idole wirbt und das zugleich als „Information“ herausposaunt, und damit dem Goldenen Kalb und Baal gleicht, den Konkurrenten JHWHs. Klassisch und gelungen die Deutung:

Das sich Gott zwar versteckt und uns selber machen lässt, damit wir auf eigenen Beinen stehen lernen, aber wehe Du vergisst darüber Gott, oder unterlässt es gar ihn zu suchen. Dann könnte er auf die Idee kommen Dir Hinweise zu geben und er wird sich nicht mit einem Pfeifen begnügen.

Interessant find ich den Vergleich mit Benignis Film „Das Leben ist schön“, dessen Parallelen mir – jetzt, wo’s gesagt ist – auffallen. Freilich: Onkel Janos bedurfte keiner Fluchtstrategie als arbeitsfähiger junger Bursche waren die „KL“ (so die offizielle Abkürzung) doch ursprünglich als Arbeitslager (so auch Auschwitz I) angedacht. Mir selbst ist ein Rätsel, dass niemand von gewusst haben will. Zwiespältig ist mir darum – das kann man nur wörtlich zitieren
Stern: Nun, der Antisemitismus war ja von den Nazis … ungeheuer geschürt worden in der Weimarer Zeit, so dass man immer wieder auf diese Propaganda stieß. Aber Opfer waren am Anfang nicht gezielt die Juden, sondern die politischen Gegner. …Ich erinnere mich deutlich an den Straßenterror vor dem 30. Januar [Anm.: da war Fritz Stern sechs Jahre alt], und deshalb war klar, dass es den politischen Feinden übel ergehen würde. Bekannt wurde auch bald die Tatsache, dass es Konzentrationslager gab. Die Nazis machten ja keinen Hehl daraus, dass sie solche Lager zur Umerziehung von politischen –
Schmidt[, der acht Jahre älter ist als Stern]: Das hat mich nicht erreicht.
Stern: Dachau wurde im März 1933 eingerichtet. Es diente nicht nur dazu, politische Gegner einzusperren, sondern auch der Einschüchterung aller anderen, und deshalb musste bekannt gemacht werden, was ein Konzentrationslager // bedeutete. Das sprach sich ziemlich schnell herum, es wurden sogar Bilder gezeigt.
Schmidt: In Hamburg gab’s Kola-Fu – das war eine Abkürzung für Konzentrationslager Fuhlsbüttel, aber Fuhlsbüttel war das normale Gefängnis –
Stern: Aber man wird doch in Hamburg den Vers gekannt haben: «Lieber Gott, mach mich stumm, dass ich nicht nach Dachau kumm.» Diese Allgegenwart des Terrors, die es bis in den Volksmund schaffte, war für das Regime ungeheuer wichtig.
[…]
… Die Angst ist sicher mit zu bedenken, wenn man heute fragt, was wussten die Deutschen. «Wissen» in dem Sinne, dass man etwas wahrnimmt und offen drüber spricht, ist eine Sache. «Wissen» im Unterbewusstsein oder im halben Bewusstsein – also zum Beispiel zur Kenntnis zu nehmen, dass in den Tagen nach der Kristallnacht auf einen Schlag beinahe 40 000 Juden inhaftiert werden, dass da etwas passiert, was man eigentlich besser nicht zur Kenntnis nimmt, dieses Wissen, ohne Wissen zu wollen – das müssen viele Millionen gewesen sein, die sich so verhielten. Haben einfach weggeguckt. - …“ [aus Helmut Schmidt, Fritz Stern: Unser Jahrhundert. Ein Gespräch, München 2010, Zitate S. 76 f. und 86]

Markus Vorschlag

Was hältst du davon: auf dass es nicht falle, sondern begreife
muss ich mir überlegen, ist „sondern“ doch sowohl Konjunktion wie’s und, ist aber da schon mehrdeutig („ohne / außer / aber“), zugleich aber – wie im „aus“sondern zu erkennen, Verb, das von einem andern trennt, zumindest aber unterscheidet.
Aufgrund der Bedeutungsvielfalt ist es verlockend, aufgrund der Ausgrenzung eher die Verstärkung des Schicksals, vom/n andern getrennt zu werden.

Die Funktion der Verse Salomo dürfte klar sein: Macht und Ohnmacht der Sprache. Auch hier weicht die Übersetzung Bubers ein wenig von Luthers ab (vgl. Sprüche Salomo 18, 20 f.). In einigen Novellen wird gar die Macht des Gesanges erwähnt, wenn einem Gedahr droht (oft - wenn ich's so sagen darf - in Gestalt eines Löwen).

Ich hoff, jetzt nicht die Übersicht verloren zu haben, und stell dann mal die Abschlussfrage: Warum wähl ich Eierkopp einen ungarischen Namen (wenn auch der hebräische Johanan durchleuchtet)?

Ich dank Euch und hoff, die Geschichte nicht weiter verklärt zu haben! Sollte etwas fehlen oder nicht ausreichend behandelt wirken, ruhig bescheidgeben!

Ich dank Euch herzlich und mit einem Dröppken in'ne Nase sag ich ma'

Tschüss & bis bald!

Friedel

»[…]
: O Mutter Erde,
verlierst du denn immer, als Witwe, die Zeit?
Nichts zu erzeugen ist ja und nichts zu pflegen in Liebe,
Alternd im Kinde sich nicht wieder zu sehn, wie der Tod.
[…]« Hölderlin, Der Wanderer (2. Fassung)​

 

Meine Güte,

lieber Friedel,

deine Antwort fällt ja wie eine Geschichte in der Geschichte aus. Meine Gehirnwindungen liefen heiss, nicht tragisch, da ich wegen des Rauchs [Original Davidoff] am offenen Fenster sitze, aber ich musste exakt hingucken, um keinen Rank zu verpassen.

Also die Entwicklungsgeschichte des Individuums brichst du da schon stark herab, Portmann hatte es nicht so kurz gefasst.

Ich dank Euch und hoff, die Geschichte nicht weiter verklärt zu haben!

Ob sich bei mir nun Verklärung einstellte, bin ich mir nicht sicher, doch zumindest die Gewissheit, es beinhaltet mit Hintertüren nur das was geschrieben stand und nicht mehr. Das Rätsel ist gelöst, meine darüber eingetretene Schlaflosigkeit behoben. Das nächste Mal spiegle ich deine Worte im vollen ernst und suche nicht einen Eulenspiegel dahinter.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Da bin ich schon wieder,

Ihr Lieben!

Nachdem ich meine kleine Abhandlung nun noch einmal durchgesehen habe, „dämmert“ mir, dass ich zwei Deiner Einwände übersehen hab,

lieber Mothman,

zum einen zum „gerechten“ Spiel der Jungen und zum andern mit dem „Dämmer“ –

und gar nicht auf Deine Frage,

lieber markus,

hinsichtlich der kindlichen Entdeckung der eingebrannten Ziffernfolge auf Janos’ Arm eingegangen bin. Ich bin aber auch ein Schlingel! Aber dass ich beginne, Dich zu foltern,

lieber Anakreon,

wird mich noch vor den intern. Gerichthoff zu Haag bringen und ich kann nur hoffen, dass es mir wie den letzten Exjugos ergehen mag! Da wüsst ich dann gar nicht, ob lieber zu den Pussicats ins Arbeitslager oder hier ins Korrektuzentrale ...

Nun

erst schreibst Du, Mothman:

Zitat:
Es war ein gerechtes Spiel, für alle Jungen mit gleichmäßig verteiltem Erfolg.
Dann heißt es:
Zitat:
Als er endlich aus dem Versteck kam, war kein Spielkamerad mehr zu sehen und es stand zu befürchten, dass keiner nach ihm gesucht hätte
Klingt für mich ein wenig unlogisch. Erst ist das Spiel ja gerecht, und danach plötzlich nicht mehr.
Das ist doch richtig erkannt: Das Spiel hat zwei Teile: einen gelingenden und vergnüglichen, weil „gerechten“, und den ungerechten, kleineren, weil misslingenden Teil am Ende des Tageslichtes, (wie't richt'je Leben sozusajen) von dem unser kleiner Antiheld weder weiß, seit wann die Kameraden weg sind, ohne Bescheid zu geben.
Das ist ja der Unterschied von Spiel und Arbeit: Kinder erfahren spielerisch die Welt, tun dies oder das, beginnen, ohne zu beenden, oder beides zugleich, wie es ihnen gefällt. (Da fürcht ich zB wird die „Vorschule“ der Einbruch der Arbeit und der Wirtschaftsinteressen in die Kindheit bedeuten – und wie Kindheit sich über Jahrhunderte entwickeln musste als eigenständige Entwicklungsstufe, wird wieder verschwinden.)
Oft kann man auch beobachten, dass ein einzelner das Spiel verlässt oder gar abbricht, sei’s, weil er ein Abo als Verlierer oder Gewinner hat – aus welchem Grund auch immer. Oder ein Spiel wird langweilig oder dauert zu lang.
Darum auch die sprachliche Abstufung der Rasselbande vom Freund übern Genossen zum Kameraden.
Freund versteht sich in der Nähe der Liebe und ist wie sein Gegenteil „ein erstarrtes Partizip“ (so der Duden, Bd. 7), deutlich erkennbar in dem got. frionds (Freunde, engl. friends), gebildet aus dem Verb frion (lieben) und wenn wir um eine Hand anhalten, „freien“ wie man früher sagte, kommt es ganz deutlich heraus: es ist die Gemeinschaft der Freien, der Gleichen.
Das ist der Genosse zwar auch noch, aber schon in einem geschäftsmäßigen Sinne: Nutznießer der gemeinsamen Sache.
Der Kamerad hingegen reduziert sich auf den Stubengenossen incl. des K.-Schweins, das Genossen- wie Freundschaft gefährdet aus Eigeninteresse.

Lassen wir das zwote Problem aufdämmern:

Zitat:
Als die erste Dämmerung einsetzte, einigte sich die Rasselbande auf ein letztes Spiel für diesen Tag.
Die erste Dämmerung klingt schon sehr seltsam, weil es sich ja um die Abenddämmerung handelt, die es nur einmal geben kann.
Zitat:
Langsam dämmerte ihm, dass er sich allzu gut verborgen hätte!
Hier hat man dann die zweite Dämmerung. Aber als Wortspiel finde ich das zu verwirrend und lenkt meiner Meinung nach vom Text zu sehr ab.

In unsern Breiten dauert die Dämmerung (egal, ob morgens oder abends) mehr als eine halbe Stunde und geht – als würd an einem Dimmer gedreht – behutsam in Tageslicht oder Dunkelheit über, und den Beginn sollte die Ordnungszahl bezeichnen, was natürlich schon durchs folgende Verb erledigt wird. Da muss es ja zwanghaft zur zwoten Dämmerung kommen, wenn dem Knaben ein Licht aufgeht … aber dimmerlicht!

Dank Dir, für den Hinweis, sagt der

Friedel,

um sich markus zuzuwenden

Und warum stellt er die Frage das erste Mal. Der Umgang mit dem Onkel Janos scheint mir doch sehr vertraut und da fällt einem so ein Tattoo gewiss früher auf.
Klar, hastu Recht, markus, Kinder erfragen Dinge, die sie nicht kennen und doch interessieren – wenn sie’s sehen. Unter der Prämisse, dass heutigentags die Haut mitsamt ihren Zeichnungen offen getragen wird (wofür trüge man sonst eine Zeichnung auf der Haut? Um sie zu Markte zu tragen!). Aber vor vierzig und mehr Jahren war niemand stolz auf eine Zeichnung: der Onkel wird i. d. R. seine Brandmarkung bedeckt gehalten haben.
Klingt vielleicht wieder wie beim jungen Vorleser zu A … aber da kommen wir heil durch!, denn ich geb zu bedenken: Unter „normalen“ (was ist schon normal?) Umständen wäre der Junge nach dem Abendbrot ins Bett gekommen und hätte den nackten Arm gar nicht gesehen …

Die Wirklichkeit ist geradezu kriminoid!

Also die Entwicklungsgeschichte des Individuums brichst du da schon stark herab, Portmann hatte es nicht so kurz gefasst.
Wenn ich Dir,

lieber Anakreon,

verrate, dass ich genau einen (wenn auch längeren Text) Portmanns gelesen hab und dann auch noch während des BWL-Studiums (nicht etwa Soziologie oder Politologie, was ja hätte sein können) musste der ja kurzwegkommen: Es war sein Beitrag zur Propyläen Weltgeschichte, hgg. von Golo Mann. Aber ich hab mich immer schon für anderes interessiert als das, was gerade anstand ...
Aber Recht hastu schon: daraus folgt ja auch die Freude an Eulenspiegeleien ...

Ein schönes Wochenende wünscht der

Friedel, dessen Herz natürlich morgen für'n Ruhrpott schlägt ...

 

Lieber Friedel, ich habe Deine Geschichte gerne gelesen. Sie regt mich zum Nachdenken an.

's ist schön, das zu lesen,

liebe Marai,

und wenn man sieht, wie in den Mittelmeerländern Alte und deren Enkelgeneration verarscht werden zum Wohle eben der Eliten, die seinerzeit im Wahn, ihn alsobald wieder loszuwerden, sich mit Hitler verbündeten, um ihr Wirtschaftssystem zu retten, und am andern Ende der europäischen Union einige einsame Protestanten wider den sich breitmachenden Antisemitismus auflehnen (am Samstag in Budpest), dann ahnt man, wie weit wir wieder sind.

Ich freu mich auch, weil Du - wenn auch eher indirekt und sicherlich unwissentlich - mich wieder (ganz sanft!) auf Buber gestoßen hast, ohne dessen Einfluss die Geschichte sicherlich anders aussähe.

Ich dank Dear fürs Lesen & Kommentieren!

Gruß aus'm nieselnden Ruhrgebiet vom

Friedel

Friedel in Schneelandschaften .... (an denen der alte Sack ebenso viel Spaß findet wie ein Hund)

 

Hallo Friedel,

ich musste deine Geschichte nicht nur mehrmals lesen, sondern auch jedes Mal sacken lassen. Und trotzdem trat ich jedes Mal auf der Stelle, weil mir eine Sache nicht klar war: Was hat es mit dem Tattoo der Dirne auf sich?

Aber eben grade hatte ich so eine Eingebung. Die ganze Zeit sah ich automatisch ein Nummern-Tattoo vor meinem inneren Auge, aber das meinst du gar nicht. Das, wovon du sprichst, könnte jedes Tattoo sein. Und durch diese Banalität bekommt das Grauen eine neue Dimension.

Vielleicht liege ich auch total daneben; ich habe das Gefühl, diese Möglichkeit besteht bei deinen Geschichten immer. :) Die sind so subtil-komplex.

An einer Stelle hat deine Parabel aber einen Sprung, und zwar, wenn der Onkel sagt:

„Es ist also wahr, wenn es da heißt: Ich verberge mich, aber niemand will mich suchen!“
Denn: Den kleinen Jungen hat man ja aufgefordert, sich zu verstecken. Das gilt doch für Gott nicht. Der tut das doch, in der Hoffnung, man möge auf die Idee kommen, dass er irgendwo sei - und dann suchen. Das Kinderspiel jedoch, das ist, wie soll man sagen, eine Art Vertrag. Man muss eigentlich so lange suchen, bis man ihn gefunden hat. Dass die Kinder einfach nach Hause gegangen sind, das ist Vertragsbruch. Die Suche nach Gott allerdings, die verstehe ich immer anders. Und ich glaube, sie ist tatsächlich grundlegend anders gemeint. Leider habe ich Theologie nicht studiert, also hänge ich jetzt ein wenig in der Schwebe, interpretationstechnisch gesehen.

Aber verstehst du, was ich meine? Den kleinen Jungen einfach nicht zu suchen, das finde ich schlimmer, als Gott nicht zu suchen.

Also an dieser Stelle hakt es für mich.

Ansonsten ist diese Geschichte einfacher zu lesen und zu verstehen, als deine anderen Geschichten. :) Und das freut mich, ganz ehrlich. Bin ein einfaches Seelchen. :shy:
Und schön fand ich sie dazu.

Lieben Gruß,
PSS

 

Hallo Friedel,

das ist ein seltsamer Text mit einem oder zwei doppelten Böden. Was mir gefallen hat, ist die Verknüpfung eines Sinneseindrucks mit einer Erinnerung, wie es im wirklichen Leben oft geschieht, wenn die Vergangenheit sich zu Wort meldet.

Den Besuch des Onkels hast du schön harmlos eingeführt:

Was sollte einer wie er auch zuhause, wenn der Fernseher kaputt war und der Onkel Janos erst zum Abendbrot käme, um hernach das Gerät zu reparieren?

Die Erinnerungen des "Alten" wirken nicht so eindringlich wie sie könnten, weil du deine Figuren in einer nicht-gebräuchlichen Sprache reden lässt. Etwa die Mutter:
„Wie aber mag’s angehn, dass ein kleiner Wurm, der Gott und der Welt getreulich anhängt und sich der Güte nahe weiß, zunehmend Bruch und Entfernung erfährt?“

Was mir gefallen hat, ist die Beiläufigkeit, mit der die Frage des Onkels ("Warum gerade ich?") zur Sprache kommt.

Freundliche Grüße,

Berg

 

Schön, dass Ihr zwo Euch traut und - merkwürdig genug - im Prinzip Euch ergänzt, wobei Du,

liebe PSS,

Du liegst nicht daneben (schon wieder diese verdammt eindeutige Zweideutigkeit!), hast dann doch die Eingebung .... Aber allgemeiner finde ich es eine seltsame Erscheinung, dass so etwas wie Selbstverstümmelung heutigentags als modisch chic gilt - und wat is', wenn die Mode am End' is'? Nächstens lassen wir uns die Beine abnehmen, weil man mit der Sprung-Prothese viel schneller ist ...

Ich les übrigens i. d. R. jede Geschichte, die nicht allzu schlicht ist zwomal, "i. d. R." bedeutet deshalb: "auch schon mal dreimal ..."

An einer Stelle hat deine Parabel aber einen Sprung, und zwar, wenn der Onkel sagt:
Zitat:
„Es ist also wahr, wenn es da heißt: Ich verberge mich, aber niemand will mich suchen!“
Denn: Den kleinen Jungen hat man ja aufgefordert, sich zu verstecken.
Der Spruch bezieht sich auf Gott und hängt mit der "Freiheit" des Menschen zusammen. Der kindl. Prot hingegen hat sich entweder so gut versteckt, dass er nicht gefunden werden konnte (geht er ja selbst von aus und gibt den Ton ab, um auf seinen Platz hinzuweisen) oder - alternativ - die Freunde/Genossen sind "Kameraden"schweine und lassen ihn bewusst allein. Begründungen findet wahrscheinlich jeder, warum einer auf einmal allein dasteht. Sebastian Haffner hat das irgendwo in seinen biografischen Werken mal angerissen ...
Das Kinderspiel jedoch, das ist, wie soll man sagen, eine Art Vertrag.
Ist schon korrekt, aber es gibt ein übergeordnetes Recht, wenn denn das zuvorgesagte nicht stimmen sollte: Es gibt ein übergeordnetes Recht - das der Eltern, und da kann man eben nicht so lange suchen als man vielleicht will.

Leider habe ich Theologie nicht studiert, ...
muss aber doch auch keiner, selbst wenn ich so was wie Ertsatzreligion studiert hab: BWL.
Den kleinen Jungen einfach nicht zu suchen, das finde ich schlimmer, als Gott nicht zu suchen.
Was doch richtig ist.

Ansonsten ist diese Geschichte einfacher zu lesen und zu verstehen, als deine anderen Geschichten. Und das freut mich, ganz ehrlich.
Na, wenn Du Dich da mal nicht irrst, was aber menschlich ist.
Bin ein einfaches Seelchen.
Ich bin sogar ein scheues Rehlein ... wenn auch nicht Bambi.
Und schön fand ich sie dazu.
Was mich - kann's anders sein? - ebenso freut!

das ist ein seltsamer Text mit einem oder zwei doppelten Böden
- aber hastu Dich noch nicht daran gewöhnt,

lieber Fritz?

Sind wir nicht die Artisten in der Zirkuskuppel auf dem dünnen Seil und springen Seilchen?

Die Erinnerungen des "Alten" wirken nicht so eindringlich wie sie könnten, weil du deine Figuren in einer nicht-gebräuchlichen Sprache reden lässt.
Es ist die alttestamentarische Sprache, jetzt neben Luther von Buber beeinflusst, und insofern Kunstsprache, die verfremden soll. Ich denke, im Soziolekt des Ruhrgebietes oder auf Kölsch wären Tegtmeier und Millowitsch nicht weit weg ...

Ich dank Euch für's Lesen & Kommentieren!

Gruß

Friedel

 

Hallo markus,

hier komm ich noch mal auf Deine Anregung unter # 5 vom 28.11. zurück. Zu der Stelle

„Wenn das Kindchen zu gehen lernt, stellt man es zunächst nah vor oder zwischen sich und hält es an seinen Händchen, auf dass es nicht falle und begreife. So geht das Kind auf Mama oder Papa zu und beide sind bei ihm und das Kind weiß es.
regstu an
[w]as hältst du davon: auf dass es nicht falle, sondern begreife –

Und Du hast recht: bevor das Kind noch Laufen lernt, berührt es sich selber und macht eine (ich übertreib mal, dass es deutlich wird) Entdeckung, wenn es so etwas wie das Leib-Seele-Problem im Selbstexperiment erfährt. Es wird ja nicht sofort begreifen, dass die Berührung von ihm selbst ausgeht. Das Verb begreifen hat dann auch eine stattliche Bedeutungsvielfalt (als begänne es mit dem Kleinkind in der Reihenfolge des Dudens Bd. 7, Sp. 301 lks.:) „berühren, betasten, anfassen; umfassen, umschließen; in Worte fassen; zusammenfassen; erreichen, erlangen; verstehen“. Fallen und begreifen werden nun ihre Positionen tauschen, dass der Satz nun lautet:
Wenn das Kindchen zu gehen lernt, stellt man es zunächst nah vor oder zwischen sich und hält es an seinen Händchen, auf dass es begreife und nicht falle.

Dank Dir (&natürlich allen andern auch)!

Gruß

Friedel

 

Hallo und herzlich willkommen hierorts,

lieber Zeichensalat,

schön, dass Du hier einmal hereinschaust. Versuchen wir uns also, einander anzunähern und nach dem ersten Anschein bist Du auf einem Feldzug wider den Konjunktiv II, wie er sich in germanistischer Zunge entwickelt hat:

Was sollte einer wie er auch zuhause, wenn der Fernseher kaputt war und der Onkel Janos erst zum Abendbrot käme, um hernach das Gerät zu reparieren?

Du "würdest" eher statt des Konjunktiv irrealis eine würde-Konstruktion dergestalt

... und der Onkel Janos erst zum Abendbrot (käme) kommen würde, ...
verwenden. Nun sind würde-Konstruktionen eher Umgangssprache und die verwende ich i. d. R. bestenfalls in wörtl. Rede. Andererseits verwenden die meisten heute nur noch in gut denglisher Manier das "würde", ohne zu wissen, dass das "would", das als Vorlage dient, mehr ist als das umgelautete "werden". Wenn der Junge hätte sicher sein dürfen, dass der Onkel komme, ich hätte das Futur verwendet.

Hier nun sähestu gerne den Indikativ statt des Konjunktivs:

Langsam dämmerte ihm, dass er sich allzu gut verborgen (hätte) hatte!
Aber hat er das denn? Was, wenn die losen Buben ihn irgendwie reingelegt hätten? Aus dem weiteren Verlauf ergibt sich ja noch eine viel bedeutsamere Lösung dieses Problemes, die zumindest Zweifel am Indikativ aufkommen lassen.

Stattdessen fragte Onkel Janos sofort nach dem, was geschehen (sei) war.
Wenn die Worte des Onkels als wörtliche Rede niedergeschrieben wären, hättestu recht. So ist es indirekte Rede und der Konjunktiv I zu bevorzugen.

eine (aus)durchgebrannte Röhre heraus.
Ich nehme mal an, dass Du gar keine Röhren-Geräte mehr kennst (vllt. als Erinnerungsstücke). Wäre sie ausgebrannt, die Kiste wäre der Familie um die Ohren geflogen. Keine schöne Vorstellung, zumindest aber wäre das Gerät insgesamt ausgebrannt und nicht mehr zu retten gewesen.

haben Faschisten die Ziffern (angebracht) …hier würde ich ein anderes Verb versuchen.
Angebracht färbt vielleicht etwas schön, was als einbrennen wie beim Vieh auch eine schmerzhafte und bleibende Stigmnatisierung bedeutet.

Zeitlebens fragte er sich: „Warum gerade ich?“ war er allein in der Kaserne?
Wie kommstu auf "Kaserne"? Aber wie wir auch die Hütten nennen wollen, Janos war nicht allein und er war auch nicht der einzige Überlebende. Die KL (so die offizielle Bezeichnung im Dritten Reich) waren zunächst Arbeitslager zur "Umerziehung" und da Janos trotz aller Widrigkeiten (schlechte Ernährungs-, Hygiene-, Gesundheitslage und wenig Ruhe- und Erholungszeiten blieb er arbeitsfähig bis die Rote Armee Auschwitz befreite.

die Sprüche Salomo -Genitiv-
Bei festen Begriffen bedarf es des Genitiv-s' (der Apostroph steht dort, weil sonst ein doppel-s dort stünde, wäre doch auch hier das Genitiv-s anzubringen - also: des Genitiv-ss. Ein anderes Beispiel: man kann auch das Flötenspiel des großen Friedrich mit s schreiben, muss es aber nicht!)

Neben diesen kleinen Fragen sehe ich nichts philosophisches in dem Text.
Sind philosophische Fragen so weit weg, dass sie nicht
aus dem Leben
kommen?

Welche Rolle spielt die Dirne?
Da hat Berg schon eine klasse Antwort gegeben.

Ich dank Dir fürs Lesen und Nachhaken und _fragen.

Gruß

Friedel

 

Hallo Zeichensalat,

nix zu danken, eher ich hab zu danken, denn da sind mir ja einige Schnitzer in die Antwort geraten. Man sollte auch den angesprochenen Muttertext zur Hand haben und sich nicht nur auf sein Gedächtnis verlassen, hab ich doch selbst den Namen des Onkels verkürzt geschrieben, statt Janosch, wie im Original, Janos. Es war mir wahrscheinlich zu aufwändig, hin und her zu pendeln.

Ich kenn P2000 nicht und war auch nie begeisterter Bastler, man kann sogar sagen, ich trage vier linke Extrimitäten, was beim Fußball naturgemäß dazu führt, dass niemand so genau weiß, wo der Kerl mit zudem noch krummen Beinen gerade hinlaufen wird ...

Aber in der Tat, die Röhren brennen durch, nicht aus, und somit soll's denn mit meinen bescheidenen Bastelkünsten eher beiläufig durch ein durch "aus"- gewechselt werden. Welcher Deibel hat mich da im Muttertext geritten?

Wie ich auf die Kaserne komme? Ganz einfach, weil Du davon geredet hast
und mit Recht. Doch die Ursprungsfrage lautet ja bei Dir
Zeitlebens fragte er sich: „Warum gerade ich?“ war er allein in der Kaserne?
Die Frage bezieht sich auch nicht auf die Mithäftlinge, sondern auch die Familie, ich zitiere aus dem Muttertext (und nicht dem Gedächtnis):
Vater, Mutter und Geschwister hat er nie wiedergesehen.

Auch ich bin kein Freund der Schubladen, aber ist Onkel Janos nicht ein Freund der Weisheit?

Meine Frage nach der Dirne hatte die Hintergedanken, dass nicht klar ist, ob ihr Tattoo auch von den Nazis stammt oder nur eine Tätowierung war,
Ich hoffe, die einleitenden anderthalb Sätze klären genug auf
Der Alte erstarrt, als er das Tattoo an der Dirne sieht. //Plötzlich ist er wieder der Junge von sechs oder sieben Jahren, ...
dass der Schmuck des Mädchens nicht im Dritten Reich angebracht worden ist und es auch ziemlich wurscht ist, ob da die vom Bundesamt für Finanzen verteilte Identifikationsnummer der jungen Frau steht oder Robbin Williams abgebildet ist.

Wünsche Dir einen schaffensreichen Tag!
dto.

 

Lieber Friedrichard,

aus deinem Profil erkenne ich, dass du ein altehrwürdiges Mitglied dieses Forums bist. Du hast wahrscheinlich Dutzende von gelungenen Kurzgeschichten geschrieben. Und ich kann mir von dir eine Menge anschauen. Ich befinde mich zurzeit anscheinend auf Loreromanebene. Ich werde einmal den nächsten level erreichen.

Genau deshalb lese ich deine u.a. andere Geschichten. Ich will abschauen, umsetzen, besser werden, auch kommentieren. Aber bei dieser Tattoo Geschichte will ich nichts abschauen, ich will sie nicht noch einmal näher anschauen.
Ich kann diese KZ Stories nicht mehr lesen. Das Thema zieht mich jedes Mal runter in den Gefühlkeller. Da will ich nicht hin. Also suche ich mir andere Geschichten.

Der Philosoph ist ein Freund der Wahrheit. Was ist die Wahrheit? Der Mensch sucht das Glück (meine Wahrheit). Ich sehe mir jetzt andere Geschichten zur Inspiration an. Hast du einen Tipp für mich?

Offene Worte, in anständigem Ton vorgebracht, tun keinem weh. Ich habe hoffentlich meinen Kommentar einen einem anständigen Ton abgegeben.

Liebe Grüße. Sabine.

 

Hallo Uwe,

ich akzeptiere deinen sachlichen Kommentar. Ich stehe zu meiner Meinung: ich suche mir andere Geschichten.
Zum Thema Emotionen will ich mich noch äußern. Nur im Kopf werde ich nicht leben. Gefühle, besonders Liebe, gehören für mich dazu.
Unfertige Darstellung, Schnulze, na und. Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.
Von mir aus können wir die Diskussion zu diesem Beitrag jetzt beenden.

Liebe Grüße. Sabine.

 

Hallo und - noch isset nich' zu spät, find ich - herzlich willkommen hierorts!

Ich hätte nicht gedacht, dass diese kleine Geschichte,

liebe Sabine,

eine solche Wirkung selbst auf einen Menschen ausübt, der sich in der Gartenlaube wähnt, zudem niemand gezwungen ist, irgendeine Geschichte zu lesen, wäre sie über einen KZ-Überlebenden oder eine Arzt-Pflegekraft-Romanze, wäre der Autor nun ein Schiller, Friedrichard oder eine Kauffrau. Wäre es allein der Wunsch, lernen zu wollen, hättestu wahrscheinlich den Text angesehen und unkommentiert z. K. genommen (schöne Umkehrung der anderen Abkürzung), aber über Gründe zu sinniewren verbietet sich, da wir uns dazu allzu wenig kennen. Ich hoffe, Du hast Dich inzwischen erholt und hast aus dem Gefühlskeller herausgefunden ... Was "Wahrheit" betrifft, so löst sie sich heutigentags in Wahrscheinlichkeiten unterschiedlichen Grades auf, aber das willstu wahrscheinlich auf der Glückssuche gar nicht wissen.

Ich sehe mir jetzt andere Geschichten zur Inspiration an. Hast du einen Tipp für mich?
Klar doch, schau Dir - da bin ich jetzt schamlos und vergleiche eigentlich Nichtvergleichbares die Geschichten aus Be-Erde an, die Dir zeigen werden, wie schnell man hier vor Ort ins Lager kommt ...

Muss man im Regen stehn, um zu wissen, dass er nass sei,

lieber uwe?

Es ehrt Dich sicherlich, um Sabine besorgt zu sein und mich verteidigen zu müssen. Ich habe das Temperament eines Kühlschranks (der wahrscheinlich sogar temperamentvoller ist als ich je sein werde) und habe starke Nerven, sagen jedenfalls die Nervervenärzte in der Irrenanstalt, derich immer wieder einmal entspringe. Und ich reagiere auch jetzt erst auf diese drei Beiträge, weil ich bestenfalls eine Stunde am Tag im Internet bin und das auch in einem Internetcafé und gestern gar nicht erst bei den Söhnen Osmans, die dieses Wettbüro - nix anderes ist dieses Café hier betreiben. Aber: selbst wenn Sabine glaubt, dass der Text für sie untauglich wäre, so zeigt ihre Reaktion eher das Gegenteil an.

Wie dem auch sei, eine Stellungnahme zum Text wäre mir allemal lieber gewesen. Aber schön, dass man sich ein wenig ausgesprochen hat!

Wat mut, dat mut!

Gruß aus'm Ruhrpott vom

Friedel

 

Hallo Friedel,

der Anfang Deiner Geschichte hat mich eingelullt. Das begann wie etwas, in das man eintauchen kann, eine Geschichte mit Erinnerungen, eine Lebensgeschichte, die bis zum Anfang zurückgeht und bestimmt wieder einen Bogen ins Heute schlägt.

Bei Tätowierungen ziehe ich schnell, in diesem Fall vorschnell, eine Ähnlichkeit mit Irving in Betracht. Nein, diese Tätowierung zu Beginn ist nur ein Auslöser für das Bild einer anderen, deren Geschichte Jahre des Erwachsenwerdens benötigte, um dem Jungen in seiner ganzen Tragweite bewusst zu werden. Die Erklärungen von Janos klingen harmlos ohne den Hintergrund. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Geschichte vom Verstecken, ohne dass jemand sucht, und der Geschichte vom verschleppt werden? Das Alleinsein war für mich die Verbindung, das Gefühl des Verlorenseins. Auch, wenn der Junge einfach nach Hause kommen konnte, er fühlte sich ähnlich verlassen und verraten, wie es Janos einst ergangen sein muss. Das Grauen ist vielleicht nicht fassbar, aber dieses einfache Gefühl, das kann ein Kind bereits nacherleben.

Der Tonfall des Onkels und der Mutter, als der Junge nach Hause kommt, haben auf mich zuerst befremdlich gewirkt. Da werden einem Kind Weisheiten und Bibelzitate, wenn auch liebevoll, um die Ohren gehauen, wenn es mit Kummer nach Hause kommt. Mit dem Fortgang der Geschichte war ich dann froh, durch diesen Wechsel in der Sprache mehr Abstand zum Erzählten erhalten zu haben.

Was mich etwas stört, ist der Gebrauch des Konjunktivs. Er scheint mir teilweise dort eingesetzt zu sein, wo er nach meiner Lesart nicht benötigt wird (hinter "dass") und daher bei mir die Frage auslöst, ob es sich um Konjunktiv I (zur Unterscheidung in der Form von II geschrieben) oder II handelt. Im letzten Absatz ist es für mich eindeutig Konjunktiv I und damit in Ordnung, nur die einzelnen Nebensätze, der erste, als der Junge bemerkt, dass er nicht gesucht wird, haben bei mir gehakt.

Sind Geschichten über den Holocaust nötig, überflüssig, zu viel? "Wir haben genug davon. Irgendwann muss Schluss sein. Wir sind dieser Geschichten überdrüssig." Merkwürdig, diese Argumente kenne ich aus meiner Kindheit. Als die Filmdokumentation Holocaust erstmals gezeigt wurde, hörte ich das auch. Was mich damals wunderte, war, dass ich bis dahin von all dem nichts erfahren hatte. Es war im Alltag kein Thema. Aber was hat die dritte oder gar die vierte Generation danach noch damit zu schaffen? Haben wir nicht genug aufgearbeitet? Ich kann das nur für mich beantworten: Ich will nicht vergessen. Da sind Millionen Menschen ermordet worden, ohne dass sich jemand an die einzelnen Leben erinnert, jedes Leben eine Welt. Zeitzeugen gibt es kaum noch, irgendwann wird es keine mehr geben und es gibt immer noch oder immer wieder Leute, die dieses Verbrechen verleugnen. Deshalb ist es mir wichtig, mich zu erinnern. Wobei diese Geschichte hier ja nicht die Lager und das Grauen direkt beschreibt, sondern sich aus einem zeitlichen und Generationenabstand herantastet.

LG
Sabine

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom