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So schlecht, daß es wieder gut ist?

Seniors
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03.04.2003
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So schlecht, daß es wieder gut ist?

Die Sonne stand hoch im Norden des Abendhimmels, als Herr Matis seinen dunkelgrauen Hut überstreifte. Eigentlich war der Hut schwarz, aber Schwarz empfand Herr Matis als zu traurig, deswegen sagte er still zu sich, der Hut sei nur grau. Dunkelgrau. Er sagte es natürlich nicht so laut, daß es jemand hätte hören können, auch wenn außer ihm niemand in der Halle war.
Die Regentropfen trommelten rhythmisch auf den feuchten Ackerboden, was jedoch niemand sah, denn die Halle hatte dicke Wände. Herr Matis war fest entschlossen, die Halle zu verlassen, denn in der Halle waren die Wände so dick, daß er den Regen nicht sehen konnte.
Doch als er den linken Fuß vorsetzte, stellte er fest, daß es schon Abend war, und er eigentlich auch genausogut bleiben konnte, wo er war, und nirgendwo anders.
Herr Matis war traurig, denn er war betrübt darüber, daß ein Dieb seinen Goldfisch ertränkt hatte. Dies war schon zwanzig Jahre her, doch es betrübte ihn immer noch genügend, um ihn einer Traurigkeit anheim fallen zu lassen, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte. Also beschloß er, zu warten, denn Warten war immer gut.
„Na, du traurige Gestalt?" sagte die Gestalt, die aus dem Schatten der dicken Wand trat. „Heute mal wieder zu nichts gekommen, was?"
„Nein, nein", erwiderte Herr Matis traurig und betrübt, wie es nun mal seine Art war, und sah auf die Uhr, um zu erfahren, wie die Zeit wirklich war. Sie war schon bedenklich vorangeschritten, mit Siebenmeilenstiefeln, die auf den vier Winden dahingaloppierten. Bald würde der Untergang der Sonne die Luft mit Dunkelheit füllen.
Das war das große Problem von Herrn Matis: es bereitete ihm eine Schwierigkeit, Dinge zu tun. Besser gesagt, fiel es ihm schwer, Dinge anzufangen. Stets verlief er sich in Details, die dann so detailliert wurden, daß am Ende nur viel Zeit vergangen war, doch getan hatte sich nichts.
„Sei nicht traurig", sagte die Gestalt, die in Wirklichkeit der geheime Fischhändler war. „Iß ein Fischbrot, das wird dir bis zum nächsten Morgen helfen." Dabei dachte der Fischhändler natürlich auch nur an seinen eigenen Vorteil, und an den dicken Gewinn, den er mit dem Verkauf des Fischbrotes machen wollte.
Aber Herr Matis ließ sich auf den Handel ein.
„Macht Eins-Neunundneunzig", trompetete die Gestalt des Fischhändlers mit pompösem Grinsen. Leuten, die so breit grinsen können, kauft man alles ab, sogar das letzte Hemd. Deswegen tragen sie keine Krawatten, das wäre sonst zu umständlich.
Herr Matis kramte in seiner Geldbörse, stellte aber bald fest, daß diese sich entleert hatte. Doch in der linken Hosentasche fand er drei silberne Münzen in der passenden Währung.
Zwischendurch kam ein kleines Mädchen vorbei, sang ein trauriges Gedicht und verflüchtigte sich wieder. Herr Matis lächelte. Doch gegen das Grinsen des Fischhändlers kam er nicht an.
Zwei Münzen gab er dem schmierigen Geschäftsmann, und eine schmierige Münze aus zwei Fingern erhielt er zurück. Das war korrekt. Stimmte schon. Der Fischhändler rieb sich zufrieden das Kinn und schob seinen Imbißstand aus der Halle.
Herr Matis versuchte gar nicht erst, mit dem Fischbrot zu reden, denn der Fisch war ja tot. Dies erinnerte ihn an seine Betrübnis bezüglich seines alten Freundes Cassandra.
Und so widmete er seine letzte Mahlzeit dieses Tages dem ertrunkenen Goldfisch.
Die Sonne war inzwischen so rot geworden, als habe sie sich selbst einen Sonnenbrand hinzugefügt, und dann verschwand sie hinter einem fernen Hügel. Herr Matis blieb alleine zurück und bereitete alles vor, um sich zur Abendruhe zu begeben. Eine Tageszeitung wäre zum Ausklang nicht schlecht gewesen, doch wer hätte ihm in dieser leeren Halle eine verkaufen sollen? Schade, wo er doch noch eine Münze über hatte.
Was Herr Matis nicht wissen konnte: seine letzte Münze war Falschgeld. Geprägt in wucherischer Absicht und in Verkehr gebracht von heimtückischen Subjekten, die sich mit ihrer schwarzen Kunst bereichern wollten.

 

Ist doch schon erstaunlich, daß diese Story immer wieder an die Oberfläche kommt... ;)

r

 

Hi relysium,

ich muß sagen, köstlich. Habe laut gelacht.
Vor allem über den Goldfisch, der ertrunken ist.
Bei dieser Geschichte habe ich keinen Angriff gesehen.

Auch weiß ich, das es wirklich solche "Orginale" wie deinen Prot gibt.

Ich finde: einfach genial.:)

lg, coleratio

 

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