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- 17.04.2004
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Ich werde....
Weinend sitzt sie vor mir, und ich weiß nicht, was ich sagen kann, um sie zu trösten. Der blaue Fleck an ihrem Kinn sticht auf ihrer blassen Haut hervor, und ich weiß, es ist nur einer von vielen.
„Hat er getrunken?“, kommt eine kalte Stimme von hinten. Maik ist unbemerkt nach Hause gekommen, und er spricht aus, was ich denke. Sie schüttelt nur stumm den Kopf. „Was war es dann?“ Ich weiß, sie will nicht reden, das will sie niemals. Doch Maik sieht sie über meine Schulter hinweg mit eisigem Blick an. Sein Gesicht spiegelt sich in dem Bild an der Wand, ein Foto, das ihn mit mir im Urlaub zeigt. „Was war es!“ herrscht er sie an. Sie zuckt zusammen und weint lautlos. Ich drehe mich zu ihm um, nehm ihn in den Arm. „Maik, bitte, du siehst doch...“
„Ja, ich sehe“ unterbricht er mich. „Ich sehe, dass er es wieder getan hat. Ich sehe, dass sie wieder hier sitzt, und ich weiß, dass sie wieder zu ihm gehen wird.“
Damit dreht er sich um und geht. Ich schweige.
Nach einiger Zeit hebt sie ihren Kopf und sieht mir in die Augen. „Ich werde nicht zurückgehen. Niemals wieder! Ich werde heute in einem Hotel übernachten und mir dann eine eigene Wohnung suchen. Ich will das so nicht mehr!“ Ich überlege, was ich sagen soll. So oft hatten wir dieses Gespräch schon...
„Du musst in kein Hotel. Du weißt, dass du auch bei uns bleiben kannst.“ Sie schüttelt den Kopf. „Nein, ich will euch nicht zur Last fallen. Maik ist wütend.“
Ich stehe auf, gehe unruhig durch das Zimmer. Schließlich bleibe ich vor der Anlage stehen, zögere, und schalte sie dann doch ein. Das Radio spielt irgendwelche Charts, die ich nicht kenne. Sie interessieren mich auch nicht wirklich.
Schließlich setze ich mich ihr wieder gegenüber. „Du weißt, warum Maik wütend ist. Bleib ruhig hier, er hat nichts dagegen. Dann kannst du dich in Ruhe nach einer Wohnung umsehen. Und wir können aufpassen, dass er nicht an dich rankommt.“
„In einem Hotel kann er mich nicht finden. Mein Handy bleibt aus. Ich ruf dich von da aus an und geb dir die Telefonnummer von dem Zimmer, damit ihr mich erreichen könnt. Ich schaff das diesmal!“
Mit diesen Worten steht sie auf, zieht ihren Mantel an, umarmt mich und geht. Ich kann sie nicht aufhalten, und irgendwie will ich das auch gar nicht. Ich will glauben, dass sie es diesmal wirklich schafft. Aber ich weiß in meinem tiefsten Inneren, dass sie nicht anrufen wird.
Die Türklingel klingt schrill mitten in der Nacht, immer und immer wieder. Verschlafen ziehe ich mir etwas über meinen nackten Körper und gehe zur Tür. Ich ahne, dass sie es ist. Doch ich irre mich. Und ich wünsche, ich hätte Recht gehabt, von dem Moment an, als ich die Männer sehe. Obwohl sie nicht uniformiert sind, weiß ich, wer sie sind, und ich weiß, warum sie hier sind. Schweigend bitte ich sie ins Wohnzimmer.
Sie fragen nach meinem Namen, fragen nach ihrem, erzählen irgendetwas. Ich weiß nicht, was sie sagen, meine Welt ist in Watte gepackt. Ich betrachte ein Foto an der Wand, es zeigt uns ... sie und mich. Niemand außer uns beiden weiß, wer auf welcher Seite des Bildes zu sehen ist. Jetzt bin ich die Einzige, die es weiß.
„Frau Maier? Ich weiß, es ist furchtbar für Sie, aber wir müssen jemanden haben, der sie identifiziert. Und vielleicht ist sie es ja gar nicht.“ Soll das eine Hoffnung sein? Ich weiß, dass sie es ist, genauso wie ich wusste, dass sie nicht anrufen würde. Es ist einige Wochen her, seit sie hier war. Wir haben noch einmal telefoniert. „Er ist jetzt in Behandlung, er wird es diesmal nie wieder tun!“
Nein, jetzt wird er es nie wieder tun ... jetzt nicht mehr.
Ich ziehe mich an, fahre mit den Männern mit. Sie ist kaum zu erkennen. Das Gesicht ist geschwollen und blutig, und ich ahne, wie ihr restlicher Körper aussieht, der von diesem furchtbaren weißen Tuch verdeckt ist. Der Arzt sieht von ihrem zu meinem Gesicht. Ich brauche nichts weiter zu sagen, die Ähnlichkeit ist mehr als deutlich zu sehen, trotz der ganzen Verletzungen. Ihre Nase ist anders, zu oft war sie schon gebrochen, ist es wohl auch jetzt wieder. Aber das ist nicht mehr wichtig.
Ich gehe zu Fuß nach Hause. Es ist ein langer Weg, doch ich brauche die Zeit zum Nachdenken.
Maik wartet zu Hause schon. Er ist wütend. „Wo warst du solange? Wieso bist du nicht zu Hause, wenn ich von der Nachtschicht komme?“ Noch bevor ich es ihm erzählen kann, holt er aus und schlägt zu. Nicht ins Gesicht, da könnte man etwas sehen.
Ich denke an IHR Gesicht, während er immer und immer wieder zuschlägt.
Irgendwann liege ich in meinem Bett, begreife, dass es vorbei ist und er weinend vor mir steht. „Es tut mir Leid, ich wollte das nicht. Ich habe mir solche Sorgen gemacht, dass du mir fremdgehst oder mich verlässt ... bitte verzeih mir!“
Ich kann nicht aufstehen, zu zerschlagen ist mein Körper. Aber ich weiß, sobald ich das wieder kann, werde ich ausziehen. Ich werde in ein Hotel gehen, und mir dann eine Wohnung suchen ... und ich werde nur das Foto von der Wand mitnehmen, das Foto, von dem nur ich weiß, welches von den beiden Mädchen ich bin ... ja, das werde ich tun!