Schlecht gewählt, Sohn
Mike blickte auf das zerwühlte Bett und den anmutigen Körper, der sich darin räkelte.
Er hatte die wahre Liebe gefunden. Vor vier Jahren waren sie sich zum ersten Mal begegnet. La Traviata. Er saß in der Mitte und wusste sofort als die Sitzreihe aufstand, um einen verspäteten Gast durchzulassen, dass dies der Augenblick war, in dem sich sein Leben verändert hatte.
Wenn eine Beziehung als annähernd perfekt bezeichnet werden konnte, dann war es ihre. Natürlich gab es auch mal Streit um den misslungenen Härtegrad des Frühstückseis oder sonstige Bedeutungslosigkeiten. Aber meist mündeten derartige Auseinandersetzungen schnell in einem plötzlichen schallenden beidseitigem Gelächter. Oder im Bett.
Sie arbeiteten beide viel und engagiert. Beim Abendessen teilten sie ihre Erlebnisse miteinander, wobei nie einer den anderen dominierte sondern die Waagschalen ein vollkommenes Gleichgewicht erreichten. Irgendwann einmal hatten sie entschieden, beim Betreten des Schlafzimmers den inneren Schalter umzulegen und dem Tagesgeschehen den Eintritt in den Schrein ihrer Leidenschaft zu verweigern. Das war eines ihrer geheimen, äußerst wirkungsvollen Rezepte.
Als die Katze tagelang abends vor ihrer Haustür saß, waren sie sich einig, das arme Ding in ihrem Designer-Zuhause aufzunehmen. Sie verstanden sich wortlos und erörterten diese Frage zu keinem Zeitpunkt. Die zerfetzte Tapete rechts neben dem Flatscreen-Fernseher und der voll gepinkelte Teuer-wie-ein-Kleinwagen-Teppich ärgerten sie gleichsam. Doch sie liebten die destruktive Lulu und ihr Aufenthalt bei ihnen stand nie zur Diskussion. Als Lulu an einem verregneten Septembermorgen leblos auf der Straße vor ihrem Haus lag, begruben sie sie gemeinsam im Garten und verbrachten eine Nacht voller Tränen. Am morgen danach waren die Bettwäsche und das Laken klamm von ihrem gemeinsamen Tränensee, und sie entschieden, dankbar für die Momente mit Lulu zu sein, die Tapete nicht auszuwechseln und sich nie wieder eine Katze zuzulegen.
Jede Sekunde, die sie miteinander verbrachten, sogen sie gierig in sich auf. Sie waren sich jederzeit der Kostbarkeit des anderen bewusst. Ihr gegenseitiges Vertrauen war grenzenlos und berechtigt. Eifersucht war ein unnötiges Gefühl und so konnten sie all ihre Energie auf die positiven, lustbringenden, wärmenden Empfindungen verwenden.
Seine Freunde waren von seiner Wahl begeistert, und es gab zahlreiche Komplimente für seinen guten Geschmack. Nur seine Eltern – sie konnten bis heute nicht verstehen, dass Mike und Robert sich liebten.