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Gegen den Rest der Welt

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07.11.2003
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Gegen den Rest der Welt

Als ich zur Tür unserer Wohnung hereinkam, wirbelte Anna strahlend auf mich zu. Sie umarmte mich und küsste mich auf meine kühlen Wangen. Ihr Gesicht strahlte überglücklich, als sie mich ins Wohnzimmer zog. Wie faszinierend sie doch war, wie positiv ihr Wesen, wie warm ihre Liebe, wie schön ihr Körper. Seit ich vor 10 Jahren von zuhause ausgezogen bin, um in der Fremde mein Glück zu suchen, habe ich bei ihr zum ersten Mal Geborgenheit gefunden. Sie war der Mensch, der mich bedingungslos liebte, der sich um mich sorgte, der mir Licht spendete.
Im Wohnzimmer eröffnete mir Anna den Grund für ihr Glück. Unsere Freunde hatten uns zu einem Kurdenfest eingeladen. Ich habe sie immer gebremst, wenn sie mehr über meine Kultur erfahren wollte. Dank unseren Freunden erhielt sie endlich die Gelegenheit, einen Einblick in unsere Lebensart, unsere Musik und unsere Mentalität zu gewinnen.
Leider konnte ich ihre Begeisterung nicht teilen. Ich stellte mir vor, wie wir zusammen an diesem Fest erscheinen würden. Bestimmt würden mich mindestens dreihundert Personen kennen und neugierig die Frau an meiner Seite analysieren. Sie war hübsch. Dass sie älter war als ich, würden sie kaum merken. Dank ihrem südländischen Äusseren würden sie auch nicht sofort erkennen, dass sie keine von uns ist. Dann würden die Blicke allerdings herunterschweifen, zu den beiden Kindern neben ihr. Ich wagte nicht mir vorzustellen, wie schockiert meine Freunde reagieren würden, wenn sie erfahren, dass ich mit einer geschiedenen Ausländerin, die überdies bereits Mutter war, zusammenlebte. Bald darauf würde auch meine Familie erfahren, wie die Lebensumstände meiner Freundin waren. Natürlich wünschten sich meine Angehörigen eine junge, liebe Frau, ohne aussergewöhnliche Vergangenheit für mich und selbstverständlich würden sie mir die Hölle heiss machen, damit ich meine Freundin verlasse und mir eine junge Frau aus meiner Kultur suche. Um uns beide vor diesen Problemen zu schützen, habe ich sie von meinen Leuten ferngehalten und sie nur einigen, sehr liberal eingestellten und verschwiegenen Freunden vorgestellt. Und genau diese Freunde luden uns jetzt an ein solches Fest ein. Wut stieg in mir auf. Wie konnten sie nur so rücksichtslos sein. Konnten sie sich nicht denken, in welch schwierige Lage sie mich brachten?
Ich hielt ihre Hand und sagte: „Anna, ich kann leider nicht mit euch zu diesem Fest kommen. Ich habe bereits meinem Bruder versprochen, dass ich ihn besuchen werde!“ Zur Antwort erhielt ich nur einen traurigen Blick und ein bitteres Lächeln.
Bis zuletzt dachte ich, dass sie den Freunden absagen würde, weil sie nicht ohne mich gehen wollte. Ich hätte es besser wissen müssen, schliesslich habe ich bereits in früheren Situationen erfahren, wie stur sie sein konnte. Sie hätte sich durch nichts abbringen lassen, der Einladung zu folgen. Ich beobachtete, wie sie sich und die Kinder anzog und frisierte. Mir fiel erneut ihre natürliche Schönheit auf. Ich war verrückt nach ihren grossen, mandelförmigen Augen, ihrem sanften Lächeln und ihren eleganten, katzenhaften Bewegungen. Sie selbst schien sich ihrer Ausstrahlung nicht bewusst zu sein. Sie küsste mich zum Abschied und verliess mit den Kindern unser Heim.
Wenig später sass ich in der Wohnung meines Bruders. Wir schauten uns Videofilme aus unserer Heimat an aber ich konnte mich nicht richtig konzentrieren. Meine Gedanken schweiften ab zu Anna und zum Fest. Was sie wohl in diesem Augenblick machte? War sie glücklich oder langweilte sie sich? Ob sie wohl jetzt auch so intensiv an mich dachte, wie ich an sie. Ich entschloss mich, ihr eine SMS zu schreiben und sie zu fragen, wann sie nach Hause zu kommen gedenke. Wäre es nicht wunderbar, sie abzuholen und mit ihr zusammen noch etwas spazieren zu gehen? Ich wendete meine Aufmerksamkeit wieder dem Film zu und wartete auf ihre Antwort. Vergeblich. Nach einer Stunde entschloss ich mich, sie anzurufen. Ihr Handy war ausgeschaltet. Mir blieb also nichts weiter übrig, als zu warten. Sie aber rief nicht an, auch nicht nach weiteren zwei Stunden. Vielleicht war etwas Unvorhergesehenes passiert. Ich entschloss mich, auf dem Nachhauseweg kurz am Fest vorbeizuschauen. Von einer Ecke aus wollte ich mich unbemerkt vergewissern, dass es ihr gut ging. Danach wollte ich nach Hause fahren.
Eilig verabschiedete ich mich von meinem Bruder und stieg wenig später am Lindenplatz, wo das Fest stattfand, aus dem Bus.
Schon vor der Halle hörte ich die Musik und das Lachen von vielen fröhlichen Menschen. Ich rannte die Treppe hoch und trat in den Festsaal. Mein Blick fiel auf die Leute, die sich auf der Tanzfläche an den Händen hielten und im Takt der Musik im Kreis tanzten. Dort, inmitten meiner Landsleute, entdeckte ich Anna. Ihr Gesicht strahlte während sie sich der Musik hingab. Ihr Tanz war so leicht und unbeschwert, dass sie zu schweben schien. Sie sah aus wie eine Göttin, stolz und frei. Ihr Anblick machte mich glücklich. Da war sie: Anna, mein Glück, mein Licht, meine Königin. Dann bemerkte ich die Männer um sie herum und mit welcher Bewunderung und mit welchem Begehren sie meine Freundin ansahen. Wie ein Dolch schnitt die Eifersucht in mein Herz. Nein, Anna gehörte mir und alle sollten es wissen! Ich bahnte mir den Weg durch die Menschenmenge und kämpfte mich bis zum Rand der Tanzfläche vor. Dort entdeckte ich Anna’s Kinder, die im Takt der Musik klatschten. Ich nahm die beiden auf meine Arme und trug sie zu den Tanzenden. Anna bemerkte mich erst, als ich direkt vor ihr stand. Überrascht und froh sah sie mich an. Ich tat was mein Herz mir befahl und schrie laut heraus, dass ich sie liebe. Anna lächelte. Dann küssten wir uns und die Welt um uns verschwand.

 

Mir gefällt die Geschichte auch sehr gut und kann mich in Sachen objektiver Kritik nur meinem Vorschreiber anschließen. Flüssig zu lesen, keine merklichen Hacken und Ösen, verständlicher und klarer Handlungsablauf und realistisches Verhalten der Akteure.

Viele Grüße
Lars

 

Lieber illu, lieber digleu

Ich freue mich, dass euch die Geschichte gefallen hat und danke euch herzlich für euren Kommentar.

Selene

 

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