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- 10.07.2006
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Mein Leben als Fototapete.
Ich fühle mich wie Radeberg.
Diese Stadt, in der alle immer die Oper suchen, aber die Oper steht in Dresden, die ist da leider stehen geblieben. Eventuell hätte sie im zweiten Weltkrieg zerbombt werden können, dann wäre ein bisschen Oper auch in Radeberg gelandet; und trotzdem werde ich ununterbrochen danach gefragt von nigerianischen Schlampen und muss in konsensunfähigen Rätseln antworten: “Tut mir Leid, vielleicht ist letztens eine Fliegerstaffel drüber geflogen, vor drei Tagen oder so. Jedenfalls steht da momentan keine Oper.
Wir haben hier nur eine Brauerei, Sie Arschloch.”
“Mein Kind, ich kann nicht verstehen, warum Sie dich in Cambridge nicht aufgenommen haben!”, erwidert die wasserstoffblonde Mutter in historischer Kniebundhose und stellt derweil den Erfolgsregisseur Florian Henckel von Donnersmarck zutiefst authentisch dar. Sie macht einen Spaziergang durch den bühnenbildähnlichen Salon, konfrontiert Großvater auf dem Schaukelstuhl mit seiner Herkunft und fragt sich ununterbrochen, was das überhaupt ist, das Leben der Anderen.
“Das Leben der Anderen, was könnte das sein?”, ruft sie verbissen in die Stille hinein und wendet sich dem Publikum zu. “Papa kann einfach nicht von Schlesien reden, ohne sich damit aus der Welt zu schaffen. All diese herum stehenden Schlesier, die sich an den Autobahnraststätten gruppieren und darauf warten, dass sich ganz Polen bei ihnen entschuldigt; denn obwohl die meisten Kinobesucher weder Schlesier sind noch Erfolg haben, ist der Erfolg für sie nachvollziehbarer als Schlesien.”
Mutter macht eine bedeutungsvolle Pause und scheint noch immer an der Idee ihres Filmprojekts festzuhalten.
“Also muss ich einen Film machen, über das Leben der Anderen. Das Leben der Anderen, was könnte das sein?”
Ich sitze auf dem kleinen Breuerstuhl für die Kinder gehobener Gesellschaften und mache mir Gedanken über mein neuestes Stück “Fußspuren an der Decke”. Wie kommen die dahin?, frage ich mich die ganze Zeit, bis plötzlich die als Schaf verkleidete Sandra Bullock den Raum betritt und sich ihrer Rolle der Vertriebenenpräsidentin zu widmen versucht.
“Vermutlich bin ich grade im psychologisch richtigen Moment aufgetreten, was meinst du, Bruder?”
“Wir werden permanent ALS Schlesier orientalisiert!”
“Ich habe in Polen schlesische Junckersfamilien und Ethnologie studiert und kenne das Gefühl des Ausgestoßenwerdens sehr gut. Warum willst du überhaupt diesen beschissenen Film drehen, Bruder?”
“Vielleicht, weil sie auf eine Art Erfüllung hofft?”, sage ich.
Mutter dreht durch.
“Und was soll ich dann machen, mit dieser ganzen Erfüllung? Morgens bis abends erfüllt an die Decke starren?"
"FUSSSPUREN! Wie kommen die dahin?”
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Florian Henckel von Donnersmack ist der Regisseur von "Das Leben der Anderen" und Teil einer schlesischen Adelsfamilie, der theoretisch ein Drittel von Polen gehört.