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- 31.05.2006
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Freiheit
Die Sonne scheint. Die Vögel zwitschern und sie? Sie fliegt. Vorbei an den großen Kirschbäumen, die pralle rote Früchte tragen. Vorbei an dem Hagebuttenstrauch, der in voller Blüte steht und seine schmalen grünen Blättchen gen Himmel streckt. Im Schrägflug vorbei am Ufer des Dorfteiches. Mitten durch die langen Halme des Schilfes, die weit aus dem Wasser ragen. Einfach nur vorbei an allem. Um frei zu sein. Frei- wie eine Fliege.
Die Sonne scheint. Die Vögel zwitschern und sie? Sie schlendert durch den Stadtpark. Ihre nackten Füße berühren das saftige grüne Gras der Wiese. Um sie herum spielen Mütter mit ihren Kindern. Jugendliche sitzen zusammen auf einer Decke. Tänzelnd überquert sie die kleine Anhöhe, auf der einige Punks zusammen sitzen und Bier trinken. Sie schwebt auf einer Welle von Glück und Harmonie vorbei an allem. Frei- wie ein Mensch.
Ihre transparenten Flügel schlagen 200-mal in der Sekunde bis sie schließlich mühelos auf dem grünen Laubblatt landet. Sie verweilt eine Weile in der Sonne bis sie genug hat und zum nächsten Rundflug startet. Gekonnt stößt sie sich mit ihren Vorderbeinen ab und stellt erst in der Luft ihren Flügelschlag ein. Kickstart.
Ihr Gang verlangsamt sich bis sie sich schließlich auf den Rasen setzt. Die Sonne blendet. Für einen Moment schließt sie die Augen um einfach nur zu genießen. Den Moment. Die Sonne. Die Freiheit. Nach einer Weile hat sie genug Energie getankt. Sie rollt sich auf den Rücken um dann schwungvoll aufzuspringen. Kickstart.
Und wieder rauscht sie durch die Lüfte- 6,5 km/h. Der Wind zischt an ihr vorbei. Sie verlässt die Freiheit und fliegt durch ein geöffnetes Fenster in das rotgeklinkerte Wohnhaus. Surrend zieht sie ihre Runde durch die kleine Küche. Wärme, Feuchtigkeit, Nahrung- ihre Lebensgrundlagen, alle an einem Ort.
Sie macht sich auf den Weg in die Schule und lässt die Freiheit hinter der grünen Feuerschutztür zurück. Sie betritt das große graue Gebäude. Nun gilt es schnell die langen Flure zu durchqueren um noch vor dem Klingeln den Klassenraum zu erreichen. Geschafft. Drrrrrrrrrrrrrr. Die Lehrerin beginnt zu sprechen. Bildung- der Grundstein für ein gutes Leben in der Zivilisation.
Sie ist kein willkommener Gast. Die Fliegenklatsche wird aus dem Schrank geholt. Sie wird durch den kleinen Raum gehetzt, verliert ihre Orientierung nicht, dreht ein paar Saltos und landet schließlich kopfüber an der glatten Zimmerdecke um sich eine kleine Verschnaufpause zu gönnen.
Ein grimmiges Gesicht schaut sie an und kündigt missgelaunt eine Arbeit an. Sie fühlt sich unerwünscht. In ihrem Kopf kreisen die Gedanken nur so wild um her. Sie verliert den roten Faden nicht. Ihr Gedankenstrom schlägt große Wellen. Doch ihr Blatt bleibt weitestgehend leer.
Dort klebt sie an der Innenseite des Glases. Immer wieder versucht sie zu fliegen. Doch sie ist gefangen. Es gibt kein Entkommen. Sie leidet. Doch dann nach 5 Stunden erlöst sie ein kleiner Junge und schenkt sie ihr- die Freiheit. Zumindest für heute. Sie fliegt vorbei an den großen Obstbäumen die pralle Früchte tragen…
Wie gerne würde sie nach draußen. Die Welt da draußen sie ist so greifbar nah. Nur die Glasscheibe des Fensters trennen sie. Doch diese Wand aus Glas scheint einfach unüberwindbar. Sie quält sich durch weitere 5 Stunden bevor das Klingelzeichen die Erlösung verkündet. Das Surren schenkt ihr die Freiheit. Zumindest für heute. Sie schlendert in den Stadtpark…