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Sie
„Nein!“ schrie sie und schüttelte energisch den Kopf. „Wie oft soll ich Ihnen noch erklären, dass ich etwas Normales, etwas Gewöhnliches als Hintergrundszene möchte?! Diese krankenhausartigen weißen Bilder finde ich abscheulich! Morgen um 10:00 Uhr möchte ich neue Vorschläge und ich hoffe innigst dass etwas Brauchbares dabei ist!“
Sie hasste es, wenn das Team Ihre Vorstellungen nicht sofort umsetzen konnte. Zudem hatten sie nur noch knapp fünf Tage Zeit, um ihr Marketing-Konzept zur neuen elektrischen Zahnbürste mit speziell rotierenden Borsten und ergonomischem Griff vorzustellen. Es ging um Millionen – ein Auftrag, den ihre Agentur dringend brauchte, nicht nur des Geldes wegen, sondern auch um das Ansehen Ihrer Firma zu steigern. Sie hatte extrem viel Kraft, Geld und Herzblut in ihren Traum investiert. So etwas wie Freizeit gibt es in ihrem Leben nicht. Das von ihr eigens aufgezogene Unternehmen ist ihr Ein und Alles. Ihr Baby. „Wenn das nicht klappen würde, dann sterbe ich“.
Ihr Vater war ein erfolgreicher Marketing-Manager einer renommierten Firma und sie wollte ihm gleichtun. Trotz Realschulabschluss und abgebrochener Bürokauffrau-Ausbildung. Er hatte ihr nie auch nur einen Hauch an Glauben geschenkt, dass je noch etwas aus ihr werden würde. Doch nun hatte sie es fast geschafft. Sie brauchte nur noch diesen Auftrag, dann könnte sie endlich zum Grab ihres Vaters gehen und ihm das Auftragsschreiben unter die Nase halten – zumindest symbolisch. Gern hätte sie, wenn es soweit kommen würde, zu seinen Lebzeiten über ihren geschäftlichen Erfolg triumphiert, doch ein Herzversagen, tat seinem Leben ein jähes Ende.
Als sie gegen Mitternacht aus dem Firmengebäude trat, peitschte ihr die eisige Kälte direkt ins Gesicht. Sie fröstelte am ganzen Körper und ihre Finger hatten Schwierigkeiten die Autoschlüssel aus ihrer Handtasche zu ziehen. „Verdammt“ fluchte sie. Ihre Autoschlüssel lagen wohl noch oben auf ihrem Mahagoni-Schreibtisch. Kaum an der Eingangtür der Agentur angekommen, durchzog sie ein stechendes, wie mulmiges Gefühl. Die Autoschlüssel waren an einem Bund mit den Firmen- und ihren Hausschlüssel.
Das Firmengelände befand sich einsam am Rande der Stadt. Das war ihr Wunsch. Sie brauchte die Ruhe von dem alltäglichen Stadttrubel und den Blick auf den weiten Feldern. „Scheiße! Was mach’ ich denn jetzt?“ murmelte sie gehetzt, während sie nochmal ihre Handtasche durchwühlte. Ihr Körper fühlte sich inzwischen taub an. Sie hatte nur einen dünnen Mantel an, da sie ja eh den ganzen Tag im warmen Büro arbeitete und mit dem Auto fuhr. Auf einmal hielt sie etwas hartes Glattes in der Hand. Eine ganze Wallung Hoffnung durchfloss sie. „Mein Handy! Jetzt schnell den Schlüsseldienst anrufen“. Ihre Freude darüber war jedoch nur von kurzer Dauer. Das Handy war aus und ging nicht mehr an.
Eine Telefonzelle suchte man hier vergeblich. Die Ersatzschlüssel lagen bei ihr Zuhause im Tresor und einen Freund oder Ehemann, der sich um sie sorgen würde, wenn sie nicht nach Hause kam, hatte sie auch nicht. Plötzlich dämmerte ihr, dass sie tatsächlich ganz allein war. Allein ohne eine helfende Hand, ohne Liebe, ohne Wärme. Sie sank auf ihre Knie und fing an zu schluchzen.
Am nächsten Morgen wanderte ein süßer, gar leckerer Duft durch die Lüfte. Dutzende Duftkerzen standen vor der Eingangstür der Agentur. Es roch nach Vanille und Limette. Ihr Lieblingsduft.
Wörter: Duftkerzen • fluchen • Zahnbürste • sterben • Kälte - von Eine wie Alaska