Nebeltraum
Nebeltraum
Einmal im Jahr,
wenn die Nächte lang und kühl geworden sind und der erste Nebel die schlafende Stadt überfällt, öffnen sich lautlos die Gräber und die längst vergessenen Toten treten heraus, den langen, so beschwerlichen Schlaf nur mühsam abschüttelnd, ziehen in die Stadt mit der Gleichgültigkeit der Verdammten, schreiten in stummer Andacht auf den menschenleeren Straßen entlang, verharren mitunter, als müssten sie sich zögernd einer fernen Vergangenheit entsinnen, die aus dem Dunst sich erhebenden Häuser und Wege mit Traumgespinsten vergleichen oder unsichtbare Schriftzeichen in der klammen Luft entziffern, bis
endlich
die ersten von Wehmut erfasst sich auf den Rinnstein niederhocken und regungslos über den weiß verhüllten Asphalt ins Leere starren, nun in der gesamten Stadt die Toten auf den feuchten Bordsteinkanten sitzen, die kaum vom Schein der Straßenlaternen erreicht werden, sich selber und ihre Erinnerungen betrauern, dem ersten vorbei schleichendem Auto still hinterher schauen und sich doch nicht beirren lassen wollen vom grellen Scheinwerferlicht, schließlich einer von ihnen aufsteht, sich selbstverloren streckt und verwundert zu seinem Nachbarn hinab schaut, als habe ihn sein plötzlicher Sinneswandel selber überrascht, schwer sich nun alle anderen erheben, der Zug der Toten wieder in Bewegung kommt, an jeder Straßenecke sich Neue einreihen, die Kolonne aus verwesenden Körpern den Friedhof erreicht, das stählerne Gittertor erneut lautlos aufschwingt und das mitfühlende Rascheln des Herbstlaubes die Toten begleitet, die für ein weiteres Jahr stumm in ihre Gruft steigen, ihre Augenhöhlen zittrig verschließen und von lebendigen Menschen träumen, die langsam in ihren kühlen Schlafzimmern
erwachen.