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Ich habs dir ja gleich gesagt
"Und da hab ich ihm gesagt, Herbert, hab ich gesagt, lasset sein. Aber meinst du, der Ömmes hört auf mich?" Pflichtbewußt schüttelte ich den Kopf, um Jochen Gelegenheit zu geben, fortzufahren. "Nee, der hat natürlich nich auf mich gehört und... naja, jedenfalls hab ich da keine Schuld dran, dat se den drangekriegt haben."
"Ja nun... ", begann ich, "aber trotzdem hättest du dem Herbert ruhig mal helfen können."
"Nix da! Soll der olle Saftlutscher doch sehn, wo er bleibt. Ich hab gesagt, Herbert, hab ich gesagt, wenn du dann inne Scheiße drinnesitzt, hol ich dich da nich raus. Dat mußte dann selber sehn, wie dat mit die Konsequenzen is und so."
"Hast du denn gar kein schlechtes Gewissen jetzt? Ich meine, der Herbert ist ja nun..."
"Ja nu... wie gesagt, nich meine Schuld, ne. Gewarnt hatte ich ihm ja. Und dann... boah, Kerl, wat is dat schön hier!"
Erst jetzt schien Jochen die Umgebung bewußt wahrzunehmen, in der wir hier gelandet waren. Hier auf dem Land war alles irgendwie grün und versprühte den Duft des Lebens - ganz anders, als in der hektischen, grauen Stadt. Blumen, wohin das Auge reichte, die Sonne schien und außer uns war niemand hier. Die absolute Idylle, könnte man sagen. Und dann entdeckte Jochen das Ding.
"Nu guck dir dat ma an da!", sagte er aufgeregt und fuhr sich über den Rüssel.
"Was denn? Der... naja, der Haufen da?"
"Da hat einer hingeschissen, würd ich ma sagen."
"Mußt du denn immer so vulgär reden?"
"Ja, wat denn? Is doch wahr. Komm, dat sehn wir uns ma näher an." Mit diesen Worten hob er auch schon ab. Da ich nun auch ein leichtes Hungergefühl in der Magengegend verspürte, spreizte ich ebenfalls meine Flügel, sah, wie sich das Sonnenlicht majestätisch in ihnen brach und folgte meinem Kumpel in Richtung des Haufens.
"Boah.... Kerl, wat is dat lecker, ne! Siebnneunziger Schäferhund, würd ich ma sagn... vielleicht auch Sechsnneunziger. Wat ganz wat Feines und verdammt selten hier." Er vergrub seinen Rüssel in dem Haufen und schmatzte genüßlich. Ich gesellte mich dazu und probierte ebenfalls. Jochen hatte Recht, das war wirklich ein außerordentlich schmackhaftes Aroma.
"Na, is dat nu wat lecker oder nich?"
"Mja...", sagte ich mit vollem Mund.
Nachdem wir uns die Bäuche vollgeschlagen hatten, legten wir uns gemütlich ins Gras und ließen uns die Sonne auf den Chitinpanzer brennen. Jochen rülpste ein paarmal laut vernehmlich, aber an diese Unart hatte ich mich im Laufe der Zeit mit ihm gewöhnt und ignorierte es.
"Naja, dat Schärfste an die Sache mit dem Herbert war ja, dat der dann auch noch mir die Schuld am geben war. Dabei konnte ich da ja nu wirklich nix für, oder?" Ich schüttelte energisch den Kopf, um Jochen Recht zu geben. In Wirklichkeit hatte ich natürlich keine Ahnung, ob er tatsächlich Recht hatte, schließlich war ich damals nicht dabeigewesen. Aber es war einfach besser, Jochen in dieser Sache zuzustimmen. Er tat zwar immer so, als wäre er über den Verlust seines alten Weggefährten hinweggekommen, aber innerlich schien er es einfach nicht vergessen zu können.
"Abteilung halt!", riss mich eine laute Stimme wenig später aus meinen seligen Tagträumen. "Stillgestanden!" Ich drehte mühsam meinen Kopf und sah eine Ameise neben mir auf einem kleinen Steinchen stehen. Sie blinzelte mich böse an, während ihr Gefolge stramm stand und sich bemühte, in der heißen Sonne nicht allzusehr zu schwitzen. So etwas würde den Ruf ihres Bataillons ruinieren - eine echte Ameise schwitzt schließlich nie.
"Ihr beide", sagte der Kommandant und zeigte drohend mit einem seiner Beine auf mich und Jochen, "liegt genau auf unserer Marschrute zu den Nahrungsreserven! Wenn ihr nicht augenblicklich das Feld räumt, werden wir Gewalt anwenden."
"Ja, nu bleib ma geschmeidig", sagte Jochen träge. Dann wartete er eine Sekunde, beobachtete fasziniert, wie sich sein Bauch rythmisch hob und senkte und fuhr dann fort. "Ich mein, ihr könnt doch einfach um uns rumgehn, oder?"
"Negativ! Wir nehmen diese Rute jetzt seit immerhin drei Tagen und haben nicht vor, mit dieser liebgewonnenen Tradition zu brechen."
"Dat werdet ihr aber müssen, Freunde. Da hat nämlich wer auf euern Weg geschi..."
"Was Jochen damit sagen will", unterbrach ich. "Da hat ein Hund auf eurer Marschrute etwas hinterlassen, an dem ihr so oder so nicht vorbeikommt."
"Negativ! Ich meine, wir... also..." Der Ameisenkommandant schien jetzt ein wenig verunsichert. Er kratzte sich nachdenklich am Kopf und sah dann möglichst unauffällig an mir vorbei auf den Haufen. Leise, weil seine Kompanie nicht mitbekommen sollte, daß er den bis eben tatsächlich übersehen hatte - was angesichts dessen Größe ein erstaunlicher Fehler war - flüsterte er mir seine Kapitulation ins Ohr.
"Na gut... wir werden uns um euch herumbewegen. Bedingung ist, daß ihr diese peinliche Sache hier für euch behaltet. Klar?"
"Klar", flüsterte ich zurück und grinste. "Wo wollt ihr denn überhaupt hin?"
Die Ameise machte einen Ausfallschritt und schob ein paar Löwenzahnblätter zur Seite. Dahinter kam ein paar Meter entfernt ein Haus zum Vorschein, das Jochen und ich widerum bislang übersehen hatten. Vielleicht war das der ultimative Beweis dafür, daß Insekten generell nur bis zwei denken und nie über ihren Horizont hinausblicken. Vielleicht war es auch einfach nur ein dummer Zufall.
"Komm, dat sehn wir uns mal vonne Nähe aus an!", sagte Jochen. Ich teilte seinen Enthusiasmus zwar nicht vollständig, was sicher auch an meinem prall gefüllten Magen lag, aber dennoch folgte ich ihm langsam. Es war ein ganz normales Haus für Menschen, wie wir sie in der Stadt haufenweise gesehen hatten. Ein rot gedecktes Dach wurde von vier Wänden aus Backsteinen gehalten, die ab und an mit ein paar verglasten Löchern versehen waren - damit man von Außen immer sehen konnte, was drinnen gerade geschah.
"Wat meinste, haben die nen Kühlschrank da drinne?"
"Wenn du mir sagst, was ein Kühlschrank ist..."
"Dat is ein Kasten, der innen kalt is, damit die Wurst frisch bleibt und so. Hat mir der Herbert mal gesagt. Er war da wohl mal ne Nacht drinne eingeschlossen gewesen oder so. Ich selbst hab so ein Dingen auch noch nie gesehn, aber der Herbert meinte immer, dat wäre ein Paradies gewesen. Komm, dat is unsere Chance."
Mit stoischer Ruhe flog Jochen ein paarmal mit dem Kopf gegen die Scheibe. Man hätte meinen können, er hätte nach jedem Anflug wieder vergessen, daß Glas zwar durchsichtig, aber durchaus massiv war. Aber in Wirklichkeit suchte er nur eine undichte Stelle. Das Fenster stand einen Spalt breit offen und nach einer Weile hatte Jochen den Rand erreicht und konnte durch den Spalt in das Haus hineinfliegen. Ich zuckte mit den Flügeln und betrat ebenfalls das Gebäude. Noch nie zuvor war ich in das Innere eines Hauses geflogen und so war das alles hier unheimlich fremd und aufregend neu für mich.
"Wollen wir nicht eine Schnur zum Ausgang legen, damit wir hinterher wieder zurückfinden?"
"Ach Quatsch! Mit Herbert war ich damals schon oft in sowat drinne. Wir haben da immer wieder rausgefunden. Bis auf dieset eine Mal, als sie ihm drangekriegt haben. Und dabei hab ich ihm noch gesagt, Herbert, hab ich gesagt..."
"Ja, laß gut sein, Jochen. Ich kenne die Geschichte."
"Hier, sieh dir datta mal an! Damit kloppen die Menschen auf uns rum." Auf dem Tisch lag eine lange grüne Stange, an deren Ende ein breites weißes Netz angebracht war. Auf diesem waren Überreste von Fliegenkadavern zu erkennen. Mir wurde ein wenig übel, aber das Gefühl verging schnell wieder.
"Komm, suchen wir den... Dings... Kühlschrank", sagte ich um mich abzulenken.
Nachdem wir eine Weile in dem Haus herumgeflogen waren, hat Jochen tatsächlich den Kühlschrank gefunden. Er war geschlossen, aber Jochen meinte, daß sich das gleich von alleine ändern würde. Wir versteckten uns hinter einem Blumentopf auf der Fensterbank und warteten. Und wirklich, wenig später bebte die Erde und ein Mensch betrat den Raum.
"So, dat is meine Chance. Ich geh da jetz rein."
"Jochen, laß das lieber sein... du weißt, was die Menschen machen, wenn sie Fliegen entdecken. Der tötet dich, ohne mit der Wimper zu zucken."
"Ich bin so fix, dat der mich nich mal bemerken wird."
"Jochen... laß das lieber sein. Ich werde dir nicht helfen, wenn du in Schwierigkeiten kommst."
"Mußte auch nich. Aber glaub ma nich, dat ich dann die Beute mit dir teile."
Der Mensch öffnete den Kühlschrank, Jochen flog mit perfektem Timing durch den Türspalt und setzte sich auf ein Stück Mettwurst. Triumphierend winkte er mir zu und begann einen kleinen Tanz. Dann gab es einen lauten Schrei, als der Mensch meinen Kumpel bemerkte. Er hechtete zum Tisch und holte das grüne Mordwerkzeug vom Tisch. Damit fuchtelte er im Kühlschrank herum, um Jochen daraus zu vertreiben. Es folgte eine ziemlich turbulente Verfolgungsjagd quer durch die Küche, der unter anderem eine Blumenvase, zwei leere Senfgläser und eine Flasche mit Essigreiniger zum Opfer fielen.
Irgendwann gab der Mensch dann aber keuchend auf und Jochen flog zum Zeichen seines Triumphes noch eine Ehrenrunde um den Eßtisch. Hätte er dabei nicht so unaufmerksam und siegessicher gekichert, hätte er das Fliegenband an der Decke sicher bemerkt. Tat er aber nicht und so landete er mit einem fiesen Geräusch genau auf der Klebefläche des grünen Streifens.
"Scheiße!", sagte er. "Genau dat is dem Herbert damals auch passiert."
"Ja, ich weiß, Jochen. Du hast mir die Geschichte erzählt."
"Kerl, laber nich rum, sondern hilf mir ma lieber."
"Wie soll ich dir denn da helfen? Du klebst mit dem Rücken an einem Klebeband. Deine Flügel sind verkleistert und du würdest hier gar nicht mehr rausfliegen können, selbst wenn ich dich befreien könnte."
"Aber..."
"Tut mir leid, aber ich habs dir ja gleich gesagt", sagte ich, flog schweren Herzens davon und suchte eine undichte Stelle im nächstbesten Fenster.