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Liebesbrief

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28.01.2005
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Liebesbrief

Liebesbrief​

19.01
...gerade brandaktuell hereingekommen: Kai K., dunkelbraune Haare, grüne Augen, einsneunundachtzig groß, vermutlich mit rotem Hemd und Bluejeans bekleidet, wird von seiner Familie vermisst. Wenn Sie Hinweise auf seinen Aufenthaltsort haben, dann rufen Sie bitte unter folgender...

Cara mia,
es ist etwas passiert (endlich, würdest Du sagen, in diesem Dorf, aber Du siehst ja nicht, was passiert).. Du bist gespannt?
Kai, ja genau, der Kai ist verschwunden, weg, keiner weiß wohin. Sein Bild ist in der Zeitung. Vielleicht bringe ich sie mit, wenn ich Dich besuche. Sogar seine herzallerliebste Melanie, die ihn doch mit seinem eigenen Vater hintergangen hat, hat vor der Lokalpresse ein paar Tränchen verdrückt! Was sagt man dazu?

22.01.
Surreal. Wie ein starker Lichtreiz, der die Augen blendet und das Salzwasser provoziert. So echt, wie kein gestelltes Bild je sein kann. Das Foto: Ein Zimmer, ein Männerkörper. Wenn man ihn noch so nennen will, ohne Nägel, gepellt aus seiner Haut bis über die Gürtellinie, den Rücken fein säuberlich verbrannt, die Genitalien separat auf Meißener Porzellantellerchen. Sie haben ihn – wohl um es veröffentlichen zu dürfen - auf den Bauch gelegt. Man munkelt allerdings, sein Gesicht sei heil und der Gesichtsausdruck authentisch.
Ich kann nicht schlafen. Mein Radio habe ich in die Küche gestellt und höre, wann immer ich kann.
...heute bei uns zu Besuch: Kommissar W. aus M.. Kommissar, was tut denn die Polizei nach dieser unbegreiflichen Gräueltat?“ “Wir haben einige sehr fähige Leute zur Unterstützung geholt, die uns helfen, seinen Sohn ausfindig zu machen...
Die Boulevard-Presse zeigt Interesse. Eine skurrile Situation: Die Mischung aus essentieller Angst und brutaler Neugier, die ich in allen Augen sehe. Faszination des Verbrechens.

24.01.
Heute haben sie Melli gefunden, sauber geteilt in Sonder-, Rest- und Biomüll, ordentlich verpackt in reguläre richtigfarbene Müllsäcke. Ihr Oberkörper war eingeritzt, kunstvoll, in mühseliger Kleinarbeit. Man kann den Geruch der verwesenden Körperteile förmlich aus den Bildern riechen.
...Waltraud K., die Mutter des verschwundenen Kai K. und Tochter des Opfers Helmut K., wurde heute in die nahegelegene Psychiatrie eingeliefert...
Hättest Du die Bilder gesehen – Du hättest geweint. Aber jetzt bist Du weg, unerreichbar. Ich kann nicht weinen.

25.01.
Fernsehteams und Reporter belagern die Stadt. Keinen Schritt kannst du im ganzen Ort tun, ohne einem von diesen geleckten Fuzzis über den Weg zu laufen. Überall wabert kalt-kriechende Bedrohung. „Wir erstellen ein Profil“ sagen die Männer mit den eleganten grauen Anzügen und den filmreifen Sonnenbrillen. Wo doch alle schon ihr Urteil gefällt haben. Die Warnmeldungen gehen stündlich heraus, die Fahndung nach Kai läuft auf Hochtouren. „Kai K. auf Rachefeldzug“ „Killersohn on Tour“ – die Schlagzeilenerfinder überschlagen sich, versuchen sich gegenseitig zu übertrumpfen, auszustechen. Widerliche Ausschlachtung der Situation, wie die Aasgeier fallen sie herein. Es herrscht Krieg.

26.01.
Ich habe Dich besucht, aber wieder warst Du nicht da. Ich habe es schon so oft versucht. Wann kommst Du endlich zurück? Ich brauche Dich, verdammt!


28.01.
Tack...Tack... die Zeit scheint stillzustehen. Angst, überall.
...„Warum unternimmt nicht endlich jemand etwas?“ „Wir tun, was in unserer Macht steht.....
Mein Radio läuft auf Hochtouren. Wo zunächst Musik mit gelegentlichen Nachrichtenunterbrechungen waren, sind jetzt Nachrichten und Diskussionen mit seltenen Musikeinschüben. Sie spielen nur noch Trauerzeugs, furchtbar. Lachen verboten. Alles falsch.

30.01.
Sie haben ihn!
... Heute vor Gericht: Der junge Kai K., dessen Amoklauf das ganze Land in Furcht und Schrecken versetzte. Sein Verteidiger gab überraschenderweise bekannt, sein Mandant wolle auf „nicht schuldig“ plädieren, obwohl keine reelle Chance besteht, dieses Urteil zu erreichen. K. gibt an, er sei von einem unbekannten Entführer „gezwungen“ worden, diese Morde zu begehen. Hören Sie morgen...

Ich habe ihn nicht gezwungen, ich habe ihm geholfen. Die Schönheit seiner Seele ist rein. Mein Meisterwerk, meine Abschlussarbeit. Das Leben, dass er dir nahm, deine Unschuld, wurde ihm gegeben. Wie oft habe ich in meinen Träumen ihn gesehen, wie er Deinen Willen bricht, Dein Lachen löscht, Deine Träume kippt. Ich habe ihn gesäubert, bis auf den Grund seines Geistes. Nie war er so gut, wie in dem Moment, als er die Qual verübte und mitlitt mit den Menschen, die er liebte. Der Tod war zu gut für ihn, bevor ich ihn auf sich stieß – er kennt sich nun, wie sich sonst keiner kennt. Er ist verurteilt – seinen, Deinen, unsern Frieden herzustellen, Dich hierher zurückzuholen.

Deine Pfleger sagen, man kann nichts tun, man muss warten, Geduld haben. Ich werde warten, geduldig (jetzt, da ich meine Ruhe gefunden habe) und für Dich da sein.
Immer, geliebte Schwester.

 

Na?

Schön dich hier empfangen zu können! Ähm...die Story? Liebesbrief, schon klar. Anders, Flexierspiel? Denk nach, denk nach, denk nach.
Dann lieber nicht verraten, wer sich hinter dem Nick verbirgt, wissen eh schon zu viele. Von einem Kellnerblock, über den Home-PC an alle. Passt schon.

Wieauchimmer.
Liebe Grüße,
Monty


Ach ja: Gefällt mir.

 

Danke, fürs Herbringen und Lesen und sowieso!
Eigentlich war ja zunächst etwas sanfteres geplant, und ich werde vermutlich für Maggie auch noch eine andere Version Liebesbrief schreiben. Dies hier war eher von unserm Gruselexperten, dem Weihnachtsmann inspiriert :D

Liebe Grüße,

Coco

 

Jajajaja. Das ist halt sein schlechter Einfluss. Ich hoffe, das er ihm nie abhanden kommt.

 

Hey Noel (Nicht-Weihnachtsmann *grins),
vielen, vielen Dank für die ausführliche Antwort!

Aber - nein, nicht Kai schreibt diese Geschichte, sondern die Schwester des Vergewaltigungsopfers. Die Idee war, zu beschreiben, was man in dieser Situation mit dem Menschen anstellen möchte, der einem geliebten Menschen etwas derartiges antut. In diesem Fall, ihn (also Kai) dazu zu zwingen, sein Leben und das derjenigen, die ihm am nächsten stehen, zu vernichten. ;)

Melanie (Melli) ist Kais Freundin.

Du warst meine Inspiration in punkto Emotion: Sonst schreibe ich eher positiv bzw melancholisch. Hass/Gewalt ist ein echtes Experiment :D

Ich freu mich riesig, dass es Dir gefallen hat!

LG Daboia

 

Hallo Daboia,

auch ich habe zweimal gebraucht, bis ich den Text verstanden hatte. Wenn dein Experiment also darin bestand, möglichst verschleiert zu schreiben, ist es dir geglückt. ;)

Ernsthaft: Worin besteht das Experiment? Rätselhafte Geschichten finden sich in fast allen anderen Foren auch, eine sprachliche Neuerung hab ich nicht gefunden.

Die Geschichte an sich fand ich interessant zu lesen - wenn auch leider furchtbar unglaubwürdig. Schon allein die Tatsache, dass fast jeden Tag eine nachricht verfasst wird - :hmm: Nun ja. Auch der Inhalt ist für mich nicht ganz nachzuvollziehen, es handelt sich ja fast nur um nüchterne Kommentare zu den (Radio)nachrichten. Natürlich baust du so die Pointe auf, aber prinzipiell finde ich es dennoch schade, dass alles darauf hin ausgelegt ist.

Die einzelnen Formulierungen sind in all ihrer Skurilität wirklich gelungen. Auch stilistisch ist der Text ausgezeichnet, wobei mir jedoch die Brief/Tagebuchform in einer Geschichte prinzipiell nicht gefällt. Hier ist es jedoch auszuhalten ;)

Fazit: Trotz stilistscher Ausgereiftheit und tollen Formulierungen fehlt mir die Tiefe. Des weiteren ist mir das Experiment nicht bewusst.

Gruß,

Anea

 

Hey Anea,
erstmal vielen Dank für Deine Kritik :D

Ich muss zugeben, die Sparte für die Geschichte ist wirklich nicht so geschickt gewählt. Ich wusste einfach nicht, in welche Schublade damit :shy:
Das Ganze ist auch mehr eine Gedankenspielerei als real, dass dadurch die Tiefe der Geschichte (in diesem Falle die Tiefe der Emotion) verloren geht, war mir nicht so bewusst. Ich überarbeite sie nach dem Klausurstress einfach nochmal.

Ich freu' mich aber, dass dir die stilistischen Details zugesagt haben :cool:

LG Daboia

 

Hallo Daboia,

recht sperrig, deine Geschichte. Das meine ich durchaus positiv. Sie erschließt sich einem nicht gleich.
Das Ausmaß der Nachrichten scheint mir auch ein bisschen übertrieben, das Ausrufezeichen in Klammern finde ich störend, aber sonst habe ich nicht viel zu meckern. Es ist eine der Geschichten, in denen die Tagebuchform völlig angebracht sind. Die Sätze sind teilweise echt cool, dein "böses" Experiment ist dir also geglückt.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Daboia,

als Geschichte kann ich deinen Text akzeptieren, auch wenn er, weil es ein Tagebuch ist eher in Richtung Bericht geht. In diesem Fall passt das aber zu der Situation, die Beschreibungen der Gräueltaten wirken distanziert, das macht den Text interessant, außerdem gibt es am Schluss noch eine neue Perspektive.
Etwas Experimentelles wird nicht deutlich, um was geht es dir genau?

Gruß,

tschüß... Woltochinon

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Sim!
Sperrig - jep, das ist mir erst viel später im vollen Umfang aufgegangen, nachdem ich ein paar andere Geschichten hier gelesen hatte. Alles in Allem: Ein wenig mehr Drumherum würde wohl nicht schaden :Pfeif: Ich gelobe für die nächste Geschichte Besserung.

sim schrieb:
Das Ausmaß der Nachrichten scheint mir auch ein bisschen übertrieben, das Ausrufezeichen in Klammern finde ich störend, aber sonst habe ich nicht viel zu meckern.
Das Ausrufezeichen kommt weg, mal schauen, ob ich die Nachrichten noch etwas zusammenfassen kann :) Schön, dass dir der Rest gefallen hat.
Ansonsten - Vielen Dank! *freu*

GLG, Dab

 

Hey Angua, hallo Woltochinon,

erstmal vielen Dank fürs Lesen/Kritisieren!

@Angua:

Angua schrieb:
Die Geschichte fand ich auch beim wiederholten Lesen interessant, zumal ich beim ersten Mal sowieso nicht ganz erfasst hatte, wer erzählt und wem was angetan wurde.
Ich muss zugeben, dass das zum Teil auch beabsichtigt war - allerdings nicht SO sehr.. :Pfeif:
Angua schrieb:
Nur das Kursive habe ich ein wenig als störend empfunden, was hauptsächlich am "authentisch" liegt. Ein Schnitt nach "heil" würde mir besser gefallen, und "authentisch" hängt in der Bedeutung schon am Status Quo und es ist klar, wie es gemeint ist, aber eine schreckverzerrte Miene kann auch authentisch sein.
Ok, ich bastele nochmal daran herum. Und vielen Dank für die Blumen.. *freu*

@ Woltochinon:
Das Experiment bestand für mich darin, eine derart tiefe Emotion wie Hass auf jemanden, der deine Schwester vergewaltigt hat, in einer sehr distanzierten, abgeklärten Art vorzubringen und *holtLuft* das Ganze durch die Radionachrichten lebensnah und gegenwärtig zu machen. Da dies aber kein echtes "schreiberisches" Experiment ist, kann die Geschichte gern auch woanders platziert werden! :)

Lieben Gruß,
Daboia

 

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